Stellen wir uns ein großes Schwimmbecken mit vielen Kindern drin vor. Der Boden des Beckens ist höhenverstellbar, und aus irgendeinem Grund senkt er sich langsam. Kinder, die schwimmen können, finden das lustig. Die, die es nicht können, werden langsam panisch. Der Bademeister schmeißt den Nichtschwimmern Schwimmhilfen zu, die sie dankbar annehmen. Am Rande des Beckens sitzt ein Philosoph und fragt den Bademeister, warum er das tut. “Damit sie nicht ertrinken”, antwortet dieser. Der Philosoph erwidert: “Das ist doch nicht nötig. Mit dem Zappeln und Schreien wollen sie doch nur Aufmerksamkeit für sich erregen. Gehen Sie doch einfach einen Kaffee trinken, und wenn Sie in 10 Min. wiederkommen, wird alles ruhig sein.”
Auf solche Vergleiche kommt man, wenn sich gewisse Philosophen zu medizinischen Themen wie ADHS äußern, wie z.B. der Leipziger Philosophieprofessor Christoph Türcke heute in der Kulturzeit bei 3sat.
Wir lesen dort in der Einführung den gewohnten diffamierenden und undifferenzierten Unsinn (die übliche verantwortungslose, von Vorurteilen und mangelnder Sachkenntnis geprägte und stereotyp bis zum Erbrechen wiedergekäute journalistische Fehldarstellung einer seit Jahren gut beforschten neurobiologischen Störung, die für die Betroffenen behindernde Auswirkungen haben kann):
Die Epidemie verhaltensgestörter hyperaktiver Kinder, die sich auf nichts konzentrieren können wird in den USA, aber auch bei uns, immer häufiger mit Medikamenten therapiert. Sie werden mit Ritalin wieder auf Erfolg, sprich: Konzentration, programmiert.
Ein Bericht folgt, von verstörender, trauriger Oberflächlichkeit. Geschenkt, dass man nicht zwischen Wirkstoff und Markennamen eines Medikamentes unterscheidet. Man wundert sich dort aber, dass Manager Ritalin schlucken und Kinder damit ruhig gestellt werden sollen. Man findet das paradox (im anklagenden Ton). Von Parkinson und Drogenabhängigkeit wird auch geraunt. Spätestens jetzt ist klar, welch medizinischer Fachverstand vorliegt, nämlich keiner. Anschließend beginnt das Interview mit Herrn Professor Türcke.
Der Herr Philosophieprofessor hatte wohl ein typisches alliterierend-assoziatives, überwältigendes Erleben einer Spontanerkenntnis: Unsere Welt verlangt immer mehr Aufmerksamkeit, die wir auf immer mehr Einzelereignisse verteilen müssten. Das gibt zusammen ein Defizit der Aufmerksamkeit für das Einzelne, und damit ist – Heureka! – die Ursache für ADHS gefunden und wir schreiben flugs ein Buch darüber. Wir müssen unseren Kindern einfach nur mehr Aufmerksamkeit schenken, dann wird alles gut. Wer solche Kurzschlüsse (im wahrsten Sinne des Wortes) zieht, dem fliegt normalerweise schon seine Diplomarbeit um die Ohren (wenigstens bei den Nicht-Philosophen) und man bekommt danach ev. noch eine Praktikantenstelle in der Abteilung für Allgemeinplätze.
Die Welt ist seltsam. Wenn ein Dachdecker ein Buch über Cloudcomputing schreiben würde – man wäre zumindest skeptisch, was seine Fachkompetenz betrifft. Schreibt ein Philosoph ohne jegliche medizinische Ausbildung etwas über eine klare neurobiologische Störung, hängen auch sonst so kritische Journalisten wie Tina Mendelsohn von der “Kulturzeit” fasziniert an seinen Lippen. Und man tritt damit mal wieder alle wirklich Betroffenen, Kinder wie Eltern, feste in die Eier, indem man ihnen verklickert, was für Rabeneltern sie sind, ihre Kinder mit schlimmen Drogen vollzupumpen.
Besonders schlimm: Der öffentlich-rechtliche Journalismus macht sich zum wiederholten Male zum Büttel dubioser Interessenvertretungen und sie merken es noch nicht mal. Betroffen und rehäugig gucken reicht nicht für guten Journalismus, Frau Mendelsohn!
Infos zur Ritalinkritik:
https://www.psiram.com/de/index.php?title=Ritalin
Eine seriöse Anlaufstelle zu AD(H)S:
http://www.zentrales-adhs-netz.de/
und hier die aktuelle Stellungnahme zu Fehlinformationen in der Presse:
http://www.zentrales-adhs-netz.de/uploads/media/Fehlinformationen_der_Presse_zur_ADHS_Mrz_01.pdf
Ich hab nie verstanden, warum sich Journalisten und Philosophen nicht primär beim Zentralen ADHS-Netz oder dem dazu gehörigen Infoportal schlau machen, wenn sie sich schon gedrängt und berufen fühlen, über ADHS hzu schreiben:
http://www.adhs.info/
So ein kleiner Klick auf den richtigen Link würde doch dem Philosophen Türcke die Peinlichkeit ersparen, ein ganzes Buch am Thema vorbei zu schreiben…:
„si tacuisses…“
Darüber hinaus verweise ich auf die brandaktuelle Stellungnahme des zentralen ADHS-Netzes zur verzerrten Medienberichterstattung bezüglich ADHS, welche sich zum Ausführungsgehilfen von unwissenschaftlichen Außenseitermeinungen macht:
http://www.zentrales-adhs-netz.de/uploads/media/Fehlinformationen_der_Presse_zur_ADHS_Mrz_12.pdf
> „Wir müssen unseren Kindern einfach nur mehr Aufmerksamkeit schenken dann wird alles gut.“
Dazu fällt mir Frank Furedi ein: „Each day, a working mother in the twenty-first century in Britain spends two to three hours more looking after her children than a mother who stayed at home in the 1970s.“
Das wird im restlichen Westen nicht anders sein.
Wir brauchen dringend eine wissenschaftliche Grundausbildung in allen Studienfächern, damit solche Leute ihre Pseudokausalitäten erkennen.
Ohne Frage wäre das enorm wichtig. Aber gerade ein Philosoph müsste in diesem Bereich besonders sensibel sein, Schlüsse und Fehlschlüsse kategorisieren zu können. Das macht die Sache besonders seltsam.
Die fehlende Sachlichkeit, welche sie Türcke vorwerfen, fehlt auch in diesem Beitrag. Es mag sein, dass die ganze Sendung ein falsches Bild von ADHS vermittelt. Jedoch unterstellen sie Türcke etwas, was er nicht gesagt hat. Er behauptet in dem Interview nicht, dass Ritalin einfach nutzlos wäre. Er Argumentiert, dass in vielen Fällen die Ursache für ADHS in einer mangelnden Aufmerksamkeit der Umwelt(zuvorderst der Eltern) gegenüber Kindern liegt. Ob die medikamentierung mit Ritalin sinnvoll ist hängt vom Einzelfall ab.
Selbst einem Pseudodenker wie Türcke müsste auffallen, dass eine solche Argumentation in sich widersprüchlich und damit für eine reale Welt ungeeignet ist.
Denn wie könnte es sinnvoll sein, Kinder mit „Ritalin“ zu behandeln, wenn die Ursache ihrer Probleme in sozialen Beziehungen der Umwelt zu ihnen liegt? Nein, diese Diagnose der ADHS-Ursachen hat ganz klar eine Ablehnung einer medikamentösen Behandlung zu Folge.
Türcke ist ein zweiter Hüther. Sein Quotient von Sachkenntnis zu Geltungsbedürfnis ist ebenfalls Null, aus gleich zwei Gründen. Solchen Figuren sind gescheiterte Existenzen ganz und gar wurst, wenn sie nur in den Oberschichtmedien ihr dummes Zeug verbreiten dürfen.
Danke für den Blog. Vielleicht wird dadurch einem Kind weniger die richtige Diagnose vorenthalten.
jo, ich hab selbst ADHS , muss dazu aber folgendes sagen:
Eine medizinische und philosophische Betrachtung des Themas ist kein Widerspruch, mE sind die zwei Sichtweisen auf das Syndrom beide zu sehen:
– Medizinisch ist das ganze eine neurochemische Besonderheit, es kann aber nicht als Krankheit bezeichnet werden, im besten Falle ist es eine „Behinderung“
So, philosophisch:
– Man geht davon aus dass 5% aller Männer und Jungen als ADHSler zu bezeichnen wären (bei Mädchen wohl etwas weniger)
– Die Probleme die ADHS mit sich bringt, sind ganz klar durch die Umstände der Gesellschaft bestimmt. Ich zumindest bin halt kein Büro/Schul/Uni-Mensch, aber praktische Projekte durchziehen, viel Bewegung – das entspricht halt meinem Typ, damit ‚befriedige‘ ich sozusagen das ADHS – und zwar ohne Medikamente.
Und da genau liegt der springende Punkt: Man kann das MPH unterstützend einsetzen um ADHS-unpassende Situationen (bspw. Schule) etwas abzumildern. Nur sein ganzes Leben auf die Wirkung einer Pille aufzubauen, halte ich persönlich für falsch. Am Ende landen die ADSler in Bürojobs, die nur mit MPH auszuhalten sind, anstatt etwas zu tun, was dem eigenen Typus entspricht.
Und das ist glaube ich mein Kernproblem an ALL diesen ADHS Diagnosen: Die Quintessenz dass man uns irgendwie heilen müsste. Wenn Leute richtig krasse Probleme haben, benötigen die Hilfe. Aber die Gefahr besteht eben, dass man ‚milden‘ ADSlern in der Kindheit die Möglichkeit nimmt eigenen Kompensationsmechanismen und Lebensstrukturen aufzubauen…
Wann war Tina Mendelsohn denn jemals etwas, das man als „kritische Journalistin“ bezeichnen konnte? Ich könnte mich nicht entsinnen.
so sehr ich generell die Idee teile, dass Schuster bei ihren Leisten bleiben sollen, so sehr muss ich leider auch diagnostizieren, dass die Kritik hier auf einer Doppelmoral beruht — weshalb, streng tautologisch, es in den Augen mancher Esowatcher letztendlich nie möglich sein wird, dass sich, wie hier geschehen, ein Kulturwissenschaftler einem Gegenstand wie AD(H)S widmet, der leider Gottes nunmal auch kulturelle Dimensionen hat (weshalb eine Aussage wie „klare neurobiologische Störung“, s.o., zwar richtig, aben eben nur die halbe Wahrheit ist).
Warum Doppelmoral?
Weil zum einen die Devise gilt, dass sich Esowatch der populären Verbreitung „des“ aktuellen Stands „der“ Wissenschaft verschrieben habe. Man macht es daher z.B. Nicht-Hirnforschern zum Vorwurf, wenn sie sich nicht ausreichend bei der Hirnforschung informiert haben: „der Philosoph da, der liest ja gar keine neurobiologischen Journals“.
Zum anderen verhält es sich aber auch so, dass, wenn jemand als Fachfremder mal ernsthaft z.B. Neurobiologie rezipiert (wie Türcke, obgleich ich ihn nicht verteidigen will, das ganz offensichtlich getan hat, wie man an u.a. seinem neurobiologisch gesättigten Artikel in der SZ gerade sehen konnte), wenn jemand also den heute löblicherweise zunehmend üblichen interdisziplinären Wissenstransfer leistet und z.B. Erkenntnisse der Hirnforschung kulturwissenschaftlich weiterdenkt — dann ist das auch wieder nicht recht, dann heißt es: „da schreibt einer, der keine Ahnung hat“.
Oder sehe ich das falsch? Was genau wünscht ihr euch von einem wie Türcke? Dass er sich umhabilitiert und reine Neurobiologie betreibt? Dass er aufhört, „euren“ Gegenstand aus „seiner“ Sicht zu analysieren? Und warum macht ihr dasselbe nicht denjenigen Neurobiologen — Roth, Singer… — zum Vorwurf, die sich dem radikalen Konstruktivismus übelster Sorte verschrieben und im Laufe ihrer Karriere eine Nebentätigkeit als Philosophen aufgenommen haben?
@ Hans Olo:
Was sind denn deiner Meinung nach „milde ADHSler“?
Die Frage einer entsprechenden Diagnostik stellt sich doch erst, wenn Kinder irgendwie nicht klarkommen – und dabei sind Zappeligkeit und Impulsivität nun gerade nicht stereotyp als ADHS-verdächtig anzusehen.
Medikamente werden auch nicht „einfach so“ eingesetzt, sondern in einem multimodalen Therapiekonzept, wenn es sich als notwendig erweist und tatsächlich deutlich positive Effekte hat.
Zu den Grundbedingungen einer ADHS-Diagnose gehört, dass die Symptomatik beeinträchtigend in mehreren Lebensbereichen auftritt.
Es geht genau nicht darum, den Kindern mit dem Medikament primär die Schule erleichtern zu wollen – wer das denkt, ist der üblichen Propaganda schon zum Opfer gefallen.
ADHS-Kinder haben es aufgrund ihrer Impulsivität und eingeschränkter Selbstwahrnehmung sowie oft extremer Irritierbarkeit in allen Bereichen sozialen Lernens schwer und werden z.B. auch beim Sport und in der Peer-Group schnell zum Außenseiter.
Das Medikament hilft ihnen, etwas mehr Abstand zu den eigenen extrem emotionalen Bewertungen zu finden und der jeweiligen sozialen Situation angemessener zu reagieren – das Erkennen und Umlernen wird also erleichtert.
Hier wird deutlich, wie wichtig die Psychoedukation bzw das Elterntraining in Kombi mit der Medikation ist.
ADHS hat man sein Leben lang – ob mit oder ohne Medikament.
Mit Medikament gelingt es aber häufig besser, seinem ADHS nicht ausgekliefert zu sein, sondern sein Leben aktiv zu gestalten.
ADHSler werden von sich aus nie freiwillig die „Bürojobs“ wählen, die du ins Feld führst.
Leider beinhalten aber sehr viele Berufe mittlerweile ein hohes Maß an lästigen administrativen Aufgaben, an denen ein ADHSler in einem an sich geeigneten Beruf scheitern kann.
@braineater,
Das Problem interdisziplinär zu betrachten, ist an sich nicht falsch, wenn es denn auch wirklich interdisziplinär wäre. Dazu müsste man aber auch beide Aspekte (sowohl den neurobiologischen als auch den kulturell-philosophischen) replizieren, was Türck von vorn herein vermeidet. Beides betrachtet, wäre vielleicht sogar ein richtig guter Beitrag herausgekommen. So aber muss er sich den Vorwurf gefallen lassen, zu kurz zu greifen und oberflächlich zu argumentieren.
@Braineater
Was ich mir wünschte ist, daß der Philosoph bitte auch zu seinen Themen, in denen er sich auskennt stellung bezieht und icht zu den Themen, von denen er keinerlei Ahnung hat. Sicherlich gibt es beim Thema auch kulturelle und Gesellschaftliche Probleme und Fragestellungen (z.B. wie gehe ich mit Straftätern um, bei denen eine solche Erkrankung festgestellt wird). Aber zu postulieren, eine philosophische Betrachtungsweise eines Themas sollte direkten Einfluß auf die Behandlung einer Krankheit haben (im Sinne von: wir können es gut behandeln, lehnen das aber ab, weil unser Weltbild das nicht zuläßt) find ich schon irre.
Geht´s noch? Menschen leiden und der Gesellschaft entsteht ein Schaden und wir können diese Erkrankung in vielen Fällen gut behandeln, wollen das aber nicht, weil das unethisch ist (wobei es nur deshalb in den Augen des Autors unethisch ist, weil er medizinisch offensichtlich einiges nicht verstanden hat)?
Also da platzt mir bald der Kragen. Das ist ähnlich gut, wie die demokratische Abstimmung über Naturgesetze…..
Ich wünsche mir, daß er bei seinen Leisten bleibt (z.B. einer ethischen Sicht auf den Umgang mit Erkrankten) und keine „Therapiekonzepte“ entwirft (es sei denn, er bildet sich ausreichend in der Medizin).
Wieso wird auf Esowatch derzeit ein solches Ritalin-Kritik-Bashing betrieben?
Dass der Bericht unseriös ist: keine Frge. Nebst tausend anderen. Und ja, es WIRD zu häufig Ritalin verschrieben, als notwendig. ADHS (Eigentlich HKS, Hyperkinetische Störung) ist eine praktische Diagnose, die überdurchschnittlich häufig bei Familiären Problemsituationen gestellt wird. Die Wirksamkeit von Ritalin setzt sich in den meisten dieser Fälle aus zwei Faktoren zusammen: Placebo-Effekt und geringer Verschreibungsdosis.
Zu behaupten, dass es kein HKS gäbe, ist natürlich falsch. Die Ansicht dieses Philosophen ist aber zumindest für die meisten Verschreibungs-Fälle interessant. Wenn das Kind das Problem hat, ist das vielleicht eben doch nur Symptom eines Familiären Problems. Mehr Aufmerksamkeit dem Kind gegenüber könnte wenigstens zur Entspannung führen, wenn nicht sogar zur Reflektion.
Ich für meinen Teil bleibe Ritalingegner. Nicht pauschal, ich kenne genug Fälle, in denen es absolut notwendig ist. Und natürlich werden die echten HKS-Fälle dank steigender Aufmerksamkeit häufiger auftauchen. Was dadurch allerdings auch steigt ist die Verfügbarkeit einer bequemen Ausweg-Diagnose, die einfach nicht zu entschuldigen sind, punkt. Denn dann wird schlichtweg ein Kind unter Drogen gesetzt.
(Ach und was mir hier auch abgeht: Ritalin, also Methylphenidat, ist ein Amphetamin-Derivat. Besser bekannt als Speed. Ja, wir reden hier von richtigen Drogen.)
@ Braineater:
Es wäre schon viel gewonnen, wenn Kulturwissenschaftler, konstruktivistische Pädagogen, Systemiker und Psychoanalytiker bei ihren Betrachtungen einbeziehen würden, dass ca 5% der Bevölkerung nachgewiesenermaßen eine spezielle neurobiologische Verdrahtung haben, die ihnen nicht durch das gesellschaftliche Umfeld anerzogen wurde, sondern in die Wiege gelegt.
Nach Kenntnisnahme und Anerkennung dieser Tatsache (!!!) eröffnet sich für die Vertreter der o.g. Disziplinen ein weiter Raum zu erforschen, welche Konsequenzen etwa diese anders geartete Neurobiologie und Informationsverarbeitung für die Betroffenen selbst in unterschiedlichen Settings hat.
Falsche Grundannahmen führen leider zu falschen Schlussfolgerungen – im Fall Türcke deutlich daran zu erkennen, dass er „Aufmerksamkeitsdefizit-Störung“ peinlicher Weise offenbar gleich setzt mit „Kind will mehr Aufmerksamkeit“.
Es kann nicht oft genug betont werden, dass es mittlerweile eine Fälle von Infoportalen zu ADHS im Web gibt.
Man muss sich also nicht umhabilitieren, um diese neurobiologische Disposition zu verstehen.
Wer meint, diese Informationen nicht zu benötigen und stattdessen haltlose Spekulationen verbreitet, macht sich m.E. mitschuldig an der Diskriminierung und dem ohnehin oft schon großen (auch gesellschaftlich mit verursachten) Leidensdruck der betroffenen Familien.
@doublemoth „Wir brauchen dringend eine wissenschaftliche Grundausbildung in allen Studienfächern, damit solche Leute ihre Pseudokausalitäten erkennen.“
Es wäre schon einmal ein Anfang, wenn Mediziner so eine Ausbildung verpflichtend im Studium absolvieren müssen… http://goo.gl/FV5oe
1. Es wird kein Bashing betrieben.
2. Woher weißt Du, daß zu häufig Ritalin verschrieben wird (bitte links zu Studien)?
3. Welche Fachausbildung hast Du, daß Du hier einen völlig abstrusen „Wirkmechanismus“ wider aller wissenschaftlicher Erkenntnis postulierst?
4. Nein, Du magst Ritalingegner bleiben, aber in erster Linie bist Du unwissend und lernbehindert ( es gibt genug Studien, die man sich anschauen kann und aus denen man lernen kann, aber Du bist offensichtlich nicht in der Lage, das zu tun).
@ Mercury:
Leider nein!
1. heißt es schon lange nicht mehr HKS, weil damit nur ein auffälliges Merkmal der ADHS, nämlich die motorische Unruhe mancher (!!) Betroffener beschrieben wird.
Es gibt aber eine ganze Gruppe AD(H)Sler, die hier gar nicht auffällig sind, aber andere deutliche störungstypische Beeinträchtigungen zeigen.
2. dass Problemfamilien betroffen sind, trifft nur teilweise zu:
Die ADHS ist nicht schichtspezifisch, und eine mehrfach von ADHS betroffene Familie (womöglich noch über mehrere Generationen) kann sich tatsächlich zu einer „Problemfamilie“ entwickeln, einfach weil alle unter ihrer beeinträchtigten selbststeuerung leiden und sich jeder kleine Konflikt zum Orkan hochschaukeln kann.
3. die Wirkung von Methylphenidat liegt – im Gegensatz zu den meisten Psychopharmaka, insbesondere Antidepressiva – sehr deutlich über Placebo.
Es handelt sich um eines der am längsten angewendeten, best beforschten und vergleichsweise sehr nebenwirkungsarmen Medikamente – entgegen allen immer wieder durch die Presse gejagten Unkenrufe.
Der Vergleich mit Speed ist einfach nur kontraproduktiv, weil die Pharmakokinetik ähnlich gebauter Substanzen aus verschiedenen Gründen sehr unterschiedlich sein kann.
Bei sachgemäßer Anwendung tritt keine auch nur entfernt vergleichbare Wirkung auf.
Die gewollte Gleichsetzung MPH = Speedähnlich = Droge ist ein beliebtes rhetorisches Mittel der scientologischen Ritalinkritik.
…..
Liebe Mods, irgendwie funzen die Umlaute und Sonderzeichen in meinem letzten Posting nicht. Kann man das noch ändern? – Ich weiß, es ist mühsam 🙁
@Mercury,
MPH als Droge, als Speed zu bezeichnen ist genauso blöd, als wenn man morphinhaltige Schmerzmittel als Heroin bezeichnet.
Der Unterschied zum illegalen und nicht bestimmungsgemäßen Gebrauch ist die Indikation, Dosierung und Darreichungsform. Sonst kann man schlicht jedem Medikament unterstellen, es wäre eine Droge. Und es klingt in dem Zusammenhang albern, wenn man bspw. behauptet, man wäre ein Acetylsalicylsäuregegner.
Eben genau darum HKS: Ritalin wird nur gegen Hyperaktivität, nicht gegen alle Fälle von ADS verschrieben. (Und HKS bezeichnet eben die klinische Hyperaktivität.)
Placebo-Effekt: Natürlich liegt die Wirksamkeit höher. Wie gesagt gibt es ja genug Fälle von HKS, die auch behandelt werden.
Nein, Statistiken hab ich keine, weil ich mich nicht vornehmlich mit Ritalin bzw. desse Missbrauch beschäftige. Ich habe meine Meinung kundgetan, dazu sind die Kommentare ja da. Mehr nicht.
Nur kurz zu Fachausbildung: Ich garkeine. Machen ein paar bekannte Neurologen und Psychologen (darunter Kinderpsychologen, die sich selber über Kollegen wegen ihrer Ritalin-Praktiken beschweren), auf deren Auskunft meine Meinung maßgeblich basiert, aber wett. Dazu noch ein paar persönliche Erfahrungen, und ja, die sind wissenschaftlich nicht haltbar. Darum nenne ich das hier auch nur eine Meinung.
Ich habe das Buch nicht gelesen aber ich vermute, dass tatsächlich viel Unwissen verbreitet wird. Trotzdem:
„… über eine klare neurobiologische Störung“.
Schön wäre es, wenn das so klar wäre. In der Praxis wird ADHD zumeist äussert fahrlässig diagnostiziert und ein trennscharfes neurobiologisches oder behaviorales Kriterium fehlt noch immer, auch wenn einige wissenschaftliche Artikel das suggerieren.
„Der öffentlich-rechtliche Journalismus macht sich zum wiederholten Male zum Büttel dubioser Interessenvertretungen…“
Welche Interessen vertritt denn der Autor? Die der Philosophieindustrie? Wenn man in diesem Zusammenhang von Interessenvertretungen sprechen möchte, dann MUSS man eindeutig die Pharmaindustrie nennen, die eindeutig von ADHD-Boom am meisten profitiert.
@ Mercury:
Leider falsch informiert oder einer Ideologie aufgesessen. Bitte die o.g. Info-Portale bemühen.
Na, darf ich raten: Herr Schmidt, Herr v. Lüpke, Herr Bonney?
Sehen Sie, Mercury, das ist der Grund, warum das Zentrale ADHS-Netz in seiner jüngsten Stellungnahme zur Medienberichterstattung darauf hinweist, dass man unwissenschaftlichen Einzelmeinungen kein Gehör schenken soll.
@ Remo Meyer:
Bitte lesen auch Sie die Stellungnahme des Zentralen ADHS-Netzes, die sich speziell mit Ihrem Einwand
auseinander setzt.
http://www.zentrales-adhs-netz.de/uploads/media/Fehlinformationen_der_Presse_zur_ADHS_Mrz_01.pdf
Die von Ihnen geforderte „Trennschärfe“ (im Sinne von „ist dies nun eine Fraktur oder nicht?“) gibt es übrigens nicht nur bei anderen psychischen Erkrankungen nicht, sondern auch in der gesamten somatischen Medizin geht es darum, ausgehend von einer Anzahl von ähnlichen Symptomen die differenzialdiagnostisch wichtigen Fragen zu stellen.
Hier wird doch nur auf dummes Ritalin-Bashing reagiert. Frag die Medien, warum seit Jahren sämtliche wissenschaftlichen Erkenntnisse bez. ADHS größtenteils ignoriert werden
Genau das gibt die Öffentliche Meinung wieder. Kling gut, nur ist sie halt falsch. MPH wird nicht „einfach so“ verschrieben. Alleine wegen dem Bohei mit dem BTM tut sich das keiner „einfach so“ an. Diese Verschreibung liegt am Ende einer langen Diagnose- und Behandlungskette, in der natürlich alle anderen Mittel versucht und ausgeschöpft wurden.
Solche Sätze wie „einfach ein bisschen mehr Aufmerksamkeit widmen“ empfinden Betroffene nur als extrem zynisch – die haben das ggf. alles und viel mehr schon lange gemacht. Das ist so, wie wenn man einem Blinden sagt, er soll halt gefälligst die Augen aufmachen – so schwer kann das ja nicht sein -, wenn er gegen eine Wand läuft.
Und genau das wird dauernd in den Medien kolportiert, findet aber üblicherweise nicht statt.
MPH wirkt nicht als Droge, weil es viel zu langsam anflutet, wenn man es nicht gerade intravenös spritzt.
Und Studien belegen klar, dass ADHSler mit MPH behandelt deutlich weniger gefährdet sind, eine Drogenkariere hinzulegen.
Ritalin is a drug- definitiv.
Und korrekt übersetzt heißt das: Ritalin ist ein Arzneimittel. Und hat wie jedes Arzneimittel eine belegte Wirksamkeit und Unbedenklichkeit, d.h. der Nutzen überwiegt die Risken.
Und wenn eine Indikation zur Therapie gegeben ist, soll man es auch anwenden, solange keine Kontraindikation besteht.
Das sollte man ganz emotionslos sehen.
Und der Philosoph sollte sich mal ein paar basics aneignen bevor er Interviews gibt, wobei ich mir nicht klar bin, ob Logorrhoe behandelbar ist.
das würde mich auch interessieren. Was ich mich allerdings auch frage, ist, wie sinnvoll es ist, die Gegendarstellungen zu solchen Berichten ausschließlich auf prinzipiell öffentlichen, faktisch aber relativ abgeschlossenen Plattformen wie EW zu positionieren, wo sie vor allem von solchen Leuten rezipiert werden, die, Überraschung, sich selbst längst zum EW-Umfeld zählen und daher gar nicht missioniert werden müssen.
Ich kenne den Anteil an Wissenschaftlern in der EW-Kernmannschaft nicht, aber eigentlich wäre es doch angezeigt, anderen Wissenschaftern, die eures Erachtens Unwissenschaftliches verbreiten, dort entgegenzutreten, wo man sie auch wirklich antrifft — in den Plattformen der wissenschaftlichen Community. Warum rezensiert nicht jemand von Euch mal Türckes Buch nach den wissenschaftsüblichen Rezensionsstandards, stellt sich also der Diskussion? Von hier unten aus, wo einen keiner hört, lässt es sich immer leicht meckern.
Ebensowenig kenne ich den Anteil der Journalisten unter den EWlern, aber auch die hätten m.E. den Auftrag (vielleicht sogar die Kompetenz), in ihren jeweiligen Betätigungsfeldern eigene Beiträge zu der Debatte, von der Türckes Buch ja nur ein kleines Element ist, zu liefern. So wie ich das sehe, geschieht das bislang nicht. Zumindest an eine EW-Schlagzeile wie »Sensation! Fernsehsender liefert wissenschaftlich fundierten Bericht zu AD(H)S« kann ich mich nicht erinnern. Man mag mir jetzt entgegnen, »die Medien« interessierten sich nicht für objektive wissenschaftliche Erkenntnis, wollen stattdessen lieber Panik verbreiten etc. — sorry, eine Verschwörungstheorie sondergleichen, die sich aber leider auch auf EW regelmäßig findet, siehe hier:
Als betroffener ADSler kann ich nur den Kopf über besagten Philosophen und einige Kommentatoren schütteln.
Einem ADSler mangelt es nicht an Aufmerksamkeit !
Es mangelt ihm an der Fähigkeit, seine Aufmerksamkeit über längere Zeit auf eine Sache zu fokussieren.
Solange mit den falschen Prämissen an ADS heran gegangen wird, solange braucht man mit solchen Menschen,wie Prof. Christoph Türcke gar nicht erst diskutieren !
@Braineater: Wer sagt denn, dass das, was Du kritisierst, nicht auch geschieht? Esowatch ist eine Veranstaltung von Freiwilligen, wo jeder einen hauptberuflichen Job hat. In dem er dann ggf. auch mal entsprechend agiert. Nur wird das hier mit Sicherheit nicht ausgebreitet. Lobende Beiträge gabs hier übrigens auch schon.
Dass Medien zu einem großen Teil tatsächlich ein massives Problem haben, wissenschaftlich objektiv zu berichten, dazu muss man glaube ich keiner VT anhängen, das ist so täglich zu beobachten. Die Gründe sind eher banal, Geld, Zeit und halt oft fehlende einschlägige Bildung.
„Nein, Statistiken hab ich keine, weil ich mich nicht vornehmlich mit Ritalin bzw. desse Missbrauch beschäftige.“
Nett, Herr Quecksilber, oder beser Quacksalber….. Alos, Sie sagen: „Ich habe keine Daten, ich hab kein Wissen, aber ich WILL, dass es so ist…..!!!!!einself“
Sorry, aber dadurch entlarven Sie sich selbst als Quark……
ich will hier niemandes Bemühen in Abrede stellen — ich sage nicht, dass es [also wissenschaftlich fundierte Berichterstattung statt antiaufklärerischer Panikmache] in den mainstream-Medien gar nicht geschieht, aber der Anteil ist ganz offensichtlich nicht statistisch signifikant, denn ansonsten käme man ja nicht zu pauschalen Diagnosen wie »die Medien ignorieren…«; »die Medien sind Büttel dubioser Interessenvertretungen…« etc.
Und was Türckes Buch angeht (das scheinbar keiner von uns gelesen hat, obwohl es eine wesentlich angemessenere Diskussiongrundlage wäre als dies olle Interview mit einer uninformierten Moderatorin): das wird sich, wie alle wissenschaftlichen Veröffentlichungen, eben im Feld der Wissenschaft bewähren müssen. Wenn da tatsächlich Unwissenschaftliches drinsteht, wird die Gemeinde in den Rezensionen entsprechend reagieren. So läuft der Laden.
Als selber aus den sog. Geistes- und Sozialwissenschaften kommend kann ich aus Erfahrung leider nur bestätigen: „man“ maßt sich gerne mal ein Urteil über alles an.
Soziale Dimensionen von Medizin, Wissenschaft etc. alles richtig und wichtig. Dann aber viel zu oft nur Allgemeinplätze, Vorurteile, Bauchgefühl. (Gibt’s anders herum genauso, aber das ist ein anderes Problem…).
Was mich persönlich nervt ist die gähnende Langeweile und die Innovationslosigkeit, die damit einhergeht. Hätte einer wie Türcke eine echte (geistes)wissenschaftliche (oder echt philosophische, also sokratische) Agenda, wäre er nicht bereits mit der Prädisposition „erfundene Krankheit“ (oder wie immer „man“ es nennt) eingestiegen. Dann hätte es ein diskutables Programm gegeben; etwa eben das Verhältnis von Kultur und Krankheit.
Aber so: einfach nichts…
Danke wieder mal an einen „Kollegen“ für diesen echt tollen, entwickelbaren, anregenden, gut explizierten Denkanstoß!
Den letzten Satz finde ich auch nicht besonders gelungen. „Büttel von …“ Das ist eigentlich falsch, bzw. das Wort „unfreiwillig“ müsste noch vorkommen. Aber egal, das ist doch ein Blog, und der Artikel offenbar eine spontane Reaktion auf diese Sendung.
Natürlich läuft der Laden so. Im wissenschaftlichen Bereich. Aber eben halt nicht im medialen. Und so, wie ich den Artikel hier verstehe, geht es eben nicht um Türckes Buch (Der darf und soll schreiben, was er will), sondern den völlig naiven Umgang einer Redaktion damit. ADHS Betroffene sind eh schon geschlagen genug, warum muss man da nochmal eine Keule auspacken und den offensichtlichen Unfug nachbeten? Ein halbwegs fitter Redakteur könnte sich – ohne auch nur die geringste Ahnung von ADHS zu haben – innerhalb von 2 Std. (Dank Netz) so in das Thema einarbeiten, dass er Türckes Thesen als hanebüchen erkennen würde.
Aber das Thema („Kinder mit Medikamenten ruhig stellen“) hat wohl so eine emotionale Macht, dass da diverse Sicherungen versagen.
@ Braineater:
Sie sprechen tatsächlich einen brisanten Punkt an, den wir Esowatcher bislang auch nicht wirklich durchschauen!
Auch ich – als einer der passionierten „Sammler in Sachen Ritalin/ADHS-Kritik“ im Esowatch-Forum – habe mich in den letzten Jahren oft gefragt, woher die ausgesprochene Zurückhaltung der anerkannten Fachleute rührt, wenn es um solch krasse Fehldarstellungen geht wie kürzlich die Headline „90 % aller ADHS-Diagnosen sind falsch!“
Dieses Zitat wurde Frau Prof. Lehmkuhl, Charité, fälschlicher Weise in den Mund gelegt, wie recherchen ergeben haben.
Seriöse Wissenschaftler ziehen es aus verschiedenen Gründen oft vor, gegen solche Fehlinterpretationen nicht aktiv vorzugehen. Es könnte aber jetzt der Punkt erreicht sein, wo Schweigen als eine Art Zustimmung ausgelegt wird.
Ihre Anfrage, Braineater, deutet in diese Richtung.
Man hat offenbar angenommen, dass es ausreicht, im Web Informationsportale zu ADHS einzurichten, auf denen sowohl Betroffene wie auch Pädagogen und Therapeuten und natürlich Journalisten die nötigen Informationen auf dem jeweils neuesten Stand der Forschung abrufen können.
Warum dies offenbar nur ungenügend geschieht bzw warum trotz dieser Portale Journalisten offenbar besonders gern kritiklos die Meinung von ideologisch motivierten Außenseitern wiedergeben, erschließt sich nicht.
Meist sind die Selbsthilfeverbände – die eigentlich in ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit primär den Betroffenen selbst zugute kommen wollen – die Ersten, die zu solchen Fehldarstellungen öffentlich Stellung nehmen:
http://www.ads-ev.de/index.php/aktuelles
Es gab auch schon viele Leserbriefe an die entsprechenden Zeitungen, welche aber unter Vorschützen zweifelhafter Begründungen oft nicht abgedruckt wurden.
Und ohne Verschwörungstheorien bemühen zu wollen:
von manchen Gruppierungen wird die ADHS/Ritalinkritik ganz aktiv immer neu in die Medien getragen.
Dazu müssten Sie mal in unserem Wiki die entsprechenden Suchworte eingeben.
Hier ein Beispiel:
https://www.psiram.com/de/index.php?title=Konferenz_ADHS
Das Buch von Herrn Türcke zu rezensieren hieße nach meiner Einschätzung, ihm unverdient Aufmerksamkeit und damit Werbung zukommen zu lassen.
Mich interessiert, wann dieses Interview geschnitten wurde.
Es gab ja kurz davor ein weiteres Interview mit Türcke, Dr. Skrodzki (einem anerkannten ADHS-Fachmenschen) und Christopher Lauer, Piratenpartei.
http://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/swr2-forum/-/id=660214/sdpgid=639102/nid=660214/did=9212220/17zurat/index.html
Spätestens nach diesem Roundtable kann sich Herr Türcke nicht mehr darauf zurück ziehen, er habe von nichts gewusst…
Der Dachdecker-Vergleich gefällt mir, versuche ihn mir gerade zu merken…
.
Nichts gegen Dachdecker 😉
@ Braineater:
Leider eine Miskonzeption Ihrerseits:
bei dem Buch handelt es sich nicht um eine wissenschaftliche Veröffentlichung, sondern um ein populärwissenschaftliches Opus.
Warum sollte dies nun auch noch eine Diskussionsgrundlage hergeben, wenn doch offensichtlich Herr Türcke von keiner Sachkenntnis zum Thema belastet ist?
Wissenschaftliche Veröffentlichungen werden übrigens primär in Fachzeitschriften publiziert und müssen dort einem (mehr oder weniger strengen) Peer Review stand halten.
Einer der wichtigsten Wegbereiter der ADHS/Ritalinkritik, Prof. Gerald Hüther, ist gerade deshalb bei seinen Kollegen in Ungnade gefallen, weil er die im Team erarbeiteten Resultate seiner Arbeitsgruppe gegen deren ausdrückliche Zustimmung und mit völlig überzogenen persönlichen Schlussfolgerungen zuerst auf einem unseriösen Internetportal und dann in einer psychoanalytischen Zeitschrift ohne echtes Peer Review veröffentlicht hat.
Seitdem kreisen diese „Thesen“ im Web und werden immer wieder aufgewärmt, aktuell in Italien:
http://autismovaccini.com/2012/02/04/una-pillola-a-merenda/
Die wirkungsvollste akademische Reaktion auf solch dreiste Verstöße gegen wissenschaftliche Standards besteht aus konsequentem Ignorieren und faktischem Kaltstellen.
Gerald Hüther hat daraufhin versucht, eine pseudowissenschaftliche Debatte über seine sattsam bekannten Medieninszenierungen zu führen (STERN: „Alm statt Ritalin“) und wurde bekannt wie ein bunter Hund.
Vielleicht hat Herr Türcke einfach geglaubt, ein emotional besetztes Thema für die eigene Publicity nutzen zu können und hofft, sein Buch verkauft sich nun besonders gut?
Ich lese hier bei den Verteidigern dessen, dass AD(H)S eine rein biologische Krankheit sei, heraus, dass sie glauben, die neurale Struktur des Gehirns sei eine rein biologische Angelegenheit. Ist sie aber nicht. Die neuronale Ausstattung des Hirns ist auch naturgeschichtliche Ontogenese. Heißt: Sozialisation determiniert auch das Hirn, dessen neuronale Struktur. Das „auch“ sei unterstrichen. Im Säuglingsalter ist das Gehirn schon so gut wie ausgewachsen. Was dann noch passiert, ist innere Vernetzung und Differenzierung – im scheinbar ganz biologischen Sinn. Dieser Prozess ist auch von äußeren Reizen affiziert.
@ Hagi:
Das liest du hinein, aber nicht heraus.
Gesagt hat das hier niemand.
Mehrfach wurde auf die Infoportale verwiesen.
Dort wird zum Beispiel Döpfners neurobio-psychosoziales Modell erklärt:
http://www.zentrales-adhs-netz.de
Bei ADHS handlet es sich um eine genetisch bedingte neurobiologische Disposition, die sich – je nach Subtyp, Ressourcen, Umwelteinflüssen unterschiedlich und vor allem unterschiedlich stark behindernd auswachsen kann.
Dies ist aber nichts „Besonderes“, sondern es gilt für andere psychische oder somatische Störungen auch:
eine genetische Disposition kann durch äußere Einflüsse (u.a. auch angemessene Therapie) günstig beeinflust oder durch belastende Faktoren verschlimmert werden – ganz grob vereinfacht gesprochen.
Richtig.
Und bei ADHS funktionieren leider sowohl Reizaufnahme als auch Reizverarbeitung wegen eines defekten neurobiologischen Filtersystems nicht so wie bei „Normalen“. Alles „Lernen“ und stabiles Ausdifferenzieren (= in etwa Einspuren von Bahnen) wird dadurch erschwert,
Nachtrag:
Stimmt nicht ganz, denn der für die Exekutivfunktionen (Selbststeuerung) zuständige entwicklungsgeschichtlich jüngste Teil ist definitiv noch nicht ausgewachsen.
Er reift bei „Normalen“ schon spät und ist bei ADHSlern noch deutlich länger unreif.
Das kann man mittlerweile per Bildgebung auch gut darstellen.
@Ponder
Die Tatsache, dass einer allgemeinverständlich schreibt, muss ihm nicht unbedingt den Status der Wissenschaftlichkeit nehmen. Vor allem: da, wenn ich das richtig sehe, die allgemeinverständliche, also populäre Vermittlung von Wissen aus dem Elfenbeinturm heraus an die interessierte Allgemeinheit das Ziel von EW ist, dürften ausgerechnet EWler damit prinzipiell kein Problem haben. Solange die Fakten stimmen, klar.
Ja, mit Peer Review bin ich aus dem eigenen wissenschaftlichen Alltag vertraut. Neu ist mir allerdings, dass sich Beck neuerdings nicht mehr als Wissenschaftsverlag versteht.
schade eigentlich, denn zumindest ich finde die Idee ganz gut, dass wir Wissenschaftler unsere Ideen, zumal bei Themen von gesellschaftlicher Relevanz, nicht nur für uns behalten. Dass Hüther dennoch Quatsch fabriziert, bestreite ich natürlich nicht. Türcke allerdings dürfte dasselbe Schicksal allerdings nicht ereilen, da er Philosoph i.d.R. alleine forschen und von daher keine Kollegen haben, die sich über unerwünschten Umgang mit gemeinsamen Ergebnissen beschweren können.
Möglicherweise liegt gerade hier der springende Punkt in der (uns beiden nicht ganz klaren) Angelegenheit, die ich oben mit Groucho besprochen habe: vielleicht es eben die falsche Strategie, vermeintliche Scharlatane immer nur zu ignorieren. Vielleicht sollte mal jemand aus der mainstream-Neurobiologie über seinen Schatten springen und einen — ja, populärwissenschaftlichen, also breit rezipierbaren — »Anti-Hüther« schreiben. Wenn man immer nur ignoriert, statt in den Diskurs einzugreifen, braucht man sich nicht beklagen, dass die Medien voll sind mit Unsinn. Wenn der Klügere immer nachgibt, regieren die Dummen die Welt.
Irgendwer fragte oben, warum EW sich zunehmend auf »Ritalinkritikbashing« einschießt. Ich möchte behaupten, hier liegt ein Schlüssel zur Antwort: AD(H)S ist nunmal ein Thema, das Aufmerksamkeit, und d.h. Klicks generiert. Man vergleiche die Zahl der Kommentare hier (fast 40) mit der bei dem jüngsten Steiner-Artikel (1). Zumindest hinsichtlich ihrer Motivation sind sich EW und alle die Hüthers gar nicht so fern 😉
Ponder, ich bin Dir dankbar, dass Du zu jedem Punkt, bei dem ich mir dachte „Oh Gott, darauf MUSS ich jetzt was schreiben“ schon fundiert Auskunft gegeben hast und ich mir dadurch Zeit und Nerven sparen konnte. Danke! 🙂
Allen Ritalinskeptikern/-kritikern etc kann ich im Übrigen auch nur ans Herz legen, sich nicht nur Ausschliesslich den „kritischen“ Pamphleten bekannter Seiten zu widmen, sondern eventuell auch mal Betroffene selbst zu fragen oder sich in Selbsthilfeforen umzuschauen. Ich persönlich kann nur sagen, dass mir als nicht-hyperaktive ADSlerin tatsächlich MPH verschrieben wurde und die Einbettung in ein multimodales Therapiekonzept Voraussetzung zur Verschreibung war. Übrigens nehme ich es zur Zeit nicht mehr, da für mich persönlich die Nebenwirkungen (eines getesteten Mittels, bei anderen kann das anders aussehen) die positiven Effekte überwogen. Allerdings hat mir die Zeit unter Medikation stark geholfen, Planungsstrategien zu entwickeln und Verhaltensänderungen umzusetzen, die jetzt auch ohne Medikation zum Großteil noch greifen. Ohne medikamentöse Unterstützung wäre ich allerdings nie so weit gekommen, dies überhaupt umzusetzen. Und noch was hat mir die Zeit „mit“ gezeigt – wenn sich „normale“ Menschen generell so fühlen, wie die meisten AD(H)Sler mit Medikation, kann ich sogar nachvollziehen (wenn auch nicht gut heißen), warum ADHS nicht ernst genommen wird. Es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht – es ist schwer zu erklären, wenn man nicht beide Seiten mal erlebt hat. Für mich war es höchst faszinierend zu merken, wie mein Belohnungssystem nicht alle 20 Minuten nach Input schreit, wie es sonst die Regel ist. Unter MPH hat man diese inneren Störungen nicht – die „normale“ Menschen nicht in diesem Ausmaß haben. Man kann Reize tatsächlich filtern und bekommt nicht jedes Kaugummi auf dem Bürgersteig so mit, dass man noch drei Tage später weiß, wo was klebte (dafür aber vergaß, dass man einkaufen gehen wollte). Man wird damit nicht gedopt oder sonstwie aufgeputscht, sondern auf einen Normalzustand gebracht, der beim Großteil der Bevölkerung vorhanden ist. Dies vergessen leider viele „Kritiker“ und ich finde daher den Vergleich (nicht-)schwimmender Kinder äußerst passend.
@ Braineater:
Das hat m.E. nichts mit dem Selbstverständnis des Verlags zu tun (Verlage haben dies bezüglich gern ein „gemischtes“ Sortiment und bieten halt zusätzlich gern an, was verspricht, sich gut zu verkaufen…), sondern mit der allgemein üblichen (naturwissenschaftlichen und medizinischen) Gepflogenheit, zunächst in anerkannten Fachzeitschriften zu publizieren, um sich auf diese Weise ganz offiziell zunächst dem wissenschaftlichen Disput der Fachkollegen zu stellen.
Von einem Philosophen erwarte ich aber zumindest, dass er das Feld sorgfältig recherchiert, worüber er zu schreiben gedenkt.
Einem Philosophen sollte geläufig sein, dass eine falsche Grundannahme nicht zu brauchbaren deduktiv gewonnenen Resultaten führen kann.
Wenn Sie den Esowatch-Blog schon öfter beehrt hätten, dann wüssten Sie, dass zum Thema Ritalinkritik und Umfeld im letzten halben Jahr 3 (in Worten: drei) Beiträge erschienen sind.
1. ein Blogbeitrag zu Gerald Hüther:
https://blog.psiram.com/?p=4736
2. ein Beitrag von einem Gastautor, den wir über das Web ausfindig gemacht haben, mit dem es aber bis dato und (so weit ich weiß) auch danach keine Verbindungen gab/gibt:
https://blog.psiram.com/?p=6883
als Reaktion auf nicht enden wollende Fehlinformationen über ADHS.
Wenn Sie mal Dr. Guugl bemühen wollen, wieviele ADHS-kritische Artikel es dem gegenüber in den vergangenen 6 Wochen gab und welche Textbausteine dort z.Tl. munter weiter gereicht werden, dann wären Sie überrascht.
Dass der genannte anthroposophiekritische Beitrag hier derzeit wenig Echo hat, mag auch daran liegen, dass zu diesem Thema hier und anderswo schon viel gebloggt wurde. Steiner-Fans melden sich auch themenfremd hier oft und reichlich zu Wort ….
Die aktuelle Stellungnahme des Zentralen ADHS-Netzes zu unwissenschaftlichen Einzelmeinungen, die unter dem Anschein von Wissenschaftlichkeit daher kommen, schließt Herrn Hüther definitiv mit ein.
Darüber hinaus gibt es seit Jahren eine rein fachliche Stellungnahme zu Hüther von Prof. Aribert Rothenberger, in dessen unmittelbarer akademischer Nähe Hüther damals tätig war:
http://media.dgkjp.de/mediadb/media/dgkjp/stellungnahmen/stn-2002-03-01-adhs-stimulantien.pdf
Herr Hüther liebt es, im Gespräch zu sein – dazu sind ihm auch empörte Eltern bei seinen Veranstaltungen ein willkommenes Mittel zum Zweck, wie mir aus verlässlichen Quellen berichtet wurde.
Aus diesem Grund sollte ihm nicht noch die unangebrachte Ehre zuteil werden, seine abwegigen Thesen nun gar in einer populärwissenschaftlichen Replik medienwirksam aufzuwerten.
Wir haben ihm aber einen Artikel in unserem Wiki gewidmet, der offenbar gern und viel gelesen wird:
https://www.psiram.com/de/index.php?title=Gerald_H%C3%BCther
Nachtrag:
3. fehlte – das ist natürlich der aktuelle Blogbeitrag…
Welches wäre nun die von Ihnen, Braineater, vermutete Motivation von Gerald Hüther und /oder die von Esowatch?
Ach ja, der Herr Türcke und die Psychoanalytiker…
http://www.vakjp.de/pressemitteilungen/2011-04-20%20VAKJP%20PM%20-%20Aufmerksamkeitsdefizitkultur.pdf
Auch mit von der Partie gewesen ist damals Hans Hopf, Konferenz ADHS.
Der hat gerade letztes WoE einen Vortrag an der Kath. Fachhochschule Aachen zu ADHS gehalten.
Wenn man alle unwissenschaftlichen Inhalte in diesem Buch einfach mal überliest – hat er da nicht trotzdem Recht? Meine These zur ansteigenden Inzidenz von AD(H)S ist in etwa die Folgende:
Es gab schon immer einen recht festen Prozentsatz von Leuten mit genetischer Prädisposition zu AD(H)S, das mag auch mit Nahrungsmittelunverträglichkeiten etc. als zusätzlichen Faktoren einher gehen – die es aber auch schon immer gab. Geändert haben sich soziokulturelle Faktoren, die sich auf die Manifestation der Störung auswirken. Es gab es schon immer Leute mit AD(H)S-Symptomen, die allerdings früher eher Möglichkeiten fanden, sich Tätigkeiten zu suchen, in denen sie nicht so stark auffällig/ durch die Störung behindert waren. Auch hat sich definitiv das Aufwachsen der Kinder geändert. Schulpflicht ist eine relativ neue Erfindung, die Zeit, die Kinder mit hoher Konzentration über lange Zeit verbringen müssen, ist tendenziell eher gestiegen, dazu kommt, dass früher die Konditionierung durch drastische pädagogische Maßnahmen (Drill, Prügelstrafe etc.) anders ablief, sodass AD(H)S-ler zwar immer noch durch ihre Störung behindert, nicht aber auffällig wurden. Ihre Leistungen blieben eben unterdurchschnittlich, ihr soziales Leben eingeschränkt, manifestiert hat sich die Störung dann eher durch eine der zahllosen Komorbiditäten (Depression, Aggression etc.). Heute gibt es kaum Möglichkeiten, dem Druck auszuweichen bei gleichzeitigem Aussetzen des krassen Zwangs, sich einzufügen – das führt dann dazu, dass AD(H)S-ler eher auffällig werden, weil sie nicht durch ohnehin vorhandene soziale Mechanismen auf Linie gebogen werden.
Ob es den (latenten) AD(H)S-lern früher wirklich besser ging, bezweifle ich dagegen – die Einschränkungen im sozialen Leben, fehlendes Problembewusstsein/ Therapiemöglichkeiten haben wohl eher dafür gesorgt, dass sie mehr oder weniger auf der Strecke blieben, auch wenn das eben niemand einer zugrunde liegenden neurofunktionalen Störung attributiert hat, sondern einem fehlerhaften Charakter/ mangelnder Erziehung.
AAAAAAAAARG. Eure Kommentarfunktion hat gerade einen langen langen Beitrag von mir gefressen.
Kurzversion:
– AD(H)S als genetische Prädisposition gab es vermutlich schon immer
– welche Faktoren haben sich geändert? Soziokulturelle Umstände –> Ausformung/Manifestation von AD(H)S
– Beispiel Schule: Früher geringerer Workload der Schüler, erheblich mehr Drill/ Zwang zur Eingliederung (Prügelstrafe)
– Beispiel Arbeitswelt: Mehr handwerkliche/ landwirtschaftliche/ generell körperliche Arbeiten, die es AD(H)Slern ermöglicht haben könnten, ihren Problemen aus dem Weg zu gehen
–> Kein Grund anzunehmen, den AD(H)Slern früher wäre es besser gegangen, ihre Probleme wurden nur eher einem fehlerhaften Charakter/schlechter Kinderstube zugeordnet statt einer neurofunktionalen Störung; keine Therapiemöglichkeiten bei erheblicher Neigung zu comorbiden Störungen (Depression, Aggression, Drogen etc.)
Hinzuzufügen wäre noch die Frage, ob wir überhaupt eine Möglichkeit haben, an den herrschenden soziokulturellen Umständen etwas zu ändern oder ob wir damit leben müssen, dass sich die Probleme von AD(H)S in der heutigen Leistungsgesellschaft häufiger manifestieren. Eine Entökonomisierung der Gesellschaft (BGE?) wäre da vermutlich förderlich, da man erstmal aufhört, Leute allein an ihrem Leistungspotential zu messen (mit AD(H)S gehen ja durchaus auch positive charakterliche Eigenschaften einher wie der gern zitierte Gerechtigkeitssinn) und anhand ihrer Wirtschaftskraft zu schätzen. Aber dafür wäre ein so massives Umdenken nötig, dass ich das leider als Utopie abtue und nicht erwarte, noch derartiges zu erleben.
Erinnert mich irgendwie daran, dass man nur Biobauer sein muss, um in der Presse als Gentechnik-Experte zu gelten.
Werden meine Kommentare neuerdings gesperrt? Frechheit. Frage mich wirklich, warum.
@Ponder
Grundsätzlich sind wir ja derselben Ansicht. Mit der Ausnahme, dass ich finde, dass Impulsivität, Spontanität – und dazu gehört mE auch die besondere Kreativität eben keiner Behandlung bedürfen. Wenn meine Umwelt, meine ‚peers‘ mit meiner Art nicht zurechtkommen, dann ist das vielleicht nicht schön, aber für mich kein Grund zu versuchen mich für andere zu ändern.
Ich hatte schon Stress in meiner Kindheit, hab aber immer Freunde gefunden, die mit meiner Art gut zurecht kommen, diese schätzen zu wissen. Von daher zieht sich das ADHS durch all meine Lebenslagen, aber nicht per se als „Problem“. Zum Problem wirds nur dort wo ich mich eben nicht richtig ausleben kann, i.e. beim Lernen. Vielleicht meine ich auch das mit milden ADSlern. Das ADHS ist schon immer da, aber halt nicht unbedingt immer ein Problem
@ hans olo:
Deshalb ist ja so wichtig, dass bei einer Diagnose geklärt werden muss, ob und wie weit die Disposition sich behindernd auswirkt. Das ist nicht zuletzt vom Umfeld (supportive Eltern/Lehrer/ Ausbilder…) und den eigenen ressourcen abhängig und kann sich natürlich mit veränderten Lebensumständen auch positiv oder negativ ändern
Zur Impulsivität: ich habe lange gebraucht, diese Dimension in ihrer Bedeutung einschätzen zu können.
Gemeint ist damit keinesfalls ein lebhaftes Temperament!
Draufgängertum und Risikoverhalten sowie unangebrachte emotionale Ausbrüche gehören dazu ebenso wie Spontankäufe (fast zwanghaft)
Unbedachtes Rausplatzen in heiklen Situationen im Job. – „Den Bettel hinschmeißen“, statt abzuwarten ob es vllt eine diplomatische Lösung gibt.
Schnell begeistert sein, aber das Projekt nicht beenden können.
Das kann einen im Job oder in der Beziehung schon sehr einschränken, wenn es nicht nur ausnahmsweise geschieht, sondern zur unveränderbaren gewohnheit wird.
Ein erfolgreicher künstlerisch-kreativer ADHSler lernt, seinen Lebensrhythmus und seine Energien irgendwie passend auszusteuern und kommt auf geniale Einfälle und unkonventionelle Lösungen.
Zum Problem wird dann u.U. eine zu große Unstetigkeit und Unzuverlässigkeit.
Viele ADHSler haben zwar ohne Ende geniale Ideen und angefangene Projekte, aber wenn es an die Vollendung geht (wo es hauptsächlich auf Genauigkeit und Durchhaltevermögen bei langwierigem Ringen mit Detailproblemen ankommt), bleibt so manches gute Projekt auf der Strecke, und so manche Examensarbeit wächst sich tendenziell im Kopf zur Habilitationsschrift aus, erreicht aber nie die schriftliche Fassung…
Dafür kannst du dich glücklich schätzen!
Das ist mit die wichtigste Ressource überhaupt – und oft auch ein guter Mentor, der das Potenzial erkennt und auch bei Durststrecken und Rückschlägen und „mit gesundem Menschenverstand doch eigentlich vermeidbaren!!“ Aussetzern dennoch hinter dir steht und immer mal nachhakt, wie es grad läuft. 🙂
Einmal wurde in den Kommentaren erwähnt, Esowatch würde „Ritalin-Kritik-Bashing“ betreiben. Und ein andermal wurde unterstellt, dies habe mit den zu erwartenden Klicks des Esowatch-Blogs zu tun.
Dazu sind zwei Dinge zu sagen:
1. Ein Bashing würde sich nicht bei Äußerungen von bspw. Kinderneurologen ereignen. Denn diese würden wohl seriöserweise die Best Practices zur Diagnose kennen, die Diagnosepraxis darstellen und die Therapiestandards zum Thema machen. Sie würden vielleicht Zahlen mitbringen, die zeigen würden, wie oft auf AD(H)S untersucht wird, wie viele positive, negative, falsch positive, falsch negative Anteile es gibt, wie oft MPH und in welchen Dosen verabreicht würde. Das wäre ja einmal interessant zu wissen, oder? Statt einfach zu behaupten, AD(H)S würde viel zu häufig diagnostiziert, wie es der gestandene Ritalinkritiker rituell beleglos vorbringt?
Kinderneurologen und überhaupt Fachleute würden keine unbelegbaren (und damit nicht falsifizierbaren) Gesellschaftsdiagnosen stellen, die irgendwie mit einem Krankheitsbild zu tun haben:
„Unser“ Aufmerksamkeitsdefizit spiegelt sich im Kinde (frei nach Türcke)? Bla, bla, würg!
2. Die gesellschaftskritischen Einlassungen der Ritalinkritiker bleiben nicht ohne Folgen. Denn auch feuilletonistisches Gedünnel unterliegt dem Gesetz von Ursache und Wirkung: man kann nicht irgendwas daheräußern und dann so tun, als habe nur die geistige Welt damit zu schaffen.
Wer Karrieren von Erwachsenen und Kindern verfolgt, denen eine Diagnose verwehrt wurde – und erst recht irgendeine! – Behandlung, entdeckt eine breite Blutspur der Ritalinkritik.
Denn durch die Dämonisierung von AD(H)S, durch die Tabuisierung des Syndroms als Krankheitserfindung, bleiben viele Kinder auf der Strecke. Chancengleichheit für betroffene Kinder soll nach dem Willen der Ritalinkritiker dadurch hergestellt werden, dass sich die Gesellschaft ändert – bloß keine Medikation, denn das Selbstbild des Kindes könnte Schaden nehmen (das ist übrigens tatsächlich Türckes Einstellung)!
In Wirklichkeit zeugt diese Einstellung von schrecklicher Empathiefreiheit gegenüber betroffenen Kindern.
Die Ritalinkritik
– hat keine Ahnung von den Standards der Diagnose und der Behandlung von AD(H)S,
– thematisiert niemals die Betroffenen, denen nachhaltig das Leben versaut wurde, weil ihre Störungen nicht diagnostiziert wurden,
– bietet keinerlei tragfähige Lösungen an.
Stattdessen
– hört man von Ritalinkritikern in boshafter Gönnerhaftigkeit, um die man jeden Esoterik-Guru beneiden müsste, dass „die Kinder schon ihren Weg machen“ würden,
– gerieren sich Ritalinkritiker als wohlfeile Kritiker der Pharmaindustrie,
– haben Ritalinkritiker vergessen, wie verzweifelt Kinder sein können, wenn sie nicht akzeptiert werden,
– stellen Ritalikritiker ihr ideologisches Weltbild vor das Wohl eines jeden einzelnen Betroffenen.
Esowatch muss weiterhin auf die Blutspur der Ritalinkritik aufmerksam machen und damit ein notwendiges Gegengewicht zu 3sat, zu arte und zur Süddeutschen Zeitung (u.v.m.) darstellen.
Ritalinkritik ist genauso wie Impfkritik das Werk von Schreibtischtätern mit benennbaren Opfern.
Vielleicht kann ja der nächste Gebashte beim Weißen Ring anfragen, ob es sich um Bashing handelt, wenn Opfer auf Täter aufmerksam machen.
Fehlt es jenen Leuten, die ADHS nicht als neurologische Stoerung betrachten an fehlendem Fachwissen? Muesste man ihnen einfach die richtigen Artikel zum lesen geben, worauf sie dann ihre Meinung aendern wuerden? Fuer mich ist die Antwort klar nein! Das beste Beispiel sind all die Psychologen und Psychiater, die der Diagnose ablehnend gegenueberstehen oder das Ganze als Erziehungsproblem sehen. Wer schon einmal stationaere Aufenthalte in verschiedenen Kliniken gehabt hat, duerfte das Problem kennen. Diesen Menschen ist völlig egal ob der eigene Psychiater eine fundierte ADHS Diagnose gestellt hat, fuer sie ist das keine brauchbare Diagnose. Da laeuft man dann einfach gegen Mauern. Wenn es also viele Psychiater gibt, die ADHS kritisch gegenueberstehen, wie kann es dann am fehlenden Fachwissen liegen? oder hat dieser Arzt einfach die falschen Lehrbuecher gelesen?
Fuer eine ausfuehrliche Stellungnahme rund um das Thema ADHS und Philosophie, siehe unter:
http://adhsundco.wordpress.com/
Letztens bin ich über etwas weiteres aus dem Beck-Verlag gestolpert, was meiner Meinung nach stark zur Diffamierung von ADHS-Betroffenen beiträgt – und das unterstützt von der GBS (Titelzeile: „Aufklärung im 21. Jahrhundert“). Vielleicht guckt einer der hier mit der Materie besser Vertrauten mal mit drauf:
http://www.giordano-bruno-stiftung.de/meldung/palaeopower-evolutionaere-ernaehrung-gesundheit
Unter dem Titel:
„PaläoPower: Evolutionäre Ernährung und Gesundheit“
heißt es da:
„Jedoch lassen sich Probleme wie Übergewicht, Allergien, ADHS und Burnout lösen, wenn man die Prinzipien der Evolution und die Natur der Menschen verstanden hat.“
Wenn man sich da aber z.B. folgenden Review (1,5 Jahre alt) anguckt (einer der oberen Treffer bei einer PubMed-Recherche – die liefert zu ADHD nutrition sensationelle 146 Treffer im Vergleich zu knapp 2500 bei ADHD genetics):
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/21766545
Hier wohl frei zum Download die Zeitschrift:
http://asocmedpr.org/publications/102_4.pdf
– dann ist das mit der Evidenz für das z.B. „problematische“ Gluten wohl eher ziemlich mau… – und jedwede Diät ist höchstens unterstützend wirksam (kein Wunder bei einer genetischen Ursache) – siehe im Gegenzug dazu Rezension der Referentin zu einem Buch bei Amazon: http://www.amazon.de/Zappelphilipp-Hyperaktive-Kinder-richtig-ern%C3%A4hren/dp/3935407130 – und auch das Inhaltsverzeichnis des Buches, so scheint mir, verheißt nichts Gutes (http://www.palaeo-power.de/home?page_id=5970):
III. Unkonzentriert – zappelig - verträumt: ADS und ADHS
1. Funkstörung: Nicht immer sind die Gene schuld
2. Wege aus dem Ursachenlabyrinth
3. Nahrung fürs Gehirn
Ja, das ist alles mehr als traurig… 🙁
Jetzt lässt sich schon die Giordano-Bruno-Stiftung von der Ritalinkritik unterwandern…
Und auch bei den Science Blogs scheint sich eine schwere Schlappe für die Skeptiker abzuzeichnen – offenbar wurde die Wirksamkeit von Homöopathie nun wider Erwarten doch nachgewiesen:
http://www.scienceblogs.de/gesundheits-check/2012/04/studie-weist-wirksamkeit-der-homoopathie-nach.php
Das ist alles megapeinlich und bedauerlich für uns Esowatcher!
Ähm, Ponder …
vor lauter Philosophieren die Datumsanzeige beim Post vergessen zu beachten?
April, April! — zum SB- Artikel. *trooost*
@ Tupper:
Nee – dein Ironie-Detektor hat nicht funktioniert.
Aber vllt hilft die ja Joseph Kuhns Homöppathie-Studie weiter…
Ups … ach jeh … ach, du meinst das seltsam zerknittere, verbrannte Ding, das ich grad weggeschmissen habe … das war es also!
Alles so schrecklich ^_^
@ Tupper:
Ja, der ist dann wohl durchgeschmort, der Ironie-Detektor… 😉
Tjo, und warum kein Kommentar zu dem Dir bekannten:
http://wissen.dradio.de/adhs-die-erfundene-krankheit.35.de.html?dram:article_id=15924
??
Nichts gegen Deine Diplomgläubigkeit, aber die Abwesenheit eines Diploms impliziert nicht zwingend Ahnungslosigkeit. Und dieses Interview mit Leon Eisenberg wirst Du jetzt schlecht im selben Tonfall bagatellisieren können.
IMHO braucht es keine Pharmazeutika um „ADHS“ zu behandeln, sondern geistiges Handwerkszeug um die Defizite in Vorteile zu verwandeln. Ich habe beispielsweise mir diese Methodiken selbst erarbeitet und brauchte noch nie Pharmazeutika oder eine „andere“ Therapie. Daher bin ich auch kein Freund von der Bezeichnung ADHS. Für mich sind das alles Leute mit ner ganz normalen Hyperaktivität und der damit resultierenden „Konzentrationsschwäche“. Klar, wer 20 Dinge fokussieren will, hat weniger Zeit 1 Sache zu fokussieren. 😉
ADHS wird IMHO allzuoft als universelle Entschuldigung für Leistungsschwäche und soziale Ausfälle verwendet. Anleitung durch die Eltern ist IMHO ausreichend um die Hyperaktivität in den Griff zu bekommen.
wink Simon
@ Simon Lange:
Das ist deine Meinung. Ob die im Sinne von IMHO wirklich „humble“ ist, sei mal dahin gestellt.
Und? – Was willst du damit sagen? – Dass du deine persönliche Erfahrung unzulässig und unwissenschaftlich generalisierst und damit indirekt ein sehr egozentrisches Weltbild offenbarst?!
??
1. War das das Thema dieses Blogbeitrags? – Nein!
2. Worauf stützt du deine leere Vermutung, dass mir die von dir verlinkte Sendung bekannt sei?
3. Warum sollte ich mir alles anhören/ansehen/ lesen, was in letzter Zeit zum Thema ADHS durch die Medien geistert geschweige denn es kommentieren?
4. Es ist im Gegenteil DEINE Aufgabe, dich mit den hier zahlreich vorhandenen Links zu den Fachportalen auseinander zu setzen. Das ist offenbar nicht geschehen, sonst würdest du nicht fälschlicher Weise davon sprechen, dass die Hyperaktivität das Hauptproblem dieser Störung sei:
Und dies
in Verbindung mit deiner hier offenbarten fordernden und egozentrischen Grundhaltung passt in der Tat zu einer medikamentös nicht eingestellten ADHS mit gestörter Selbstwahrnehmung und leicht narzisstischen Tendenzen.
Es gibt zum Thema eine neue Reportage vom SWR: http://mediathek.daserste.de/sendungen_a-z/799280_reportage-dokumentation/10423342_pillen-fuer-den-stoerenfried-psychopharmaka-im
Nach einem Kommentar bei FAZ online zu urteilen, ist der Film ähnlich gehaltvoll wie der Kulturzeit-Beitrag, was allerdings auch auf den FAZ-Beitrag selbst zutrifft: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/pillen-fuer-den-stoerenfried-im-ersten-mein-kopf-sagt-mir-keine-dummen-dinge-mehr-11739824.html