Der Freitag, seine Blogs und Edzard Ernst als mephistophelischer Despot

„Das Wochenblatt „Der Freitag“ bietet mit seiner Community eine Plattform für Menschen, die sich anderen Menschen als Blogger mitteilen wollen. Das Mutterhaus „der Freitag“ ist Jakob Augstein zufolge politisch „irgendwie Links“ anzusiedeln. Die in den Blogs vertretenen Meinungen sind weit gestreut, eine redaktionelle Betreuung/Moderation findet in sehr weiten Grenzen statt. Die von Anfang an recht hohe Reichweite zieht auch Menschen an, die irgendwie anders sind. Ob die Anzahl der Anhänger von Alternativmedizin unter sich selbst links verortenden Menschen größer ist als bei Konservativen? Der Blogger bertamberg zumindest hat ein Problem mit evidenzbasierter Medizin im allgemeinen und Prof. Edzard Ernst im speziellen.

Der Schritt ist nur logisch:

Hängt man einer alternativmedizinischen Richtung wie der Homöopathie an, deren Lehrgebäude fast ausnahmslos aus Anekdoten besteht – beruhend auf dem wackligen Fundament eines einzelnen, nicht reproduzierbaren Experiments ihres Begründers – , so muss die Kritik an der Kritik auf ähnlichen Prinzipien beruhen. Dabei liegt die Konzentration erst einmal nicht darauf, Aussagen dieser Autorität zu kritisch und ergebnisoffen auf Plausibilität/ Validität zu überprüfen, sondern die Autorität des Kritikers zu delegitimieren; weniger aufgrund ihrer Aussagen, als vielmehr aufgrund der Richtung, die sie haben. Man greift eine Autorität an, die Ansichten vertritt, die dem entgegenstehen, was das eigene Lehrgebäude sagt.  Nachdem die Autorität, die Kompetenz des Kritikers in Frage gestellt wurde, fehlt eigentlich nur noch eine Anekdote, um den Sack zu schließen. Alternativmediziner lieben Anekdoten.

Dabei ist es uninteressant, ob eine Therapie vorwiegend in Deutschland praktiziert und aufgrund von Lobbyarbeit gut vernetzter Anthroposophen von Krankenkassen bezahlt wird. Auch die Meinung der Cochrane Library zum Thema Misteltherapie ist uninteressant. Ebenso kann man die Ansicht des National Cancer Institute zur Misteltherapie getrost vergessen. Und in den Gremien, die Leitlinien bestimmen, sitzen nur von Big Pharma bezahlte Sockenpuppen, daher taucht in den Leitlinien zur Krebstherapie die Mistel nicht auf.
Alle diese Institutionen teilen Ernsts Ansicht zum Thema oder umgekehrt. Das macht aber nichts; wenn man mit Dreck wirft, bleibt sicher etwas kleben, damit das Publikum beim nächsten Auftritt von Ernst nicht seinen Worten lauscht, sondern darauf achtet, ob er Hörner hat.
Die hätte Rudolf Steiner vielleicht auch gesucht. Immerhin ist die Misteltherapie gegen Krebs seine Erfindung. Weniger, weil er Experimente gemacht hätte, sondern weil er, das Simile-Prinzip kosmisch ausdehnend, die Mistel mit einer Krankheit vergleicht.

Es gibt Wesen, die auf einer niedrigeren Stufe der Entwickelung zurückgeblieben sind. Die Mistel zum Beispiel ist ein Zeuge dieser Weltenzeit, ein Überrest der parasitären Pflanzen, die auf der Erde wie auf einer Pflanze lebten. Da her stammen ihre speziellen okkulten Eigenschaften. Sie waren den Druiden bekannt, die sie als eine heilige Pflanze betrachteten. Die parasitäre Mistel ist ein Überbleibsel aus der Mondenzeit des Erdenplaneten. Sie ist ein Schmarotzer, weil sie nicht gelernt hat, wie die anderen Pflanzen direkt auf mineralischem Boden zu leben.

Ähnlich verhalt es sich mit der Krankheit. Sie ist ein Rückfall, verursacht durch parasitäre Elemente im Organismus. Die Druiden und die Skalden kannten die Beziehungen zwischen der Mistel und dem Menschen. Einen Nachklang davon findet man in der Baldurlegende. Der Gott Baidur wird getötet durch die Mistel, weil die Mistel ein feindliches Element aus der vorhergehenden Epoche darstellt, das dem menschlichen Leib nicht mehr angemessen ist. Die anderen Pflanzen, die dem Zeitalter angepaßt waren, hatten dem Menschen dagegen Freundschaft geschworen.

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 9 4 Seite: 2 8

Steiner phantasierte sich also aufgrund eines Märchens über die Sommersonnenwende eine Therapie gegen Krankheiten zusammen. Krankheit wird von ihm mythisch aufgeladen und schon passt alles zusammen.

Retter in der Not und Kritiker von Ernsts Äußerungen ist ein Herr Schierholz, Anthroposoph (?) und Kenner der Misteltherapie. Zumindest kann man letzteres Annehmen, immerhin finden sich viele positive Veröffentlichungen von ihm zu dem Thema. Das dürfte seinen Arbeitgeber (Stand 2003) die Helixor GmbH, Hersteller von Mistelpräperaten, freuen. Eines davon wurde explizit vom National Cancer Institute abgelehnt.
Alternativmediziner lieben Anekdoten. Wir auch.

4 Gedanken zu „Der Freitag, seine Blogs und Edzard Ernst als mephistophelischer Despot“

  1. Der vielseite Dr Dr Jörg Schierholz ist schon länger nicht mehr bei Helixor. Zumindest bis Anfang diesen Jahres war er bei einer Pari Pharma GmbH in Gräfelfing (tut der Aussage des Artikels natürlich keinen Abbruch, hatte nur gerade Lust und Zeit, mal nachzugucken, wer das ist).

  2. …wie so vieles stammt die Misteltherapie natürlich höchstwahrscheinlich eben *nicht* von Steiner. Er überbaute vorhandene Therapieformen mit mythologischen Begründungen und plausibilisierte sie damit vor seinen AnhängerInnen.

    „Krebs wurde mit dem Aufstieg der Histopathologie im 19. Jahrhundert in seinen Zellstrukturen sichtbar und teilweise chirurgisch, nicht jedoch kausal behandelbar. Zugleich aber blieb eine überzeugende Erklärung der Genese im 19. Jahrhundert aus331, um 1900 konkurrierten diätetische, bakteriologische, soziale und zunehmend genetische Theorien – neben vielen anderen332. Die hilflose Pluralität von Erklärungsansätzen ließ Raum für schwere Eingriffe, etwa für eine »Blitzbehandlung« mit Strom von »mehreren Ampères« (gegen die schon Marie Ritter angegangen war), oder für chirurgische Eingriffe, bei denen »geätzt oder gar galvanokaustisch gebrannt« werde. Nur Außenseiter wie der Neuropathologe Albert Adamkiewicz (1850–1921) glaubten, daß mit einzelnen Mitteln
    »das Problem der Krebsheilung … als gelöst zu betrachten« sei und propagierte »Cancroin-Injektionen«, eine von ihm hergestellte Substanz, deren Applikation aber in einem Fiasko endete. Vielmehr dominierte in der universitären Medizin eine selbstkritische Stimmung

    Die anthroposophische Misteltherapie gegen Krebs führt zurück in ein alternativmedizinisches Milieu der Krebsbehandlung um 1900 und in eine bis in die Antike reichende Tradition des therapeutischen Einsatzes der Mistel. Die Verbindungen dieser alternativen Medizin zum theosophischen Milieu sind namentlich für die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg nur partiell aufklärbar. Ziemlich sicher treffen Behauptungen, daß Steiner als erster Mistelextrakte gegen Tumorerkrankungen empfohlen habe, nicht zu [Vgl. dagegen Fuchs: Kreutterbuch (1543), Kap. C, IIII [unpaginiert]: Die Mistel »zeücht zôsamen die ohrmützel / unnd allerley geschwulst. Mit weyrauch vermischt / und auff allte geschwaer gelegt / heylet sie«]. Robert Jütte hat herausgearbeitet, daß es seit der Mitte des 19. Jahrhunderts unter Homöopathen und anderen Alternativ medizinern intensive Versuche zum Einsatz der Mistel gab; ob der Einsatz gegen Krebs dann im theosophischen Milieu erstmals vorgenommen wurde, bliebe zu prüfen. Eine wichtige Rolle dürfte in diesem Feld Marie Ritter gespielt haben, die wohl schon 1903 nach alternativen Krebsbehandlungen gegen den martialischen Einsatz von »Kohlenbogenlicht« gesucht hatte und sich 1908 von Steiner die Berechtigung zur Anwendung ihrer phytomedizinischen Mittel bei Krebs bestätigen ließ. Diese Chronologie legt nahe, daß Ritter bei Steiner um eine übersinnliche Legitimation für ihre Behandlungen nachsuchte und Steiner so in das Feld alternativer Krebstherapien einband. Sie übersandte Steiner schließlich im Januar 1910 ein Mistelpräparat.“
    (Helmut Zander: Anthroposophie in Deutschland. Theosophische Weltanschauung, gesellschaftliche Praxis, Göttingen 2007, 1525ff.)

  3. Bin politisch links ein zu ordnen, aber kein Liebhaberin, sondern ein Gegner alternativ Medicin. In die VS sind die Impfgegner jedenfalls teilweise rechts ein zu ordnen.

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