Kinderlähmung – Endspiel

Beim Schach versteht man unter dem Endspiel die letzte Phase der Partie, in der man mit reduziertem Material gegeneinander ringt. Nur mehr wenige Figuren sind auf dem Brett, aber die Komplexität hat nicht etwa abgenommen. In dieser Situation kann jeder kleine Fehler entscheidend sein.

Beim Kampf gegen die Kinderlähmung sind wir inzwischen auch im Endspiel angelangt; die letzten Züge werden gemacht, das Ende der Partie ist in Sicht. Und auch wenn der Sieg zum Greifen nahe ist, kann jetzt noch jeder Fehler die Partie verderben.

Momentan stehen wir bei 22 Fällen dieses Jahr; letztes Jahr zählte man im Vergleichszeitraum noch 48 Fälle. Wenig, nicht wahr? Trotzdem sollen in den nächsten Jahren 5,5 Milliarden US-Dollar in diesen Kampf fließen. Im Rahmen des „Impfgipfels 2013“, der letzte Woche in Abu Dhabi stattfand, wurde darüber gesprochen, wie man das Geld zusammenbekommt, um in diesem Endspiel der Krankheit keine Chance zu lassen. Bill Gates hat dazu dem Spiegel ein Interview gegeben, in dem er einige Fragen zur Zielsetzung und Umsetzung beantwortet.

Wir haben es zwar schon mal gebloggt, aber hier ein schönes Video zum Thema:


(Auf TED gibt es Untertitel in 24 Sprachen)

5,5 Milliarden US-Dollar sind eine Menge Geld. Eine ordentliche Menge Geld. Im Interview und auch grundsätzlich muss man die Frage stellen: Ist es das wert? Man könnte mit den Ressourcen einiges machen, eine solche Ausgabe muss man begründen. Und das kann man.

Dazu muss man zuerst einmal sagen, dass es nicht um diese wenigen Fälle geht, die jetzt noch vorhanden sind. Durch den stetigen Kampf gegen die Kinderlähmung wurden mehrere Hunderttausend Fälle pro Jahr auf einige wenige reduziert. Wenn man jetzt aufhört und sich zurücklehnt, wird die Krankheit wieder aufflammen, ähnlich wie z.B. die Masern in Europa. Auch hier schien ein masernfreies Europa in der nahen Zukunft zu liegen.

Aus den wenigen Fällen würden schnell wieder Hunderte und dann Tausende werden. All die harte Arbeit der letzten Jahrzehnte wäre schnell zunichte. Es geht also um die Millionen Menschen, denen in den letzten Jahrzehnten die Folgen dieser Krankheit erspart wurden, nicht um 22 Fälle.

Umgekehrt, wenn man jetzt noch einmal mit aller Kraft in den Endspurt geht, das Letzte gibt, ist die Kinderlähmung Geschichte. Ähnlich wie die Pocken Geschichte sind. All die Ausgaben der letzten Jahrzehnte hätten ihr logisches Ziel erreicht.

Der Nutzen ist aus ethischer Sicht trivial, davon abgesehen wird auch der Traum jedes Impfgegners wahr: die Impfung gegen die Kinderlähmung wird tatsächlich mit einem Schlage nutzlos, jeder Pharmafeind kann sich die Hände reiben, weil den bösen, bösen Pharmakonzernen nicht mehr jedes Jahr ein Vermögen für diesen Impfstoff in den Rachen gestopft wird.

Natürlich, heutzutage hat man es vor allem mit Kombinationsimpfstoffen zu tun, die unter anderem den Impfstoff gegen Polio enthalten, man spart also nicht exakt „einen Impfstoff“ ein; nichtsdestotrotz trägt der Impfstoff zu den jährlichen Gesundheitsausgaben des Staates bei. Es ist also auch im ökonomischen Interesse eines jeden von uns, diesen Kampf zu unterstützen. Daher hat Deutschland auch 150 Millionen Dollar (laut Spiegel 155 Millionen) für diesen Kampf zugesagt.

Dazu kommt, dass mit dem Geld auch eine Infrastruktur und Grundversorgung geschaffen wird. Ärzte suchen die ärmsten Gegenden der Welt auf, untersuchen die Kinder und die Erwachsenen die dort leben, schaffen ein Netzwerk, auf das man für weitere Versorgung bauen kann. Das Geld ist also nicht „verloren“ bzw. dient nicht nur dem einen Zweck, diese eine Krankheit zu besiegen. Ist die Kinderlähmung erst besiegt, wird man sich dem nächsten großen Feind, der Malaria, mit aller Kraft zuwenden.

Es ist ein Endspiel, dass wir gewinnen müssen. Es gibt kein Unentschieden in diesem Fall. Es gibt nur Sieg oder Niederlage.

1 Gedanke zu „Kinderlähmung – Endspiel“

  1. Die Kosten für Pockenimpfprogramme (und Therapiekosten) werden ja seit 32 jahren jedes Jahr und immer wieder eingespart- und so wird es auch bei Polio sein. Poliovirus Typ 3 gibt es seit mehr als einem halben Jahr nicht mehr in Asien, Typ 2 ist schon länger ausgerottet.

    Nur in Nordnigeria zirkuliert noch Typ 1 und 3.

    Es wird aber hart werden. Religiöse Eiferer haben in den letzten Monaten praktisch gelichviele Mitglieder von Impfteams (meist Frauen) erschossen wie es Polio Fälle gab.

    Hier einige Überlegungen zu den Kosten der Eradikation- wird sicher billiger (und keine Poliofälle mehr) als Kontrolle von Polio.

    http://www.expert-reviews.com/doi/full/10.1586/erv.12.128

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