Die Weisheit der Volksmedizin

Bei der Recherche über eine obskure Lebertherapie mit Schafläusen stolperten wir über ein wunderbares Fundstück. Der Arzt Eugen Nätscher sammelte über Jahrzehnte Rezepte für Hausmittel und seltsame abergläubige Bräuche zur Verhütung von Unheil. Die Schafläuse, oder auch Kellerasseln, wurden damals zur Behandlungen von Gelbsucht angewendet. Das ziemlich eklige Rezept sah so aus:

8. Gelbsucht wurde so behandelt: Eine Zwetschge wurde aufgebrochen, der Kern entfernt und durch einige Schafsläuse oder Kellerasseln ersetzt. Der Patient musste die Frucht essen, ohne dass er etwas von dem Inhalt wusste. Oder die Schafsläuse oder Kellerasseln wurden in einen Pfannkuchen hineingebacken und dem Kranken verabreicht.

Die Legende lebt in Foren weiter:

Schafläuse
..und Leber-Erkrankungen.

Bei einem Treffen, vor ein paar Tagen, wurde mir erzählt, dass ein im Alter
von 52 Jahren an Leberzirrhose-Erkrankter Mann durch ein altes Hausmittel,
nämlich der Einnahme von lebenden Schafläusen, seine Leberfunktion dermassen
wiederherstellen konnte, dass er erst im Alter von 83 Jahren verstarb.

Googlen ergab eine Menge Treffer, die nur Gutes über diese Art der
Behandlung berichten.

Angeblich würde diese Art der Behandlung „unter dem Scheffel“ gehalten,
damit die Pharmaindustrie ihre Umsätze sichert.
Kann es wirklich möglich sein oder ist es nur eine „Legende“, die gestreut
wird?

http://groups.google.com/group/de.sci.medizin.misc


Natürlich gibt es für diese Art der Behandlung weder Wirksamkeitsnachweise, noch irgendeinen plausiblen Wirksamkeitsmechanismus. Trotzdem wird dieser Strohhalm ernsthaft von Krebspatienten oder deren Angehörigen diskutiert:

Meine Schwägerin hat auch Lebermethastasen, ihre Leber arbeitet sehr schlecht zur Zeit! Morgen reden wir mit den Ärzten, was in Frage kommt für sie! Sie hat total gelbe Augen und auch die Hautfarbe ist schon gelblich! Außerdem hat sie Wasser im Bauch und in der Lunge! ;-(
Kann mir jemand auch noch Infos über die Schafsläuse zukommen lassen?

http://www.krebs-kompass.org/forum

Der Schlussabsatz aus „Notizen zur Volksmedizin in Partenstein“ aus den achtziger Jahren zeigt, dass sich eigentlich nicht viel geändert hat. Der Homo sapiens ist abergläubig bis auf die Knochen:

Man wandte Heilmittel aus dem pflanzlichen, tierischen und mineralischen Bereich an und hatte mitunter auch Erfolg. Manchmal geriet man aber auf Irrwege und kam zu absonderlichen und seltsamen Behandlungsvorschlägen, die heute nur Hohn und Spott hervorrufen. Zu Überheblichkeit ist dennoch kein Anlass, so meine ich. Der Aberglaube, also der Glaube an die Wirksamkeit geheimer, wissenschaftlich aber nicht nachweisbarer Kräfte, ist auch heute noch nicht ausgestorben. Alle wissenschaftlichen und logischen Einwände werden von den Anhängern solcher verschrobenen Ideen abgetan mit dem alles und auch nichts beweisenden Spruch: „Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erden, als eure Schulweisheit träumt.“ Shakespeare hat beim Schreiben dieses Satzes nicht geahnt, wie viel Unsinn damit in Weisheit umgewandelt werden sollte.
Auch heute noch werden von zweifelhaften Heilern und Firmen zwar nicht wie in früheren Zeiten eklige Methoden, aber fragwürdige Geräte, Pillen und Kuren für teueres Geld angeboten und von leicht- und abergläubischen Menschen gekauft. Derzeit sind z. B. Magnetbänder die große Masche. Vor kurzem ging ich in einer Stadt hinter einem gut gekleideten Herrn her. Er zog sein Taschentuch, dabei fiel ihm eine Rosskastanie aus der Hosentasche auf den Gehsteig. Er hatte sie bei sich, um wie in alter Zeit Rheumatismus abzuwenden. Volksmedizin in modernen Zeiten!

Sogar das allgegenwärtige Shakespeare-Zitat war schon damals ein beliebtes „Basta!“. Es lohnt sich wirklich, den Aufsatz mal komplett durchzulesen, um sich klarzumachen, wie „weise“ überlieferte Volksmedizin wirklich war und warum es völlig bekloppt ist, jahrhundertealtem Erfahrungswissen automatisch eine Wirksamkeit zuzuschreiben.

2 Gedanken zu „Die Weisheit der Volksmedizin“

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