Quo Vadimus?

ein Gastbeitrag von Vanguard

Im Jahre 2010 zu leben bedeutet, die Y2K-Katastrophe um ein Jahrzehnt überlebt zu haben, nur um in zwei Jahren mitzuerleben, wie der Maya-Kalender ausläuft und die Erde untergeht – wenn uns davor nicht schon Nibiru aus dem Orbit schießt.

Es bedeutet aber auch, gerade das Scheitern der Klimakonferenz, das Debakel der Schweinegrippe-Impfkampagne und eine weltweite Wirtschaftskrise erlebt zu haben. Angesichts dieser Probleme stellt sich die Frage, warum sich Menschen überhaupt dazu hinreißen lassen sich von hanebüchenen Mythen und Gerüchten in Panik versetzen zu lassen. Eigentlich sollte man doch meinen, dass es dringendere Probleme gibt als zu befürchten, dass die Aliens zurückkommen könnten, die damals Atlantis zerstört haben.

Solche Katastrophenmythen ziehen sich allerdings durch die gesamte aufgezeichnete Geschichte der Menschheit. Schon immer standen reale Probleme wie Kriege und Hungersnöte Seite an Seite mit der Furcht, dass einem der Himmel auf den Kopf fallen könnte. Die moderne Wissenschaft hat nur dazu geführt, dass reale von imaginären Bedrohungen besser von einander unterschieden werden können – ihre Virulenz hat sie nicht unterbinden können.


Ausgehend von der Mem-Theorie lässt sich deswegen vermuten, dass Hysterie dieser Art tatsächlich einen sozio-kulturellen Nutzen besitzt, der anderweitig schlecht erfüllt werden kann. Tatsächlich ist eine externe Bedrohung, vor allem ein gemeinsamer Feind, eine der wichtigsten Grundlagen der Gemeinschaftsbildung. In der gemeinsamen Auseinandersetzung mit einem Problem erfährt sich eine Ansammlung von Individuen als Gruppe, ihr gemeinsames Handeln wird Kultur und die Erinnerung daran wird Geschichte.

Die imaginäre Bedrohung ist nun so etwas wie die Königsdisziplin des Ganzen: Da von ihr keine reale Gefahr ausgeht kann die Gruppe nicht an ihr scheitern, und allein dies erscheint bereits als Erfolg. Um die nötige Popularität zu gewinnen braucht es nur noch einfallsreiche Individuen, die die stagnierende Pseudo-Konfrontation zu einem spannenden Kampf umdeuten können, der unentschieden hin und her wogt.
Dass dies auch heute noch ohne eine gehörige Portion Selbstbetrug möglich ist verdanken wir der Tatsache, dass die Wissensstrukturen zu komplex geworden sind, um noch von Individuen überblickt werden zu können. Jedes einzelne Informationsgebiet ist so weit erschlossen, dass nur Spezialisten einzelne Daten einer Relevanzüberprüfung unterziehen und Aussagen verifizieren können. Im Alltag ist also jeder von uns darauf angewiesen, anderen Menschen sein Vertrauen zu schenken und somit einen Teil seiner Weltsicht dem Glauben zu überlassen. Kritisch zu sein und informiert zu bleiben sind fromme Wünsche, deren Erfüllung im Alltag schwierig ist. Unsere Informationssysteme werden noch einiges an Weiterentwicklung benötigen, bevor sich dies mit einem für jedermann akzeptablen Energieaufwand bewerkstelligen lässt. So können sich momentan noch Gruppierungen aller Art viel zu leicht gegenseitig Glaubwürdigkeit verleihen, als dass es der unbedarfte Einzelne auf die Schnelle überprüfen könnte.

Im Jahre 2010 zu leben bedeutet deshalb auch, in einer Zeit zu leben in der die Informationsdichte unheimlich zugenommen hat, was aber auch in gleichem Maße für den Schwierigkeitsgrad ihrer Verifizierung gilt. Wir leben in einem Zeitalter der medialen Verwirrung, des immer lauter werdenden weißen Rauschens, und von diesem geht eine ganz reale Gefahr für unsere Gesellschaft an sich aus. Um dies zu überwinden brauchen wir Formate, die kritisch, rational und transparent arbeiten und dies nicht nur für den Moment tun, sondern auch gewillt sind sich der retrospektiven Überprüfung zu stellen. Wer das Vertrauen anderer Menschen will muss es sich verdienen und sich auch der Verantwortung stellen, die damit einher geht.

Die alten Schreckgespenster werden die Menschheit noch lange begleiten. Die Aufgabe jedes aufgeklärten Individuums sollte es sein, sie auf den Platz zu verweisen, der ihnen zusteht. Das schuldet er nicht nur sich selbst, sondern auch seinen Mitmenschen. Denn wenn diese Entwicklung stagniert, macht es nicht mehr viel Sinn die verstreichenden Jahre überhaupt noch zu zählen.

9 Gedanken zu „Quo Vadimus?“

  1. Ich habe jetzt so viele Weltuntergänge überlebt (http://weblog.hundeiker.de/…), persönliche wie offizielle, daß ich mir erstmal mein Pfeifchen anstecke und gucke, was passiert. Oder die Welt ist schon untergegangen und ich habe es nur noch nicht gemerkt. Ach, wat weiß ich.

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  2. In Bezug auf die Mem-Theorie scheint mir in diesem Beitrag ein Mißverständnis zu bestehen: Grade für die Mem-Theoretische Begründung des Fortbestands von Katastrophenmythen ist der Soziokulturelle Nutzen den solche Mythen für den Menschen haben könnten völlig irrelevant. Es kommt alleine auf die Replikator-Qualität der Mythen an. Diese kann beipielsweise auch in der geschickten Ausnutzung von konstruktiven Schwachstellen des menschlichen Kongnitionsapparates liegen.

    Was die Frage des Vertrauens auf Spezialisten angeht kann man vermuten, dass es diese Notwendigkeit bereits in den frühsten menschlichen Gesellschaftsformen gegeben hat. Liegt darin vielleicht die Ursache für das Entstehen der (heute oft nachteiligen) menschlichen Fähigkeit, unhinterfagt zu glauben ? Erst infolge immer besserer freier Zugänglichkeit von Informationen für den Einzelnen besteht ja überhaupt die Möglichkeit einer Hinterfragung von Expertenmeinungen oder "Autoritäten".

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  3. @Thomas1717,

    "In Bezug auf die Mem-Theorie scheint mir in diesem Beitrag ein Mißverständnis zu bestehen:"

    Richtig erkannt. Meme (nach Blackmore,Dawkins) dienen nur ihrem eigenen Fortbestand – das "Egoistische Mem" könnte man sagen. Von wegen sozioundnochwasdingens "Nutzen".
    Man hätte meiner Meinung nach in obigem Artikel locker auf dieses Wort verzichten können, falsch interpretierte Begriffe stiften nur zusätzlich Verwirrung.

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  4. "Die alten Schreckgespenster werden die Menschheit noch lange begleiten. Die Aufgabe jedes aufgeklärten Individuums sollte es sein, sie auf den Platz zu verweisen, der ihnen zusteht. Das schuldet er nicht nur sich selbst, sondern auch seinen Mitmenschen. Denn wenn diese Entwicklung stagniert, macht es nicht mehr viel Sinn die verstreichenden Jahre überhaupt noch zu zählen."

    Pathos läßt grüßen 😉

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  5. @Thomas1717, Boris

    Stimmt, über die Mem-Theorie bin ich hier so halbherizig drüber gebügelt, dass ich sie mal lieber außen vor gelassen hätte. Ich persönlich bin der Meinung, dass man den Grund für Mem-Verbreitung immer erst einmal in ihrem Nutzen suchen sollte, weil mir das einfach am logischsten erscheint. Da das aber natürlich nicht bestätigt ist habe ich das recht vorsichtig mit "Ausgehend von […] lässt sich vermuten […]" umschrieben. Vielen Dank für eure Kommentare, die das in den richtigen Rahmen rücken.

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  6. Da bin ich ja schön amüsiert. Zuerst mit viel Phatos, und wissenschaftlichem TamTamm, die fiktiven ESO-Kathastrophen-Mythen enttarnen zu wollen. Um sofort darauf den offiziellen angeblich wissenschaftlichen Katastrophen-Mythen auf den Leim zu gehen.

    Richtig ist allerdings, daß es in der Zeit der medialen-non-stop-Gehirnwäsche schwierig ist zu unterscheiden. Dennoch gibt es Hilfsmittel:

    1.) Fernseher raus. Radio abschalten.
    2.) Eigenes denken einschalten:
    Die Frage: "Wem nützt`s?" – reicht meistens aus. Eine fundierte klassische Humboldsche Allgemeinbildung ist gegenüber der zur zeit präferierten Industriekonformen Ausbildung zwar von Vorteil, aber nicht zwingend.

    Zur Übung den Begriff "climategate" googlen. Und ja die Echtheit der veröffentlichten Unterlagen wurde inzwischen offiziell bestätigt.

    und P.S: Ich bin nicht der Ansicht, daß unser Lebensstil für unsere Umwelt, unsere Lebensgrundlage unproblematisch ist.

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  7. Dazu kommt noch, dass die Frage "Wem nützt es?" nicht richtig beantwortet wird. Die Antwort entspricht wohl eher der Frage "Was glaube ich, wem es nützen würde?"
    Ob es demjenigen wirklich nützt, scheint dabei egal zu werden.
    Und selbst wenn. Ob der, dem es nützt, auch dahinter steckt, wäre erst noch zu beweisen. Ich komme schließlich auch öfter an Ampeln an, die gerade grün werden. Das nützt mir, aber ich war es trotzdem nicht, der die auf Grün schaltet.

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