Die Evangelischen Frau_innen, der Hirntod und die Organspende

Die Evangelischen Frauen in Deutschland haben einen umfangreichen Text über Hirntod und Organtransplantation verfasst, der sich mit einer Fülle von Forderungen ausdrücklich an den Gesetzgeber, die Öffentlichkeit, die Kirchen und überhaupt an jeden richtet. Auch an uns. Frau würde es nämlich sehr gut finden, wenn wir auf das Positionspapier 2013 zur Organtransplantation hinweisen könnten. Aber natürlich, liebe Evangelische Frau_innen, machen wir! Ein wenig Blättern in dem Text wird dann ja wohl erlaubt, nein: geradezu erwünscht sein.

Weit kommt man nicht beim Blättern, ohne zu stolpern (S. 5):

Die Evangelischen Frauen in Deutschland teilen die – auch durch medizinische Forschungsergebnisse gestützte – Annahme vieler, dass Patient_innen mit Hirntoddiagnose nicht Tote, sondern Sterbende sind, deren Sterbeprozess erst mit der Organentnahme endgültig abgeschlossen ist.

In den weit häufigeren Fällen von Hirntod ohne Organentnahme stirbt man also niemals „endgültig“. Es überfällt uns mit lästiger, aber tagheller Klarheit, dass unser Gast-Blogbeitrag zum Hirntod, der doch angeblich Anlass zur Kontaktaufnahme mit uns war, gar nicht gelesen wurde – oder es wurde auf „ned amol ignorieren!“ geschaltet. Das kränkt uns schon, liebe Evangelische Frauen in Deutschland! Doch unsere Neugier ist geweckt; welche „medizinischen Forschungsergebnisse“ mögen denn das sein? Bevor wir darüber aufgeklärt werden, heißt es zunächst, man fordere:

von der Bundesärztekammer die Veränderung der Richtlinie zur Feststellung des Hirntodes dahingehend, dass apparative Zusatzdiagnostik wie fMRT, PET, SPECT, EEG oder mindestens eine Duplexsonographie der Carotiden (Doppler-Ultraschalluntersuchung der Halsschlagadern) in jedem Falle zwingend vorgeschrieben wird;

was insofern irritiert, als auch Patienten (Pardon, _innen) mit beidseitigem Carotisverschluss munter wie ein Fisch im Wasser sein können; sie müssen nicht einmal einen Schlaganfall erlitten haben. Wie kommt Ihr nur auf die Idee, die Carotis-Duplexsonografie sei bei der Hirntoddiagnostik hilfreich bzw. sei sogar vorzuschreiben? Oh, hier haben wir sie, die wesentliche Quelle solchen Sachverstandes. Es handelt sich nur um eine Kurzfassung der Müllerschen Thesen von 2011, die sich komplett als Albernheiten erweisen, wenn man sie nur scharf anblickt, die im weiteren aber dennoch von Euch, liebe Evangelische Frauen in Deutschland, noch 2013 ausführlichst zitiert werden. Andere wissenschaftliche Literatur wird ausschließlich durch diese Brille mit eingebautem Verzerrungswinkel gesehen. Da kommt es dann schon mal vor, dass Ihr im Vertrauen auf Eure Gewährsleute verkündet:

Auf die zunehmenden, auch medizinisch-naturwissenschaftlich begründeten Zweifel an der Gleichsetzung von Hirntod und Tod eines Menschen hat das US-amerikanische Pendant zum Deutschen Ethikrat (The President’s Council on Bioethics) bereits 2008 mit dem Vorschlag reagiert, im Falle der Organexplantation die dead-donor-rule aufzugeben und von einem justified killing, einer gerechtfertigten Tötung auszugehen.

Liebe Evangelische Frauen; hier habt Ihr Euch hinters Licht führen lassen. Der President’s Council als Gremium hat nichts dergleichen je behauptet. Der Terminus kommt nur im Referat eines Aufsatzes in einer persönlichen Stellungnahme eines Beiratsmitgliedes vor, und selbst da mehr implizit (übrigens ist auch im Deutschen Ethikrat die eine oder andere sonderbare Einzelmeinung anzutreffen; kein Wunder bei den vielen Theologen dort). Statt dessen heißt es in der Zusammenfassung:

Unter den Mitgliedern des Rates für Bioethik ist die vorherrschende Ansicht, dass der gegenwärtige neurologische Standard der Hirntoderklärung, gegründet auf die sorgfältige Diagnostik des völligen Hirnfunktionsverlustes, biologisch und philosophisch haltbar [defensible] ist.

Sagt mal, liebe Evangelische Frauen, klingt das nicht ein wenig anders, als Ihr es Euch und dem Leser in Eurem Papier vorstellt? Und nebenbei: Die Dead-Donor-Rule, die Tote-Spender-Regel, meint etwas ganz anderes, als es von Euch (absichtlich oder eher aus Versehen) unterstellt wird. Es handelt sich hier um die Frage, ob Patienten mit Herzstillstand für die Organentnahme infrage kommen, ohne dass die Hirntodkriterien erfüllt wären. Nein, sagt man in Deutschland. Grund genug, der Bundesärztekammer als „interessengeleitet“ die Zuständigkeit zu entziehen. Verlangt wird

vom Gesetzgeber, auf der Grundlage des gesellschaftlichen Verständigungsprozesses § 3 und 4§ 16 des Transplantationsgesetzes dahingehend zu ändern, dass die Definition des Todes (als Voraussetzung der Explantation funktionsfähiger Organe) nicht mehr in die Zuständigkeit der Bundesärztekammer fällt; wünschenswert ist in dem Zusammenhang die Überprüfung der bisherigen gesetzlichen Regelungen in §§ 3 und 16 des Transplantationsgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht;

Da haben wir aber noch mal Glück gehabt, dass Ihr nur die Evangelischen Frauen seid und nicht die Katholischen, denn sonst hättet Ihr wohl noch verlangt, das Heilige Offizium solle für die Entscheidung über naturwissenschaftliche Tatsachen verantwortlich sein. Hatten wir schon, wenn es auch schon ein Weilchen her ist. Aber wenigstens stellt Ihr Euch Eurer Verantwortung auch für uns, die wir noch im Sumpf des Atheismus oder im Labyrinth des Irrglaubens dahinvegetieren:

Nicht die Hirnleistung macht uns zu Menschen, sondern die Beziehung Gottes zu einem jeden einzelnen Menschen, die diesem von Beginn bis zum Ende seines Lebens – unabhängig von Kognitivität, Moralität oder auch Religiosität – zukommt.

Wir sind gerettet – ob wir wollen oder nicht.

27 Gedanken zu „Die Evangelischen Frau_innen, der Hirntod und die Organspende“

  1. Sich über diesen lingusitischen Idealismus lustig zu machen ist ein wenig billig, weil so leicht. Sich Gedanken über das Geschlechterverhältnis zu machen, ist hingegen schon ein wenig schwerer. Diese wadenbeißerische „Kritik“ en passant tut einem solchen Text nicht gut – aber das Thema scheint für den Autor ja recht affektiv aufgeladen zu sein, wird er doch nicht müde, das einzustreuen.

    Was mich bei den Evangelen wundert, ist ihr Engagement in dieser Sache. Ich verstehe nicht ganz, warum man sich damit beschäftigt. Sollte ihr naiver Dualismus von Körper und Seele nicht dazu führen, dass es ihnen egal sein kann, wie da an der Materie herumgewurschtelt wird, wenn die Seele doch sowieso davon unberührt bleibt?

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  2. Auf einen groben Klotz gehört eben ein grober Keil.

    Wie bereitwillig über ein klitzekleines Binnen-I gehüpft wird, ist schon lustig.

    Das sollten wix öfta hier tun.

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  3. Das Rumreiten auf der geschlechterneutralen Sprache hab ich nicht kapiert. Mag mir das jemand erklären? Ich hab beim besten Willen nicht erkannt, wie das den Artikel verbessern sollte 😀 Ansonsten: netter Text.

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  4. Diese wadenbeißerische “Kritik” en passant tut einem solchen Text nicht gut – aber das Thema scheint für den Autor ja recht affektiv aufgeladen zu sein, wird er doch nicht müde, das einzustreuen.

    Hast Du die 75 Seiten Positionspapier gelesen, auf die sich der Blogartikel bezieht? Der Titel hat schon seinen Grund …

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  5. Cohen :Auf einen groben Klotz gehört eben ein grober Keil.Wie bereitwillig über ein klitzekleines Binnen-I gehüpft wird, ist schon lustig.Das sollten wix öfta hier tun.

    Das heißt nicht hiER, sondern hiX.

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  6. Mann oh Mann, der Blog wird echt immer beschissener…

    sich über …innen lustig machen ist so 2000 … aber ist ja bekannt, dass Psiram aus 90 % Ü 50 – Spießern besteht (oder waren es mehr?) 😉

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  7. mossmann :

    Mann oh Mann, der Blog wird echt immer beschissener…

    Über eine derartige Tiefe des Textverständnisses hat sich schon Heine seine Gedanken gemacht:


    „Die deutschen Censoren — Dummköpfe“ (Kapitel XII, „Ideen. Das Buch Le Grand“)

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  8. Über eine derartige Tiefe des Textverständnisses hat sich schon Heine seine Gedanken gemacht:

    Dann bleibt halt mal schön am Text und Inhalt und haltet euch nicht mit dämlicher Häme auf.

    Was Skeptiker-Blogs angeht, hat euch die Konkurrenz mittlerweile um Lichtjahre überholt.

    Da geht es meist seriöser, fachlicher – und vor allem ohne missglückte Kalauer zu.

    Ihr könnt vieles, aber eines immer seltener: Einen guten Text schreiben. Irgenwie Grundvorraussetzung für einen guten Blog, imo …

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  9. Dann schlage ich vor, dass du nicht mehr nur maulhurend in Blog und Forum herumätzt, sondern es uns mal so richtig zeigst, wie ein guter Blogartikel geht. Müsste dir ja ein Leichtes sein, nicht wahr? Aber natürlich vermeidet man mit wohlfeilem Nörgeln ein Schweißtröpfchen (igitt!) auf der eigenen Stirn und darf meinen, sich mal wieder so richtig toll profiliert zu haben.

    Andererseits brauchst du aber keine Angst haben: wir haben auch ein Rechtschreibkontrollbehördle, das deine Artikel vor Blamagen wie „irgenwie“ und „Vorraussetzung“ bewahrt.

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  10. Die Ansichten und Forderungen dieser Gruppe sind weder logisch noch vernünftig. Sie schließen durch unerfüllbare Voraussetzungen eine Organtransplantation aus. Das gilt für die apparativen Untersuchungen, die so aufwendig und zeitraubend sind und die so negative Ergebnisse als Ergebnis haben müssen, dass kein lebensfähiges Organ mehr entnommen werden kann. Das gilt aber auch für das Geschwurbele mit der Verbindung zu Gott. Es wird von verschiedenen Seiten her suggeriert, dass die Organentnahme tötet, bzw. eine Organentnahme abzulehnen ist. Mit christlicher Nächstenliebe hat diese Forderung sicher nichts zu tun. Eher mit bigotter Rechthaberei.

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  11. Und jedesmal, wenn ich mir denk, man könnte ja mal der Skeptikerbewegung doch beitreten, mal zu einem Treffen gehen, kommt so ein offensichtlich frauenfeindlicher Schwachsinn. Da weiß ich, dass ich da nicht willkommen bin.
    Außer ich tu so, als würd mich das nicht stören. Tut es aber.
    Aber he! Wenn man Frauen aktiv vergrault, dann kann man weiter dem Vorurteil frönen, alle Frauen würden quasi automatisch auf Esoterik abfahren und wären von Natur aus blöd. Sonst wären ja mehr Frauen (aktive) Skeptiker.
    (Aber nein, wir sind ja aufgeklärt und klug, wir haben ja immun gegen Vorurteile… hab ich vergessen. Sorry)

    Und bevors irgendwer kritisiert: natürlich ist die Haltung der evangelischen Frauen furchtbar.

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  12. Eigentlich mag ich den Blog sehr gerne. Aber Artikel, die mit geistlosen Kunstwörtern wie „Frau_innen“ beginnen, lasse ich dann doch lieber aus. Extrem unseriös.

    An den Autor: wenn dir Sinn und Notwendigkeit geschlechtsneutraler Sprache noch nicht klar sein sollten, schau mal auf scienceblogs.de vorbei. Dort findest du einige gute Artikel zum Thema, inklusive Verlinkung auf relevante Studien. Bildung tut nicht weh..

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  13. @ Melhut
    So geistlos finde ich „Frau_innen“ gar nicht. Vor allem wenn es um ein Dokument geht in dem „Israelit_innen“ u. ä. vorkommen und in dem man offensichtlich mit aller Macht versuchen musste den in diesem Zusammenhang einigermaßen gewachsenen sprachlichen Konsens in Form des (auch schon eher weniger hilfreichen) Binnen-I auch noch zu umgehen.

    Aber viel wichtiger: Einen Artikel als extrem unseriös zu bezeichnen, nicht etwa weil sein Inhalt schlecht recherchiert, undifferenziert oder tendenziös wäre, sondern weil man sich von einer kleinen Überspitzung beleidigt fühlt, ist in meinen Augen … nun ja, extrem unseriös.

    Im Übrigen wird Dein Tipp bezügl. scienceblogs.de eher Verwirrung stiften als dem Autor zu helfen, denn auch da gibt es unterschiedliche Meinungen und Ansichten zum Thema.

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  14. Melhut :

    Aber Artikel, die mit geistlosen Kunstwörtern wie “Frau_innen” beginnen, lasse ich dann doch lieber aus.

    Ich bin immer wieder beeindruckt von Leuten, die sich ein Ei darauf pellen über Texte zu richten, die sie nicht gelesen haben – ja, die geradezu darauf stolz sind.

    off topic:
    http://www.zeit.de/2013/24/genderforschung-kulturelle-unterschiede/komplettansicht
    Wenn Du weiter über „geschlechtsneutrale Sprache“ diskutieren willst, wir haben schon mal angefangen:
    https://forum.psiram.com/index.php?topic=11351.5

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  15. Hardcore-Feministinnen in USA sagen nicht »Women«, da ja da noch der Wortstamm »men« drin ist, es heisst dann »Womyn«

    Frau_innen dürfte also korrekt sein.

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  16. @ Jaloux , @ Frau Gummibaum
    Die Genderisierung des „Positionspapiers“ der Evangelischen Frauen wäre als nebensächliche Albernheit nicht erwähnenswert gewesen, wenn nicht im Abschnitt „Gerechtigkeit“ (S. 45ff) auf einer völlig insuffizienten Datenbasis moralisiert worden wäre. Das aufzudröseln, ohne den Leser zu langweilen, war nur schwer vorstellbar. So sind wenigstens die Frau_innen entstanden.

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