HIV und AIDS: Ben Goldacre über Matthias Rath

Vom 18. bis 23. Juli findet in Wien die 18. Internationale AIDS-Konferenz statt. Esowatch nimmt diese Veranstaltung zum Anlass, einen etwas ungewöhnlichen Artikel zu bringen, in dem es auch um einen der Vorgängerkongresse geht und um AIDS-Dissidenten wie Peter Duesberg, der sich auch zur kommenden Konferenz zu Wort meldet.

Es handelt sich um ein Kapitel aus Ben Goldacres Buch „Die Wissenschaftslüge“, das aus seiner hervorragenden Serie Bad Science im englischen Guardian hervorgegangen ist. In dem Kapitel geht es um den deutschen Mediziner Dr. Matthias Rath, mit dem Goldacre auch auf juristischer Ebene aneinandergeraten ist.

Aufgrund der gerichtlichen Auseinandersetzung ist das hier vorliegende Kapitel zunächst nicht in der englischen Originalfassung des Buches erschienen.

Ben hat uns freundlicherweise die deutsche Fassung des Kapitels zur Veröffentlichung bereitgestellt:

PDF: Die Wissenschaftslüge Kapitel 7

Auszug aus: Ben Goldacre, Die Wissenschaftslüge
Fischer, ISBN-10: 3596185106

Und jetzt wird Sie der Arzt verklagen

Dieses Kapitel erschien nicht in der ursprünglichen Ausgabe dieses Buches, da ich einen Prozess zu führen hatte, der sich über fünfzehn Monate erstreckte, bis zum September 2008.

Der Vitaminpillen-Vertreiber Matthias Rath hatte mich persönlich sowie den Guardian wegen Verleumdung verklagt. Diese Strategie brachte ihm nur einen gemischten Erfolg. Auch wenn Ernährungswissenschaftler in der Öffentlichkeit faseln, dass jeder, der Kritik an ihnen übt, in irgendeiner Weise eine Schachfigur der Pharmakonzerne sei, sollten sie sich im Privaten doch vor Augen führen, dass ich, wie viele meines Alters, die im öffentlichen Bereich tätig sind, nicht im Besitz einer Immobilie bin. Der Guardian war so großzügig, meine Anwaltskosten zu übernehmen, und im September 2008 ließ Rath dann die Anklage fallen, die mich mehr als 500 000 Pfund gekostet hatte. Rath hat bereits 220 000 Pfund überwiesen, der Rest wird hoffentlich auch bald eintrudeln. Niemand aber wird mir je die endlosen Besprechungen bezahlen, den Arbeitsausfall oder die vielen Tage, an denen ich über Stapeln von Gerichtsakten voller Querverweise brütete.

Was diesen letzten Punkt anbelangt, so gibt es jedoch einen kleinen Trost, und ich werde ihn auf der Habenseite verbuchen: Ich weiß jetzt mehr über Matthias Rath als jeder andere. Meine Notizen, Quellen und Zeugenaussagen, die in dem Zimmer eingeschlossen sind, in dem ich gerade sitze, ergeben einen Stapel, der fast das Körpermaß von Rath selbst erreicht, und was ich hier schreibe, ist nur ein winziger Bruchteil dessen, was noch darauf wartet, über ihn zu Papier gebracht zu werden. Dieses Kapitel, ich sollte es erwähnen, ist für jedermann, der sich dafür interessiert, frei im Internet verfügbar.

Matthias Rath reißt uns grob aus der fast akademisch reservierten Distanz dieses Buches. Zum größten Teil waren wir an den intellektuellen und kulturellen Konsequenzen der Pseudowissenschaft interessiert, an den erfundenen Details in nationalen Zeitungen, den dubiosen akademischen Praktiken an Universitäten, dem Hausieren mit albernen Pillen und so weiter. Aber was geschieht, wenn wir diese Taschenspielertricks, diese Vermarktungsstrategien aus dem dekadenten Kontext unserer westlichen Welt in eine Situation verpflanzen, wo es wirklich darauf ankommt?

In einer idealen Welt wäre dies nur ein Gedankenexperiment. Aids ist das Gegenteil einer belanglosen Geschichte. 25 Millionen Menschen sind bereits daran gestorben, drei Millionen allein im letzten Jahr, davon 500 000 Kinder. In Südafrika tötet die Seuche jährlich 300 000 Menschen: Das sind 800 Menschen am Tag beziehungsweise einer alle zwei Minuten. Dieser eine Staat hat 6,3 Millionen HIV-Infizierte, einschließlich 30 Prozent aller schwangeren Frauen, und 1,2 Millionen Aids-Waisen unter 17 Jahren. Und das Schrecklichste: Diese Katastrophe ist plötzlich aufgetaucht, vor unseren Augen: 1990 waren nur ein Prozent der Erwachsenen in Südafrika HIV-positiv. Zehn Jahre später war die Zahl auf 25 Prozent gestiegen.

Es ist schwer, auf Zahlen emotional zu reagieren, aber über eine Sache sind wir uns wohl einig: Wenn Sie in eine Situation geraten würden, in der so viel Tod, Elend und Krankheit herrschen, dann wollten Sie absolut sicher sein, dass Sie wissen, wovon Sie reden. Aus den Gründen, die Sie gleich lesen werden, hege ich den Verdacht, dass Matthias Rath sich ordentlich vergaloppiert hat. Für diesen Mann, damit wir uns recht verstehen, sind wir alle verantwortlich.

Rath, der in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, leitete das Forschungszentrum für Herz- und Gefäßerkrankungen am Linus Pauling Institute im kalifornischen Palo Alto. Schon damals neigte er zu großen Gesten und veröffentlichte 1992 einen Artikel im Journal of Orthomolecular Medicine mit dem Titel »A Unified Theory of Human Cardiovascular Disease Leading the Way to the Abolition of this Disease as a Cause for Human Mortality«, in dem er hochdosierte Vitamingaben gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen empfahl.

Er gründete zunächst einen Stützpunkt in Europa, von dem aus er seine Pillen verkaufte, wobei er die altbekannten Vermarktungsstrategien einsetzte, wenn auch etwas aggressiver. Im Vereinigten Königreich zum Beispiel warb er mit der Behauptung, dass »90 Prozent der an Krebs erkrankten Patienten, die sich einer Chemotherapie unterziehen, bereits wenige Monate nach Beginn der Behandlung sterben«. Drei Millionen Leben könnten gerettet werden, wenn sich die Krebspatienten nicht mit konventioneller Medizin behandeln ließen. Die Pharmakonzerne, erklärte er, ließen die Menschen aus Gewinnsucht absichtlich sterben. Krebsmittel seien »toxische Verbindungen«, nicht eines davon sei wirksam.

Die Entscheidung, sich einer Krebstherapie zu unterziehen, kann die schwierigste sein, die ein Einzelner oder eine Familie jemals zu treffen hat, zumal sie eine Gratwanderung ist zwischen einem gut dokumentierten Nutzen und ebenso gut dokumentierten Nebenwirkungen. Dergleichen Werbetexte könnten besonders heftige Gewissensbisse auslösen, wenn beispielsweise Ihre Mutter in der Chemotherapie gerade ihre gesamten Haare verloren hat, in der Hoffnung, noch lange genug am Leben zu bleiben, um Ihren Sohn sprechen zu hören.

Es gab zwar in Europa einige behördliche Maßnahmen gegen Rath, aber sie genügten nicht, um ihm das Handwerk zu legen. Die britische Werbeaufsichtsbehörde ASA rügte ihn wegen einer seiner Werbeanzeigen im Vereinigten Königreich, aber mehr konnte sie nicht tun. Rath erhielt von einem Berliner Gericht die Anordnung, er solle die Behauptung zurücknehmen, seine Vitamine könnten Krebs heilen, oder eine Strafe von 250 000 Euro zahlen. Aber die Umsätze waren auch weiterhin gut, und Matthias Rath erfreut sich nach wie vor großen Zuspruchs in Europa, wie Sie in Kürze sehen werden. Strotzend vor selbstgefälliger Zuversicht und mit dem Vermögen, das er als erfolgreicher Vitaminpillen-Hersteller in Europa und Amerika angehäuft hatte, ging er nach Südafrika und schaltete dort ganzseitige Anzeigen in Zeitungen. »Das ist die Antwort auf die Aids-Epidemie«, hieß es dort. Antiretrovirale Medikamente seien toxisch und Mittel einer Verschwörung mit dem Ziel, die Patienten zu töten und dabei Geld zu machen. »Schluss mit dem Aids-Genozid durch das Pharmakartell!«, lautete eine Schlagzeile. »Warum sollen Südafrikaner weiterhin mit AZT vergiftet werden? Es gibt eine natürliche Antwort auf Aids.« Diese Antwort kam in Form von Vitaminpillen. »Eine Multivitaminbehandlung ist wirksamer als jedes toxische Aids-Medikament.« – »Multivitaminpillen halbieren das Risiko, an Aids zu erkranken.«

Raths Firma gründete Behandlungszentren, in denen er seine Ideen umsetzte, und 2005 beschloss er, seine Vitamine in einer Township namens Khayelitsha, unweit von Kapstadt, einer Studie zu unterziehen. Er verabreichte Personen mit Aids im fortgeschnittenen Stadium seine eigene Formel, VitaCell. 2008 wurde seine Studie vom Cape High Court of South Africa für ungesetzlich erklärt. Entgegen der Behauptung Raths, seine Studienteilnehmer hätten von vornherein keine antiretroviralen Medikamente eingenommen, sagten deren Angehörige, dies sei falsch, sie hätten die Arzneien erst auf sein Drängen hin abgesetzt.

Tragischerweise stieß Matthias Rath mit seinen Ideen nicht auf taube Ohren. Thabo Mbeki, damals Präsident von Südafrika, gehörte bekanntermaßen den sogenannten Aids- Dissidenten an, und während in seinem Land alle zwei Minuten ein Mensch der Seuche erlag, schenkte er zum Entsetzen der ganzen Welt den Aussagen einer kleinen Gruppe von Aktivisten Gehör, die behaupten, dass Aids nicht existiere, dass es nicht von HIV verursacht werde, dass hochaktive antiretrovirale Medikamente mehr Schaden als Nutzen brachten und so fort.

Während die Aids-Epidemie in Südafrika die höchste Sterberate erreicht hatte, argumentierte die dortige Regierung, das HI-Virus sei nicht die Ursache für Aids, und antiretrovirale Medikamente bewirkten demnach gar nichts. Sie weigerte sich entsprechend, vernünftige Behandlungsprogramme zu lancieren, und lehnte es ab, Medikamentenspenden oder Geld vom Global Fund für den Kauf von Medikamenten anzunehmen. In einer Studie heißt es: Hätte die südafrikanische Staatsregierung antiretrovirale Medikamente zur Prävention und Behandlung ebenso zum Einsatz gebracht wie die Provinz Western Cape (die sich in diesem Punkt der Staatspolitik widersetzte), hätten in den Jahren 1999 bis 2007 etwa 171 000 Neuinfizierte und 343 000 Tode verhindert werden können. Eine andere Studie schätzt, dass zwischen 2000 und 2005 330 000 Menschen unnötigerweise starben – 2,2 Millionen verlorene Personenjahre – und 35 000 Kinder unnötigerweise mit dem HI-Virus auf die Welt kamen, weil es nicht gelungen war, ein kostengünstiges und einfaches Schutzprogramm einzuführen, um die Mutter-Kind-Übertragung von HIV zu verhindern. Eine bis drei Gaben von hochwirksamen ARV-Medikamenten können die Übertragung dramatisch reduzieren. Die Kosten wären geringfügig gewesen, aber die Medizin war nicht verfügbar.

Interessanterweise rechnet es sich Matthias Raths Kollege und Angestellter, ein südafrikanischer Barrister namens Anthony Brink, als Verdienst an, Thabo Mbeki viele dieser Ideen nahegebracht zu haben. Brink stieß Mitte der 1990er Jahre auf die Argumente der »Aids-Dissidenten«, und nachdem er sich im Internet und in Büchern über die Bewegung schlau gemacht hatte, kam er zu der Überzeugung, dass ihre Mitglieder recht hatten. 1999 schrieb er in einer Johannesburger Zeitung einen Artikel über AZT mit dem Titel »Medizin aus der Hölle«. Der Text führte zu einem öffentlichen Schlagabtausch mit einem der führenden Virologen. Brink nahm mit Mbeki Kontakt auf, sandte ihm Kopien der Debatte und wurde als Experte begrüßt. Dies ist ein erschreckendes Zeugnis dafür, wie gefährlich es ist, Spinnern eine Bühne zu schaffen, indem man sich mit ihnen einlässt. In seinem anfänglichen Bewerbungsschreiben an Matthias Rath stellte Brink sich als »Südafrikas führender Aids-Dissident « vor, »bekannt vor allem wegen meines enthüllenden Artikels über die Toxizität und Wirkungslosigkeit von Aids-Medikamenten und wegen meines politischen Engagementsin diesem Zusammenhang, das Präsident Mbeki und Gesundheitsministerin Dr. Tshabalala-Msimang 1999 dazu bewog, diese Arzneistoffe abzulehnen.«

Im Jahr 2000 fand in Durban die mittlerweile verrufene Welt-Aids-Konferenz statt. Der Beratungsausschuss von Präsident Mbeki wurde schon im Vorfeld mit Aids-Leugnern vollgepackt; auch Peter Duesberg und David Rasnick waren darunter. Am ersten Tag schlug Rasnick vor, HIV-Tests prinzipiell zu verbieten und Südafrikas Blutkonserven künftig nicht mehr auf HIV testen zu lassen. »Wenn ich die Macht hätte, den HIV-Antikörper-Test global für ungesetzlich zu erklären«, sagte er, »dann würde ich es tun.« Als afrikanische Ärzte von den drastischen Veränderungen berichteten, die Aids in ihren Praxen und Krankenhäusern verursacht hatte, behauptete Rasnick, er habe »keine Spur« von einer Aids-Katastrophe gesehen. Die Medien waren nicht zugelassen, doch ein Reporter von der Village Voice war anwesend. Peter Duesberg, sagte dieser, »hielt einen Vortrag, der so meilenweit von der afrikanischen Ärzterealität entfernt war, dass einige Ärzte den Kopf schüttelten.« Es sei nicht etwa das Aids, das Babys und Kleinkinder töte, so die Leugner, es seien die antiretroviralen Medikamente.

Präsident Mbeki schickte einen Brief an führende Staatsmänner der ganzen Welt, in dem er den Kampf der »Aids-Dissidenten« mit dem Kampf gegen die Apartheid gleichsetzte. Die Washington Post beschrieb die Reaktion im Weißen Haus: »So verblüfft waren einige Beamte vom Ton und vom Timing des Schreibens – die Vorbereitungen für die Julikonferenz in Durban waren in vollem Gange –, dass mindestens zwei von ihnen, laut Aussage diplomatischer Quellen, sich bemüßigt fühlten, seine Echtheit zu prüfen.« Viele hundert Abgeordnete verließen bei Mbekis Ansprache angewidert den Saal, andere gaben an, sie seien wie vor den Kopf geschlagen. Über 5000 Forscher und Aktivisten in der ganzen Welt unterzeichneten die Durban Declaration, ein Dokument, das sämtliche Behauptungen und Befürchtungen der »Aids-Dissidenten« – wenigstens die gemäßigteren – zur Sprache brachte und widerlegte.

Vor allem wehrte man sich gegen den Vorwurf, die Menschen würden einfach an Armut sterben:
Der Beweis, dass Aids von HIV-1 oder HIV-2 verursacht wird, ist eindeutig und erschöpfend belegt … Wie bei jeder anderen chronischen Infektion der Fall, spielen bei der Bestimmung des Krankheitsrisikos diverse weitere Faktoren eine Rolle. Personen, die mangelernährt sind, die bereits an anderen Infektionen leiden oder schon älter sind, sind empfänglicher für einen schnellen Krankheitsverlauf nach einer HIV-Infektion. Jedoch widerlegt keiner dieser Faktoren den wissenschaftlichen Beweis, dass das HI-Virus die einzige Ursache von Aids ist … Das Risiko einer Übertragung des Virus von der Mutter auf das Kind kann mindestens um die Hälfte reduziert werden, wenn kurze Zyklen antiviraler Medikamente verabreicht werden … Was sich in dem einen Land am besten bewährt hat, muss nicht zwangsläufig für ein anderes gelten. Doch um die Krankheit einzudämmen, sollte ein jeder zunächst begreifen, dass HIV der Feind ist. Nur die Forschung, kein Mythos, führt zur Entwicklung wirksamerer, kostengünstigerer Therapien.

Es half alles nichts. Bis 2003 weigerte sich die Regierung Südafrikas aus Prinzip, geeignete antiretrovirale Behandlungsprogramme einzuführen, und selbst danach war ihre Mitarbeit nur halbherzig. Erst nach einer massiven Aufklärungskampagne durch Nichtregierungsorganisationen wie die Treatment Action Campaign hatte dieser Wahnsinn ein Ende, doch sogar als das Kabinett des Afrikanischen Nationalkongresses ANC sich für die Zulassung der Medikamente aussprach, gab es Widerstand. Mitte 2005 mussten noch immer mindestens 85 Prozent der HIV-Infizierten, also etwa eine Million Menschen, auf antiretrovirale Medikamente verzichten.

Dieser massive Widerstand war natürlich nicht nur einem Mann geschuldet; auch Mbekis Gesundheitsministerin Manto Tshabalala-Msimang spielte eine große Rolle. Als eifrige Kritikerin von HIV-Medikamenten trat sie gutgelaunt im Fernsehen auf, um ihre Gefahren zu übertreiben und ihren Nutzen herunterzuspielen, und wenn man sie fragte, wie viele Patienten eine wirksame Behandlung erhielten, wurde sie ärgerlich und ausweichend. 2005 erklärte sie, sie werde sich nicht dazu »drängen« lassen, drei Millionen Patienten auf antiretrovirale Medikamente zu setzen, die Menschen ignorierten schlicht die Notwendigkeit einer gesunden Ernährung, sie werde Patienten daher auch weiterhin vor den Nebenwirkungen der antiretroviralen Medikamente warnen und sagen: »Dies bestätigt wieder einmal, dass wir sind, was wir essen.«

Der Ausspruch klingt schaurig vertraut. Tshabalala-Msimang war, wie sich herausstellte, auch eine Befürworterin der Thesen von Matthias Rath und weigerte sich, seine Aktivitäten überprüfen zu lassen. Sie ist eine zähe Verfechterin dieser Hobby-Ernährungswissenschaft aus den Hochglanzmagazinen, wie sie Ihnen inzwischen hinlänglich bekannt sein dürfte. Die Heilmittel, die sie gegen Aids ins Feld führte, waren rote Beete, Knoblauch, Zitronen und Yamswurzeln.

Ein vielsagendes Zitat der Gesundheitsministerin eines Landes, in dem täglich 800 Menschen an Aids sterben, ist das folgende: »Roher Knoblauch und Zitronenschale – sie verleihen nicht nur ein schönes Gesicht und eine schöne Haut, sondern bewahren auch vor Krankheiten.« Der Informationsstand Südafrikas in der Welt-Aids-Konferenz in Toronto 2006 wurde von Delegierten als die »Salatbude« bezeichnet. Er war garniert mit ein wenig Knoblauch, roter Beete, Yamswurzeln und weiteren ausgesuchten Gemüsesorten. Später wurden noch einige Schachteln antiretroviraler Medikamente hinzugefügt, die man angeblich jedoch in letzter Minute von anderen Konferenzteilnehmern geborgt hatte.

Alternativmediziner weisen gern darauf hin, dass ihre Behandlungsmethoden nicht ausreichend erforscht wurden. Wie Sie jetzt wissen, trifft dies oft nicht zu, und im Fall der bevorzugten Gemüsesorten der Gesundheitsministerin war in der Tat Forschung betrieben worden, mit Ergebnissen, die alles andere als vielversprechend waren. Als Tshabalala-Msimang im Sender SABC dazu befragt wurde, gab sie die Art von Antworten, wie man sie auf jeder beliebigen Dinner Party in Nordlondon zum Thema alternative Heilmethoden erwarten könnte. Zunächst wurde sie zu einer Studie der Universität Stellenbosch befragt, deren Ergebnisse darauf schließen ließen, dass die bevorzugte Pflanze der Ministerin, die Yamswurzel, für Menschen, die Aids-Medikamente einnehmen, sogar gefährlich sein könnte. Eine Studie, die die Wirksamkeit der Yamswurzel bei HIV untersuchte, musste sogar frühzeitig abgebrochen werden, weil die Patienten, die die Pflanzenextrakte erhielten, nach acht Wochen eine schwere Knochenmarksuppression und einen Abfall ihrer CD4-Zellzahl entwickelten – was sehr schlimm ist. Noch dazu kommt es bei Katzen mit Feliner Immunschwäche, nachdem man ihnen den Extrakt desselben Gemüses verabreicht hatte, schneller zur Aids-Erkrankung als bei ihren unbehandelten Artgenossen der Kontrollgruppe. Die afrikanische Yamswurzel scheint mir also kein zuverlässiges Heilmittel zu sein.
Tshabalala-Msimang war anderer Meinung: Die Forscher sollten zurück in ihre Labors gehen und noch einmal »vernünftig forschen«. Warum? Weil HIV-Infizierte, die Yamswurzeln zu sich nahmen, nach eigenem Dafürhalten eine Verbesserung verspürten. Jemand hatte beteuert, er oder sie fühle sich besser. Warum sollte man diese Worte anzweifeln?, wollte sie wissen, nur weil sie wissenschaftlich nicht nachweisbar waren? »Wenn jemand sagt, er fühle sich besser, soll ich dann dagegenhalten ›Nein, das glaube ich dir nicht? Ich will lieber Wissenschaft an dir betreiben?‹« Auf die Frage, ob es eine wissenschaftliche Grundlage gebe für ihre Ansichten, antwortete sie: »Wessen Wissenschaft?« Und da liegt vielleicht der Hund begraben, wenn es auch nicht die Lösung ist. Afrika ist ein Kontinent, der von der entwickelten ersten Welt in brutalerWeise ausgebeutet wurde, zunächst von den Herrschenden, dann vom globalisierten Kapital. Verschwörungstheorien über Aids und die westliche Medizin sind in diesem Zusammenhang durchaus verständlich. Die Pharmaindustrie ist immerhin dabei ertappt worden, wie sie in Afrika Medikamententests durchführte, die in keinem Land der entwickelten Welt möglich wären.

Viele finden es verdächtig, dass die meisten Aids-Opfer unter der schwarzen Bevölkerung Afrikas zu beklagen sind, und verweisen auf die Programme zur biologischen Kriegführung, die von den Apartheid-Regimes entwickelt wurden; es wurde auch der Verdacht geäußert, dass der wissenschaftliche Diskurs über HIV/Aids womöglich nur ein Vehikel sein könnte, eine Art Trojanisches Pferd, das noch mehr politisch und ökonomisch ausbeuterische Pläne um das Problem herum ins Land schleusen würde, das doch vor allem der Armut geschuldet ist.
Zudem sind es junge Staaten, für die Konzepte wie Unabhängigkeit und Selbstbestimmtheit vollkommen neu sind und die darum kämpfen, nach jahrhundertelanger Kolonialherrschaft ihre wirtschaftliche Stärke und ihre wahre kulturelle Identität zu finden. Die traditionelle Heilkunde stellt dabei eine bedeutende Verbindung her zur autonomen Vergangenheit; abgesehen davon waren antiretrovirale Medikamente geradezu absurd teuer, und bis Maßnahmen gegen den Preis griffen, hatten viele Afrikaner tatsächlich keinen Zugang zu medizinischer Versorgung.

Wir können uns leicht über andere erheben und vergessen dabei, dass wir im Westen unsere eigenen seltsamen kulturellen Marotten haben, die uns davon abhalten, vernünftige Gesundheitsprogramme aufzustellen. Um Beispiele zu finden, brauchen wir nicht einmal das Thema MMR zu bemühen. Es gibt zum Beispiel genügend Beweise, die belegen, dass saubere Spritzen die Verbreitung von HIV eindämmen, aber anstatt sie zu verteilen, gab man der Kampagne »Sag nein zu Drogen« den Vorzug. Karitative Organisationen, die von US-amerikanischen christlichen Gruppen finanziert werden, lehnen es ab, sich mit dem Thema Geburtenkontrolle zu befassen, und dem Wort Abtreibung begegnet man – und das in Ländern, in denen die Kontrolle über die eigene Fruchtbarkeit den Unterschied zwischen Erfolg und Scheitern im Leben ausmachen könnte – mit einem kalten, frommen Blick. Diese realitätsfernen moralischen Prinzipien sind so tief verwurzelt, dass Pepfar, der Notfallplan des US-amerikanischen Präsidenten zur Aids-Bekämpfung, eigens darauf bestand, dass jeder Empfänger internationaler Hilfsgelder eine Erklärung unterzeichnen musste, in der er ausdrücklich zusicherte, nichts mit Prostitution zu tun zu haben.

Bei aller zu Gebote stehenden Rücksicht auf das christliche Wertesystem bin ich dennoch der Meinung, dass es fast ein Eckpfeiler jeder wirksamen Aids-Politik ist, die Prostituierten in die Pflicht zu nehmen: Käuflicher Sex ist oft ein »Übertragungsweg«, und Prostituierte stellen nun einmal eine Risikogruppe dar; doch das Ganze greift noch weiter. Gesteht man den Prostituierten das Recht zu, auf die Verwendung von Kondomen zu bestehen, verhindert man, dass HIV sich in der Gesamtbevölkerung ausbreitet. Hier treffen Wissenschaft und Kultur aufeinander …. Aber vielleicht ist ja Ihren Freunden und Nachbarn in der Vorstadtidylle, in der Sie nun heimisch geworden sind, der moralische Grundsatz, man habe sich von Sex und Drogen gefälligst fernzuhalten, wichtiger als die Tatsache, dass Menschen an Aids sterben; und dann sind sie vielleicht nicht minder irrational als Thabo Mbeki.

Dies also war die Situation, in die der Vitaminpillen-Hersteller Matthias Rath sich ins Spiel brachte. Mit dem Vermögen, das er in Europa und Amerika angehäuft hatte, machte er sich alte antikoloniale Ängste zunutze, ohne die Ironie darin zu erkennen, dass er als Weißer Pillen feilbot, die in einer Fabrik in der Ersten Welt hergestellt worden waren. Seine Werbekampagne war ein durchschlagender Erfolg. Er betrieb mit einzelnen Patienten Werbung, um die Wirksamkeit seiner Wunderpillen zu belegen – in Wahrheit sind einige seiner berühmtesten Erfolgsgeschichten an Aids gestorben. Als man sie zum Tod von Raths Starpatienten befragte, antwortete Gesundheitsministerin Tshabalala-Msimang: »Wenn ich Antibiotika einnehme und sterbe, muss das ja nicht unbedingt heißen, dass ich an den Antibiotika gestorben bin.« Mit dieser Meinung steht sie nicht allein: Südafrikas Politiker haben sich durchweg geweigert einzuschreiten, Rath genießt den Schutz der Regierung, und ihre führenden Köpfe haben es abgelehnt, sich von seinen Machenschaften zu distanzieren oder seine Aktivitäten zu kritisieren. Tshabalala- Msimang hat erklärt, dass die Rath-Stiftung die Position der Regierung nicht untergrabe. »Wenn, dann unterstützt sie sie.«
2005 unterzeichneten 199 führende Ärzte in Südafrika, von der Untätigkeit der Regierung entnervt, einen offenen Brief an die Gesundheitsbehörde in Western Cape und baten sie, gegen die Rath-Stiftung Schritte zu unternehmen. »Unsere Patienten werden mit Propaganda überschwemmt, die sie ermutigt, die lebensrettenden Medikamente abzulehnen«, hieß es darin. »Viele von uns hatten mit HIV-infizierten Personen zu tun, die ihre Gesundheit aufs Spiel setzten, indem sie infolge der Aktivitäten dieser Stiftung ihre antiretroviralen Mittel absetzten.«

Raths Werbekampagnen gehen unvermindert weiter. Er behauptete sogar, dass seine Aktivitäten von zahllosen Sponsoren und Befürwortern unterstützt würden, einschließlich der Weltgesundheitsorganisation WHO, der UNICEF und UNAIDS. Sie alle haben Stellungnahmen herausgegeben, die Raths Behauptungen und Aktivitäten kategorisch ablehnen.

Der Mann hat eindeutig Chuzpe. Seine Werbekampagnen sind außerdem gespickt mit umfangreichen wissenschaftlichen Behauptungen. Es wäre falsch von uns, die Wissenschaft in dieser Geschichte zu vernachlässigen, also sollten wir einige dieser Behauptungen genauer betrachten, besonders diejenige, die sich auf eine Harvard-Studie in Tansania berief. Er beschrieb die Forschung in ganzseitigen Anzeigen, von denen einige in der New York Times und in der Herald Tribune erschienen sind. Er bezieht sich auf diese bezahlten Anzeigen – ich sollte es erwähnen –, als sei er von den Redaktionen lobend erwähnt worden. Wie auch immer, diese Forschung zeigte, dass Multivitaminpräparate in der Bevölkerung eines Entwicklungslands, die von Aids betroffen ist, von Nutzen sein können: Gegen dieses Ergebnis ist nichts einzuwenden, und es gibt vielerlei Gründe für die Annahme, dass Vitamine für eine gesundheitlich angeschlagene, häufig mangelernährte Bevölkerung von Nutzen sein könnten.
Die Forscher engagierten 1078 HIV-infizierte schwangere Frauen und verabreichten ihnen, nach dem Zufallsprinzip, entweder ein Vitaminpräparat oder ein Placebo. Man nehme einmal mehr zur Kenntnis, dass es sich hierbei um eine umfangreiche, stichhaltige, mit öffentlichen Geldern subventionierte und von Schulmedizinern durchgeführte Studie zu Vitaminen handelt, entgegen den Behauptungen der Ernährungsberater, dass Studien dieser Art nicht existierten. Die Frauen wurden über mehrere Jahre beobachtet, und am Ende der Studie waren lediglich 25 Prozent der Frauen, die diese Vitamine einnahmen, ernsthaft erkrankt oder tot gegenüber 31 Prozent der Frauen, die Placebos erhalten hatten. Es gab auch einen statistisch signifikanten Nutzen, was die CD4-Zellzahl (ein Maß für HIV-Aktivität) und die virale Belastung anbelangten. Diese Ergebnisse waren keinesfalls dramatisch – und kein Vergleich zu den messbaren lebensrettenden Vorteilen von antiretroviralen Medikamenten –, zeigten allerdings, dass sowohl eine bessere Ernährung als auch preisgünstige Generika-Vitaminpillen eine einfache und verhältnismäßig erschwingliche Methode darstellen könnten, um bei manchen Patienten die Notwendigkeit, mit der medikamentösen Behandlung zu beginnen, geringfügig hinauszuzögern.
In Raths Händen wurde diese Studie zum Beweis, dass Vitaminpillen der medikamentösen Behandlung von HIV/Aids überlegen sind, dass antiretrovirale Mittel »sämtliche Zellen im Körper – auch die weißen Blutzellen – ernsthaft schädigen«, und schlimmer noch, dass sie »die Immunschwäche dadurch nicht verbesserten, sondern eher noch verschlimmerten und die Aids-Epidemie weiter verbreiteten«.
Die Forscher der Harvard School of Public Health waren so entsetzt, dass sie eine Presseverlautbarung formulierten, in der sie ihre Befürwortung der medikamentösen Behandlung betonten und sachlich, mit unzweideutiger Klarheit, feststellten, dass Matthias Rath ihre Studienergebnisse falsch ausgelegt habe.

Die Medienaufsichtsbehörde unternahm nichts.

Für Außenstehende ist die Geschichte ebenso rätselhaft wie einschüchternd. Die Vereinten Nationen haben Raths Werbekampagnen als »falsch und irreführend« verurteilt. »Dieser Mann tötet Menschen, indem er sie mit einer Therapie lockt, deren Wirksamkeit in keiner Weise wissenschaftlich erwiesen ist«, sagte Eric Goemaere, der Leiter der Organisation Médecins sans Frontières SA, ein Mann, der in Südafrika für die antiretrovirale Therapie warb. Rath hat ihn verklagt. Rath hat nicht nur die MSF auf dem Kieker. Er hat auch zeitraubende, kostspielige Verfahren – mittlerweile eingestellt oder gescheitert – gegen einen Professor der Aids-Forschung, gegen Kritiker in den Medien und viele mehr angestrengt.

Seinen widerlichsten Prozess führte er gegen die Treatment Action Campaign. Jahrelang war sie die Schlüsselorganisation im Kampf um den Zugang zu antiretroviralen Medikamenten in Südafrika, und sie kämpft an vier Fronten:
Erstens gegen die eigene Regierung, damit sie endlich vernünftige Behandlungsprogramme für die Bevölkerung ausarbeitet.
Zweitens gegen die Pharmaindustrie, die glaubt, sie müsse in Entwicklungsländern den vollen Preis für ihre Produkte berechnen, um die Kosten für Forschung und Entwicklung neuer Medikamente zu decken – dabei gibt die Pharmaindustrie, wie wir noch sehen werden, von ihrem 550-Milliarden-Dollar-Umsatz weltweit doppelt so viel für Werbung und Verwaltung aus wie für Forschung und Entwicklung.
Drittens ist sie eine bodenständige Organisation, die hauptsächlich aus den schwarzen Frauen der Townships besteht, die an der Basis wichtige Aufklärungsarbeit leisten, was Vorbeugung und Behandlung betrifft, und sicherstellen, dass die Menschen wissen, welche Mittel verfügbar sind und wie sie sich schützen können.
Und schließlich kämpft die Organisation gegen Gruppen, die Informationen propagieren, wie sie von Matthias Rath und seinesgleichen als Wahrheit verkauft werden. Rath hat eine massive Kampagne gegen sie gestartet. Er verteilt Werbematerial, in dem steht: »Die Medikamente der Treatment Action Campaign bringen euch um« und »Schluss mit dem Aids-Genozid durch das Pharmakartell!«, und behauptet – wie Sie wohl schon erraten haben –, dass es eine internationale Verschwörung der Pharmakonzerne gebe, die im Interesse ihrer eigenen Gewinnsucht erpicht darauf seien, die Aids-Krise zu verlängern, indem sie Medikamente verabreichten, die die Krankheit verschlimmerten. TAC müsse Teil dieser Verschwörung sein, so die Argumentation, weil sie Kritik übe an Matthias Rath. Genau wie ich befürwortet auch TAC eine gesunde, ausgewogene Ernährung. Doch in Raths Hetzschriften geht sie am Gängelband der Pharmaindustrie, wird zum »Trojanischen Pferd« und zum »willfährigen Hündchen«. TAC hat ihre Finanzierung und Aktivitäten offengelegt, und nirgends sind Verbindungen dieser Art zu erkennen: Rath hat keinerlei Beweise vorgelegt, die das Gegenteil belegen, und deswegen sogar einen Prozess verloren, aber er will die Sache trotzdem nicht auf sich beruhen lassen. Er stellt sein verlorenes Verfahren vielmehr als triumphalen Sieg dar.

Der Gründer von TAC ist ein Mann namens Zackie Achmat, und er ist fast so etwas wie ein Held. Er ist Südafrikaner und nach der Nomenklatur des Apartheid-Regimes, in dem er aufwuchs, ein Farbiger. Im Alter von vierzehn Jahren legte er Feuer in seiner Schule, und Sie an seiner Stelle hätten wohl dasselbe getan. Er wurde festgenommen und unter Südafrikas gewalttätigem, brutalem, weißem Regime eingesperrt, mit allen Konsequenzen. Er ist auch schwul und HIV-positiv und weigerte sich, antiretrovirale Medikamente einzunehmen, solange sie nicht jedermann im öffentlichen Gesundheitssystem zugänglich wären, selbst als er an Aids erkrankt war und zu sterben drohte, selbst als Nelson Mandela, der öffentlich für antiretrovirale Medikamente und Achmats Arbeit eintrat, ihn persönlich anflehte, er solle sich doch retten.

Und jetzt kommen wir endlich zum Tiefpunkt dieser ganzen Geschichte, nicht nur für Matthias Raths Bewegung, sondern für die Bewegung der Komplementär- und Alternativmedizin auf der ganzen Welt. 2007 reichte Raths früherer Angestellter Anthony Brink unter mächtigem Trara und großer Medienaufmerksamkeit eine formelle Klage gegen Zackie Achmat ein, den Leiter der Organisation TAC. Absurderweise reichte er seine Klage beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag ein und beschuldigte Achmat des Genozids, weil er sich erfolgreich dafür eingesetzt hatte, dass die Menschen in Südafrika Zugang zu Medikamenten gegen HIV erhielten.

Es ist kaum zu erklären, wie viel Einfluss die »Aids-Dissidenten « in Südafrika haben. Brink ist Anwalt, hat einflussreiche Freunde, und seine Anwürfe wurden in den staatlichen Nachrichtenmedien – und in einigen Ecken der westlichen Schwulenpresse – als seriöse Nachricht gehandelt. Ich glaube nicht, dass auch nur einer der Journalisten, der über Brinks Anklageschrift berichtete, deren Inhalt bis zum Ende gelesen hat.

Ich habe es getan.
Auf den ersten siebenundfünfzig Seiten taucht das gewohnte Aids-Dissidenten-Material gegen Medikamente auf. Doch dann, auf der Seite achtundfünfzig, verwandelt sich diese »Anklage«-Schrift plötzlich in etwas weitaus Gemeineres und Enthemmtes, da Brink zu Papier bringt, was seiner Meinung nach die geeignete Strafe wäre für Zackie.Weil ich nicht möchte, dass man mich einer selektiven Veröffentlichung beschuldigt, werde ich den gesamten Abschnitt für Sie unredigiert wiedergeben, dann können Sie selbst entscheiden.

Angemessenes Strafmaß

Im Hinblick auf Ausmaß und Schwere von Achmats Verbrechen und seiner direkten persönlichen Schuld am »Tod vieler tausend Menschen«, um seine eigenenWorte zu zitieren, möchte ich dem Internationalen Strafgerichtshof hochachtungsvoll vorschlagen, dass er ihm die Höchststrafe auferlegen möge nach Artikel 77.1(b) des Rom-Statuts, nämlich eine ununterbrochene Verwahrung in einem kleinen weißen Stahl- und Betonkäfig, unentwegt von hellem Neonlicht beleuchtet, um ihn im Auge zu behalten; seine Wärter sollen ihn täglich in den Gefängnisgarten führen, wo er nährstoffreiche Gemüsesorten kultivieren kann, auch bei Regen. Damit er der Gesellschaft seine Schuld zurückzahle, soll er gezwungen werden, die antiretroviralen Medikamente, für die er sich stark macht, täglich, unter ärztlicher Aufsicht zu schlucken, in der vollen vorgeschriebenen Dosis, morgens, mittags und abends, ohne Unterbrechung. Um zu verhindern, dass er nur vorgibt, sich der Behandlung zu beugen, sollen ihm die Mittel nötigenfalls mit dem Finger in den aufgezwungenen Schlund gestoßen werden, oder, falls er zu viel beißt, tritt und schreit, soll er mit Kabelbindern um Knöchel, Armgelenke und Hals auf eine Trage gefesselt und das Mittel ihm in den Arm gespritzt werden, bis er den Geist aufgibt. So wird dieses stinkende, widerliche, skrupellose und bösartige Geschwür auf der menschlichen Rasse endlich ausradiert, das die Menschen in Südafrika, die meisten schwarz, die meisten arm, seit nunmehr zehn Jahren plagt und vergiftet, seit dem Tag, an dem er und seine TAC-Freunde zum ersten Mal aufgetaucht sind.
Unterzeichnet in Kapstadt, Südafrika, am 1. Januar 2007,
Anthony Brink

Das Dokument wurde von der Rath-Stiftung als »absolut gültig und längst überfällig« bezeichnet.

Es geht hier weder um Matthias Rath noch um Anthony Brink oder Zackie Achmat oder Südafrika. Es geht vielmehr um die Kultur dessen, wie Ideenaustausch funktioniert und wie dies zusammenbrechen kann. Ärzte kritisieren andere Ärzte, Akademiker andere Akademiker, Politiker Politiker: Das ist normal und gesund, so lassen Ideen sich verbessern. Matthias Rath ist ein Alternativmediziner made in Europe. Er entstammt unserer Welt.

Trotz der extremen Heftigkeit dieses Falls ist nirgendwo auf der Welt auch nur ein einziger Alternativmediziner oder Ernährungsratgeber aufgestanden, um auch nur einen einzigen Aspekt der Aktivitäten von Matthias Rath und Kollegen zu kritisieren. Im Gegenteil: Der Mensch wird bis zum heutigen Tag gefeiert. Ich saß aufrichtig erstaunt dabei und sah zu, wie führende Alternativmediziner im Vereinigten Königreich Matthias Rath in einer öffentlichen Vorlesung Beifall klatschten (ich habe es auf Video, nur für den Fall, dass es Zweifel gibt). Staatliche Gesundheitsorganisationen verteidigen Rath auch weiterhin. Serienmails von Homöopathen propagieren seine Arbeit. Der britische Verein der Ernährungswissenschaftler wurde von Bloggern aufgefordert, Stellung zu beziehen, lehnte dies jedoch ab. Die meisten seiner Mitglieder werden sich, wenn man sie darauf anspricht, elegant aus der Affäre ziehen. »O«, werden sie sagen, »ich weiß eigentlich nicht viel darüber.« Nicht ein einziger wird vortreten und seine Kritik äußern.

Die Bewegung der Alternativmedizin ist in einer Weise unfähig, sich einer kritischen Selbsteinschätzung zu unterziehen, dass sie nicht einmal in einem Fall wie dem von Rath in Aktion tritt: Ich meine damit zigtausend Therapeuten, Autoren, Verwaltungsbeamte und so weiter. Und so kommt es, dass Ideen ganz fürchterlich aus dem Ruder laufen. In der Schlussbemerkung zu diesem Buch, die ich geschrieben habe, bevor es mir möglich war, dieses Kapitel hinzuzufügen,argumentiere ich, dass die größten Gefahren im Zusammenhang mit den Problemen, über die wir berichtet haben, kultureller und intellektueller Natur sind.

Vielleicht habe ich mich getäuscht.

9 Gedanken zu „HIV und AIDS: Ben Goldacre über Matthias Rath“

  1. Es mag zynisch klinge, aber ich denke, Dr. Rath hätte die Klage gewinnen können, eigentlich müsste er nur sich selbst mit HI Viren infizieren und seine eigene Medizin einnehmen. Dann hätte eine Heilung bei ihm nachweisbar sein müssen.

    Aber viele dieser „Alternativmediziner“ scheinen nicht bereit zu sein, ihr Leben und ihre Gesundheit aufs Spiel zu setzen, um ihre Thesen zu beweisen, die den Ansichten der normalen Schulmedizin widersprechen.
    Im Laufe der Geschichte gab es viele Wissenschaftler, die mit Selbstversuchen ihre Thesen belegen wollten, häufig endeten sie auch tödlich.
    http://de.wikipedia.org/wiki/Selbstversuch

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  2. Man braeuchte in London garnicht so weit gehen: Es existieren in London eine ganze Reihe von Krankenhaeusern mit Abteilungen, die sich auf HIV/AIDS spezialisiert haben. Dort sitzen Aerzte, die fast ausschliesslich solche Faelle behandeln.

    Man muesste nur diese Aerzte nach ihren Erfahrung in der Behandlung von HIV/AIDS befragen und bekaeme sehr klare Aussagen.

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  3. Skeptiker und Esoteriker haben eine Sache gemeinsam: Sie verdienen beide an der Krankheit und dem Leid der Menschen. Und nicht wenig. Es hat schon was schizophrenes sich über Individuen wie Rath aufzuregen aber Experimente von Pharmaunternehmen als völlig normal zu akzeptieren.

    Was ist eigentlich aus der Schweinegrippe geworden?

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  4. @Irrenjäger
    Herr Rath verklagte einen Kritiker in England wegen Verleumdung, weil dieser die Wirksamkeit seiner Vitaminpillen in Zweifel zog. Dann zog er die Klage zurück und muss die Prozesskosten zahlen. Ein Wunderheiler sieht anders aus.

    Auch wenn die Pharmaindustrie alles andere als barmherzige, humanitäre Helfer, so rechtfertigt es nicht die Aktivitäten gewisser Leute, den Menschen zweifelhafte Heilmethoden anzudrehen.

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  5. @Rheinlaender:
    Tja, meinst Du es würde etwas an der Auffassung der Aidsleugner und Kleinredner ändern. Die sagen ja zum Teil dass das, was als Virus identifiziert würde, mit der Krankheit nichts zu tun hätte: Entweder Vitaminmangel oder Drogenmissbrauch („Schwulendrogen“, das ist das Topwort, gleich mal doppelt daneben). Die Erfahrungen von Aids-Spezialisten wären damit irrelevant da sie an etwas arbeiten, was nicht existiert.

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  6. Pingback: Welt-AIDS-Tag 2010 « rescue blog

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