Heute im Bio-Markt (1) – Ruby, my Dear

Das Wochenende steht vor der Tür und mit ihm die Einkaufsrunde durch die Supermärkte des Landes. Der Blick schweift über Regale und Kühltruhen, alles schön bunt hier, alles Bio, und doch – könnte in der schönen neuen Biowelt möglicherweise der eine imagesCAW7PHEUoder andere Wurm stecken?

Ein beherzter Griff in die Obstauslage, und in der Hand halte ich eine rotfleischige Grapefruit.

Als Sorte ist angegeben: Ruby Red, Rio Star oder Red Star, ganz egal. Herkunft: Israel. Schon stocke ich.

Na ja, Israel geht in der Ökobilanz noch in Ordnung, es hätte schlimmer kommen können, sagen wir: Florida, Texas, Südafrika, Lateinamerika. Israel liegt etwa auf einem Level mit anderen Hauptproduzenten für den europäischen Markt wie Spanien oder Zypern. Aber dann…

 

…folgt die Reise im Time-Tunnel, zurück in die Roaring Twenties, als alle Pampelmusen noch zartgelb oder allenfalls zartrosa waren. imagesCAXNUR1F

In Texas hatte jemand entdeckt, dass auf einem Baum für zartrosa Pampelmusen intensiv rotfleischige Exemplare gewachsen waren. Die rote Variante war so erfolgreich, dass sie die ursprüngliche zartgelbe Form praktisch völlig verdrängte. Sie hatte nur einen Nachteil: die rote Farbe war in der Kultivierung nicht stabil und bildete sich wiederholt zur zartrosa Ausgangsform zurück. Bis in die frühen Sixties war dem nur durch aufwändiges Kreuzen und Selektieren zu begegnen. Die Geschichte ist stark verkürzt in der englischsprachigen Wikipedia nachzulesen.

Auftritt der Kobaltkanone. Kobalt 60 ist ein radioaktives Isotop, ein starker und ziemlich ungemütlicher Beta- und Gammastrahler. Um 1960 herum bediente man sich der erbgutverändernden Eigenschaften dieser Strahlung, um eine Art Gentechnik mit dem Holzhammer zu betreiben. Saatgut und Pflanzgärten wurden bestrahlt, und das wenige, was diese Tortur überlebte, wurde auf mögliche nützliche Eigenschaften untersucht. Oder auch einfach nur als Gimmick verwertet, wie die Tomate in Bananenform. http://www.sueddeutsche.de/wissen/zucht-mit-radioaktiver-stralhung-die-atom-gaertner-1.1270439

Was hat das mit meiner saftigen Ruby zu tun? Eine ganze Menge: stabile rote Phänotypen der Pampelmuse Ruby Red (und ihrer roten Schwestern), die nicht ständig selektiert und zurückgekreuzt werden müssen, sind ein Ergebnis genau dieser Holzhammer-Gentechnik; und ja, das gilt auch für die mit Bio-Label.

Ja, ist das denn im Bioladen erlaubt? Allerdings, das ist es. Erzeugerverbände wie Bioland und Marktketten wie Alnatura und tegut untersagen zwar einerseits die gezielte Manipulation einzelner Gene des Saatguts und andererseits die Bestrahlung fertiger Lebensmittel. Produkte, deren Erbgut vor Jahren einmal einem Flächenbombardement härtester ionisierender Strahlung ausgesetzt war und bei denen kein Mensch wissen konnte, was dabei sonst noch herauskam, fallen dagegen glatt durch die Maschen. Gesetzliche Beschränkungen auf deutscher oder europäischer Ebene? Ebenfalls Fehlanzeige. Schöne neue Biowelt.

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Reis, Weizen, Hafer, Raps, Mais, Soja, Erdnüsse, Bohnen, viele Obst- und Gemüsesorten und Oliven mussten ähnliche Rosskuren über sich ergehen lassen. Es dürfte praktisch kaum zu garantieren sein, dass irgend ein Bio-Produkt dieser Erzeugnisklassen nicht auch einen Atom-Urahnen hat – als direkten oder eingekreuzten Vorfahren. Fast die gesamte Gerstenernte in Europa trägt eines von zwei Genen, die damals durch ionisierende Strahlung verändert wurden – damit sind sie überall, auch im Bio-Landbau, auch im Brotregal, in der Müslitüte, im Babybrei-Gläschen und selbst im Bio-Pils.

 

Und noch eines kann man, wenn man den Blick in die Non-Food-Abteilung wendet, ziemlich sicher sagen: die kleinen Fläschchen mit dem segensreichen Pfefferminzöl haben allemal eine Atom-(Mu-)Tante. Nahezu die gesamte Weltproduktion von Pfefferminzöl wird aus der Sorte „Todd’s Mitcham“ gewonnen, die unter dem Strahlungsbombardement zufällig (unter anderem?) eine Resistenz gegen eine Pilzerkrankung entwickelte. Es gibt einfach kein Entrinnen.

Zurück aus dem Time-Tunnel, in Sicherheit vor der tödlichen Strahlung des Kobalt-60-Isotops, stehe ich immer noch vor dem Obststand, die Pampelmuse in der Rechten wie Hamlet das Totenhaupt. Kaufen oder nicht kaufen, das ist jetzt die Frage, denn ich beginne, Aufsehen zu erregen.

Also gut, dieses eine Mal noch.

28 Gedanken zu „Heute im Bio-Markt (1) – Ruby, my Dear“

  1. Hat man damals so gemacht – soweit so bedenklich. Rückgängig machen kann man es wohl kaum noch. Was aber will uns der Künstler nun damit sagen, bezüglich des Hier und Jetzt?

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  2. Bernd :

    Hat man damals so gemacht – soweit so bedenklich. Rückgängig machen kann man es wohl kaum noch. Was aber will uns der Künstler nun damit sagen, bezüglich des Hier und Jetzt?

    Dass man das Versprechen, dort gebe es keine Gentechnik, nicht so ernst nehmen sollte.

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  3. „Bei Produkten des Ökologischen Landbaus ist der bewusste Einsatz der Gentechnik gesetzlich verboten.“
    Das kann man sicher frei interpretieren mit „dort gibt es keine Gentechnik“. Die Aussage „es gibt dort keine gentechnisch veränderten Produkte“ lässt sich daraus aber nicht ableiten.

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  4. nicht ableiten

    Aber sicher doch, Bernd: Da der Einsatz der radiologischen Gentechnik bewußt war, dürften sämtliche Pflanzen (und deren Teile), die jener Prozedur unterzogen und dann weitergezüchtet wurden, nicht als Produkt des Ökologischen Landbaus vertrieben werden.

    Rückgängig machen kann man es wohl kaum noch.

    Billiger Strohmann: Es gibt andere Sorten.

    btw: Ruby heißt Martha 😉

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  5. @ gesine
    Mit der Bestrahlung damals hat man aber – wenn ich das oben richtig verstehe – nicht gezielt verändert, sondern einfach draufgehauen und gehofft, dass was Brauchbares bei rauskommt. Es ist nicht bewusst an bestimmten, identifizierbaren Genen oder Eigenschaften herumgedoktert worden, das zählt nicht richtig. Außerdem ist es schon lange her, da zählt das auch irgendwie nicht mehr richtig. Aber schräg ist es schon.

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  6. Früher war alles Besser!…
    Warum dies Geschrey? Schließlich gibt es eine Jahrhundertealte
    bekannte Anwendeung der „Bio Gentechnik“ durch den konsequenten
    Einsatz des Safts der Herbstzeitlose (Colchicum autumnale).

    Die Herbst-Zeitlose oder Herbstzeitlose (Colchicum autumnale) ist eine Pflanzenart, die zur Familie der Zeitlosengewächse (Colchicaceae) gehört. Die Herbst-Zeitlose ist weit verbreitet. Ihr Gift wird in Medizin und Pflanzenzucht verwendet. Sie wurde 2010 zur Giftpflanze des Jahres gewählt.
    In der Pflanzenzucht verwendet man Colchicin zur Polyploidisierung und damit zur Vergrößerung von Zuchtpflanzen, wie zum Beispiel bei Erdbeeren. Diese Wirkung wird erzielt, da Colchicin die Mitose unterbricht, so dass sich die DNA-Menge im Zellkern bei jeder unterbrochenen Teilung verdoppelt, wodurch jede einzelne Zelle weitaus größer wird.

    Guckst Du: http://de.wikipedia.org/wiki/Herbst-Zeitlose

    Ps.: Die ganze böse Natur ist ein wenig erbgutverändernd.

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  7. nicht gezielt verändert, sondern einfach draufgehauen

    Ja sicher, gnaddrig, aber eben doch gezielt draufgehauen. Wenn ich das Sparschwein zerkloppe, ist das gezielt, auch wenn es nicht speziell um den dritten Groschen von links gegangen ist.

    schräg ist es schon

    Fällt aber blöderweise nicht um…

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  8. @Gesine: Das mit dem Sparschwein ist gut. Wusstest Du denn aber vorher, dass Geld in dem Sparschwein ist? Wenn nicht, hast Du einfach rumprobiert, und mit dem Groschen eben Glück gehabt.

    Um also mal des Teufels Advokat zu spielen: Wussten die Grapefruitzüchter damals, dass sie mit den Kobaltstrahlen an den Genen herumtrümmerten, oder hatten sie gar keine Vorstellung, wie die Mutationen zustande kamen? Wenn ersteres, war es natürlich schon nach damaligem Wissensstand (sehr krude, aber trotzdem) Gentechnik. Wenn letzteres, waren die Mutationen ins Rosafarbene Geschenke des Himmels, von denen man zwar wusste, wie man sie auslöst, aber nicht, wie sie funktioieren.

    Dann könnte man argumentieren, das war eben mit den damals bekannten Methoden gezüchtet, nach damaligem Kenntnisstand ohne Gentechnik, also biotauglich. Und für die heutige Biozertifizierung muss man sich nur anschauen, wie heute angebaut wird, und das ist ökologisch kontrolliert, ohne Strahlen und gentechnische Sperenzchen, also bio.

    Genauso machen sie es ja auch mit dem Geldadel. Raubtierkapitalisten haben im 19. Jh. großen Reichtum durch Ausbeutung armer Leute angehäuft Dieser Reichtum gilt heute gemeinhin nicht mehr als schmutzig, als unehrlich erworben,und die heutigen Nachfahren der Raubtiere gelten als honorige Leute mit hohem gesellschaftlichem Status. Was interessieren die Geschichten von damals. Gleiche hanebüchene Argumentation.

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  9. lieber gnaddrig, dem Artikel zu entnehmen ist, dass um 1960 rum mit der Kobatkanone die Experimente begonnen wurden. Ich nehme an, dass um die Zeit es bereits ein gewisses Wissen über Evolution, DNS und die erbgutschädigende/-verändernde Wirkung von ionisierender Strahlung vorhanden war.
    http://en.wikipedia.org/wiki/Radiobiology#History
    Kurz bei wikipedia nachgeschaut, 1926 die ersten Publikationen und 1946 den Nobelpreis in Medizin an Hermann Joseph Muller „für die Entdeckung, dass Mutationen mit Hilfe von Röntgenstrahlen hervorgerufen werden können“.
    Man sollte deswegen annehmen können, dass die harte Strahlung ziemlich absichtlich für den Zweck verwendet haben, um das Erbgut „gezielt“ zu verändern, da sie ja schöne rote Grapefruits erzeugen wollten.

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  10. @ forenschlaefer
    Menno, meins hatte vorher so schön plausibel geklungen, irgendwie, und jetzt kommt Ihr mir mit Tatsachen! Ich habe keine Lust, mir jetzt noch elaborierte Ausflüchte auszudenken, also streiche ich die Fahne und gebe zu, dass schon damals gezielt, wenn auch wenig präzise („Was passiert wohl, wenn ich hier drauf drücke?“) an den Genen herumgespielt wurde. Naja, Hauptsache die Grapefruit sind bio 🙂

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  11. Hey, ich wollte nur mal eine kleine Korrektur anstellen. Pampelmusen und Grapefruits sind, auch wenn sie im deutschen Sprachgebracht häufig als Synonym verwendet werden, unterschiedliche Früchte. Eine Grapefruit ist eine Grapefruit, sowohl im Deutschen als auch im Englischen. Das was wir im Deutschen als Pampelmuse heißt im Englischen Pamelo. Und das was wir im Deutschen als Pamelo bezeichnen ist eine Kreuzung aus Pampelmuse und Grapefruit.

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  12. Martha/Ruby

    Schönen Dank für das Schließen der Bildungslücke, Gisander – Thelonious läuft jetzt im Surf-Hintergrund.

    (Habe YT/TM extra noch mal angeklickt, der Kommentar wartet ja schon ein paar Tage.
    Schönen Dank übrigens ans Team für die überaus entgegenkommende Notlösung)

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  13. Habt ihr denn mal Kontakt zur Branche aufgenommen und angefragt, wie sie zu derartigen Kreationen (Holzhammer-Mutagenese) stehen? Das wäre ein Schritt, der euren Artikel oben in Richtung journalistischer Arbeit aufwerten könnte. Auch mal die Gegenseite zu Wort kommen lassen. Vielleicht seid ihr ja mal nicht nur gefühlt schlauer als alle anderen, sondern seid euch bestimmter Dinge bewusst, die man im Biomarkt oder bei Greenpeace tatsächlich noch nicht realisiert hat.

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  14. @ Dolge
    Nun ja, das hier ist ein Blog. Da kann man a) nicht den gleichen Rechercheaufwand erwarten, wie bei professionell be- und vertriebenen journalistischen Produkten und b) kann sich die Gegenseite hier selbst zu Wort melden, genauso wie Du es getan hast.

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  15. Bin mitnichten die „Gegenseite“, falls du das andeuten willst. Bei etlichen Themen finde ich die Rechercheleistung wirklich enorm, hier fehlt mir das irgendwie. Ich melde mich in der Regel bei Blog-Artikeln zu Wort, bei denen mir das intellektuelle Gefälle zum Rest zu groß ist, so wie auch hier. Zu meiner persönlichen Einstellung bezüglich Gentechnik und mutagener Züchtungen habe ich ja mehrmals schon angemerkt, dass ich keineswegs Extrempositionen vertrete, sondern sowohl Pro- als auch Contra-Argumente anerkenne. Soviel Ambivalenz musst du mir zugestehen, auch wenn das in Zeiten geschlossener Weltbilder natürlich ein seltener Luxus ist. In der Regel lese ich hier viele schlaue Sachen sehr heller Köpfe, da verstehe ich nicht, warum man sich bei einigen Themen mitunter auf einer intellektuellen Festung verschanzen muss, wenn es so einfach wäre, mal bei Verantwortlichen nachzufragen. Vielleicht ist da aber auch zu viel Anspruchsdenken dabei, im Grunde hindert ja auch niemand *mich*, einfach mal nachzuhaken. Andererseits kommt man als Privatperson sicher nicht ganz so weit wie als Vertreter eines aufgeklärten Blogs 😉

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  16. @Dolge: Wie man schon am Titel erkennen kann, ist das ein feuil­le­to­nis­tisch-ironischer Beitrag, der den Zwiedenk / fehlendes Wissen einer bestimmten Klientel auf die Schippe nimmt. Hier die Anforderungen an neutral berichtenden Jounalismus zu stellen ist – sorry – albern.

    Allen recht machen kann man es nicht. Ist ein Artikel eher locker-flockig geschrieben, wird mangelnder intellektueller Tiefsinn beklagt, schreibt man Richtung Studie, bekommen einige das große Gähnen.

    Und, wie Mephisto schon anmerkte, das ist ein Blog. Durchaus mal subjektiv, durchaus mal polemisch. Um größte Sachlichkeit ist man im Wiki bemüht.

    Du bist auch gerne eingeladen, hier für das Blog einen kritischen Artikel zu schreiben.

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  17. Ich habe diese Form von Kritik ja schon mehrfach geäußert. Ist einfach eine Art zu schreiben, die ich eher anderwo verorte als bei Psiram. Aber gut, ich werde mich diesbezüglich nicht mehr melden und meine Abneigung herunterschlucken.

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  18. Dolge :

    Ich habe diese Form von Kritik ja schon mehrfach geäußert. Ist einfach eine Art zu schreiben, die ich eher anderwo verorte als bei Psiram. Aber gut, ich werde mich diesbezüglich nicht mehr melden und meine Abneigung herunterschlucken.

    Warum herunterschlucken? Diese Art von Kritik ist doch völlig legitim und im Rahmen.

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  19. Diese Art von Zucht durch Mutation mittels Radiaktivtät war mir bekannt. Bei dieser Methode hat man keinerlei Ahnung, was alles verändert wird, aber das kümmert niemanden der Gentechnik-Gegner. Im Gegensatz dazu weiß man ziemlich genau, was man ändert, wenn man durch moderne Gentechnik ein zusätzliches Gen einschleusst. Das widerum ist in den Augen der Gentechnik-Gegner eine Totsünde.
    Manchmal muss man die Welt nicht verstehen…

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  20. Pingback: Psiram » Neulich, im Bio-Markt (3): Lebenslügen

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