Alan Turing zum 100. Geburtstag

Was, mag sich der geneigte Leser des EsoBlogs fragen, soll hier ein Beitrag zu Alan Turing? Was hat Mathematik mit Esoterik und Co. zu tun? Es gibt zwei Gründe. Der erste ist relativ banal: ohne Alan Turing könnte es sein, dass wir (noch) keine Computer hätten, die so funktionieren, wie wir es heute kennen, also auch keinen Eso-Blog ;). Abgesehen davon, dass niemand weiß, was geschehen wäre, wenn Turing nicht den Enigma-Code der Deutschen im Zweiten Weltkrieg geknackt hätte … Genaueres zu ihm findet sich auf Wikipedia.

Seine allgemein bekannteste mathematische Formulierung ist die so genannte Turing-Maschine. Für Nicht-Mathe-Fans etwas harter Stoff, aber dieses Zitat aus Wikipedia bringt es auf den Punkt, um das Wesentliche zu verstehen:

Das Besondere an einer Turingmaschine ist dabei ihre strukturelle Einfachheit. Sie benötigt nur drei Operationen (Lesen, Schreiben und Schreib-Lese-Kopf bewegen), um alle Operationen der üblichen Computerprogramme zu simulieren.

Ok, aber was ist da jetzt besonderes daran? Das Besondere ist, dass der „normale“ Mensch, der Nachbar und die Tante ein intuitives Gefühl dafür bekommen können, wie Computer funktionieren. Zu viele kapitulieren davor, wenn man ihnen sagt, ein PC funktioniert mit Nullen und Einsen. „Aha“ dürfte die Standardantwort sein, begriffen wird eher die Tastatur.

In einer komplexen Welt ist es unmöglich, alles Detailwissen aufzunehmen, umso wichtiger ist es, grundsätzliche Strukturen erfassen zu können, die uns im Zustand des Nichtwissens einen Anhaltspunkt liefern, ob etwas generell möglich ist oder nicht. Sonst trifft das ein, was A. C. Clark etwas bedrohlich formuliert hat: „Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.“ , womit man dann mit dem Denken aufhören kann. Im Falle moderner Smartphones hat man den Eindruck, dass es bereits soweit ist. Trotzdem: Das grundlegende Prinzip ist simpel.

Konkret hat z.B. Christopher Langton eine kleine Turing-Maschine gebaut: die so genannte Langton-Ameise. Sie folgt einfachen Regeln: Am Anfang sitzt sie auf einem weißen Quadrat inmitten von anderen weißen Quadraten. Dann läuft sie los. Trifft sie auf ein weißes Feld, biegt sie nach links ab, trifft sie auf ein schwarzes Feld, biegt sie nach rechts ab. Jedesmal, wenn sie auf ein neues Feld kommt, wird die Farbe gewechselt. Das schaut dann nach ca. 10.000 solcher Entscheidungen so aus:

Irgendwann fängt also die fleißige, aber eher dumme Ameise (links-rechts, schwarz-weiß, ja-nein) ein Muster zu bauen, das völlig unvorhersehbar in einer immer gleichen Ameisenstraße (der „Rüssel“ rechts) bis in die Unendlichkeit geht. Sehr schön hier zu sehen, so ab 10.000 Schritten:

 http://th.physik.uni-frankfurt.de/~baeuchle/programmiert/ameise/

Was lernen wir daraus? Was schon oben steht: Simpelste Rechenanweisungen können zu unvorhersehbar komplexen, aber auch stabilen Strukturen führen. Im Falle eines PCs brauchen wir natürlich keine Ameisen-Algorithmen wie auf der Scheibenwelt, sondern welche, die mehr das erledigen, was wir möchten und keine verrückten Dinge machen. Aber: Es ist gezeigt, aus Chaos kann Stuktur entstehen.

Der zweite Punkt, der jetzt ein wenig den Bogen zu EsoWatch schlägt: Unser so genannter gesunder Menschenverstand hat schon immer ein Problem mit der „großen Zahl“. Wir haben keinerlei Gefühl dafür, was geschieht, wenn ganz viele einfache Entscheidungen in ganz langer Zeit zu welchen Ergebnissen führen können – darum ist Statistik ein so wichtiges Werkzeug.

Das erwähnte Programm oben, welches die Ameise laufen lässt, befindet sich in einem so genannten Phasenraum von 101 x 101 Quadraten; das hat der Programmierer so festgelegt. Sonst würde die Ameise, wenn sie ihre Straße mal gefunden hat, ins Unendliche so weiterziehen, und das wäre langweilig. So aber kommt sie, wenn sie den Rand erreicht, auf der gegenüberliegenden Seite wieder heraus.

Phasenraum heißt, dass es äußere Rahmenbedingungen gibt, die nicht zu überschreiten sind, weil es einfach so definiert ist oder die Naturgesetze nichts anderes zulassen.

Die Ameise läuft nun stupide eine Million mal in ihrem Phasenraum von 101 x 101 Pixeln rum, das schaut dann so aus:

Fleißig gearbeitet von der Ameise, schaut nach völligem Zufall aus. Jetzt wenden wir noch einen Trick an, denn wir sind viel zu nahe an den Nullen und Einsen – viel zu tief, um Struktur zu erkennen, also simulieren wir den Blick von weiter weg:

Plötzlich haben wir dadurch eine organisch wirkende Struktur, die uns seltsam bekannt vorkommt. Hier trennen sich nun die Wege von Esoterikern, Verschwörungsfans und eher nüchternen Menschen. Schaut man intensiv auf dieses Bild, erscheinen plötzlich kleine Männchen und seltsame Wesen, sogar ein Baphomet lässt sich erkennen. (Das menschliche Hirn ist – sozusagen auf Teufel komm raus – auf Mustererkennung trainiert. Spannend ist, dass wir hier wissen, wie das Bild entstanden ist; aus einem ganz einfachen Algorithmus und mit Sicherheit nichts „Unbewusstes“, keine geheimnisvollen Botschaften oder irgendwelche Menetekel darin enthalten sind, wir aber trotzdem etwas darin sehen.)

Der etwas reflektierendere Mensch, also der, der sich seines Mustererkennungsdrangs bewusst ist, kann aber auch was mitnehmen: Man kann intuitiv ahnen, wie eine DNS funktioniert. Dort haben wir nicht eine Ameise, sondern gleich vier. Und ganz viele Phasenräume. Man braucht nicht immer gleich irgendwelche intelligenten Schöpfer, Einhörner oder Schildkröten, um etwas zu erklären. Das können wir von Turing lernen, auch wenn man Mathematik nicht mag: Oft sind wir zu dumm, das Einfache zu verstehen.

4 Gedanken zu „Alan Turing zum 100. Geburtstag“

  1. Mit Mathematik hat die Turingmaschine eigentlich nichts viel zu tun. Eher mit Logik (die, zugegebener Maßen häufig als Teilgebiet der Mathematik angesehen wird aber das sollte man zu keinem Numeriker, Stochastiker oder reinen Mathematiker sagen).

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  2. @David: Das war doch ein Beitrag, der um Allgemenverständlichkeit bemüht war. Wenn die Spezialisten raunzen mögen, sollen sie es hier tun, es wäre wunderbar.

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