Unser Forist Gefährliche Bohnen hat kürzlich in einer Diskussion einem unserer „Kritiker“ zu erklären versucht, wie Wahrsagen funktioniert. Wir fanden die Erklärung so einleuchtend, dass wir sie hier einem größeren Publikum vorstellen wollen.
Egal ob Wahrsagen, Hand- oder Fußlesen oder was auch immer man sich an Körperteilen, Planetenkonstellationen etc. für die Deutung von Schicksalen, Charakteren oder Diagnosen aussuchen will – im Grunde funktioniert das so:
Man braucht dafür nur etwas Übung, gute Menschenkenntnis und auch eine gewisse Portion Chuzpe.
Man beginnt mit ganz schwammigen, allgemeingültigen Aussagen. Sie sollten auf möglichst viele Menschen zutreffen („Sie sind mit ihrem Äußeren nicht völlig zufrieden, obwohl andere Ihre Makel kaum wahrnehmen“, „Sie fragen sich manchmal, was andere von Ihnen denken“ etc.). Sie sind dabei allerdings umso wirkungsvoller, je mehr sie nach individuellen Aussagen klingen; da ist etwas Kreativität und wie gesagt Menschenkenntnis nötig. Zum Beispiel gibt es unglaublich viele Menschen, die insgeheim davon träumen, mal ein Buch zu schreiben, aber die meisten glauben, das wäre etwas Außergewöhnliches.
Außerdem sollten die Aussagen einem schmeicheln, das glaubt man immer am liebsten („Sie sind intelligenter als die meisten Menschen“). Besonders geeignet sind auch Sowohl-als-auch-Aussagen („Sie sind gerne unter Menschen, aber haben auch ganz gerne mal Ihre Ruhe.“).
Man legt sich also vorher so einen Vorrat an Allgemeinaussagen zurecht. Das nennt man Stock Reading (vgl.: Barnum-Effekt).
Während man relativ wahllos solche Sachen vom Stapel lässt, beobachtet man seinen Gegenüber gut. Wie alt ungefähr? Wie ist er/sie gekleidet? Gepflegt? Eher nachlässig? Modebewusst? Sportlich? Fallen besondere Merkmale auf? Wie ist die Haut? Blass? Gebräunt? etc. pp.
Außerdem – ganz wichtig – beobachtet man die Reaktion auf die Aussagen: Bei welcher hellt sich die Miene auf? Wo trifft man besonders gut? Mit etwas Übung kann man das ganz gut erkennen. Ein leichtes Stirnrunzeln bei dieser oder jener Aussage? Ok – falsche Richtung. Und so tastet man sich dann vor – was man trifft, baut man aus.
Dafür ist umfangreiches Wissen in Sachen Statistik sehr hilfreich. Die Lieblingslektüre professioneller Cold-Reader: Statistische Jahrbücher. Wann waren welche Vornamen am beliebtesten? Welches sind die häufigsten Krankheiten in welchen Altersgruppen? Und so weiter.
Bei alldem ist wichtig, möglichst selbstsicher aufzutreten, bloß nicht zu zögerlich. Man darf keine Angst haben, mal daneben zu liegen. In der Regel werden die Fehltritte kaum wahrgenommen – ein spektakulärer Treffer, und die sind wie weggeblasen.
Hinzu kommt, dass natürlich über die Fehltritte kaum berichtet wird. Das verzerrt das Bild enorm, und das ist der Grund, warum Aussagen à la „Du, der hat sofort gewusst, dass ich letztes Jahr Gallensteine hatte!!!“ als Anekdoten nicht wirklich beeindruckend sind. Auch bei sonstigen Zaubertricks verlässt man sich tatsächlich häufig einfach auf statistische Wahrscheinlichkeiten. Das kann der doch gar nicht gewusst haben! – Hat er auch nicht, er hat schlicht und einfach geraten. Das geht bei genügend Versuchen natürlich auch mal schief, aber die Fehler bleiben halt nicht haften.
Es ist zweifellos ungemein faszinierend, dass das funktioniert und eine enorme Wirkung haben kann, aber als Erklärung braucht man dafür weder Magie noch irgendwelche ominösen Verbindungen zwischen Körperteilen und dem Kosmos oder sonstigen Erscheinungen im All, die seltsamerweise auch niemand näher charakterisieren kann.
Literatur-Tipp: Richard Wisemann: Paranormalität: Warum wir Dinge sehen, die es nicht gibt
Nicht nur „Wahrsagern“ ist diese Handlungsanleitung bekannt:
Ein geschickter Verkäufer kennt diese Tricks schon lange. Auch in der Politik und in religiösen Bereichen wird nach diesem Rezept gehandelt, manchmal sogar in der Medizin…
Man sollte den Mut haben, solchen Aussagen zu widersprechen 😉
„Sie sind gerne unter Menschen, aber haben auch ganz gerne mal Ihre Ruhe.“
„Nein, ich habe nicht gerne meine Ruhe. Niemals.“
„Sie sind intelligenter als die meisten Menschen.“
„Ich halte mich für dämlich. Tja!“
@ Joz
Wieso? Wer zur Wahrsagerin geht, will doch glauben. Und nur hinzugehen, um die bloßzustellen, ist idiotisch. Wahrsagerinnen glauben den Mist entweder selbst, dann wird man sie kaum so einfach von der Unsinnigkeit der Wahrsagerei überzeugen, oder sie sind zynische Betrüger, die genau wissen, dass sie ihre Kunden übers Ohr hauen. Die werden sich nicht so leicht vorführen lassen. Plausible Ausreden, warum sie das Gespräch mit einem skeptischen/widerspenstigen Kunden abbrechen sollen, finden sich sicher haufenweise.
Einziger Nutzen kann sein, wenn man sie vor Publikum bloßstellt, aber das dürfte schwierig sein. Man müsste dazu sicher sehr gut vorbereitet sein und gehörige Schlagfertigkeit mitbringen, damit man die zu erwartenden Ausweichmanöver und Nebelkerzen rechtzeitig durchschauen und kontern kann. Sonst steht man hinterher nämlich als der Dumme da, der einer Wahrsagerin Gelegenheit gegeben hat, ihre Überlegenheit (und die Aussagekraft der Wahrsagerei) vor Publikum zu beweisen.
Oder man läuft Gefahr, von der Security „entfernt“ zu werden oder sich juristische Konsequenzen einzuhandeln.
Dieses angebliche „Medium“ Pascal Voggenhuber, ein wohl recht mittelmäßiger Cold-Reader, ist sogar schon in der Lage Anwälte (wenn auch vergeblich) einzuschalten.
Kaum zu glauben, wieviel Geld manche Leute mit diesem Dreck machen…
Würde ich nicht tun (es sei denn, es stimmt). Ist doch auch gar nicht nötig, der Trick ist ja gerade, dass es auf so gut wie alle Menschen zutrifft und es reicht im Grunde, das zu wissen, bzw. das klar zu machen.
Seriöse Zauberer, die sich ja auch gerne solcher Tricks bedienen, würden übrigens nie behaupten, dass sie übernatürliche Kräfte besitzen. Warum auch? Es ist auch so faszinierend genug.
Eine gewisse „Schlagfertigkeit“ ist hilfreich – dann kommen auch keine Ausweichmanöver…
http://www.youtube.com/watch?v=rg75nwVvrW0
@ ElkeO
Leidlich amüsant. Das ist billig. Der Wahrsager würde hinterher sicher geltend machen, dass er ja nicht mit einem Hellseherradar im Kopf herumlaufe, sondern bestimmte Bedingungen benötige. Man habe ihm keine Gelegenheit gegeben, seine Karten oder die Kristallkugel zu konsultieren usw. Am Ende hat man da nur eine Anzeige am Hals und immer noch nichts bewiesen.
Diese „Argumentation“ ist etwa die Güteklasse wie „Winfried Noé wusste nicht, dass ihm seine Olle loofen jeht!“
Bringt nix, es gibt zu viele Ausflüchte.
Warum so verbissen?
Zu ElkeO: Ich finds niedlich. Im Grunde geklaut bei Mark Twain: A ConETTICUT Yankee an König Arthurs Hof.