Das Böse ist gut

Zu rechtsextremistischen Denkstrukturen in der zeitgenössischen Esoterikbewegung

Ein Artikel von Holdger Platta aus Psychologie Heute 06/1997

Mit freundlicher Genehmigung von Psychologie Heute. Den original gesetzten Artikel mit Illustrationen gibt es als PDF (15 MB) hier (Das Copyright verbleibt beim Verlag)

Publizisten und Wissenschaftler äußern sich im wachsenden Maße besorgt: Die New Age-Bewegung – zeitgenössische Version der überkommenen Esoterik – werde immer stärker von rechtsextremistischen Tendenzen beeinflußt; faschistisches Denken gehe in dieser Bewegung um.
– Rund ein Viertel der esoterischen Gemeinschaften im deutschen Sprachraum seien rechtsextremistisch oder sympathisierten mit rechtsextremistischem Gedankengut – berichten die New Age-Analytiker Eduard Gugenberger und Roman Schweidlenka.
– „Viele politische Kernaussagen sind durchaus kompatibel mit reaktionärem, ja sogar rassistischem Gedankengut“, so die Wissenschaftsjournalisten Gerhard Kern und Lee Traynor.
– „Das New Age richtet sich an die Sanften, nicht die Militanten. Deshalb wird meistens übersehen, daß in dieser breiten religiösen Strömung der Selbstvergötterung faschistische Ideologie wiederauflebt“, urteilt Peter Kratz.
Welche Ideologeme des rechtsextremistischen Denkens sind es, die in der New Age-Bewegung auf Widerhall stoßen? Bestimmen Autoritarismus, Aversion gegenüber Menschenrechten und die mit diesen grundlegend verbundene Ethik, bestimmen Sozialdarwinismus sowie Rassismus und Antisemitismus zunehmend das Bild der heutigen Esoterik?
Sehen wir uns als erstes eine Definition der Esoterik an, die aus den Reihen der Esoterik selber stammt, den vollständig zitierten Artikel zu diesem Stichwort aus dem „New Age-Wörterbuch“ von Elmar Gruber und Susan Fassberg:
„Esoterik (vongriech. „nach innen gerichtet“) bezeichnet das in sich gekehrte, „vergeistigte“ Wissen. E. ist eine jahrtausendealte Tradition der Menschheit, die versucht, auf der Ebene der persönlichen Erfahrung (siehe Initiation), die Geheimnisse unseres Daseins erlebbar zu machen. Im eigentlichen Sinn kann E. weder gelehrt noch gelernt, sondern allein erlebt und gelebt werden. Deshalb verbindet jede esoterische Tradition, neben den auch nicht Initiierten zugänglichen Schritten (die „exoterisch“, also nach außen gerichtet sind) eine Reihe von Übungen, Prüfungen und Lebensweisen (etwa Meditation, Askese, Riten usw.), die gerade im rechten Handeln den Gehalt des esoterischen Systems erfahrbar und verstehbar machen. Das New Age wird von vielen Esoterikern als jene anbrechende Zeit angesehen, in der das esoterische Wissen nicht mehr geheimgehalten und allein Ausgewählten zugänglich gemacht werden muß, sondern zu einer allgemeinen Erfahrens- und Lebensform erhoben werden kann. Die Grundprinzipien der E., vor allem der abendländischen, sind in der smaragdenen Tafel des Hermes Trismegistos enthalten.“
Und zu diesen „Grundprinzipien“ des Hermes teilt uns das Wörterbuch mit:
„Smaragdene Tafel. Tafel, auf der Hermes Trismegistos (legendäre Figur des alt. Ägypten, später mit Thot, dem Gott des Wissens identifiziert) die Grundgesetze des Kosmos eingraviert haben soll. Die Botschaft der S.T. gilt als Grundtext der gesamten abendländischen Esoterik. Sie kann in vier Grundprinzipien zusammengefaßt werden: 1. „Wie oben so unten“, 2. Alles in der Welt ist polar, 3. Zwischen den Polen herrscht ein Kraftfluß, der ein Neues, ein Drittes entstehen läßt, 4. Alles im Kosmos läuft zyklisch, rhythmisch ab und untersteht dem Gesetz der Balance und Ausgewogenheit.“
Sehr konkret ist das alles noch nicht. Trotzdem läßt sich bereits diesen wenigen Sätzen entnehmen:
1. Bei der Esoterik handelt es sich um ein uraltes „Wissen“ der Menschheit.
2. Dieses „Wissen“ war für lange Zeit nur wenigen Eingeweihten bekannt und teilt sich auch nur auf „Offenbarungsweise“ mit.
3. Dieses „Offenbarungswissen“ soll jetzt im Zeitalter des Wassermanns allen Menschen mitgeteilt werden.
Was soll an solchen Auffassungen „rechtsextremistisch“ sein? Nun, unmittelbar natürlich noch nichts. Dennoch fallen bereits an dieser Stelle gewisse Vereinbarkeiten des esoterischen Denkens mit rechtsextremistischen Anschauungen auf:
1. Grundlegend für Esoterik ist, daß sie einer rationalen Überprüfung nicht zugänglich ist; sie ist damit nicht unbedingt schon antiintellektuell, auf jeden Fall aber irrational.
2. Offenkundig geht Esoterik von der Ungleichheit der Menschen aus; wo der Rechtsextremismus zwischen politischen Führern und Gefolgschaft unterscheidet, differenziert Esoterik zwischen „Eingeweihten“ und dem großen „unerleuchteten“ Rest auf dieser Welt.
3. Diese Unterscheidung zwischen zwei ungleichwertigen Menschheitsklassen veranlaßt Esoterik zu einem umfassenden geistigen Führungsanspruch: nicht nur im Irrationalismus und im Ungleichheitsdenken weisen Rechtsextremismus und Esoterik Parallelen auf; auch hinsichtlich des totalen Führungsanspruches trifft dies zu.
4. Wenn der Esoterisch-Eingeweihte mit seinem geistigen Führungsanspruch über Wissen zu verfügen glaubt, das die Geheimnisse des gesamten Universums umfaßt, dann ist dieser geistige Führungsanspruch auch unbegrenzt; er zeigt einen totalen, wahrscheinlich totalitären Zug. Kurz: Es scheint zweifelhaft, daß aus esoterischer Tradition demokratisches Denken, egalitäres Denken, rationales Denken abgeleitet werden kann. Entscheidend ist deshalb, was heutige Esoteriker konkret aus dieser Weltanschauung machen.
Doch kehren wir vorher noch einmal zu diesen hermetischen Grundsätzen zurück. Was teilt Esoterik uns mit?


Der erste wichtige Punkt im esoterischen Denken ist – ebenso zutreffend wie harmlos und banal: die Welt, in der wir leben, stellt eine Ganzheit dar. Irgendwie ist alles mit allem verbunden, nichts fällt aus diesem Universum heraus oder existierte gleichsam neben ihm; die Holismus-These der Esoterik.
Zweitens und „esoterischer“ schon: diese Allverbundenheit wird nicht naturwissenschaftlich oder materialistisch definiert, sondern als geistiges Prinzip; die Spiritualismus-These der Esoterik. „Was die Welt im Innersten zusammenhält“, das ist „Geist“, „Spirit“, manche sagen auch „Gott“, das „göttliche Prinzip“, das „Prinzip Liebe“.
Was drittens bedeutet: Dieses Prinzip stellt keine wertungsneutrale Auffassung dar, sondern begründet eine besondere Art von „moralischem Imperativ“: Hieß es zunächst nur „Alles ist mit allem verbunden“ und „Alles ist Geist“, so lautet auf der dritten Stufe die esoterischeAntwort:
„Alles ist gut.“ Ob die Auslegung eher in theologische Richtung geht – alles ist gut, weil es göttlichem Willen entspricht (Pantheismus) – oder eher in organizistische Richtung – alles ist gut, weil es sich der natürlichen Ordnung des Kosmos verdankt -, das ist sekundär und wird von Esoterikern durchaus verschieden gesehen. Entscheidend ist dieser Satz“ „Alles, was ist, ist so, wie es ist, gut“. Was andersherum natürlich bedeutet: Es gibt nichts wirklich Böses oder Schlechtes auf dieser Welt! Damit aber versieht Esoterik noch jedes Unrecht, noch jedes Unglück, noch jede Diktatur und jedes Terror-Regime auf dieser Erde mit einem ethischen Unbedenklichkeitsschein. Dieser „moralische Imperativ“ ist von amoralischer Natur:
– Entweder bilden sich die Menschen das Böse oder Leiden oder Übel nur ein – das ist die Illusionshypothese, welche die Esoterik zu propagieren versucht;
– oder die Menschen sind Opfer geworden einer Fehlbewertung und sehen den übergreifenden Zusammenhang nicht, in dem auch das Böse sich als gut erweist und das Unglück als sinnvoll; diese Auffassung hat vor allem ihren Niederschlag gefunden in der Karma-Theorie und im sogenannten Komplementaritätsprinzip der Esoterik.
Von Seiten der Karma-Theorie wird behauptet, daß alles, was den Menschen an Negativem widerfährt, zurückgeht auf Schuld in einem früheren Leben und sie zum Besseren führen soll. Das Komplementaritätsprinzip behauptet, daß eben beides, das Böse und Gute, zum Leben zählt und richtiges Bewußtsein nur dasjenige sei, das beides als gut anerkennt.
Man erinnere sich: bei Hermes Trismegistos klang das noch ganz harmlos und unproblematisch – „Alles in der Welt ist polar…Alles im Kosmos… untersteht dem Gesetz der Balance und Ausgewogenheit.“
Und was stellen nun heutige Esoteriker mit diesem Drei-Satz des dreifach mächtigen Hermes an: Alles ist verbunden/Alles ist Geist/Alles ist gut? – Was hat das mit Rechtsextremismus zu tun?
Zunächst zum Autoritarismus, der daraus seine offenbar unvermeidliche Rechtfertigung bezieht, zur Bejahung also von unüberprüfbarer, nur noch esoterisch, nicht aber mehr demokratisch legitimierter Autorität. Gottfried von Purucker, Autor des „Okkulten Wörterbuches“, betrachtet das „hierarchische Gefüge“ der Wirklichkeit als „lebensnotwendig“, „organisch“ und letztlich gottgewollt: „Das Wort „Hierarchie“ bedeutet…, daß in einer in sich selbständigen Körperschaft ein bestimmter Plan, ein System oder ein Zustand delegierter Führung oder Autorität besteht…unter der lebensnotwendigen Leitung eines göttlichen Wesens, eines Gottes, einer spirituellen Essenz. Alle stofflichen Erscheinungen auf unserer Ebene sind nur der sichtbare Ausdruck dieses Systems. Das hierarchische Gefüge ist so fundamental und so wesentlich, daß man es mit vollem Recht die organische Struktur des Seins nennen kann.“
Entsprechend auch der Begründer der Findhorn- Gemeinschaft im schottischen Hochland und New Age-Buch-autor David Spangler: „Alle spirituellen Gesellschaften sind hierarchisch. Anders könnten sie nicht funktionieren. Es ist klar, daß man sich bei der Führung der Angelegenheiten einer spirituellen Gesellschaft nicht an jene wenden kann, die weniger erleuchtet sind.“
Von daher ist nur folgerichtig, daß New Age-Vertreter wie Rudolf Bahro und Rainer Langhans, Viktor Farkas und Fritjof Capra, Marilyn Ferguson und Bhagwan in vielfachen Abstufungen für den Führerkult in diesem Kult zu plädieren versuchen. Vom „grünen Adolf“ ist da ebenso die Rede wie von „freudiger Unterwerfung“. Doch auch in puncto Menschenrechte greift in der Esoterikbewegung rechtsextremistisches Denken um sich – beziehungsweise, anders gesagt: es wird für die Abkehr von jeglicher ethischen Grundorientierung geworben.
Was äußerte zum Beispiel der US-amerikanische Ex-Manager und Begründer der „Vivation-Therapie“ Phil Laut zu dieser Thematik? „Es gibt nichts Falsches außer dem, was Du als falsch bezeichnest. Das Universum ist gerecht, es ist kein Zufall…“ In ähnlicher Relativierung sowie Aufhebung des ethischen Denkens gibt auch Farkas Auskunft auf die Frage, ob esoterische Prozesse zu „läutern“ vermögen: „Auf diese Fragen gibt es nur eine Antwort: Sie sind sinnlos. In ihnen spiegelt sich der Standpunkt des Nicht-Initiierten wieder. Was uns als verwerflich, böse oder diabolisch erscheint, kann aus einem anderen … Blickwinkel bedeutungslos, ja selbst sinnvoll sein.“ Und Farkas an späterer Stelle: „Was für uns verwerflich ist, muß es von einer anderen Warte aus nicht sein.“
Alles ist relativ. Oder gehört untrennbar zusammen, so zum Beispiel der Esoteriker Hans Ulrich: „Schwarz und Weiß, Gut und Böse, Hell und Dunkel sind in Wahrheit keine Gegensätze, die sich gegenseitig ausschließen. Sie bilden nur zwei Seiten einer Medaille und gehören tatsächlich zusammen. Alles ist Eins. Und dieses Eins ist der All-Geist.“ – Eine Aufhebungsthese aller Gegensätze in der Einheit des „All-Geists“ die der Dethlefsen-Schüler Peter Orban folgendermaßen konkretisiert: „Zum Frieden gehört notwendigerweise der Krieg.“ Ähnlich argumentiert auch Carl Gustav Jung, der in New Age-Kreisen weithin geschätzte Tiefenpsychologe: „Wenn es im Willen des Ganzen liegt, muß eben auch das Böse getan werden: dieser höhere Schöpfungswille stellt das eigentliche Gewissen dar…“ – Eine These, die auf denkbar klare Weise die Abschaffung des individuellen Gewissens und der Ethik mit einem autoritären Weltbild zu verschmelzen weiß.
Am deutlichsten aber äußert sich Thorwald Dethlefsen zu diesem Sachverhalt. Der Münchener Bestsellerautor in seinem Buch „Das Leben nach dem Leben“: „Wer das Böse bekämpft, macht das gleiche wie der, der das Gute bekämpft: beide bekämpfen die Wirklichkeit. Gut und Böse sind nichts anderes als die polare Erscheinungsform ein und derselben Sache, die wir als Einheit nur nicht bewußt vorstellen können.“ Und in seinem Buch „Schicksal als Chance“ heißt es dazu: „Innerhalb eines gesetzmäßig funktionierenden Kosmos kann es nie etwas geben, „was eigentlich nicht sein sollte“.. Jede Manifestation hat ihre Sinnhaftigkeit, sonst könnte sie gar nicht erst entstehen.“ Dethlefsen weiter:
– „Es gibt in dieser Welt nichts zu verbessern, aber sehr viel an sich selbst“
– „Lernt der Mensch, die erste wichtige Regel, daß alles, was ist, gut ist, weil es ist, so kehrt sic! immer mehr Ruhe und Frieden in ihm sic! ein.“
– Und zusammen mit seinem Co Autor Rüdiger Dahlke argumentiert Dethlefsen in dem Bestseller „Krankheit als Weg“: „Die Welt läßt sich nicht aufteilen in das, was eigentlich sein darf und daher richtig und gut ist, und in das, was eigentlich nicht sein sollte und deshalb bekämpft und ausgerottet werden muß…Es gibt gar nichts zu verändern und zu verbessern – außer der eigenen Sichtweise…Das höchste Ziel des Menschen -nennen wir es Weisheit oder Erleuchtung – besteht in der Fähigkeit, alles anschauen zu können und zu erkennen, daß es gut ist, wie es ist. Dies meint wahre Selbsterkenntnis. Solange einen Menschen noch irgend etwas stört und solange er noch irgendetwas für veränderungsbedürftig hält, hat er Selbsterkenntnis noch nicht erreicht.“
Die konkrete Schlußfolgerung des Esoterikers Dethlefsen ist unmißverständlich: Nimm alles so hin, wie es ist! Damit wird als Reifezustand proklamiert, was in Wahrheit die völlige Auflösung des Unterscheidungsvermögens zwischen „gut“ und „böse“ ist und den Menschen zur völligen Passivität gegenüber Unrecht und Unglück in der Welt veranlassen soll. Es ist eine Ideologie der völligen moralischen Gleich-Gültigkeit und Unbarmherzigkeit, die sich hier etabliert, eine Ideologie, die ins Konkrete gewendet, darauf hinauslaufen müßte, Krankenhäuser abzuschaffen und Verbrechensbekämpfung, Unfallvorsorge und Minderheitenschutz, Friedensmissionen und Hungerhilfe, Arbeitslosenprogramme und Kampf gegen Umweltzerstörung. Dies sind keine unzulässigen Konkretisierungen der Thesen von Dahlke und Dethlefsen. Es ist der Autor selbst, der diese konkreten Auskünfte gibt:
– „Ein Mensch, der richtig und gesetzmäßig lebt, braucht sich vor nichts zu fürchten, deshalb braucht er auch keinen Staat, der ihm im Krankheitsfall eine Prämie auszahlt, ihn vor dem Verhungern schützt und vor Mördern bewahrt. Einen solchen staatlichen Schutzes glauben nur die zu bedürfen, die so miserable Inhalte setzen, daß sie ständig auf der Flucht vor sich selbst sind.“
– „Es ist an der Zeit, endlich mit einem Mitleidsbegriff Schluß zu machen, der in Wirklichkeit nur zur Entschuldigung eigener Übergriffe dient.“
– „Geschieht ein Mord, so ist er Teil der Wirklichkeit und hat seinen Sinn und seinen Grund, sonst wäre er nicht geschehen. Es hat keinen Sinn, den geschehenen Mord nicht zu akzeptieren, wollen wir uns nicht gegen die Gesamtordnung stellen… Wirklichkeit anerkennen heißt lediglich, die Daseinsberechtigung aller Dinge anzuerkennen.“
– „Es gibt keine Umwelteinflüsse, die den Menschen formen…es gibt keine Schuldigen für das Schicksal des einzelnen. Es gibt keine Bakterien oder Viren, die Krankheit erzeugen. Alle, die nun glauben, sie hätten exakte Beweise für die soeben abgestrittenen Behauptungen, irren in einem Punkt: Alles, was man für Beweise hält, …sind lediglich Korrelationen.“
Bedeutet das, die Juden in Auschwitz sind an irgendwelchen „Korrelationen“ gestorben und nicht bei ihnen zumindest haben Schuldige existiert, die für deren Ermordung verantwortlich zu machen sind?
Wenn es bereits beim Thema Autoritarismus Berührungsflächen zwischen esoterischem und rechtsextremistischem Gedankengut gibt, so treten sie in puncto Ethik und Menschenrechte und Rechtsstaat noch deutlicher zutage. Es gibt eine Esoterik, die im Kern selber rechtsextremistisches Gedankengut vertritt. Und auch in puncto Sozialdarwinismus grassieren in der Esoterik-Szene entsprechende Auffassungen: das Leben stellt einen ewigen Kampf zwischen Starken und Schwachen dar; die Menschen sind von ungleichem Rang; es ist gut so und richtig, wenn die Schwachen im Kampf unterliegen oder gar untergehen; es gibt keinen ethischen Grund, dies zu ändern oder dagegen aufzubegehren. Auch Esoterik kennt so etwas wie ein „Ausleseprinzip“ durch Kampf und Vernichtung-und: sie bejaht dieses Prinzip.
Zum Beispiel der schon zitierte David Spangler: „Wir können nicht von den Eingeborenenvölkern der Erde, wie ihr sie nennt, als einer einzigen Kategorie sprechen. Sie stellen vielerlei Muster dar, von denen manche am Vergehen sind und auch dazu bestimmt sind, zu vergehen,..“ Ähnlich argumentiert auch Bhagwan, der mittlerweile verstorbene Begründer und Führer der nach ihm benannten Sekte, der Adolf Hitler als „Heiligen“ bezeichnet hat, so „moralisch wie Gandhi“: „Verhungern ist eine natürliche Balance … Ob es Äthiopien gibt oder nicht, spielt überhaupt keine Rolle. Was für einen Unterschied macht es? Wenn Indien verschwindet, wird die ganze Welt von einer Last befreit, bringt es ein bißchen mehr Reichtum… Der Tüchtigste überlebt, und der Tüchtigste soll die Macht haben. Und wer die Macht hat, der hat recht. Als Deutsche sollten Sie das verstehen.“
Auch der Münchener Star-Therapeut Dethlefsen leitet aus der Ungleichheit der Menschen deren Ungleichwertigkeit ab und bietet eine karmische Deutung an: „Die Menschen sind nicht alle gleich – auch dann nicht, wenn in unserer Zeit die Gleichmacherei immer lautstärker wird. Gleichmacherei hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun – hierarchisches Denken nichts mit Diktatur. Entsprechen im Vergleich die verschiedenen Inkarnationen den verschiedenen Klassen einer Schule, so gehören die verschiedenen Menschen verschiedenen Lernklassen an … Jeder hat seine Aufgaben und Probleme gemäß seiner Stufe, auf der er sich -gerade befindet.“ Dethlefsen schlußfolgert aus seiner „Klassen-Theorie“: „Überdenkt der Mensch ein wenig diese Ordnung, so wird ihm bald bewußt werden, daß er als Zelle … nur die Aufgabe hat, seinen ihm zugeteilten Dienst am Ganzen zu erfüllen. Er hat sich zu bemühen, eine möglichst nützliche Zelle zu sein, so wie er es von seinen Körperzellen erwartet, damit er nicht zum Krebsgeschwür dieser Welt wird. Verläßt er dennoch die Ordnung mutwillig, um seine mißverstandene Freiheit auszukosten, so sollte er sich nicht wundern, wenn er eliminiert wird.“ Muß man erwähnen, daß dies Anschauungen sind, die bis in den Wortlaut hinein an Adolf Hitler erinnern?
Fazit in puncto Sozialdarwinismus: auch hier gibt es bestürzende Übereinstimmungen zwischen rechtsextremistischer Ideologie und esoterischem Gedankengut. — Und wie sieht es beim letzten hier zu untersuchenden Merkmal faschistischen Denkens aus – beim Rassismus und/oder Antisemitismus?
Explizit rassistische oder gar antisemitische Äußerungen sind selbst in den rechtsextremistischen Kreisen der Esoterikbewegung relativ selten zu vernehmen. Offen rassistisch oder antisemitisch zu argumentieren, davor scheut so mancher Esoteriker aus juristischen Gründen zurück. Bei dieser Thematik existiert eine Sensibilität in der Öffentlichkeit, die auch den Rassisten und Antisemiten zur Vorsicht gemahnt.
Von wenigen Ausnahmen abgesehen, begnügt man sich auf Seiten der Esoterik eher damit, das Thema Judenvernichtung gar nicht erst anzusprechen oder dieses Geschehen zu relativieren. Phil Laut zum Beispiel, der „Vivation“-Begründer, hält in seinen Fantasien nach noch größeren Opferzahlen Ausschau, um die tatsächlichen Opferzahlen kleinreden zu können: „Es ist trotz allem wichtig, auf die positiven Auswirkungen davon zu achten. Es hätte schlimmer kommen können. Es hätten mehr als sechs Millionen sterben können. Und das Ereignis erlöste die Juden von ihrer 5000 Jahre alten Opfergeschichte und läßt sie für ihre Rechte in Palästina eintreten. Oder: sechs Millionen starben, aber einige entkamen auch. Hätten die sechs Millionen wirklich entkommen wollen, wäre es ihnen geglückt…“
Rassismus? Antisemitismus? -Oder: Ausdruck einer Ideologie, die fernab aller Rassenfragen menschenfeindlich ist? Auf jeden Fall macht eine solche Deutung die Opfer auch noch zum Opfer der Deutung. Und es dürfte im Grunde ein müßiger Streit sein, was entsetzlicher ist: die Bejahung des millionenfachen Mords aus Rassenhaß – oder aus Bejahung einer angeblich existierenden karmischen Notwendigkeit. In jedem Fall steht damit der Karma-Gedanke in faktischer Tradition mit der nazistischen These vom „lebensunwerten Leben“; die Begriffe und Begründungen mögen andere sein, es ist aber dieselbe Unmenschlichkeit. Und wichtig ist weiter: Es ist die Logik der Esoterik selbst – hier des vom Karma-Gedanken aufgesogenen Harmoniegesetzes und Resonanzprinzips —, die solche Gleichgültigkeit heraufbeschwört. Insofern scheint auch der Streit um eine angeblich „gute“ und eine angeblich „böse“ Esoterik müßig zu sein: Wer ihrer auf Hermes Trismegistos fußenden Grundannahme folgt, daß alles, was ist, gut ist, nur deshalb, weil es ist, hat damit jeder Ethik den Rücken gekehrt und sich auf die Seite der Realität geschlagen, selbst dann und gerade dort, wo diese Realität am bösartigsten tobt.
„Nur der entwurzelte Mensch kämpft gegen sein Schicksal!“, behauptet Dethlefsen. Und mit Dahlke formuliert er, „daß das Geheimnis des Bösen letzlich darin besteht, daß es in Wirklichkeit nicht existiert.“ – Hätte man das den Juden in Auschwitz sagen müssen: alles nur „Einbildung“? Und wenn Ihr dagegen kämpft, nur Beweis Eurer „Entwurzelung“? Ist es das, was Menschen den Menschen heute in Bedrängnis und Not, in Elend und Todesgefahr humanerweise zu sagen hätten: Bildet Euch nichts ein? Nehmt Euer Schicksal ergeben hin? Aber: Was sollen die Opfer hinnehmen, wenn das, was sie hinnehmen sollen, das Schicksal, nach Dethlefsen gar nicht existiert?
Die Frage war: „Gibt es rechtsextremistische Tendenzen in der Esoterikbewegung?“ Die Antwort lautet: Es ist die Esoterik selbst, von Anfang an und in ihrem Kernbestand, die sich mit Grundauffassungen des rechtsextremistischen Denkens deckt. Der einzige Unterschied ist der, daß rechtsextremistisches Denken auf gewaltsame Durchsetzung der eigenen Weltbilder drängt, auf Realisierung der eigenen Ideologie in einer politischen Praxis, Esoterik in aller Regel aber nur darauf besteht -nur? -, dieser Praxis von außen ohne Zögern und Einwand zuzustimmen -wie jedem anderen Unglück auf dieser Welt auch. „Die offene Gewalt wird durch die sanfte des Laissez-faire ersetzt“, so der Esoterik-Analytiker Freund. Man kann zwischen dem passiven Faschismus der Esoteriker und dem aktiven Faschismus der Rechtsextremisten unterscheiden, mehr nicht. Das bedeutet: Esoterik ist eine totalitäre Affirmationsideologie. Sie gleicht einem Lebewesen mit einem Automaten statt einem Herzen im Leib, der zu allem, was passiert, „Ja und Amen!“ sagt und über alles Böse, was geschieht, nur urteilen kann: „Es ist gut!“

Holdger Platta, Autor und Wissenschaftsjournalist, hat sich in zahlreichen Rundfunksendungen mit der zeitgenössischen Esoterikbewegung beschäftigt. 1994 erschien von ihm bei Beltz Quadriga „New Age-Therapien“ (Taschenbuchausgabe im Rowohlt Verlag). Sein neuestes Buch „Identitäts-ideen. Zur gesellschaftlichen Vernichtung des Selbstbewußtseins“ ist vor kurzem im Gießener Psychosozial Verlag erschienen. Diese Veröffentlichung enthält eine ausführliche Analyse des neorechten Denkens in der Bundesrepublik.
Eine ausführliche Literaturliste zum Thema kann bei der Redaktion angefordert werden.

„Esoterik macht selbstgerecht“

Ein Gespräch mit dem Zürcher Psychoanalytiker und Ethnologen Mario Erdheim über die Gemeinsamkeiten von Esoterik und Faschismus

Psychologie Heute: „Der Faschismus ist die politische Konsequenz der Esoterik.“ Diese Aussage haben Sie im Zusammenhang mit einer Faschismus-Tagung des Psychoanalytischen Seminars Zürich unter dem Titel „Vom Affekt zum Gedanken zur Tat“ gemacht. Wie kommen Sie auf diese für Esoterik-Anhängerinnen und -Anhänger äußerst provokative These, daß Faschismus und Esoterik eine gemeinsame Logik haben?

Mario Erdheim: Faschismus wie Esoterik versprechen, menschliche Größen- und Allmachtsphantasien zu befriedigen. Die Vorstellung der Allmacht des Gedankens beziehungsweise der Allmacht des Willens führt letztlich zum Führerkult. Bhagwan hat ja nicht zufällig erklärt, Hitler sei im Grunde eine bewundernswürdige Figur, weil er seine Ziele mit einem ungeheuren Willen verfolgt habe. Die Ziele seien zwar falsch gewesen, aber der Wille, die Kraft – das sei das Entscheidende.
Wer den Willen in dieser Weise bewundert, ist auch gegen die Demokratie. Das „Richtige“ muß getan werden, und was „richtig“ ist, weiß letztlich nur eine Führergestalt. Der Faschismus spricht explizit vom „Triumph des Willens“, und der „Wille des Führers“ wird zum „obersten Gesetz“. Der Führer wird zu einer gottähnlichen Figur stilisiert, die dem Schicksal ihren Willen aufzwingt. So gesehen ist der Faschismus die politische Konsequenz der Esoterik.

PH: Nun werden Ihnen viele Esoteriker entgegenhalten, ihnen seien faschistische Vorstellungen vollkommen fremd. Tatsächlich ist es ja so, daß sich in diesen esoterischen Kreisen auch Leute aus der politischen Opposition bewegen beziehungsweise sich einzelner esoterischer Angebote bedienen. Es ist doch möglich, daß jemand etwas aus diesem esoterischen Eintopf herauspickt, ohne gleich den ganzen ideologischen Brei zu schlucken?

Erdheim: Wenn Sie ein Aspirin oder irgendeine andere Medizin einnehmen, schlucken Sie zum einen die chemische Substanz, zum ändern eine tüchtige Portion Ideologie. Mit jeder Tablette schlucken Sie auch den Glauben, daß sie auf eine ganz bestimmte Art und Weise wirkt. Wer sich der Homöopathie bedient oder seine Kinder in die Steiner-Schule schickt, muß sich bewußt sein, daß ihm da ein geheimer Lehrplan mitgeliefert wird, den er zu erfüllen hat.
Die Vorstellung der Esoterik als einer geheimen Lehre, die nicht allen zugänglich ist, provoziert das Gefühl, zu einer Elite zu gehören. Das bringt einen in die Nähe der faschistischen Vorstellung, es gebe wertvolle und minderwertige Menschen, und die minderwertigen seien auszurotten. Die Bereitschaft, sich zu einer Elite zu zählen, hindert einen auch daran, die Note anderer Teile der Gesellschaft – zum Beispiel die Arbeitslosigkeit, die mit dem Kulturwandel verbundenen sozialen Spannungen und so weiter – als Probleme wahrzunehmen.
In diesem Sinne kann alles zur Esoterik gemacht werden, auch die Psychoanalyse. Dann gibt es plötzlich analysierte und nicht-analysierte Menschen…

PH: Wenn Sie die Trennung der Menschen in Wissende und Nicht-Wissende, Erleuchtete und Nicht-Erleuchtete grundsätzlich als esoterische Vorstellung kritisieren, müßten Sie auch traditionelle Religion als esoterisches Denkgebäude sehen…

Erdheim: Sicher, Religion und Esoterik auseinanderzudividieren, wäre ein sehr schwieriges Unterfangen.

PH: Obwohl das Christentum heute an vorderster Front gegen die Esoterik kämpft…

Erdheim: Da kann man nur sagen – hier wird versucht, Satan mit Beelzebub auszutreiben.

PH: C. G. Jung wurde eine Nähe zum Nationalsozialismus nachgewiesen. Er selbst hat dies als „Ausrutscher“ bezeichnet.

Erdheim: Am Beispiel von C. G. Jung wird deutlich, wie das Esoterische ins Faschistoide hineinführt. Wenn man die Jungsche Archetypenlehre genauer ansieht, kommt der Rassismus deutlich zum Vorschein. Jung ging davon aus, daß sich aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse eine ganz bestimmte Kultur, die von eben diesen Archetypen gelenkt wird, entwickelt. Das Modell des kollektiven Unbewußten ist nichts anderes als Rassismus.

PH: Die Jungsche Psychologie hat Hochkonjunktur. Würden Sie ihren Anhängerinnen und Anhängern einen Hang zum Faschistoiden unterstellen?

Erdheim: Es liegt zumindest eine Art Immunschwäche gegenüber dem Faschismus vor. Die Vorstellung des Archetypus macht einen hilflos gegenüber faschistoiden Entwicklungen, das ist das eine, und das andere – sie ist auch Ausdruck faschistoider Entwicklung, weil sie ein elitäres Denken enthält, das letztlich zu einer Theorie der Apartheid, zur Rassentrennung führt. Und dann landen Sie sehr schnell bei neofaschistischen Konstrukten.

PH: Heißt das, nach Auschwitz hätte es keine Jungsche Psychologie mehr geben dürfen?

Erdheim: So würde ich es nicht gerade formulieren. Aber sicher ist, Auschwitz, genauso wie Hiroshima, können mit dem Theorem des kollektiven Unbewußten, das jede Form gesellschaftlicher Entwicklung als Teil eines kosmischen Geschehens sieht, nicht verstanden werden.

PH: Sie unterstellen der Esoterik Allmachtsphantasien, ja, Faschismus-Nähe, andrerseits erscheint die Esoterik doch auch und gerade als Protest gegen den Größenwahn der Moderne, die den Menschen lebensgefährdender Technologie und Wirtschaft unterwirft.

Erdheim: Da ist es tatsächlich zu einer merkwürdigen Verschiebung von allem gekommen. Plötzlich erscheint die Esoterik als einziges Mittel, um diese „verrückten Wissenschaftler“, die als Nachfolger der „Aufklärung“ bezeichnet werden, zu stoppen. Sie postuliert – die Büchse der Pandora dürfe nicht geöffnet werden. Mir scheint, es gibt da ein ganz merkwürdiges Zusammenspiel von Wissenschaft und Esoterik. Die Esoterik ist die Zwillingsschwester der Wissenschaft. So wie die Naturheiler Zwillingsbrüder der modernen technologisierten Medizin sind. Beide haben ihre Wurzeln im sogenannten Cartesianismus. So war beispielsweise Isaac Newton, der als größter Wissenschaftler in die Geschichte eingegangen ist, gleichzeitig ein großer Esoteriker. Im übrigen gilt für das Denksystem Descartes‘, was auch für die traditionellen Religionen gilt -Denk- und Glaubenssysteme schaffen von einem bestimmten Zeitpunkt der Geschichte an mehr Probleme als Lösungen.

PH: Und Sie befürchten, daß sich das Zusammenspiel von Esoterik und moderner Technologie in einer Situation, in der die Grenzen auf diesem Planeten überdeutlich sichtbar werden, auf eine neue faschistische „Lösung“ zuspitzen könnte?

Erdheim: Unter anderen Voraussetzungen käme es wahrscheinlich tatsächlich zu einer faschistischen Entwicklung, indem man sagte, wir kümmern uns nicht um das Elend der Welt und sperren die Grenzen ab. Problematisch sind weniger diese neonazistischen Umtriebe als vielmehr die Gefahr einer Teilung der Welt. Die Idee einer „Weltregierung“ – wie sie beispielsweise in der Hollywood-Produktion „Independence Day“ zum Ausdruck kommt – ist im Grunde eine neofaschistische Phantasie. Aber wir leben in einer Gesellschaft, die das nicht einfach schluckt. Da gibt es auch Gegentendenzen. So wie es Widerstand gegen Ausländerfeindlichkeit gibt. Ich sehe meine Aufgabe darin, aufzuzeigen, wodurch dieses Widerstandspotential neutralisiert wird, und da spielt die Esoterik eine wesentliche Rolle.

PH: Wir leben in einer Zeit der Verunsicherung, einer Zeit, in der die Grenzen, auch in Europa, sichtbar werden, Lebensgrundlagen weltweit bedroht sind. Sowohl die traditionelle Wissenschaft als auch die Esoterik locken mit „einfachen Lösungen“, mit Zaubereien, die Grenzen aufheben, die auch ins Faschistische kippen könnten.

Erdheim: Die Esoterik gibt dem Menschen in der Kälte der modernen Gesellschaft Geborgenheit und Sinn. Aber die Frage ist doch – woher kommt der Sinn? Ist der Sinn etwas, das von irgendeinem äußeren Geist hergeleitet wird, oder etwas, das durch ständige Anstrengung des Subjekts hervorgebracht wird? Früher wußten die Menschen – wenn man diese oder jene Rituale erfüllt, dann
führt man ein sinnvolles Leben. Nach dem Zusammenbruch des Glaubens fehlen diese Sinnstrukturen, und es ist in gewisser Hinsicht schwieriger geworden, ein sinnvolles Leben zu führen. Anderes ist dafür einfacher geworden. So ist zum Beispiel unsere Lebenserwartung sehr viel größer geworden, und wir haben auch ganz andere Möglichkeiten als früher, Sinn zu produzieren. Die Möglichkeit, in sinnvoller Arbeit Befriedigung zu finden, ist heute zum Beispiel überhaupt nicht ausgeschöpft.
Die Esoterik verstellt und verbaut dem Individuum sozusagen den Versuch, solche neuen Sinngebungen zu schaffen.

PH: Konkret – wo könnten in der heutigen gesellschaftlichen Situation neue Sinngebungen gefunden werden?

Erdheim: Wir leben in einer Gesellschaft, in der Lebensstandard und damit auch Lebenssinn vom materiellen Konsum abhängig sind. Wenn nun der materielle Lebensstandard sinkt, stellt sich die Frage, welche anderen Möglichkeiten es gibt, das Leben sinnvoll zu gestalten. Da sind andere Lebensmöglichkeiten zu bedenken, zum Beispiel im Bereich zwischenmenschlicher Beziehungen. All die Formen sozialer Geselligkeit, Organisation und Abhängigkeit enthalten ein großes Potential an Veränderung. Da könnte das Sinken des Lebensstandards aufgefangen werden, was aber sehr große Anstrengungen voraussetzt…

PH: …also keine einfachen Lösungen, wie sie die Esoterik anbietet, sondern anstrengende Lösungen, auch politische Arbeit?

Erdheim: Ja, ich denke es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen politischer Abstinenz und Esoterik. Je schwächer die politische Beteiligung, desto größer die Tendenz zum Esoterischen. Die politische Beteiligung zwingt einen, sich andere Lebensmöglichkeiten auszudenken und zu erproben. In Situationen, in denen sich das Individuum politisch ohnmächtig fühlt, ist der Griff zu esoterischen, das heißt einfachen Lösungen, verführerisch nahe. Die Esoterik bietet scheinbar für alles eine Lösung an, und darin liegt auch ihre Affinität zum Faschismus. Die Esoterik ist im Grunde eine Vorbereitung für totalitäre Lösungen.

PH: Die Verbreitung der Esoterik ist ein offensichtliches Phänomen, aber wo sehen Sie heute im politischen und ökonomischen Bereich Anzeichen dafür, daß sich die Esoterik, gemäß Ihrer These, auf die politische „Lösung“ Faschismus zuspitzt?

Erdheim: Im Moment halte ich eine direkte faschistische Entwicklung unserer Gesellschaft nicht für möglich. Ich glaube, daß wir in unserer Gesellschaft, trotz der momentanen ökonomischen Entwicklungen, gegenwärtig nicht auf faschistische Strukturen angewiesen sind. Faschistische Ansätze scheinen mir allenfalls als Reaktion auf entsprechende Entwicklungen im ehemaligen Ostblock denkbar. Dort gibt es ganz eindeutig faschistische Tendenzen. Was ich befürchte, ist, daß es bei uns wegen der Verbreitung esoterischer Weltbilder zu wenig Widerstand gegenüber faschistischen Antworten auf solche gesellschaftlichen Entwicklungen geben könnte.

PH: Sie sagen, Sie könnten sich bei uns faschistische Entwicklung nur als Reaktion auf entsprechende Tendenzen im Osten vorstellen – aber ist es nicht denkbar, daß der Faschismus mit einem ganzen neuen Gesicht in Erscheinung tritt?

Erdheim: Die ökonomische Entwicklung unserer Gesellschaft, und diese ist ja abhängig von der Wissenschaft, ist sehr stark auf das Individuum ausgerichtet. Der Faschismus aber zerstört die Individuen, indem er sie in einer ganz bestimmten Richtung organisiert. Der Faschismus betont die Gemeinschaft und die Disziplin, die individuelle Motivation ist von untergeordneter Bedeutung. Deshalb spielt auch die Gewalt eine ausgesprochen große Rolle. All das paßt nicht zu einer Technik und Ökonomie, wie wir sie heute haben.

PH: Das heißt, in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklung sehen Sie – trotz großer Verbreitung der Esoterik – keine Anzeichen dafür, daß hier faschistische Lösungen vorbereitet werden; sind die in unserer Gesellschaft so hochgehaltenen Werte wie Autonomie und Unabhängigkeit des Individuums ein Schutz vor „Lösungsangeboten“ durch autoritäre Institutionen und Bewegungen?

Erdheim: Die Individualisierungsprozesse in unserer Gesellschaft sind voller Widersprüche. Auf der einen Seite wird das Individuum immer wichtiger, auf der anderen Seite muß es angesichts der globalen ökonomischen Prozesse dauernd seine Ohnmacht zur Kenntnis nehmen. Und da macht die Esoterik dem Individuum das Versprechen, die Ohnmacht zu überwinden – zum Beispiel durch Pendeln, durch die Kenntnis kosmischer Gesetze und so weiter. Zugleich macht die Esoterik die Menschen unempfindlich gegen das, was im Rest der Welt passiert. Esoterik macht selbstgerecht, weil sie den Glauben nährt, alles – auch das größte Unglück – sei vorherbestimmt und habe seinen Sinn. Die Esoterik legt das kritische Potential weitgehend still, das kritische Potential, dessen Aktivierung wir dringend nötig hätten, um die Veränderungen in Gang zu bringen, die wir brauchen, um überleben zu können.

Mit Mario Erdheim sprach der Schweizer Journalist und Wissenschaftsautor Jürgmeier

Mario Erdheim, geboren 1940 in Quito, Ecuador, wuchs in Zürich auf. Er studierte Ethnologie, Geschichte und Psychologie in Wien, Basel und Madrid und befaßt sich als Ethnopsychoanalytiker insbesondere mit dem Unbewußten in der Kultur. Erdheim arbeitet als Psychoanalytiker in niedergelassener Praxis in Zürich und ist Privatdozent an der Universität Frankfurt a.M.


Mit freundlicher Genehmigung von Psychologie Heute. Den original gesetzten Artikel mit Illustrationen gibt es als PDF (15 MB) hier (Das Copyright verbleibt beim Verlag)

6 Gedanken zu „Das Böse ist gut“

  1. "esoteriker" sind immun gegenüber faschismus? – also ich weiß nicht, die die ich kenne, sind das ganze gegenteil davon. es sind leute [wie ich auch], die im menschwerdungsprozess vorankommen möchten, die versuchen einen weg des herzens und des verstandes zu gehen, die im weitesten sinne auf der suche nach dem sinn des lebens sind.
    in der esotera-szene gibt es aber auch eine menge schräger vögel und selbsternannter gurus, wie bei den analytikern, journalisten, bloggern usw..

    Antworten
  2. Gleich im ersten Absatz Eduard Gugenberger und Roman Schweidlenka als Kronzeugen unkritisch zu zitieren gibt dem ganzen Artikel doch einen sehr schalen Beigeschmack. Die beiden sind Vertreter des sogenannten "Bioregionalismus", einer wirren Ideologie mit offener Flanke nach Rechts. Ihre Äußerungen sind vor allem Statemens in Konflikten innerhalb der esoterischen Szene, um sich vor allzu offensichtlichen Rechtsextremisten in ihrer Szene abzugrenzen.

    Siehe etwa:
    http://www.anti-atom-aktuel

    Antworten
  3. Anthroposophist Michael Eggert is admiring fascist, racist and anti-Semite Massimo Scaligero who is the most important Italian Anthroposophist, see: http://groups.yahoo.com/gro

    Von: Andreas Lichte
    Datum: 8. August 2009 11:49:01 MESZ
    An: Peter Staudenmaier
    Betreff: Michael Eggert, "Egoisten" blog, and his attitude to Massimo Scaligero

    Hello Peter Staudenmaier,

    you remember what I wrote about Michael Eggert, "Egoisten" blog, and his attitude to Massimo Scaligero:

    .

    http://groups.yahoo.com/gro

    "Eggert abuses you as a figleaf – your articles give him the image of a critical Anthroposophist.

    He’s far from that."

    .

    Here’s the story so far – I keep it as short as possible:

    Eggert published your critical article on Scaligero:

    http://www.egoisten.de/file

    That was Eggert’s figleaf.

    .

    Then Eggert in a series of articles quoted Scaligero himself, lacking any critical distance – "Michael" is Michael Eggert:

    "@Lichte: (…) Im Zweifelsfall ist erst einmal diese Selbstaussage Scs. [Scaligeros] für mich relevant.
    Michael | Homepage | 07/21/09 – 9:33 pm | #"

    I agree with Sean’s comment:

    "@ Michael

    Dear Mr. Eggert,

    (…) Let’s come to your blog posts on Scaligero. There’s total lack of any serious historic approach. You even make the most dilettante mistake: convicted liar Scaligaro is treated by you as a reliable historic source. Thus the subsequent discussion is completely absurd. Would be nice if you could answer in English.
    Sean | 07/25/09 – 10:10 am | #"

    .

    last act for the moment:

    Eggert publishes an article in which he quotes Scaligero in an admiring way:

    http://www.egoisten.de/file

    "Die Ruhe

    07.Aug.2009 18:37 Uhr Abgelegt in: Meditation

    "Die Ruhe", schreibt der auch umstrittene Massimo Scaligero, "wird nicht verwirklicht, wenn man sich vorsätzlich in die Einsamkeit begibt. Sie behauptet und erprobt ihre Tiefe im Tumult der Welt. Diese Ruhe ist zu entdecken: trotz der Welt, die ihr widerspricht." ("Traktat über die unsterbliche Liebe", S. 328)
    In der Tat. Die „Welt“ sind allerdings auch wir selbst. (…)"

    All Eggert says about Massimo Scaligero-the fascist-is: "auch umstrittene" ["also controversial"], see "P.S.", below.

    Of course Eggert got a lot of applause for his article from his anthroposophic fellows and some very weak criticism. Eggert insists on Scaligero’s grandness:

    "Lieber Rainer, bei allem, was man gegen Scaligero menschlich, politisch, ideologisch vorbringen kann: Dieses Buch hat absolute Klasse. Wenn man sich darauf einlassen kann und mag, ist es ein Füllhorn von Anregungen. Das muss man Scaligero lassen.
    Michael | Homepage | 08/07/09 – 11:33 pm | #"

    .

    Best regards

    Andreas Lichte

    Antworten
  4. [continuation of comment on Michael Eggert, 09 Aug, 2009 – 23:13:36]

    P.S.: Eggert knows your article, of course. But I gave him further information, too, for example a translation of 2 original Scaligero quotes, and the opinion of the Italian embassy that approved my translation:

    Massimo Scaligero, "Coscienza del sangue" in "La Difesa della Razza", August 20, 1942, 4:

    Massimo Scaligero, "Bewusstsein des Blutes" in "Die Verteidigung der Rasse", 20. August 1942, S. 4:

    "Wenn eine essentielle Zielsetzung der rassistischen Doktrin [i.e: der Rassen-Lehre] existiert, dann besteht diese notwendigerweise in einer ethisch-wissenschaftlichen Praxis, die die Werte der Rasse richtigstellt, gemäss eines Modells, das nicht erfunden werden muss, sondern das bereits existiert. Dies kann nicht nur durch eine Reihe von Normen der Eugenik und der Gesundheit erreicht werden, sondern auch indem eine rassistische Sensibilität und ein rassistisches Bewusstsein [i.e.: ein Rasse-Bewusstsein] erweckt wird, so dass das Volk nicht passiv die Resultate einer rassistischen Aktion aufnimmt, sondern selbst bewusster Mitwirkender dieser Aktion wird."

    Massimo Scaligero, "Fronte unico ario" in "La Difesa della Razza", February 20, 1941, 22:

    Massimo Scaligero, "Arische Einheitsfront" in "Die Verteidigung der Rasse", 20. Februar 1941, S. 22:

    "Die anti-jüdische Bewegung muss heute richtigerweise eine übernationale Größe erlangen, bis sie zu einem Übereinkommen aller Länder wird. Gerade weil man von einem Ideal der Universalität bewegt [i.e.: angetrieben] ist, das die hierarchischen Differenzierungen nicht abschafft, sondern beibehält und harmonisiert, kann man die Aktion einer ethnisch-kulturellen Gruppe mit internationalistischem Charakter, wie die der jüdischen, nicht zulassen; diese Unzulässigkeit für die Völker erlangt lebende [auch: lebendige] Bedeutung vor allem sobald mit der Konzeption einer neuen arischen Universalität das Erwachen [auch: Wiederaufleben] jenes ethnisch-spirituellen Elementes übereinstimmt, das ursprünglich diesem Ideal der Humanität den Impuls gab. Jetzt ist eine Einheitsfront unentbehrlich, um der Universalität des arischen Ideals ein positives Instrument auf der Ebene des Handelns zu geben, insofern es nicht darum geht, gegen eine Nation zu kämpfen, sondern gegen eine "Internationalität", die Nation in den Nationen ist, und sich nicht nur unter dem Aspekt der Rasse präsentiert, sondern auch unter dem Aspekt der Religion, Kultur, der Denkweise, des Erkennens, des Handelns."

    "@ Michael Eggert

    Was gedenken Sie nach "Ihrer Entdeckung" zu tun?

    Um deutlich zu machen, welches Gewicht ich der Scaligero Affäre beimesse:

    Ich hatte meine Scaligero Übersetzung zur Endkontrolle der Italienischen Botschaft geschickt.

    Ein Mitarbeiter der Botschaft schrieb mir unaufgefordert, dass er den Scaligero Text beängstigend finde; er habe vor einigen Jahren eine alte Ausgabe der Zeitschrift "La Difesa della Razza" in einem Büchermarkt in Rom gesehen, aber er habe damals Scaligero noch nicht gekannt. Seine persönliche Meinung sei, dass Italien einen solchen rassistischen Wahnsinn zu schnell vergessen habe.

    Dafür, dass von Sacligeros Rassismus nichts bekannt wurde, haben zu allererst Anthroposophen gesorgt, die beispielsweise das Italienische wikipedia manipulierten.
    Lichte | 07/21/09 – 7:49 pm | #"

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