Der Fall Rockel-Loenhoff: Eine Hebamme und die tödliche Brauchtumspflege (Teil 3: Die Unterstützer und eine Schlussbetrachtung)

 

1. Das Echo auf das Strafurteil – die Unterstützerszene

 

Der Fall Rockel-Loenhoff erregte von Anfang an erhebliches Aufsehen. Er gehörte zu den Strafsachen, in denen die Zuhörerränge bis auf den letzten Platz mit Anhängern der Angeklagten gefüllt

Landgericht Dortmund, Öffentlichkeit
Landgericht Dortmund, Öffentlichkeit

sind; ein Privileg, das sonst Staatsschutzsachen und neuerdings auch „Reichsbürger“-Prozesse genießen. Der Fall konnte in allen gängigen Medien verfolgt werden, nicht zuletzt auch in den Echoräumen des Internets, wo sich alsbald eine Unterstützerfront etablierte, namentlich initiiert durch Vereinigungen mit dem Zweck der Förderung häuslicher Geburtshilfe, und flankiert durch vielfältige Spendensammelaktionen, teilweise noch während des laufenden gerichtlichen Erkenntnisverfahrens, als mithin objektiv noch mit jedem denkbaren Ergebnis gerechnet werden musste.

Tenor der Unterstützerszene war und ist bis heute die Behauptung, mit dem Strafverfahren gegen Rockel-Loenhoff werde gezielt und im Interesse konkurrierender „schulmedizinischer“ Geburtshilfe die Kriminalisierung der außerklinischen Geburtshilfe betrieben, und Rockel-Loenhoff sei als deren prominente Vertreterin am Ende nichts anderes als das willkommene Opfer einer Hexenjagd – oder besser gleich: Hexenverbrennung. Vorgänge, die nicht nur das Gericht erstaunten, sondern auch den „Report vor Ort“ aus Unna:

 

In einem Blog heißt es: „Schwarzer Tag für die Hausgeburt in Deutschland – Hebamme unschuldig verurteilt“ und Felicitas G. schreibt: „Ja, auch ich empfinde diesen Prozess als moderne Hexenverbrennung“, derweil eine gewisse „Yoga T.“ mit vier Ausrufezeichen anmerkt: „Das klingt nach Hexenjagd.“ Soviel zum Respekt vor dem Urteil eines Schwurgerichtes von Menschen, die sich als „Alleingebärin“, „Philosophin“ und/oder „Langzeit-Stillende“ bezeichnen und von einer Welt träumen, „in der Frauen in Würde und selbstbestimmt gebären… und sich Geburt aus eigener Kraft wieder zutrauen“. Dafür sei, wie sie schreiben, „die Göttin“ mit ihnen.

 

Die beiden größten Berufsverbände für Geburtshelferinnen in Deutschland, der Bund freiberuflicher Hebammen e.V. (BfHD) und der Deutsche Hebammenverband e.V. (DHV), blieben in der Debatte insgesamt distanziert. Der DHV gab nach der Veröffentlichung des landgerichtlichen Urteils eine Presseerklärung ab, in der – völlig zutreffend – klargestellt wurde, dass keineswegs die außerklinische Geburtshilfe vor Gericht gestanden habe, und in der im übrigen die Wichtigkeit der interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Hebamme und klinischer Geburtshilfe betont wurde.

Ihnen wurde daraufhin von dem Deutschen Fachverband für Hausgeburtshilfe (DFH) unsolidarisches Verhalten vorgeworfen:

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Der Fall Rockel-Loenhoff: Eine Hebamme und die tödliche Brauchtumspflege (Teil 2: Täterin und Tat)

  1. Vorbemerkung

Nachdem im ersten Teil dieses Beitrags eine grundlegende Lese- und Verständnishilfe für die Auseinandersetzung mit der Strafsache Rockel-Loenhoff geliefert wurde, geht es jetzt in die Sache selbst, also an die Einzelheiten des Urteils vom 1. Oktober 2014.

Auf den ersten Blick fällt auf, dass ein solches Strafurteil lange Zeit nicht direkt dem klassischen Prüfungsschema „Tatbestandsmäßigkeit – Rechtswidrigkeit – Schuld“ folgt, das sich aus dem „Straftatsystem“ ergibt. Ein Urteil in einer Strafsache hat als Ergebnis nicht nur die Aussage: ein Delinquent ist strafbar oder nicht. Es muss sich auch mit der Persönlichkeit des oder der Angeklagten, mit auffälligen früheren Verhaltensweisen, aber auch mit dem Nachtatverhalten auseinandersetzen, weil davon beispielsweise die Strafzumessung abhängt – aber auch weil, wie das hier noch zu zeigen sein wird, wichtige Indizien für die Frage der Schuld gewonnen werden können. Das kann andererseits die Orientierung über das, was gerade in Frage steht, bei einem so langen Text schon einmal erschweren.

  1. Die Vorgeschichte: Radikalisierung

Das als Print über 250 Seiten starke Urteil des Landgerichts ist zur besseren Übersicht mit Randziffern versehen, die hier als Aufsuchhilfe übernommen werden. Man findet nach dem Strafausspruch selbst (sechs Jahre und neun Monate Haft ohne Bewährung, von denen drei Monate wegen der Verfahrensdauer als bereits verbüßt angerechnet werden, ein lebenslanges Berufsverbot als Hebamme und Ärztin, dazu Schmerzensgelder und Schadenersatzpflichten gegenüber den Eltern des verstorbenen Kindes):

elternkindpraxis-deab Rz.18: einen Lebenslauf der Angeklagten, die nach einer Ausbildung und Praxis als Hebamme ein Studium der Medizin absolvierte, aber keine Facharztausbildung, insbesondere nicht in Frauenheilkunde und Geburtshilfe.

ab Rz.30 „Allgemeines Vorgeschehen“, in dem die Historie einer Radikalisierung der Standpunkte der Angeklagten nachgezeichnet wird, und darunter

ab Rz.41 die praktischen Einzelaspekte, in denen sich diese Radikalisierung und Ideologisierung ausdrückte, nämlich

ab Rz.42 die Geringschätzung der Überschreitung des Geburtstermins

ab Rz. 44 die überlange Dauer des Geburtsvorgangs selbst

ab Rz.52 die besonderen Risiken individueller Schwangerschaften und hier besonders die Risiken pathologischer Kindslagen beim Einsetzen der Geburt.

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Der Fall Rockel-Loenhoff: Eine Hebamme und die tödliche Brauchtumspflege (Teil 1: Juristerei)

Am 11. Mai 2016 verkündete der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs unter dem Vorsitz von Beate Sost-Scheible einen Beschluss, durch den die Revision einer Galionsfigur des deutschen Anna-Rockel-Loenhoff-informierte-ueber-die-Sicherhe1Hebammenwesens, Anna Rockel-Loenhoff aus Unna, gegen eine Verurteilung zu sechseinhalb Jahren Haft durch das Landgericht Dortmund als unbegründet verworfen wurde. Der Vorwurf lautete: Totschlag durch Unterlassen an einem Neugeborenen. In der Sache ging es um den Tod eines neugeborenen Kindes im Juni 2008 im Verlauf einer „Hausgeburt“, die sich wegen der problematischen „Beckenendlage“ des Kindes über mehr als 17 Stunden hinzog, und in deren Verlauf die Angeklagte bis zum bitteren Ende an ihrem Konzept der „natürlichen“ Geburt festhielt. Der Fall hat von Beginn an erhebliches Aufsehen erregt, auch in der allgemeinen Medienöffentlichkeit, und insbesondere eine Empörungs- und Unterstützungswelle provoziert, die dem Strafprozess eine „Hexenjagd“ gegen frei praktizierende Hebammen im Allgemeinen und gegen Vertreterinnen der Hausgeburt im Besonderen unterstellt.

Auf Sinn oder Unsinn, Vorzüge oder Nachteile einer häuslichen Geburt soll in dieser Beitragsserie nicht eingegangen werden. Worum es hier geht, ist die Betrachtung dieses besonderen – und in der Tat sehr besonderen – Falles, in dem die Extreme der Glaubenssysteme, der Hysterisierung der Öffentlichkeit und der Polemik auf die Spitze getrieben wurden. Zeit also für einen klaren Blick auf zweieinhalb Jahre Hauptverhandlung in der ersten Instanz und nochmals mehr als ein Jahr lautloser, im Schriftlichen verbliebener Revision vor dem Bundesgerichtshof.

Der erste Teil dieses Beitrags enthält trockenen juristischen Stoff: eine Lesehilfe, in der Begriffe und Beurteilungsmaßstäbe geklärt werden, damit klar wird, worüber überhaupt zu befinden sein wird – bevor die Einzelheiten betrachtet werden.

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