Einigermaßen naiv und am Rande hatten wir kürzlich in unserem Wochenrückblick einen Artikel verlinkt, der sich kritisch zu Gender Studies äußert. Einfach so, zur Kenntnisnahme. Eine Reaktion ließ nicht auf sich warten:
Verschwörungstheorie … Anekdoten ohne Quellenangabe … keine Ahnung hat, was „Gender“ bedeutet (sowohl als wissenschaftliches Konzept als auch wörtlich) … wilde Behauptungen, Anekdoten und die Selbstinszenierung als Underdog, ohne irgendwelche für das Thema relevanten inhaltlichen Argumente … obskurer „Männerrechtler“ … das gehört doch in Trumps Umkleidekabine. … es verschlägt einem die Sprache … ungebildeter Wirrkopf … Altmänner-Rants
(bei „Altmänner-Rants“ fehlt übrigens: weiße alte Männer). Kräftige Worte. Helfen nur nicht dabei herauszufinden, worum es bei Gender Studies nach Ansicht ihrer Befürworter eigentlich geht. Wenn man nach kennzeichnenden Texten fragt, so wie ein Kommentator bei uns:
Verlinke mal bitte die drei geilsten, peer reviewten Paper aus der Genderwissenschaft, die Du so kennst. Die würden mir beim Debattieren und Meinung bilden sehr helfen.
Dann kommt aber nicht ein einziges Beispiel, für das die Kritiker der Kritiker bereit wären einzustehen (Verzeihung, doch: eines, ein völlig unspektakuläres, in dem es um die Erwerbsbiografien im Kohortenvergleich zwischen Männern und Frauen geht). Die eigentümlichen Auffassungen von Gender-Professor_innen, die sich beim ersten Orientierungsversuch aufdrängen, werden verteidigt, indem sie verfälscht wiedergegeben werden; oder es heißt, einzelne Sumpfblüten wären ja nicht charakteristisch, Unsinn gäbe es in jeder Wissenschaft, es gäbe wohl gar keine Texte, die repräsentativ für die „200 Professuren“ sein könnten – m. a. W., die Genderwissenschaften könnten in ihrer Gesamtheit nicht kritisiert werden.
(Die komplette Diskussion hier; sie ist atypisch kurz).
Ist das so? Unsere Fragen an den kundigen Leser:
- Was zählt denn eigentlich alles als „Gender Studies“?
- Welche Erkenntnisse gibt es aus diesen Gender Studies?
- Welche Maßnahmen haben sich schon aus diesen Gender Studies ergeben?
- Ok, es gibt eine Gehaltsschere zwischen Männern und Frauen. Nur, wie unterscheidet man da zwischen „biologischem und soziokulturellem Geschlecht“? Und inwieweit helfen Gender Studies, dieses Delta zu schließen?
- Wie steht es um den empirischen Gehalt der Infragestellung biologischer Geschlechtsdeterminierung?
- Ist es das Ziel, Frauen beizubringen, sich mehr wie Männer zu verhalten und Männern, sich mehr wie Frauen zu verhalten? Oder beiden Geschlechtern ein anderes, drittes?
- Gibt es Gender-Schwachsinn, der von den Gender Studies kritisiert wird?
Es wäre schön, wenn sich in allfälligen Antworten keine Vermutungen oder Gewissheiten äußern, wie dieser oder jener Autor politisch oder moralisch oder historisch zu verorten ist. Die Grundlage einer Diskussion sollten empirische Belege sein. Danke.
Diese Fragen wurden schon mehrfach gestellt, nie beantwortet, und wann immer sich „obskure Männerrechtler“ oder andere Unterdrücker, die ihre Privilegien nicht checken, mit Fragen zu den Themenkreisen:
– Intersektionalität
– Gender Studies
– Feminismus
– Political Correctness
beschäftigen, werden folgende Automatismen in Kraft gesetzt:
– Man sei rechts, oder rechtskonservativ, oder irgendwas ähnlich anrüchiges, zB „Männerrechtler“
– Man beschäftige sich nur mit ganz wenigen, nicht repräsentativen Ausreissern, bzw.
– Man beschäftige sich ja nur mit falschen Schotten oder Strohmännern, zum Beispiel würde kein ernstzunehmender Soziologe biologistische Ansätze ignorieren (oder keine ernstzunehmende Feministin würde jemals hasserfüllt von Männern sprechen)
– Man begreife nicht die Wichtigkeit der gesellschaftlichen Anliegen, die in den neuen Sozialtheorien behandelt werden; aufgrund dieser Wichtigkeit sei es auch mal erlaubt, ein wenig über das Ziel hinauszuschiessen
Im Grunde geht es hier um nicht weniger als das Umschreiben von Sprache, Gedanken, wissenschaftlicher Methodik, also um das Ausüben gesellschaftlicher Macht und dem Verschieben von echten oder eingebildeten Machtpositionen (in bester Foucault-Manier). Es ist mithin zentrales gesellschaftspolitisches Thema.
Man kann sich der Sache humoristisch nähern, zB hier
https://twitter.com/RealPeerReview
(die wenigen nicht-repräsentativen Ausreisser reichen immerhin für tägliche Updates).
Hier versucht eine Soziologin ihre KollegInnen dazu aufzurufen, der Biologie breiteren Raum zu geben:
https://econjwatch.org/articles/undoing-insularity-a-small-study-of-gender-sociology-s-big-problem
Hier sind ein paar wichtige deutschsprachige Blogs zum Thema, und die politisch eher rechts-stehenden lasse ich mal weg, um keine Strohmänner zu erlauben:
http://genderama.blogspot.de/
https://allesevolution.wordpress.com/
Hier zwei Einlassungen aus sehr linker bzw. eher rechter Perspektive:
https://geschlechterallerlei.wordpress.com/2016/08/04/gastartikel-leszek-zu-der-frage-ob-gender-studies-unwissenschaftlich-sind/
https://geschlechterallerlei.wordpress.com/2016/08/06/gastartikel-man-in-the-middle-zu-der-frage-ob-gender-studies-unwissenschaftlich-sind/
Ok, ich nenne einfach mal ein paar relevante Links dazu:
Zur Biologie in den wichtigsten Gender Science Veröffentlichungen:
https://econjwatch.org/articles/undoing-insularity-a-small-study-of-gender-sociology-s-big-problem
Zum Thema an sich, inklusive unendlicher Diskussion:
https://allesevolution.wordpress.com/2016/05/12/sind-gender-studies-unwissenschaftlich/
Darauf aufbauend:
https://geschlechterallerlei.wordpress.com/2016/08/04/gastartikel-leszek-zu-der-frage-ob-gender-studies-unwissenschaftlich-sind/
https://geschlechterallerlei.wordpress.com/2016/08/06/gastartikel-man-in-the-middle-zu-der-frage-ob-gender-studies-unwissenschaftlich-sind/
Oh je, das wird sicher eine lange Diskussion.
Wie schön. Das war ja mein Anliegen im „Wochenrückblick“. Viel Spaß also bei der freiwilligen Selbstkontrolle des confirmation bias.
Oh, da kann ich gleich mal ein Kompliment zurückgeben:
„sich mehr wie Männer zu verhalten“, „sich mehr wie Frauen zu verhalten“?
Da liegt, denke ich, das Problem. Menschen werden unterschiedlich behandelt, je nachdem, welche Geschlechtsattribute sie nach aussen zeigen. Das fällt einem auf, wenn man es mal testet. Handwerker reagieren anders, wenn ein „Mann“ das gleiche will wie eine „Frau“. (Die Tüddelchen, weil meine Frau und ich beide genderqueer sind)
Das gleiche bei Ämtern, usw.
Tatsache ist, dass es uns schwer gemacht wird, uns wie _Menschen_ zu verhalten. Zum Beispiel „(klischee)weiblich“, wenn Empathie, Fürsorge gefragt sind, oder „(klischee)männlich“, wenn ein Baum zu fällen oder das Auto zu reparieren ist, und nicht „Weichei/Mädchen“ rsp. „Mannweib“ als Schimpfwörter. (Google „Spezialisierung ist für Insekten“ von Heinlein)
Ich verfolge die Gender Studies und die Diskussionen darum am Rande. Mir würde schon reichen, wenn diese willkürlichen Einschränkungen der Entfaltung aufgezeigt und zwecks Abbau verdeutlicht würden.
@Joseph Kuhn
Ich habe mir mal den Anfang Deiner Diskussion im Mai 2016 angesehen. In #2 wird die Sache auf diesen Punkt gebracht:
Geschlecht ist nicht anders zu ertragen als in Anführungszeichen. Kinder sollten es hinterfragen, im Unterricht. Ich hätte sofort die Frage, was man sich da konkret als wünschenswert vorstellen soll, und welches Kind von selbst auf so eine Idee kommen würde. Es müsste also nachgeholfen werden: wie?
Das ist aber ganz uninteressant für Dich, Joseph, denn Du kommentierst in #3 mit allerlei Vermutungen über die Motivation der Redaktion. Meinst Du das mit „freiwilliger Selbstkontrolle des confirmation bias“? Der Forderung nach Zensur schließt Du Dich an, oder hast Du sie nur übersehen?
Guten Abend,
ich finde Euren Aufruf problematisch, da er davon zeugt, dass die Autoren selber sich mit dem Thema noch gar nicht auseinandergesetzt haben. Wie fändet Ihr gefragt zu werden: Was ist Mathematik oder Biologie oder von mir aus auch Judaistik und ihr müsst es jemandem erklären, der sich noch nie damit beschäftigt hat. Andererseits finde ich es nicht grundsätzlich schlimm, wenn sich jemand mit dem Thema noch nicht befasst hat, es gibt ja viele spannende Dinge auf der Welt.
Ich widme mich mal Frage eins: „Was zählt alles als Gender Studies?“ Auf die Frage gibt es, denke ich, keine abschließende oder einzig richtige Antwort. Ich persönlich finde eher, dass es wissenschaftliche Disziplinen, Fachrichtungen etc. gibt, die sich mit dem Thema „Gender“/soziales und biologisches Geschlecht aus den verschiedensten Perspektiven mit den verschiedensten Fragestellungen befassen.
Meines Erachtens geht es dabei häufig um, ich nennen es mal „Geschlecht als Strukturkategorie“. Das soll heißen: Wem wird warum welches Geschlecht zugeordnet. Was ist überhaupt Geschlecht? Aber natürlich auch: was passiert mit den Leuten, die bestimmten Geschlechtern zugehören bzw. zugeordnet werden (z. B. Lohnunterschiede am Arbeitsmarkt).
Diesen Fragestellungen kann sich (ich wiederhole mich) aus den verschiedensten Fachrichtungen gewidmet werden
– Philosophie: Mann und Frau was ist das? Viele Gender-Leute vertreten Positionen die man im Poststrukturalismus verorten könnte. Die wichtigste oder vielleicht auch nur berühmteste „Gender-Wissenschaftlerin“ ist die Sprachphilosophin Judith Butler. Sie sagt, das wir Geschlecht performativ herstellen. Dabei beruft sie sich u. a. auf die Philosophen Foucault oder Derrida (und viele mehr). Welchen konkreten Output hat das? Philosophische Theorie, ist nit so konkret. Allerdings gibt es viele Menschen, die berichten, dass die Rezeption der Theorien für sie politisch und persönlich fruchtbar sind. (naja, das könnte man auch von „mein Kampf“ sagen)
-Sprach- und Literaturwissenschaft: Die Sprach- und Literaturwissenschaft widmet sich dem Thema „Geschlecht“ unter verschiedenen Gesichtspunkten. Hierbei kann Literatur als Quelle benutzt werden: Wie unterscheiden sich männliche und weibliche Charaktere im Roman, wie entwickelt sich dies? Ein Gegenstand der Literaturwissenschaft ist wiederum die Rezeptionsgeschichte: Wurden weibliche Autoren anders wahrgenommen als männliche? Was war überhaupt die Bedingung, das Frauen Schriftstellerinnen wurden? („A room of one’s own“ von Virginia Woolf ist ein super Text).
-Medizin: Um nicht immer nur mit „weichen“ Wissenschaften zu kommen. In der Medizin ist ein Bewusstsein über „Gender“ wichtig um eine individuell zugeschnittene Medizin gewährleisten zu können. Bei Frauen zeigen sich Herzinfarkte anders als bei Männern. Aber auch die Frage: Warum gehen Männer soviel seltener zum Arzt als Frauen? Einen wichtigen Einfluss hatte Gendertheorie im medizinischen Bereich hinsichtlich der Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Intersexualität (Siehe die Stellungnahme des deutschen Ethikrates hierzu, sehr, sehr interessant) Konkreter Nutzen: Gesundere Patientinnen und Patienten.
-Soziologie: Viele „Gender“forscherinnen und -forscher bedienen sich soziologischer Methoden, um ihre Thesen zu überprüfen und zu belegen. Quantitative und Qualitative Empirie. Das ist wiederum so vielschichtig, dass es mir schwer fällt, Beispiele zu finden. Ein sehr wichtiges Feld ist sicherlich die Arbeitssoziologie, Stichworte horizontale, vertikale Segregation am Arbeitsmarkt usw.
Das war jetzt wirklich nur ein ganz, ganz kleiner Ausschnitt, ich hoffe, das es ein bisschen schlüssig ist.
Das Problem ist doch ein einfaches: Das meiste was man von Gender Studies hört* ist, dass Leute versuchen anderen Leuten zu erklären, wie sie sich zu verhalten haben.
Hinterfrag dein Geschlecht! Sag deinem Kind, es soll mal an seinem Geschlecht zweifeln!
Firma X vermarktet Mädchenschokolade (Unding!) und das auch noch in rosa (Shitstorm!)
Warum tut Firma X das? Vermutlich, weil sie Gewinn machen möchte. Und anscheinend essen Mädchen halt gerne Mädchenschokolade und zwar besonders dann, wenn sie rosa ist.
Natürlich ist es ein interessantes Experiment (das ja gern jeder machen kann) zu testen wieviele Mädchen Neutralschokolade in einer Verpackung die kein besonderes Branding hat kaufen. Aber es ist nicht die Aufgabe eines gewinnorientierten Unternehmens zu testen ob sie mit einer potentiell schlechteren Strategie eine bewährte ablösen sollen.
Auch dann die Mädchen zu zwingen diese rosa Dinge nicht zu konsumieren raubt doch wiederum den armen Kindern die Freiheit sich dafür zu entscheiden ein Mädchen zu sein, das rosa mag. Was genau gewinnt das Kind eigentlich durch die Erziehung, die sagt man darf bloß nicht irgendetwas machen, was in ein Klischee fällt?
Der Punkt wo die Argumentation Recht hat ist der letzte: Wenn der Junge sagt „Ich will die rosa Mädchenschokolade“ sollte man keinem Jungen sagen „Das ist doch nur für Mädchen“, sondern einfach die Schokolade kaufen. Die Farbe ist keine Pflicht zu irgendwas, der Name auch nicht.
Damit gilt natürlich allgemein, wenn jemand etwas ablehnt aus Geschlechtsgründen ist das falsch. Egal ob der Grund ist „Du bist ein Junge und willst Mädchenschokolade“ oder „Du bist ein Junge und willst etwas das in das Klischee passt? Du musst Rollenbilder hinterfragen!“, beides ist gleich schlecht.
Bei den Leuten die bei Gender Studies auffallen** scheint nur immer der Gedanke vorzuherrschen, die Welt wollte ihnen eigentlich was böses und wäre so gebaut, dass es die für sie schrecklichste Möglichkeit ist und darum müssen sie aus Protest immer genau das Gegenteil tun und den Status Quo anprangern.
Statt einfach mal zu entspannen. Und Schokolade zu essen.
* Ich vermute, es gibt dort auch rein sachliche Untersuchungen, die durchaus interessant sein könnten.
** Eventuell gibt es ja viele die sinnvolles tun und dabei nicht dumm rumtönen
Ich habe deutlich klargemacht, was das Problem an dieser Aufforderung ist: die Gender Studies sind ein sehr breites, interdisziplinäres Feld mit vielen guten Einzelstudien zu viktorianischer Literatur, dem Gender Pay Gap, Analysen der Geschlechterrollen in verschiedenen Gesellschaften – historisch wie geographisch, whatever. Ich habe ein Journal verlinkt, das peer reviewed ist, weil der verlinkte Artikel wahrheitswidrig behauptete, peer review gäbe es nicht. Als Antwort darauf bekam ich etwa nicht eine Konkretisierung der Wünsche/Interessen, sondern a) die Behauptung, ich hätte nicht geliefert, b) eine plötzliche Verschiebung der Torpfosten, indem behauptet wurde, peer review sei ja nun kein Qualitätsnachweis (hatte keiner gesagt, ich hatte nur nachgewiesen, dass der von Euch verlinkte Männerrechtler lügt), und c) eine Beschwerde, man könne die Artikel nich lesen, weil hinter fetter Paywall. Es tut mir leid, ich setze mich selbst aktiv gegen diese Praxis und für Open Access ein, aber wenn Ihr die Behauptung der Unwissenschaftlichkeit der Gender Studies aufstellt, müsst Ihr die Gender Studies an ihrer wissenschaftlichen Produktion angreifen und nicht die immer selben Männerrechtler verlinken, die was von Politisierung der Wissenschaft faseln, weil die Uni Marburg mal eine Website für die Gender Studies und die Gleichstellungsbeauftragte gemeinsam hatte (Knauss, im letzten Psirama verlinkt, übrigens schon ein neun Jahre alter Artikel und ein antifeministischer Klassiker). Wie unpolitisch hättet’s denn gern? Als ob Knauss und Co. nicht politisch aktiv wären, nein, die sind superobjektiv, auch wenn sie absichtlich misrepräsentieren (z.B. die Knauss’sche Behauptung, Gender Studies seien auf John Money zurückzuführen) übertreiben, die Apokalypse nahen sehen, weil Frauen gern gleich bezahlt würden.
Soll heissen: Ihr stellt Forderungen auf, die Ihr selbst bei weitem nicht einhaltet. Am Besten erkennbar ist das an Beitrag Nr. 44, der, ohne den Methodenteil des zitierten Artikels zu kennen, das grundsätzlich anerkannte Methodenarsenal der qualitativen Sozialforschung als „cherrypicking“ abtut. Woraufhin er sich dann gleich selbst – wohlgemerkt ohne irgendeine Datengrundlage – als qualitativer Sozialforscher betätigt, indem er spekuliert, in Onlinewelten könne „man doch sein, wer man will“. Das ist natürlich eine weitaus wissenschaftlichere Äusserung als die sorgfältig hergeleitete (und, da der Datensatz relativ klein ist, vorsichtig formulierte) These des Artikels.
Letzlich ist das Problem folgendes: egal, welchen Artikel ich verlinke, Ihr werdet ihn ablehnen, weil Euer eigentliches Problem die fundamentale (und vielbelegte) These der Gender Studies ist, Geschlecht sei immer auch (ja, AUCH) eine sozial geformte Kategorie (und ich verlinke Euch nicht zu einem Artikel, lest einfach eine beliebige Einführung in die Gender Studies).
Diese Diskussion ist so alt, dass die Böll-Stiftung schon 2013 eine Handreichung herausgab, die all die Argumente, die Ihr und Eure Gewährsmänner hier aufführten, widerlegt:
http://www.gwi-boell.de/sites/default/files/gender_wissenschaftlichkeit_und_ideologie_2aufl.pdf
Mir gehts überhaupt nicht um Wissenschaftlichkeit und Unwissenschaftlichkeit von Gender Studies, mir gehts darum, dass Psiram bei diesem Thema jeden Anspruch fahren lässt und sich mit antifeministischen Hetzern gleichtut, dann aber von uns, die wir das kritisieren, fordert, wir mögen doch endlich mal ihre in den Raum geschmissene These widerlegen. Das sind normalerweise die Methoden Eurer Gegner, und es ist peinlich.
Ich versuch nochmal was: damit mir hier nicht wieder vorgeworfen wird, Ihr müsstet Geld ausgeben, um was zu lesen, hier der Versuch der taz, ein kurzes Genderseminar 101 zu geben:
http://www.taz.de/!5065401/
Bernardo:
Psiram fragt doch wie ihr Gender-Studies bzw. Gender definiert. Ohne eine gemeinsame Grundlage der Definition kann gar keine Diskussion stattfinden.
Deshalb sind deine Ausführungen auch vollkommen unnötig und haben „noch“ kein Hand und Fuss als Argumente.
Den GenderPayGap solltest du vielleicht nochmals nachforschen. Ersten es ist ein Sex-PayGap und nicht Gender. Zweitens er basiert nicht einfach auf der Tatsache, dass die eine Person eine Frau und die andere ein Mann ist. Drittens der Gap ist, wenn überhaupt vorhanden, verschwindend gering und sehr gut mit noch unerfahreneren Frauen in Gehaltsverhandlungen erklärbar (nach Abzug der ganzen Cofaktoren wie Überstunden Lebensarbeitszeit, Arbeitspausen usw). Wir müssen keine Konstrukte erstellen, wenn es sehr plausible und einfache Erklärungen gibt. Occam lässt grüßen, wobei auch da kann man diskutieren
In deinen Texten lässt sich allerdings genau diese SJW/Feminismus-Ideologie finden, die es schwierig macht vernünftig zu diskutieren auch wenn man die Begrifflichkeit geklärt hat. Ich finde es immer wieder faszinierend wie Feminismus mit Gleichberechtigung gleichgesetzt wird.
Einen schönen Abend
Du hattest gesagt:
Wieso ist das also eine Torpfostenverschiebung, wenn ich darauf antworte, das Peer Review notwendig aber nicht hinreichend ist?
Meine Wanderung mit dem Klingelbeutel war erfolgreich. Was mich an dem Methodenteil stört ist: es ist keinerlei Versuch erkennbar, die Beobachtungen in irgendeiner Weise zu kontrollieren. Das ist high-impact-Forschung?
Na endlich! Danke. Schau ich mir an.
@ pelacani:
Selbstverständlich bin ich für Zensur, von Montags bis Freitags. Am Wochenende fresse ich kleine Kinder und an Weihnachten sammle ich außerdem noch heimlich Spenden für Impfgegner.
Ein Haufen merkwürdiges Zeugs, das keine unserer Fragen beantwortet. So heißt es z. B.:
Wie kann man nur auf die Idee kommen, eine Androgenresistenz oder andere Intersexe für den endlichen Beweis einer allgemein nicht ausdifferenzierten Geschlechtlichkeit i. S. eines „Gender“ zu halten? Und wieso das eine „Selbstverständlichkeit“ wäre, die schon aus Kants Kritik der reinen Vernunft folge, ist mir auch nicht klar geworden. Qualitativ ist das vielleicht vergleichbar mit dem Transhumanismus.
Da hat der Herr Klein ja Glück gehabt, dass er in der NZZ am Sonntag geschrieben hat! 😀
Man kann sich der Sache humoristisch nähern, zB hier
https://twitter.com/RealPeerReview
(die wenigen nicht-repräsentativen Ausreisser reichen immerhin für tägliche Updates).
Hier versucht eine Soziologin ihre KollegInnen dazu aufzurufen, der Biologie breiteren Raum zu geben:
https://econjwatch.org/articles/undoing-insularity-a-small-study-of-gender-sociology-s-big-problem
Hier zwei Einlassungen aus sehr linker bzw. eher rechter Perspektive:
https://geschlechterallerlei.wordpress.com/2016/08/04/gastartikel-leszek-zu-der-frage-ob-gender-studies-unwissenschaftlich-sind/
https://geschlechterallerlei.wordpress.com/2016/08/06/gastartikel-man-in-the-middle-zu-der-frage-ob-gender-studies-unwissenschaftlich-sind/
Man kann sich der Sache humoristisch nähern, zB hier
https://twitter.com/RealPeerReview
(die wenigen nicht-repräsentativen Ausreisser reichen immerhin für tägliche Updates).
Hier versucht eine Soziologin ihre KollegInnen dazu aufzurufen, der Biologie breiteren Raum zu geben:
https://econjwatch.org/articles/undoing-insularity-a-small-study-of-gender-sociology-s-big-problem
Hier zwei Einlassungen aus sehr linker bzw. eher rechter Perspektive:
https://geschlechterallerlei.wordpress.com/2016/08/04/gastartikel-leszek-zu-der-frage-ob-gender-studies-unwissenschaftlich-sind/
https://geschlechterallerlei.wordpress.com/2016/08/06/gastartikel-man-in-the-middle-zu-der-frage-ob-gender-studies-unwissenschaftlich-sind/
Re: Torpfostenverschiebung: weil ich gar nicht gesagt hatte, dass peer review die Qualität der Forschung hinreichend nachweist, sondern vielmehr darlegte, dass der Autor des Artikel wilde, unbelegte Falschbehauptungen aufstellt. Ich wollte meiner Kritik Ausdruck verleihen, dass psiram solchen Mist verlinkt, Du hast daraus eine Debatte über die Unwissenschaftlichkeit der Gender Studies gemacht.
Eine Kontrollgruppe? Wie sollte die denn aussehen? Mich nervt das wirklich, dass Leute immer meinen, es gäbe nur eine einzig wahre Art, Wissenschaft zu betreiben. Das ist unmöglich. In der qualitativen Sozialforschung werden die Kontrollen üblicherweise in die Fragebögen eingebaut; man versucht, die Interviewten ein bisschen „auszutricksen“. In diesem Fall schreiben die Autorinnen:
Also die direkte Frage verneinten sie, in offeneren Fragesituationen erzählten sie aber genau die Situation, die sie selbst verneinten, weil sie sie selbst nicht so wahrnahmen.
Es gibt solche Artikel auch zuhauf in qualitativ hochwertigen naturwissenschaftlichen Journals: kleine Datenbasis, die auf was hinweist, was man weiter ausbauen muss („our findings suggest“). Dazu sind Zeitschriften schliesslich da.
Was mir generell noch auffällt, daß auf gender studies spezialisierte Journals einen extrem niedrigen Impact Factor aufweisen.
http://www.scimagojr.com/journalrank.php?category=3318
Das höchste Journal hier hat einen 2-Jahres IF von 2.38. Das haben in meinem Feld (Molekularbiologie) eher Ausweichsjournals, bei denen man die nicht so überragenden Manuskripte einreicht.
Das heisst nicht, daß die Forschung per se schlecht sein muss. Es heisst aber, daß in den Gender Studies weniger oft auf einander bezogen wird.
Viele dieser Artikel sind auch das, was wir als „opinion paper“ oder „perspectives“ bezeichnen würden, also eher strukturierte essays, die aus der Feder eines einzelnen Autoren kommen. In der Biologie ist „Original Research“, also Präsentation von relevanten Ergebnissen, fast immer in Manuskripten mit multiplen AutorInnen veröffentlicht. Ein weiterer, vllt. für die ganze Soziologie (?) vorhandener, Unterschied zu STEM.
Ich persönlich kann mit kritischer Theorie, Autoethnographien etc., einfach auch weniger anfangen. Ein paar der in dem oben genannten Twitteraccount verballhornten Paper habe ich mir mal im Volltext angeschaut. Da wird einem oft nicht klar, was genau Ziel der Arbeit war, auf welchen Vorkenntnissen sie aufbaut, und welcher Standpunkt vertreten wird.
Mir wurde die Präsentation wissenschaftlicher Ergebnisse anders beigebracht. Ohne werten zu wollen.
Was mich ein bissschen ärgert: In meinem Feld brauchen Veröffentlichungen zwischen Studiendesign (+ Antrag schreiben), Laborarbeit, Analyse, Schreiben und (mehreren) Peer-Review(s) gerne ein paar Jahre. Den Eindruck habe ich oftmals nicht, wenn ich mit geisteswissenschaftlichen Veröffentlichungen beschäftige.
Im übrigen hätte ich lieber – anstelle der Grundsatzdiskussion hier – wirklich gerne ein paar handfeste Fakten. Mich würde interessieren, welchen Stellenwert die Biologie in den Gender Studies wirklich einnimmt. Eine repräsentative Umfrage über die Gewichtung Nature/Nurture wäre sicherlich sehr interessant.
Hier übrigens ein paar Fakten dazu:
Top 10 Replicated Findings From Behavioral Genetics
http://pps.sagepub.com/content/11/1/3.abstract
Es ist jetzt das vierte Mal, dass ich das nicht bestreite.
Richtig. Fand ich spannender.
Aber das ist dann ein Problem der qualitativen Sozialforschung: ihre Ergebnisse werden immer angreifbar bleiben. Ich weiß es nicht, wie eine Kontrollgruppe aussehen sollte. Andere Sportart, andere Alterskohorte dazu nehmen, für die Männer „umgepolte“ Fragen nehmen (auch unter Männern gibt es Missgunst und Eifersucht), keine Ahnung. Ich muss das auch nicht wissen, denn ich bin ja kein Sozialforscher.
Ich überblicke nicht die Naturwissenschaften. Aus dem kleinen Ausschnitt, den ich überblicke, weiß ich: kleine Fallserien genügen fast nie, praktische Schlussfolgerungen zu begründen. Außer die Umstände sind so selten, dass man nie etwas anderes hinkriegen wird.
Was Du für einen Vorzug hältst, ist in Wirklichkeit ein methodischer Mangel, und zwar ein ernsthafter. Es ist sehr einfach, alles Mögliche in die Leute hineinzufragen, und jeder Forscher hat ja eine Hypothese im Kopf. Ganze Forschungsrichtungen sind so entstanden, mit entsprechendem moralischen Überbau; ein schönes Beispiel dafür ist die Multiple Persönlichkeit, zu Grabe getragen von N Spanos, Multiple Identity Enactments and Multiple Personality Disorder: A Sociocognitive Perspective, Psychological Bulletin
1994;116:143-165 (was natürlich ihre Adepten nicht gestört hat).
Zu welchen methodischen Klimmzügen man gezwungen ist, wenn man auf Befragung angewiesen ist und keine Kontrollgruppe hat, kann man an einem Beispiel sehen. Schankin et al haben mal ein neues subjektives Migräne-Symptom beschrieben („visual snow“) [Volltext verfügbar]. Allein die Beschreibung der Befragung umfasst 9 Unterpunkte. Dennoch beginnt ihre „Limitations“-Sektion der Diskussion mit:
Für ein Papier wie das von Kissane und Winslow hätten die Reviewer von Brain 20 Sekunden gebraucht, schätze ich.
Ach – die Böll-Handreichung. Das wäre so, als ob man einen Drogen-Dealer fragt, ob Drogen schädlich sein können.
Widerreden:
https://zettelsraum.blogspot.de/2013/07/das-eigentor-in-der-studie-der-heinrich.html
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/fleischhauer-kolumne-vorsicht-gender-gegner-a-910563.html
https://man-tau.com/2013/07/25/gender-studies-als-wissenschaft-von-allem-und-jeder/
http://www.danisch.de/blog/2013/07/12/der-offene-krieg-gegen-die-wissenschaft-bricht-aus/
http://edoc.hu-berlin.de/documents/ovl/braun-christina-von/PDF/Braun.pdf
Das war der Vortrag zur Eröffnung des Studiengangs Gender-Studies an der Humboldt. von der Mitbegründerin und langjährigen Leiterin des Studiengangs. Das sollte doch eine gute Einführung sein. Ist schon eine Weile her, dass ich mir das gegeben hatte, aber soweit ich mich erinnere, waren es die ersten 19 Seiten ein Vergleich mit anderen unterdrückten Gruppen über alle Zeitepochen hinweg und auf der letzten Seite erklärt sie dann, dass das Geschlecht sozial konstruiert sei etc.
ich zitiere, da ich leider das immer noch nicht hinkriege:
>>Heute gibt es einen breiten Konsens darüber, daß das Geschlecht
als „kulturelles Konstrukt“ zu verstehen sei.41 Der Körper selbst
erscheint nurmehr als eine Hülle (als wet ware, wie die Computerfreaks
sagen), als Spielzeug geistiger Triebe. Solche Vorstellungen
bahnten sich nicht nur mit den ersten medialen Techniken
der Telekommunikationsmittel an; sie sind auch den technischen
Sehgeräten eingeschrieben, die die Sehgewohnheiten und die
Wahrnehmung des Selbst und des anderen verändert haben. Die
Reproduktionstechniken des Industriezeitalters führten zu einer
Vereinheitlichung des Blicks, die schon mit der Entwicklung der
Zentralperspektive in der Renaissance begonnen hatte. Und sie
reflektieren in dieser Gleichschaltung des Sehens die Phantasien
der Homo-Genisierung, die mit der Herrschaft über die menschliche
Reproduktion einhergingen. Diese Phantasien erzählten von
der Verschmelzung der Geschlechter und der Aufhebung des Ich.
Das zeigt sich besonders deutlich mit der Entstehung des Kinos
– ein Medium, das den oder die ZuschauerIn zur Identifizierung
sowohl mit dem betrachtenden Auge der Kamera als auch mit
dem betrachteten Objekt des Blicks, den Darstellern, einlädt.
Schon in den 20er Jahren bezeichnete Alfred Polgar das Kino deshalb
als „Region, wo „das Individuum aufhört, Individuum“ zu
sein. Er nannte den Kinosaal einen „dunkle(n) Wurzelgrund des
Lebens“, einen Ort, „den so selten ein Wort erreicht, kaum das
Wort des Gebetes oder das Gestammel der Liebe, er bebt mit.“42
meine zeitgenössischere Interpretation ihrer Aussagen: VR-Brillen lassen die Gender-Grenzen fallen, da der Körper/sex nur eine Hülle sei.
Ich habe bisher sonst nur Einführungsvorträge von Chemikern gehört, wenn sie ihren Lehrstuhl/ihre Forschung vorstellen, in dem der aktuelle Stand der Forschung gezeigt wird, vom Gebiet und von ihnen selber, aber hier finde ich rein gar nichts davon, dabei sind die Gender Studies in den Staaten zumindest so alt wie John Money und Simone de Beauvoir selbst.
Ich hatte vor wenigen Jahren diese Diskussion in einem anderen Internetforum ausgiebiger diskutiert, da hatte Judith Butler, eine der Koryphäen des Gebiets, gerade den Adorno-Preis erhalten. Ich wäre sehr glücklich darüber, wenn man seriöse Gender-Forschung zeigen könnte, mir kommt es öfters so vor, dass Gender Studies sich noch in der protowissenschaftlichen Phase befinden, in der noch zu viele radikal ideologisch verblendete Personen aktiv sind und der Bereich droht, in die totale pseudoscience abzudriften.
Werfe gleich gerne noch mehr in die Diskussion. Auch gerne noch ein paar Links zu Studien (auch wenn tatsächlich viele – nicht sonderlich überraschend – vor Bezahlschranken enden werden). Will aber nicht mit einem Studien-Gish-Galopp in die Diskussion starten.
Wäre das denn eine gendertheoretische Studie, die den erfragten Anforderungen genügt?
http://www2.pitt.edu/~bertsch/chatard%20etal.pdf
Eure Fragen sind zwar offensichtlich nicht als wissenschaftlicher Anstoß, sondern rein ironisch und polemisch gestellt, aber da ihr eig einen wissenschaftlichen Anspruch habt, bleibt irgendwo die Hoffnung auf Offenheit für Antworten zu stoßen.
1.Was zählt denn eigentlich alles als „Gender Studies?
Auf zu Wikipedia: „Dabei fragen sie sowohl, wie das Geschlecht menschliche Gemeinschaften prägt, als auch, wie es wiederum von ihnen geformt wird.“ Gender Studies sind also, zumindest in meiner Wahrnehmung, vor allem Ideologiekritik. Es wird versucht denk Muster „Falschen Bewusstseins“(Ideologie Definition nach Marx) zu erkennen und offenzulegen. Mit verschiedenen Methoden. Beispielsweise wird oft Geschichte analysiert, was auch ziemlich empirisch ist(wuhu!). Man könnte gucken, ‚Hey Rosa wird mit Frauen asoziiert, Blau mit Männern..woran liegt das?‘ Dann stellt man die These auf ‚Das is die Natur des Menschen‘ guckt sich die Geschichte an, merkt früher waren Farb zuschreibungen anders, vorher nochmal anders, analysiert die Struktur dahinter so gut es geht und tadaa es gibt ein Ergebnis: Hier Natürlichkeit anzunehmen ist dumm.
2. „Welche Erkenntnisse gibt es aus diesen Gender Studies?“
Z.B. das mit den Farben eben. Ist die Frage welche Farbe als männlich eingestuft wird ein albernes unwichtiges Beispiel? Ist das gesellschaftlich und wissenschaftlich überhaupt relevant? Naja ihr habt gefragt : „Ist es das Ziel, Frauen beizubringen, sich mehr wie Männer zu verhalten und Männern, sich mehr wie Frauen zu verhalten? Oder beiden Geschlechtern ein anderes, drittes?“
Und genau darauf ist es eine Antwort. Ihr fragt ob sich Männer mehr wie Frauen verhalten sollen. Und Gender Studies versuchen euch klar zu machen, dass dieses ’sich wie Männder verhalten‘ wissenschaftlich korrekt eher ’so wie sich Männer zur Zeit verhalten‘ heißten sollte.
denn Rosa ist nicht weiblich, sondern Rosa ist zur Zeit weiblich und noch nicht mal wirklich lange.
Und Fußball ist nicht männlich, sondern Fußball ist hier männlich und in den USA weiblich.
Wenn ihr fragt 6.:“Ist es das Ziel, Frauen beizubringen, sich mehr wie Männer zu verhalten“ ist die Frage schon falsch. Ein typischer Bias, den ihr eig kennen solltet. Dinge mit denen man aufwächst hält man für normal, natürlich und unveränderbar. Z.B. Nationen. Gibt es seit ein paar hundert Jahren und alle denken es gab nie etwas anderes und es wird nie etwas anderes geben. Das heutige Bild von Männlichkeit. Alle denken es sei normal. Verblendet von Ideologie ist man nicht mehr in der Lage zwischen biologischem und sozialem Geschlecht zu unterscheiden. Und genau das versuchen Gender Studies. Ideologien durchbrechen, damit man mit klarem Blick erkennen kann, was konstruiert und was biologisch ist.
Was übrigens noch keine Schlüsse impliziert, kein ‚gut und schlecht‘. Etwas das als biologisch oder
’natürlich‘ erkannt wurde ist nicht besser als etwas, das konstruiert und von Gesellschaft gemacht wurde. Umgekehrt genauso. Schlüsse werden auf moralischer Ebende gezogen.
Schöne Beispiele von Papers in den Gender-Studien gibts hier:
https://twitter.com/RealPeerReview
Und wers nicht kennt, sollte sich unbedingt mal die preisgekrönte Dokumentation Brainwash von Harald Eia anschauen. Da demontieren sich die Genderisten selbst gnadenlos: https://www.youtube.com/watch?v=E577jhf25t4
Schön zu sehen, dass sich Psiram endlich diesem pseudowissenschaftlichem Quatsch animmt!
Ich weiß, die Diskussion sollte sich eigentlich darum drehen, was Gender-Studies positives gebracht haben – aber ich hab jetzt mal eine Frage – zu einem Argument welches oft kommt, aber nie beantwortet wird.
Wenn es denn stimmt, dass der GPG tatsächlich zwischen 7% und 23% liegt – wie kommt es, dass Firmen, bei denen die Lohnkosten tatsächlich den Hauptfaktor an betrieblichen Ausgaben darstellen, nicht ausnahmslos jeden Mann feuern? Wenn die selbe Arbeit in der selben Zeit durch Frauen bis zu 23% günstiger für den Betrieb erledigt werden kann? Ist doch ökonomisch ein kompletter Wahnwitz, noch einen einzigen Mann einzustellen.
Für mich schon. Es ist doch keine Frage, dass Rollenverständnisse in ihren Auswirkungen untersucht werden können und sollten; vielleicht sogar, um sozialpolitische Maßnahmen besser steuern zu können. Mir ist aber unklar, ob uns die kosmischen Erkenntnisse der Gendertheoretiker über das Gender_gap, über informatische Artefakte, über die Illusion einer geschlechtsunabhängigen Naturwissenschaft u. v. a. m. weiterhelfen. Die sind es, die die ernstzunehmende Kritik (das ist sicher nicht jede Art von Kritik) auf sich ziehen.
@ Sascha
„Und genau das versuchen Gender Studies. Ideologien durchbrechen, damit man mit klarem Blick erkennen kann, was konstruiert und was biologisch ist.“
Wie genau äußert sich das denn bzw. wie bekommt man denn diesbezüglich einen klaren Blick? Speziell, welche Unterschiede bei Eigenschaften/Verhaltensweisen der Geschlechter sind denn auch aus Sicht der Gender Studies biologisch begründet? Auch in deinen Beispielen gibt es eigentlich nur solche für soziale Konstruktion. Und das scheint mir ein Merkmal nahezu aller Texte zu sein, die ich diesbezüglich bisher gelesen habe. Gab es einmal ein Paper, das festgestellt hat: „Wir sind zwar bislang davon ausgegangen, dass X sozial konstruiert war, aber auf Basis der Studie liegt es nahe, dass es sich hier um einen biologischen Unterschied handelt“? Ich wäre hier mit dem Ideologievorwurf eher vorsichtig, da GS ja auch immer eine eminent politische Komponente haben.
„Und Fußball ist nicht männlich, sondern Fußball ist hier männlich und in den USA weiblich.“
Wie kommst du darauf? Weil die Frauen im Hinblick auf Titel erfolgreicher sind? Quantitativ gesehen spielen mehr Männer als Frauen Fußball. Und das dürfte auf alle kompetitiven Sportarten zutreffen. Und hier wird es auch wieder spannend: gibt es dafür biologische Gründe oder ist das sozial konstruiert und wie löst man diese Frage mit „klarem Blick“?
zu den Farben, an der Stelle wäre die Forschung doch noch längst nicht vorbei, nur zu postulieren, dass es nichts mit Natürlichkeit zu tun hätte.
Die Geschichte der Farben hängt sehr eng überhaupt mit der Entdeckung und Verfügbarkeit von Farben überhaupt zusammen. Es ist überhaupt erst seit der chemischen Industrie überhaupt selbstverständlich, jede Farbe zur Verfügung zu haben.
Der Wandel von Blau zu männlich zum Beispiel ließe sich wunderbar mit der Entwicklung vom synthetischen Indigoblau verknüpfen etc.
jeder Kunsthistoriker macht sich da mehr Mühe als die Genderstudies. Und einzig die Vertreter der Gender Studies heulen rum, dass Kinderspielzeug geschlechtertechnisch häufiger in bestimmten Farben gehalten sind.
Man könnte aus dem Befund, dass dank der modernen Wissenschaft jede Farbe jederzeit zur Verfügung steht, auch postulieren, dass erst seit dem letzten Jahrhundert die natürliche Präferenz für Farben von den Geschlechtern ausgelebt werden könnte, ist genauso nicht widerlegbar wie die Aussage, dass die Farbpräferenzen nur anerzogen seien.
Diese Fokussierung auf „Biologismus“ lese ich nur in Werken von den Gender Studies.
Eine andere Sache, die mich stört, ist die Fixierung auf Rollenbilder, dabei würde mMn die Beispiele Arzt und Krankenschwester zeigen, wie schnell sich die ändern können. Arzt/Krankenschwester sind doch die perfekten Beispiele für klassische Rollenbilder, dabei studieren konstant mehr Frauen Medizin, seitdem seit den 68ern es keine Zulassungsbeschränkungen nach Geschlecht mehr gibt.
Es geht bei den Gender Studies zu oft nur um den Elfenbeinturm, in meinem Freundeskreis (großteils mittlerweile promovierte Chemiker Ende 20/Anfang 30) ist das größte Problem für die Frauen nicht, dass die Stellenausschreibungen nicht geschlechtsneutral formuliert worden sind, sondern wie sie Beruf und Familie unter einem Hut bringen sollen, wenn die ersten Berufsjahre mit die wichtigsten sind, wenn man Aufstiegsambitionen hat. Da bringt es nicht, über irgendwelche Quoten eingestellt zu werden, wenn man danach in einer Sackgasse steckt bzw. Firmen zurückhaltender sind, weil sie sozusagen fest mit Schwangerschaft und Elternzeit planen müssen. Konzerne gehen diese Probleme viel aktiver und besser an als alles, was ich über die Gender Studies mitkriege. Da gehen kluge Köpfe verloren, weil sie zu oft da zurückstecken müssen, um beides unter den Hut zu bringen.
Die Staaten oder Australien kriegen das viel besser unter einem Hut, obwohl gesetzlich viel weniger Möglichkeiten gegeben sind.
Ich glaube ja gerne, dass es Missstände gibt, aber der Artikel des European klang schon sehr ideologisch aufgeladen. Nach dem Motto „die wollen uns umerziehen“. Und das ist keine großartige Grundlage für eine vernünftige Diskussion.
Ich begrüße den Versuch, die Diskussion auf eine sachliche Grundlage zu bringen, bin aber etwas skeptisch ob das auch funktionieren wird – das Thema weckt ungewöhnlich starke Emotionen scheint mir.
@ nouse
Vielen Dank für den Hinweis auf den Artikel von Frau Stern! Die dort aufgeführten Paper aus den Gender Studies könnten sehr dabei helfen die ewige „Wahrer-Schotte“-Diskussion zu beenden. Auch wenn die Begründungen etwas detaillierter sein könnten, ist die Liste sehr hilfreich für weitere Diskussionen.
Zu dem Ausgangspost: Ich finde den Artikel auf theeuropean sehr polemisch und schlecht argumentiert. Trotzdem freut es mich, dass hier dadurch eine Diskussion angestoßen wurde. 🙂
Zu der Situation in Deutschland, hier eine Liste mit den deutschen Genderprofessuren (bezugnehmend auf die Ausgangsdiskussion im Wochenrückblick – Frau Palm steht darauf, Frau Strauß auch):
http://www.mvbz.fu-berlin.de/service/datensammlungen/professuren/datensaetze_bundeslaender.html
@ Bernardo Soares
Schade, bei dem Link der Böll-Stiftung hatte ich gehofft, dass dort wirklich wissenschaftliche Argumente gegen die Kritik vorgebracht werden. Stattdessen liest man folgendes:
Zu dem Vorwurf „Gender Studies sind nicht objektiv und zu stark mit der Politik verknüpft“ ist das Gegenargument:
Wie kommt der Artikel darauf zu unterstellen, dass man zum Beispiel nicht auch das IDW kritisiert? Sämtliche politische Verflechtungen sind schädlich für die Objektivität der Wissenschaften. In allen Bereichen. Weil es auch an anderen Stellen falsch läuft, haben wir einen Freifahrtsschein? Dass Hochschulpräsidenten gewählt werden als Argument anzuführen ist einfach nur noch lächerlich.
Zu dem Vorwurf, dass verschiedene Annahmen der Gender Studies naturwissenschaftliche Fakten unzulässig vernachlässigen oder gar widersprechen kommen sogar nur ad hominem – Argumente gegen einzelne Autoren. Nicht ein inhaltlicher Widerspruch ist hier zu finden.
Schon klar. Weil man ja „offensichtlich“ sowieso nicht mit Fakten argumentieren möchte, muss sich die Böll-Stiftung auch nicht dazu herablassen.
Noch mal konkreter zu der Unzulässigkeit der Vernachlässigung der Biologie gibt es genau diesen einen Satz:
Muss man hier noch weiter ausführen was für ein hanebüchener Strohmann das ist?
Und nach solchen Publikationen im Jahr 2013 wundert man sich, warum Gender Studies als unwissenschaftlich kritisiert werden…
PS: Die in dem Paper verlinkten Gegenpositionen sind größtenteils selbst recht radikal bzw. von konservativen Wertvorstellungen geprägt und möchte ich auch nicht unterstützen. Das befreit aber nicht von der Pflicht sich in so einer Publikation auch inhaltlich mit der Kritik auseinanderzusetzen.
Nun ist ja ein ein 4 Jahre alter Text, zumal wenn er solche theoretischen Höhen erschwingt, noch nicht „so alt“, aber dass er „all die Argumente“ widerlegt, ist dennoch erwartbar falsch. Da ist ein Haufen Whataboutism drin (gegen WikiMANNia oder Pirincci zu argumentieren ist leicht verdientes Geld). Viele der hier schon erwähnten Pro-Gender-Texte würden übrigens bei den „Prüffragen“ am Ende glatt durchfallen. Einiger kurzweiliger Kommentar ist ja schon in #18 erwähnt, ich empfehle insbesondere die weniger verbissenen Bemerkungen z. B. aus Zettels Raum. Ich fasse mich daher kurz und beschränke mich auf eine kleine Fußnote. Nehmen wir mal S. 45:
Soll das heißen, Frauen könnten nicht objektiv sein? Oder dass Objektivität eine Eigenschaft ist, die ihnen (als unterprivilegiert) vorenthalten wird? Oder dass es gar keine Objektivität gibt (weil in Anführungszeichen)? Analysebedürftig paradox, ich stimme zu. Der nächste Satz ist:
Ist das ein Postulat, gezogen aus der Lektüre konstruktivistischer Erbauungsliteratur, für das Beispiele im realen Leben gesucht werden, mögen sie passen oder nicht (das wäre das, was ich unter Ideologie verstehen würde), oder ist das die Beobachtung? Dann wüsste ich gern mehr darüber. Wer ist es denn, der den „wissenschaftliche[n] Geist zugleich als männlich und als körperlos“ ansieht? Warum könnte man den wissenschaftlichen Geist (ein Abstraktum, das hier gar nicht mit Inhalt gefüllt ist) nicht zugleich als weiblich und körperlos ansehen, solange nach einer Entsprechung in der Wirklichkeit sucht, m. a. W. sich um Objektivität bemüht? Dieser „Ausgangspunkt“ ist wohl sehr stark begründungsbedürftig.
Bei Bedarf könnte ich auch noch ausführlicher. Aber ich will niemanden langweilen.
Du hattest ja auch schon zweimal gesagt, dass Du dich auf eine Diskussion nicht einlassen willst. Eines muss man Dir lassen: konsequent bist Du.
Nicht durchgekommen? Nochmal:
Eine umfassende Kritik an den Gender Studies findet sich hier:
http://maninthmiddle.blogspot.de/p/gender-studies.html
Lang aber lesenswert.
[Dein erster Versuch war tatsächlich im Spam gelandet. Kannste machen nix. Sorry. – P]
Anbei mal drei gendertheoretische Studien allein zum rosa/blau-Komplex.
http://psycnet.apa.org/journals/dev/50/4/1091/
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.2044-835X.2011.02027.x/abstract
http://link.springer.com/article/10.1007/BF00288339
Ich habe das Gefühl, es spricht sich von den Gender Studies Kritikern immer so schnell und so leicht aus, dass es keine (fundierten, evidenzbasierten) Studien in den Gender Studies gäbe. Mit ein bisschen Recherche offenbart sich aber schnell das Gegenteil.
Ja, vielleicht ist mein Beitrag auch erst einmal ein „Hausaufgaben machen!“-Aufruf. Sucht doch bitte einfach mal selbst nach Studien der Gender Studies zum Thema abc oder xyz. Google reicht schon. Die Behauptung, es gäbe keine Studien in einem Fachbereich, der seit gut und gerne 30 – je nachdem wie man ansetzt fast 80 – Jahren existiert und dabei sowohl die wissenschaftliche als auch gesellschaftliche Landschaft beeinflusst, ist eine derart starke These, dass ich in diesem Fall tatsächlich eher die Thesensteller in der Bringschuld sehe (allein schon, weil ich überzeugt bin, dass kluge, kritische Köpfe wie Psiram-Autoren/Leser bei ein wenig Recherche selbst darauf kommen, dass im Bereich der Gender Theorien eben doch eine Menge evidenzbasiertes geschieht).
Jemand der behauptet „Die Evolution ist quatsch. Es gibt doch keine einzige vernünftige Studie, die den Sachverhalt der Evolution nachweist… Ich habe bisher auf jeden Fall noch keine gefunden. Zeigt mir doch mal diese Studie!“ würde euch wahrscheinlich – vollkommen zurecht – auch nicht sonderlich dazu motivieren, ihn mit Links zu Studien und wissenschaftlichen Papers zu versorgen. Allein schon weil seine Prämisse dem wissenschaftlichen, wissenschaftshistorischen, wissenschaftstheoretischen Konsens derart zu wider läuft, dass er sich erst einmal erklären sollte, wie er überhaupt zu dieser Aussage kommt.
Deswegen ist es mir auch nach wie vor schleierhaft, warum sich ausgerechnet Psiram gerade so die Krallen an den Gender Studies wetzt. Meiner Erfahrung nach basiert die generelle „Gender Studies Kritik“ oft auf einem nichtwissenschaftlichen (oder pseudowissenschaftlichen) Unverständnis für den wissenschaftlichen Diskurs. Daher findet man ja diese generelle „Gender Studies Kritik“ weniger in wissenschaftlichen Texten als viel mehr (gerne auch angereichert mit diversen Verschwörungstheorien) bei Kopp/Compact/Pegada, also gerade auf der „Psiram-Gegenseite“.
Es spricht ja nichts dagegen, einzelne Studien, Texte etc. der Gender Studies zu kritisieren (geschieht auch in den Gender Studies selbst, weil wissenschaftlicher Diskurs und so…), aber eine wissenschaftliche Disziplin, deren Hauptprämisse („Es existieren soziokulturelle Geschlechterrollen“) auch fachübergreifend anerkannt ist, rundheraus abzulehnen, ist schon ein starkes Stück, wenn nicht sogar eine ziemlich wissenschaftsfeindliche Haltung.*
*Sorry… ziemlich ereifert runtergeschrieben. Lag mir aber gerade auf dem Herzen. Der nächste Einwurf wird wieder sachlicher.
Ich glaube kaum, dass jemand die Existenz von kulturellen Geschlechterrollen bestreitet. Wenn ich verteidigende Texte wie den aus der taz verlinkten lese, fallen mir jedoch ausnahmslos zwei Dinge auf:
1. Kritiker werden pauschal als Fortschrittsfeinde diffamiert, die ihre Privilegien nicht verlieren wollen.
2. Sinngemäß steht immer ein Satz dieser Art da: „Der Vorwurf, dass Gender Studies die biologischen Geschlechtsunterschiede ablehnen würde, ist falsch und unfair.“ Punkt. Danach geht es wieder mit den Ausführungen zu den sozial konstruierten Unterschieden weiter. Ich habe noch nie gelesen, dass ausgeführt wurde, WELCHE Unterschiede man denn als biologisch determiniert akzeptiert.
Vor einiger Zeit gab es einen relativ grundsätzlichen internen kritischen Text von Stefan Hirschauer (ich kenne keinen weiteren und weiß auch nicht, ob der irgendeine Wirkung hatte):
„Zum einen ist ‚Gender‘ ein dünner rhetorischer Lack auf einer traditionellen Frauenforschung, die sich als feministische Gegenwissenschaft versteht. Sie ist im Wesentlichen Geschlechterforschung geblieben, die in der Feststellung sozialer Ungleichheit ihr Zentralthema hat. Zum anderen verschleift sich das Label ‚Gender‘ in einem politischen Etikettenschwindel: Auf der einen Seite tarnen sich mit ihm verzweifelte hochschulpolitische Versuche, hartnäckige Männerdomänen in bestimmten Fächern mit ‚Frauenprofessuren‘ aufzubrechen; auf der anderen Seite macht das sog. ‚Gender Mainstreaming‘ von Bürokratien die analytischen Gewinne des Konzeptes zunichte, indem es Personen unausgesetzt mit der Geschlechterunterscheidung beobachtet und ‚gendert’, ohne zu reflektieren, dass dies das Geschlecht beständig reproduziert, obwohl es doch einmal erklärtes Ziel dieser Politik war, dessen soziale Relevanz abzubauen. In dieser traurigen Gestalt ist der Feminismus zu einer Staatsmacht geworden, die sich gebärdet wie eine Guerilla im Kampf gegen einen übermächtigen Klassenfeind.“
„Dies hat intellektuelle Folgen: Leicht erkennbar ist eine politisch selektive Themenwahl der Forschung. Maximale Sensibilität gibt es – verständlicherweise – für Aufstiegshemmnisse von Frauen und persistente soziale Ungleichheiten; völlig unterforscht bleiben dagegen kulturelle Aspekte des Geschlechterverhältnisses (etwa politisch inkorrekte Attraktivitätsnormen oder lebensweltliche Biologismen) sowie die vorhandenen Benachteiligungen von Jungen und Männern. Sie wurden den – verständlichen – Ressentiments von Männerrechtlern überlassen.
Ein weiterer, viel schwerer zu überwindender Bias der Geschlechterforschung liegt in der systematischen Überschätzung der Relevanz, die die Geschlechterunterscheidung für moderne Gesellschaften hat. Wir leben nicht mehr in einer Genusgesellschaft, die alle Tätigkeiten und Positionen mit geschlechtlichem Sinn versieht, sondern in einer Gesellschaft, die zwar in bestimmten Feldern noch hartnäckig nach Geschlecht unterscheidet, es in vielen Feldern aber erfolgreich vermeidet.“
http://www.forschung-und-lehre.de/wordpress/?p=17324
Das formuliert zumindest meine Kritikpunkte recht gut.
Und wer sich gern gruselt, kann sich die gendergerechten Perspektiven für alle möglichen Wissenschaftszweige anschauen:
Beispiel Physik: „Die (männlich-patriarchalische) physikalische Wissenschaft zeigt Mängel der Selbstreflexion, indem sie den Gegenstand verabsolutiert, einen sinnlichen Kontakt zwischen forschendem Subjekt und Gegenstand verliert und Physik als Herrschaftswissen instrumentalisiert. “
http://www.gender-curricula.com/gender-curricula/
Das ist meiner Ansicht nach beides nicht der Fall. Urprünglich wurde nur ein unkommentierter Link im Wochenrückblick gepostet. Die Reaktionen darauf waren derart interessant, wenn auch nicht unbedingt aufschlussreich, dass eine weitere Diskussion des Themas erforderlich schien. Und zumindest für mich kann ich sagen, dass meine Meinungsbildung noch lange nicht abgeschlossen ist.
Immerhin kommt ja jetzt etwas brauchbares Material zusammen, über das sich zumindest diskutieren lässt.
Ich weiß nicht, ob das in Kategorie Gender Studies, wie sie hier diskutiert wird, gehört oder nicht, aber das Thema Brain Sex, also die Erforschung der geschlechtsspezifischen Unterschiede im Gehirn, scheint zumindest den üblichen Standards in der neurologischen Forschung zu genügen, siehe Neuroscience of sex differences in der englischen Wikipedia und die entsprechenden Quellenangaben.
Ich finde den folgenden Text recht lesenswert:
http://www.forschung-und-lehre.de/wordpress/?s=hirschauer&x=0&y=0
Der Autor ist selbst Professer für soziologische Theorie und Gender Studies und übt aus dieser Position Kritik an einer Politisierung des Fachgebiets.
@ Plor
Gender Studies ausführlich mit Wörtern zu beschreiben wie wissenschaftlich, evidenzbasiert, fundiert etc. und dann gleich noch die Kritiker in die rechte Ecke stellen, macht Gender Studies auch nicht wissenschaftlicher und die Kritik wird dadurch auch nicht widerlegt.
Ok, ich versuch’s. Mein Problem ist der in #35 erwähnte Ausgangspunkt, für den mir offenbar nicht die richtigen Suchbegriffe einfallen. Sofern wir mit „Studie“ irgendwas mit empirischer Erhebung meinen. Die Suche nach „feminine“ und „objectivity“ führt in unendliche Wolken langer Essayistik, aber nicht zu Studien. Besonders hat mich dieser Treffer getroffen. Er deutet nämlich an, wie Frau Keller auf ihren Ausgangspunkt gekommen ist:
Das war also der Ausgangspunkt, aber wie hat sich die Sache weiter entwickelt? In Deutschland? Zu voller Blüte. Hier: Gender-Curricula Alle Fächer. Mein besonderes Mitgefühl gilt, ich erwähnte es in #42, den Gender ExpertInnen für katholische Theologie.
Um wieder ernst zu werden, Plor: glaubst Du wirklich, dass solche Curricula geeignet sind, die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern zu befördern?
Weil Du Dich um einen sachlichen Ton bemüht hast, habe ich auch versucht, sachlich zu bleiben.
Gender Studies krankt daran:
Die „Wissenschaftler“ sind gleichzeitig Aktivisten, die die Gesellschaft nicht nur beschreiben, sondern auch ändern wollen. (Man denke nur an Lann Hornscheidt von der HU Berlin.) Aus diesem Grund ist es nicht zu erwarten, dass sie tatsächlich ergebnisoffen „forschen“, schließlich würden sie sich selbst in den Fuß schießen, wenn sie versehentlich feststellen würden, dass ihre Kernthese, dass „Gender“ nur kulturell/soziologisch begründet wäre, so nicht stimmt.
Ich habe schon eine ganze Reihe von Gender-Studies-Papern gelesen, und ich habe noch nie gelesen, dass irgendjemand dort festgestellt hätte, dass seine/ihre Grundannahme falsch wäre. Zudem wird bei Beobachtung diverser Phänomene nie nach alternativen Erklärungen gesucht: Ein Unterschied zwischen Mann und Frau etwa wird grundsätzlich damit erklärt, dass er rein durch gesellschaftliche Vorprägung entsteht. Und warum es diese Vorprägung gibt? Ganz klar, weil Männer Frauen immer unterdrücken. Dass es auch ganz andere, auch in der Biologie und anderswo begründete Erklärungen dafür geben könnte, wird niemals ernsthaft diskutiert. Das Fazit steht schon von Anfang an fest.
Gender-Studies-Akademiker schaffen es auch auf beeindruckende Weise, einander widersprechende Standpunkte zu vertreten, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, sie miteinander in Einklang zu bringen. Ein Beispiel aus meinem früheren Studium (ich studierte Deutsch, eine Literaturprofessorin war aber gleichzeitig auch GS-Professorin und konzipierte ihre Veranstaltungen so, dass sie Studenten beider Fachrichtungen belegen konnten): Eine Vorlesung bei ihr beschäftigte sich mit Frauen und der Rezeption der Französischen Revolution in der deutschen Literatur. Die erste Hälfte des Semesters drehte sich darum, wie unheimlich wichtig und bestimmend Frauen für die deutsche Literatur über die Französische Revolution waren. Die zweite Hälfte des Semesters beschäftigte sich dann damit, dass Frauen komplett ignoriert wurden und ihnen keinerlei Einfluss zugestanden wurde, wenn es um die deutsche Literatur über die Französische Revolution ging. Und die Professorin konnte natürlich beide Aussagen mit Argumenten belegen (Cherrypicking), aber es gab nicht einen Versuch, diese beiden Aussagen miteinander in Einklang zu bringen. Und das ist ein Muster gewesen, was ich später beim Lesen von Gender-Studies-Papern immer wieder bemerkt habe: Es wurde immer nur das berücksichtigt, was die Annahme bestätigte, aber Gegenargumente wurden nie ernsthaft in Betracht gezogen. Dazu passt aber, was man uns für wissenschaftliche Aufsätze über Literatur (im Gegensatz zu denen über Linguistik) im Studium beibrachte: Es ist ein absolutes No-Go, solche Aufsätze als falsch zu bezeichnen, egal wie absurd die Schlussfolgerung ist oder wie falsch die Annahmen sind, die in den Aufsätzen vorgebracht werden. Ein (implizites) Widerspruchsverbot ist allerdings unvereinbar mit wissenschaftlicher Arbeit. Und nach all meinen Erfahrungen habe ich den Eindruck, dass auf diese Weise auch bei den Gender Studies gearbeitet wird. Da muss man sich auch fragen, inwieweit ein Peer Review dort überhaupt einen Pfifferling wert ist.
@Mephisto
Nach meinem Eindruck sind diese Forschungsergebnisse nicht soweit gediehen, dass sich aus ihnen irgendwelche weitreichenden Schlüsse ableiten ließen. Das ist Grundlagenforschung; da wäre es verfehlt, sofort nach praktischer Relevanz zu fragen. Für meine Begriffe ist der Kernsatz dieser:
Aber: „Jeder Schritt wirklicher Bewegung ist wichtiger als ein Dutzend Programme.“ (Karl Marx, Kritik des Gothaer Programms)
Einen umfassenden Überblick haben wir ursprünglich gar nicht gefordert, so anmaßend waren wir nicht. Wir wollten Beispiele aus der Fachliteratur, die uns klar machen, was „Gender Studies“ eigentlich sind, was ihre wissenschaftliche Substanz ausmacht. Wenn ich das bisherige Ergebnis unserer Diskussion zusammenfassen darf: die Frage ist nicht beantwortbar. Daraus folgt die nächste Frage: weil Gender Studies zu vielfältig sind (Joseph Kuhn), oder weil es diese wissenschaftliche Substanz, in der sich Gender Studies von anderer, von Normalwissenschaft (Thomas Kuhn), unterscheidet, gar nicht gibt? Oder ist das beides das Gleiche? Verwirrung, sagt celsus (#28).
Ich denke, für die Hersteller von Babykleidung ist es durchaus relevant zu erfahren, auf welche Markttrends sie sich einstellen sollten.
Mannomann ist das vorurteilsbeladen und transportiert Klischees:
http://www.gender-curricula.com/gender-curricula/gender-curricula-detailansicht/?uid=11&casegroup=all&cHash=1477461457
Damit schreibt man doch Rollenbilder fort und hinterfragt sie nicht.
Konsum ist weiblich und Produktion männlich?
Das ist eigentlich ein ziemlich dummes Eigentor.
Ich denke allerdings, man kann das Thema in unserem Kontext hier nicht ignorieren, nur weil es noch keine praktische Relevanz hat. Die genannten Unzulänglichkeiten treffen meines Wissens auch für andere Bereiche der neurologischen Forschung zu und für mich sieht es so aus, als werde dort daran gearbeitet, anstatt die Lücken mit eigenen Überzeugungen füllen. Nicht umsonst findet sich doch auch folgender Satz im Artikel:
@ Sascha
Ich finde nicht, dass die Fragen rein polemisch gestellt sind. Das sind tatsächlich die Fragen, die man sich in und nach unzähligen Diskussionen zu Gender immer wieder stellt.
Zu 1) Die Frage zielt darauf ab, Strohmänner und wahre Schotten zu vermeiden. Beispielsweise werden immer wieder Beiträge aus der Geschlechterforschung (die die Folgen biologischer Unterschiede zwischen Männern und Frauen untersucht) als Errungenschaften der Gender Studies angeführt (siehe z.B. Anton Hofreiter bzgl. Knieprothesen).
Andererseits werden viele Argumente mit dem Hinweis darauf verworfen, dass Gender Studies ja gar nicht das biologische Geschlecht („sex“), sondern nur das soziale Geschlecht („gender“) untersuchen.
Genauso werden rein feministische Texte mit vielen wissenschaftlichen Unstimmigkeiten je nach Kontext zu den Gender Studies gezählt oder eben nicht.
Weitere Frage: Welchen Stellenwert hat die qualitative Analyse in den Gender Studies? Wird sie wirklich, wie oft behauptet, nur als Denkanstoß gesehen oder werden „Ergebnisse“ aus diesen Analysen auch gerne mal direkt zu Wahrheiten erklärt? Wenn das passiert, betreibt man dann noch ernsthafte Gender Studies?
zu 2+3) Die Frage die hier gestellt wurde ist vielleicht etwas naiv, fußt aber ebenfalls auf Unklarheiten ob der Definition. Wenn man in den Medien etwas über Gender Studies hört, dann sind die Ergebnisse oft „Gender Pay Gap“, „Mensch_in/x“, „Frauenquote“, „10 Geschlechter“. Das sind alles eher politische Themen und Forderungen, die wenig mit Wissenschaft zu tun haben. Echte Ergebnisse wie z.B. der Stereotype Threat o.ä. werden nur selten thematisiert.
Schade, dass du auf 4 und 5 nicht antwortest. Warum ist es so schwer, klar zu sagen, dass das politisch/medial verzerrte Konzepte sind, die nichts mit Gender Studies zu tun haben?
Frage 6 ist ein wenig naiv und komisch, da stimme ich zu. Man kann auch Dinge erforschen ohne direkt ein Ziel zu verfolgen, insbesondere nicht so etwas.
Auf Frage 7 hätte ich mir auch, insbesondere in Bezug auf Frage 1, eine Antwort erhofft.
@cero
Ich muss zugeben, dass unsere Fragen so etwas wie ein Schnellschuss gewesen sind. Sie beruhten auf unserem unvollständigen Kenntnisstand (aber wessen Kenntnisstand ist schon vollständig), und bei längerer Überlegung hätten sie da oder dort präziser gefasst oder von Redundanzen befreit werden können. Ich will sie damit nicht von Kritik ausnehmen, sie sind nur nicht in Stein gemeißelt. Sie sollten einer Diskussion eine Grundlage geben und nicht eine vorgefasste Meinung verkünden: das war ihr Ziel (ein wenig Provokation war natürlich auch dabei).
@ Mephisto
Nein, Brain Sex ist gerade das Gegenteil von Gender Studies: die Idee, (im Mittel vorhandene) Verhaltensunterschiede zwischen Männern und Frauen hätten eine biologische Ursache und seien nicht ausschließlich sozial determiniert, wird von der Mehrzahl der prominenten Gender-Forscher vehement bekämpft (Anne Fausto-Sterling, Judith Butler, Heinz-Günther Voss uvam).
@ pelacani
Dass die Fragen nicht bis ins letzte Detail durchdacht waren ist klar, aber wie schon gesagt sprechen sie tatsächlich Punkte an, die immer wieder zu Missverständnissen führen, weil sie einfach nicht klar definiert sind.
Zu der 1. Frage mal meine naive Definition was Gender Studies meiner Meinung nach sind bzw. sein sollten:
Die Herausarbeitung von Unterschieden (in allen Bereichen) zwischen Menschen verschiedenen biologischen oder sozialen* Geschlechts, sowie die Erforschung der Ursachen dieser Unterschiede.
Dabei wird versucht (sollte versucht werden), zwischen biologischen und kulturellen Unterschieden zu unterscheiden, auch wenn das nicht immer so einfach möglich ist, z.B. wenn biologische Effekte durch Kultur verstärkt werden (Das ist, soweit ich das verstanden habe, auch der Hintergrund von Butler’s Aussage, dass alles konstruiert ist). Problematisch wird es, wenn man „kulturelle Effekte“ mit „Diskriminierung“ gleichsetzt, was in meinen Augen nicht selten passiert.
*: Was genau „Gender“ ist, ist auch nicht besonders klar definiert. Das geht von „Biologisch Mann, gefühlt aber Frau“ bis zu „Jeder hat sein eigenes soziales Geschlecht“. Bei letzterem ist das „Gender“ einfach eine Zusammenfassung aller kulturellen Eigenschaften/Präferenzen eines Menschen.
Ich zitiere aus Charlotta Stern: Undoing Insularity:
Doch schließlich hatte er seinen Durchbruch:
Wäre das nicht ein heißer Kandidat für den gewünschten, repräsentativen Artikel aus Gender & Society gewesen, Bernardo?
Spätestens seit 2002 ist allgemein offensichtlich, dass die Annahmen, auf denen „doing gender“ beruht, unzutreffend sind. Charlotta Stern zeigt,
PS: Charlotta Stern ist übrigens kein alter Mann, sondern eine junge Frau. 😉
@ pelacani
Wobei man fairerweise sagen muss, dass z.B. in der Psychologie auch immer noch Freud behandelt wird und ihm (zu Recht) eine große („groundbreaking“) Leistung bescheinigt wird, auch wenn seine Theorien inzwischen unhaltbar geworden sind.
Es kommt also weniger darauf an, ob das Paper „groundbreaking“ ist, sondern eher darauf, ob die darin vertretenen Thesen immer noch kritiklos übernommen/weiterverbreitet werden.
In der Tat. Insgesamt ein gut strukturierter Überblick; gehört auf jeden Fall hierher. Streckenweise richtig spannend. Hier und da etwas global und apodiktisch; manches gibt es ja auch auf anderen Gebieten. Oder, z. B.:
Das ist ein wenig inkonsequent. Wenn die Darstellung insgesamt stimmig sein sollte, dann muss man natürlich auch Frauen dringend abraten.
Aber das sind Nebensächlichkeiten. Untypisch für Wissenschaften, werden ja auch Blogs und Zeitungsartikel, bis hin zur Schmutzpresse, von der hier kritisierten Fachrichtung sehr ernsthaft und ausführlich rezipiert, vgl. die Böll-Handreichung. Die Reaktion von Seiten der Gender Studies bestand bei diesem Text aber vermutlich in vornehmer Zurückhaltung?
@ cero
Das Problem bei den Gender-Studies ist doch, dass sie jegliche biologische und evolutionäre Faktoren/Erklärungsversuche nicht berücksichtigen und als „biologistisch“ zurückweisen. Alleine das zeigt doch, dass das reine Pseudowissenschaft und Ideologie ist und dort eben nicht ergebnissoffen geforscht wird, sondern die Ergebnisse stehen vorher schon fest und man begründet alles anhand des Leitmotivs „Patriarchat“ (welches natürlich nie hintergragt oder stringent definiert wird).
Danke für den Link In der Tat lesenswert und fundiert!
Nein, auch diese Konzession möchte ich nicht machen. ;-). Freud hat zumindest die deutsche akademische Psychologie und die deutsche Psychiatrie nie dominiert. Und ich habe mich bei einem Psychologen (m/w) erkundigt: er kann sich nicht erinnern, ob er in seinem Studium einen Freud-Text lesen musste oder ein Freud-Seminar hatte.
Global hast Du natürlich recht.
Im Vergleich zu Leszek – den ich übrigens sehr schätze – bin ich „eher rechts“, aber Leszek ist sehr links, deswegen bin ich in Wirklichkeit in der Mitte 😉
Wenn ich überhaupt eine „Perspektive“ nennen sollte, von der aus ich die Gender Studies betrachte, dann am ehesten die wissenschaftstheoretische, s. hierzu einen längeren Text: Wissenschaftstheorien und die Zuverlässigkeit von Wissen, dessen Konklusion ist, daß es extrem schwierig it, richtig gute Geschlechterforschung zu betreiben. Auch für Leute, die nicht ideologisch fanatisiert sind.
Ich habe mir gerade mal den hier verlinkten „gender-curricula“ angeschaut und, da ich Geologe bin, mir das dort empfohlene mal angeschaut.
Das liest sich fast wie eine willkürliche Aneinanderreihung von Buzzwords die man sonst nur aus Homöopathie o.ä. kennt. Wem da nicht der Bullshit-Sensor ausschlägt, ist nicht geholfen. Kostprobe?!
„Lehrziele/Studienziele:
Die Studierenden sollen durch eine studienbegleitende Vermittlung wissenschaftstheoretischen, wissenschaftshistorischen und methodologischen Grundlagenwissens unter Einbezug der Kategorie Geschlecht zu einem selbstreflexiven und kritischen Umgang mit geowissenschaftlichen Lehr- und Forschungsinhalten befähigt werden. Sie sollen in die Lage versetzt werden, die Bedeutung der Kategorie Geschlecht vor dem Hintergrund gesellschaftlicher, politischer und ökonomischer Prozesse für die angewandten Geowissenschaften zu erkennen, einzuordnen und ethisch zu reflektieren.“
[u.s.w.]
Rabulistik und Gewäsch in Reinstform! Kann mir nochmal jmd. den Erkenntnisgewinn und die Wissenschaftlichkeit dieser Disziplin erklären?!
Ich habe hier einige Studien zusammengestellt, die gegen die rein soziale Konstruktion der Geschlechter wie von den gender studies sprechen:
https://allesevolution.wordpress.com/2013/05/08/ubersicht-biologische-begrundungen-zu-geschlechterunterschieden/
Praktisch Null. Wenn man sich die Lehrstuhl-Denominationen ansieht, dann war letztens keine einzige der GS-Professuren ein Biologe. Selbst wenn man biologisch arbeiten wollte – da fehlt jegliche Fachkompetenz.
Bei den Handbüchern und einführende Lehrbüchersiehtes genauso aus. Stattdessen werden knallhart feministische Dogmen wiederholt, z.B. Bussmann (2005) schreibt: die „… Einsicht der Gender Studies, daß Weiblichkeit und Männlichkeit nicht aus biologischen Konstanten abgeleitet werden können, sondern auf historisch-zeitgebundenen, soziokulturellen Konstruktionen von sexueller Identität basieren..“ Der simple biologische Befund, daß die meisten Menschen heterosexuell sind und daß die sexuelle Attraktion durch das andere Geschlecht einer unserer stärksten Triebe ist, wird negiert und als Machwerk des Patriarchats abgetan. Das geht auch nicht anders, denn sonst könnte man Frauenquoten und alle erdenklichen Anschuldigungen an „die Männer“ nicht aufrechterhalten.
Das hat eine verblüffende Ähnlichkeit damit, jedes „Wunder der Natur“ als einen Beweis für das Wirken Gottes anzusehen.
Die Gender Studies im Sinne von Studiengängen haben das Hauptziel, die (fast rein weiblichen) Teilnehmer darin zu trainieren, bei allem und jedem danach zu suchen, ob hier Frauen diskriminiert werden, damit sie später „Aktivistin“ werden können. Das ist eine Gehirnwäsche wie in einer Koranschule. Ich kenne selbst einzelne Studentinnen, die in den Geisteswissenschaften in entsprechenden Lehrveranstaltungen saßen bzw. teilnehmen mußten, und die sich nur an den Kopf gefaßt haben.
Lustig, ich wollte gerade fragen ob es empirische Untersuchungen dazu gibt:
– ob und wieviele Gender Scientists biologische (Teil)-Erklärungsmodelle rundweg ablehnen
– ob und wieviele Gender Scientists sich einfach nur nicht für biologische (Teil)-Erklärungsmodelle interessieren
– ob und wieviele Gender Scientists mit BiologInnen zusammenarbeiten
– welche zentralen Befunde und Positionen der Gender Sciences nur funktionieren können, wenn der Biologie keinen Raum eingeräumt wird.
Aber mitm hat das ja teilweise schon beantwortet, das verlinkte Paper von Stein ist ja bereits verlinkt.
Man läuft sonst in Gefahr, sich _schon_wieder_ in Strohmännern und echten Schotten zu ergehen („Alle Gender Scientists lehnen Biologie ab!1!“- „Alle? Nicht alle!!1“)
Es gibt in Deutschland mWn eine Biologin auf einem Genderlehrstuhl, die angetreten ist, um biologische Erkenntnisse aus feministischer Perspektive umzudeuten. Das mag in manchen Bereichen ja vllt. sogar Sinn machen, bzw. da gibts den benefit of the doubt, zB in der Verhaltensbiologie, aber wenn da auch nicht vor zell- und molekularbiologischen Inhalten haltgemacht wird (so las ich in einem Positionspapier), wird mir da schon mulmig.
Auf der anderen Seite fand ich die die zwei der drei Paper, die oben zur Farbenlehre der Geschlechter verlinkt wurden, schon mal gar nicht schlecht (das von 1990 hab ich mal weggelassen). Nur – da sind wir wieder beim echten Schotten – sind das wirklich Gender Sciences? Beide sind in angesehenen Psychologie-Journals veröffentlicht, und soweit ich erkennen konnte, unterlassen es die AutorInnen aus ihren Erkenntnissen politische Handlungsempfehlungen abzuleiten, noch bezieht man sich auf wesentliche Merkmale von Gender Studies im hier kritisierten Sinne:
Ich denke, die Gender Science Kritik zielt vornehmlich auf Veröffentlichungen mit folgenden key words: Intersektionalität – Kritische Theorie – Diskursanalyse etc.
Ist da vielleicht Frau Prof. Dr. Kerstin Palm gemeint? Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, meine erste Leseerfahrung mit ihr sei zwiespältig gewesen (#9, #10).
Vielleicht noch einen kleinen Leistungstest für die Gender Studies:
Kann sie eine Definition für den Begriff „Gender“ angeben?
Man liest ja da und dort, es gäbe nicht nur 2, sondern wahlweise 73 oder 8000 oder noch mehr Geschlechter – also „Gender-Ausprägungen“, und „Gender“ ist ja angeblich das soziale Geschlecht im Gegensatz zum biologischen Geschlecht („sex“), für das die Biologen bzw. Mediziner zuständig sind. Wenn sich einer mit dem „Gender“ auskennt, dann hoffentlich die Gender Studies, dort müßte man doch irgendwie genaueres erfahren. Das war übrigens eine Motivation für meine ziemlich langen Recherchen.
Ergebnis: ein reines Begriffs-Chaos um den Begriff „Gender“, und das offenbar nicht ohne Absicht.
Das Standard-Textbuch der Gender Studies „Gender-Paradoxien“ meint z.B., Gender drücke einen „sozialen Status, Position in der sozialen Ordnung“ aus, ist also ein Unterdrückungsmechanismus, eine soziale Wirkstrruktur und keine Eigenschaft von Personen.
Wenn man etwas länger darüber nachdenkt, wird klar, daß es einen Begriff „soziales Geschlecht“, der Personen anhand ihres Sozialverhaltens klassifiziert, gar nicht geben kann.
D.h. ein Hauptziel der Gender Studies besteht darin, herauszufinden, was der Begriff „Gender“ überhaupt bedeutet. Es ist eine unglaubliche Dreistigkeit, immer wieder zu behaupten, Gender sei eine Analysekategorie, also ein Kriterium, anhand dessen ich z.B. soziale Interaktionen aus der unterschiedlichen Sicht verschiedener „sozialer Geschlechter“ untersuche, wenn man die Leute gar nicht sinnvoll anhand ihres „Gender“ klassifizieren kann.
Was mich an Prof. Dr. Kerstin Palm völlig fertig macht ist der Fakt, daß sie anscheinend nicht _eine_einzige_ Veröffentlichung in einem biologischen Fachjournal hat.
Sie hat offensichtlich während der Promotion oder ihres Diploms keine Originalarbeiten veröffentlicht, will aber biologische Forschung „gendern“. So heisst eine Fachveranstaltung: „Gendering MINT“. Seit 1996 arbeitet sie ausschliesslich an soziologischen Themen.
Da weiss man auch nicht genau, was einem dazu einfallen soll. Wenn man sich den Lebenslauf anschaut (Stipendiatin während des Studiums, nach der Promotion in allerlei Frauenförderungsprogrammen gelandet), fällt einem auch als erstes die vielen gläsernen Decken auf, die sie durchstossen musste.
https://www.geschichte.hu-berlin.de/de/bereiche-und-lehrstuehle/gender_science/personen/1686873
@ nouse
Eine Möglichkeit um „echte“ Gender Studies zu identifizieren wäre die oben bereits genannte Liste der 190 Professuren mit einer Voll- oder Teildenomination im Bereich Gender Studies. Damit hat man sicher nicht alle Forschung in dem Bereich abgedeckt (insbesondere, weil es sich nur auf Deutschland bezieht), aber man hat auf jeden Fall eine klare Diskussionsgrundlage.
http://www.mvbz.fu-berlin.de/service/datensammlungen/professuren/datensaetze_bundeslaender.html
Vor einigen Monaten gab es eine lange, aber sehr interessante Diskussion bei Joseph auf den ScienceBlogs zu dem Thema. Die Frage die damals im Raum stand (und immer noch nicht beantwortet ist), ist, inwiefern die Ausarbeitungen aus dem Bereich Gender Studies Fakten aus anderen Bereichen (insb. der Biologie) ignorieren und ignorieren dürfen.
http://scienceblogs.de/gesundheits-check/2016/05/16/noch-einmal-gender-studies-meinungsfreiheit-durch-faktenfreiheit/
Das ist tatsächlich gar nicht so einfach herauszufinden. Ein großer Teil der Forschung in den Gender Studies bezieht sich z.B. auf Literatur oder Geschichte. Die daraus resultierenden Ergebnisse sind meistens schlichte Beobachtungen von Tatsachen, z.B. „der Mann wird so dargestellt, die Frau so“ oder „Frauen hatten zu der Zeit weniger Rechte“. Dazu kommen quantitative Studien, die teilweise ebenfalls nur Beobachtungen beschreiben, teilweise aber sogar Grundeffekte (zu denen u.a. die Biologie gehört) herausrechnen.
Schließlich gibt es eine ganze Reihe qualitative Analysen, mit denen ich als Naturwissenschaftler generell wenig anfangen kann. Der „Vorteil“ dieser Analysen ist, dass sie quasi unangreifbar sind, da sie häufig nur Meinungen von anderen wiedergeben ohne sich die Meinungen selbst zu eigen zu machen und diese dann in Hinblick auf irgendwelche konkreten Situationen evaluieren.
Dass dadurch gesicherte Erkenntnisse entstehen erschließt sich mir nicht, ist aber ein generelles Problem der Geisteswissenschaften, weniger speziell der Gender Studies.
Ich finde es schade, dass die Diskussion hier gerade etwas einseitig wird, leider melden sich gerade nur noch bekennende Gegner der Gender Studies zu Wort. Gegenargumente oder Richtigstellungen sind da leider gerade nicht mehr zu erwarten.
Eine etwas differenzierte Sichtweise von Charlotta Stern:
„Undoing Insularity: A Small Study of Gender Sociology’s Big Problem“
https://econjwatch.org/articles/undoing-insularity-a-small-study-of-gender-sociology-s-big-problem
Bin gerade am lesen, bisher find‘ ich es spannend. Komplettartikel gibt es als PDF.
@Groucho
vgl. #52f. 😉
Bemerkenswert finde ich ja den Begriff „Autoethnografie“. Ich halte ihn für fast so genial wie den Begriff „Plausibilitäts-Bias“ der Homöopathen.
Die Einseitigkeit finde ich auch ein wenig bedauerlich, aber wenn ich mir die bisherige Diskussion ansehe, ist sie auch nicht mehr überraschend. Ich lehne es übrigens für mich ab, unter die „bekennenden Gegner der Gender Studies“ subsumiert zu werden. Meine Meinung wird immer eine vorläufige bleiben – das ist mein Bekenntnis.
Mist. Muss aufmerksamer lesen 🙂
@ pelacani
Ich hätte vielleicht eher „keine Befürworter der GS“ schreiben sollen. 🙂
Überraschend finde ich es aus dem Gesichtspunkt nicht, dass man als GS-Befürworter gerade damit rechnen muss, hier niedergemacht zu werden. Dennoch gibt es viele Punkte, die in der Realität wesentlich schwammiger sind, als sie hier präsentiert werden. Das liegt wohl auch daran, dass es im Gender Studies – Lager eine große Bandbreite an Seriösität gibt.
Mal ein paar positive Beispiele:
1. Oben von Plor zitierte Studie zu dem Stereotype Threat:
http://www2.pitt.edu/~bertsch/chatard%20etal.pdf
Unabhängig von eventuellen biologischen Unterschieden zeigt die Studie (Study 2 aus dem Paper, die erste ist eher uninteressant), dass die Wahrnehmung von Stereotypen die Stereotype verstärkt. Selbst wenn ein biologischer Unterschied existiert, tritt dieser in der Realität also durch Stereotype verstärkt auf.
2. (Unerfahrene) Lehrer beurteilen Mädchen in Physik schlechter.
http://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/09500693.2015.1114190
Das wurde festgestellt, indem gleiche Antworten verschiedenen Lehrern vorgelegt wurden, einmal mit dem Hinweis, dass ein Mädchen diese Antwort gegeben hat, einmal mit dem Hinweis auf einen Jungen.
3. Interessanter kritischer Artikel zu GS vs quantitative Methoden (von einer der GS-Professorinnen):
http://budrich-journals.de/index.php/gender/article/view/18091/15751
Unter Umständen basieren die sehr unterschiedlichen Meinungen zu GS auch darauf, dass momentan ein Umdenkprozess innerhalb der GS stattfindet und langsam angefangen wird empirischer zu arbeiten.
@ Groucho
Ja, den Artikel habe ich oben schon kommentiert, sehr hilfreich!
Auch das lehne ich ab. Hier wird niemand „niedergemacht“, jedenfalls soweit ich das verhindern kann. Wer auf Fakten mit pauschalen oder offensichtlich kontrafaktischen Antworten reagiert, die zur Sache nicht Stellung nehmen, muss allerdings mit Spott rechnen. Er kann ja versuchen zurückzuspotten. Um mal weiter zu provozieren: ich vermute, dass diese Hürde hier einfach zu hoch ist:
Bitte entschuldige meinen Zorn. Ich habe gerade die Lektüre einiger charakteristischer Wendungen in der Kuhn-Diskussion hinter mir, z. B., noch gegen Ende: „10sekündiges googeln fördert z.B. diese Übersicht zu Tage: […]“
Auf jeden Fall soll alles anders werden.
Neuroscience and Feminist Theory: A New Directions Essay
http://www.journals.uchicago.edu/doi/abs/10.1086/684266
Sorry für das cherry picken; aber solche perspective und opinion papers sieht man heutzutage quasi für jede Teildisziplin; jeder kennt das berüchtigte Paper über feministische Perspektiven der Gletscherforschung.
Ich glaube, wenn man in 5000 Jahren auf die letzten 10000 Jahren Menschheitsgeschichte zurückschauen wird, wird unsere Zeit die sein, in der ein vorhergehender Wandel von Geschlechterrollen kurzzeitig in bestimmte Extrempositionen abgleitet, bevor er hoffentlich in den Egalitarismus übergeht.
Analog dazu könnte man sich irgendeine beliebige Gruppe vorstellen, die nach langer Zeit der Marginalisierung endlich Gleichberechtigung erhält, und dann erstmal schaut, was gesellschaftspolitisch in punkto empowerment „noch alles so geht“.
Ich bin kein Soziologe, und ich habe in der Geschlechterdebatte gelernt, mich bei komplexen Fragen prinzipiell nicht einzelnen zufällig herausgepickten Publikationen über soziologische Experimente zu verlassen, die irgendeinen Effekt, der mit Mühe an 50 Versuchspersonen festgestellt wurde, auf 1 Mrd westliche Staatenbürger hochrechnen. Stattdessen suche ich eher nach Lehrbüchern oder Übersichtswerken, wo sich jemand vom Fach einen Überblick über die Forschung verschafft hat.
Beispielsweise zu den Stereotypen und dem Stereotype Threat, speziell im Kontext Mädchen und Mathematik, steht im Lehrbuch „Psychologie der Persönlichkeit“ von Asendorpf / Neyer, daß die „mit wachsender Aufgabenschwierigkeit steigende Überlegenheit des männlichen Geschlechts primär auf bessere räumliche Fähigkeiten und sekundär auf ein höheres mathematisches Selbstvertrauen zurückgeführt kann“.
Jussim weist zu allem Überfluß nach, daß Studien, die angeblich die schlechteren Leistungen von Mädchen auf Stereotype zurückführten, überwiegend nicht reproduzierbar waren oder ganz einfach falsch zitiert wurden.
Generell haben die Soziologen ein großes Problem mit der Reproduzierbarkeit ihrer Forschungsergebnisse. Die sind schlicht nicht zuverlässig. Deswegen sollte man vorsichtig sein mit weitreichenden Schlußfolgerungen, z.B. aus dem angeblichen Stereotype Threat.
Dass gewisse seminal findings overhyped werden, passiert immer mal. Da ist keine Fachrichtung vor geschützt, auch keine empirische. Sie müssen nur den Nerv der Zeit treffen. 10 Jahre später stellt sich dann heraus, dass sie sich weit weniger vom Hintergrundrauschen abheben, als man vorher allgemein elektrisiert gedacht hat. Ein (halbes) Beispiel war glaube ich, oben schon mal indirekt verlinkt, „Positive Affect and the Complex Dynamics of Human Flourishing“, geschildert in:
http://www.heise.de/tp/artikel/41/41100/1.html
Auch in diesem Bericht ist die Schlussfolgerung am Ende, die Psychologie habe keine wissenschaftliche Basis, stark überzogen. (So wie es im Telepolis-Artikel steht, ist es auch in sich widersprüchlich, denn gleichzeitig wird konstatiert, dass der Ansatz von Fredrickson und Losada zwar gern zitiert, aber „nicht angewendet, aufgegriffen oder weiter entwickelt“ worden ist.)
Nicht nur die Soziologen.
Abgesehen davon, dass ich Deine Aussage nicht bezweifeln will, ist aber das Beispiel etwas schwächer, als es den Anschein haben mag. Wie viele dieser fMRI-Befunde sind denn repliziert? Das ist eine keineswegs triviale Frage. Ich bin gelegentlich Zuhörer bei Veranstaltungen, wo solche Sachen vorgestellt werden. Einfach mal so, um zu hören was es alles gibt. In den Diskussionen werden, stärker als in den Papers, die Grenzen solcher Untersuchungen deutlich.
Hier können wir gleich mal demonstrieren, wie Blog/Medien-Hype funktioniert. In sciencealert.com heißt es:
Im O-Text heißt es aber (zunächst): „some 40.000 fMRI studies“ womit zweifellos nicht Papers, sondern einzelne Untersuchungen gemeint sind. Außerdem gibt es ein Erratum:
@ nouse
Ich verstehe leider weder, an wen dieser Post gerichtet war, noch was du damit sagen möchtest. 🙁
@ mitm
Ich finde, du verschiebst hier ein wenig die Schlachtfelder. Zuvor gab es eine Debatte darüber, ob die GS generell unwissenschaftlich arbeiten und z.B. – ideologisch bedingt – unzulässig andere Faktoren ausblenden.
Die verlinkten Studien arbeiten methodisch korrekt. Dass die Ergebnisse trotzdem durch z.B. einen Publication Bias verzerrt sein können, bestreitet niemand, ist aber ein generelles Problem in der (statistisch arbeitenden) Wissenschaft und kann nun schwerlich den GS vorgeworfen werden.
Auch den Verweis auf Lehrbücher finde ich unpassend. Das merkt man schnell, wenn man sich beispielsweise Lehrbücher aus den GS ansieht. Die Originalstudie ist da meist noch interessanter. Ich würde da eher auf Metastudien setzen.
Abgesehen davon sind die Links auf und von Jussim sehr interessant. Insbesondere die Übersicht aus folgendem Paper (aus einem weiterführenden Link): http://psycnet.apa.org/psycinfo/2013-02693-001/ ist sehr aufschlussreich (Leider steckt das Paper hinter einer Paywall, Scihub lässt grüßen).
Der Stereotype Threat Effekt scheint tatsächlich wesentlich instabiler zu sein, als oft angedeutet wird.
Soll das heißen, dass die Lehrbücher für GS nicht den aktuellen Forschungsstand (selbstverständlich: bei Redaktionsschluss) widerspiegeln? Was sind sie dann wert? Welches Licht wirft das auf die Wissenschaftlichkeit von GS?
@ pelacani
Ja, es gibt viele Lehrbücher in dem Bereich die, sagen wir mal, sehr sparsam mit Belegen für ihre Behauptungen umgehen. Das ist per se erstmal nicht außergewöhnlich. In Lehrbüchern zu Mathematik werden auch eher selten Originalpaper zitiert. In den GS finde ich viele Ergebnisse aber wesentlich strittiger.
Ich würde sagen, die Lehrbücher spiegeln durchaus den (zum Zeitpunkt der Erstellung) aktuellen Forschungsstand wider. Der aktuelle Forschungsstand ist nur bisher viel zu unausgereift, um in dieser Form präsentiert zu werden.
Allerdings bestanden die meisten Lehrbücher, die ich bisher überflogen habe zu 90% aus einem historischen Rückblick auf die Frauenbewegung, sowie aus der Darstellung grundlegender Theorien, z.B. von Beauvoir und Butler. Diese Passagen sind alle rein deskriptiv und damit ziemlich unangreifbar, wenn auch durch eine z.B. sehr überschaubare Anzahl kritischer Passagen ein beträchtlicher Wahrheitsgehalt suggeriert wird.
Drei Lehrbücher zu den GS werden übrigens hier in einem Kommentar von Leszek (kurz) vorgestellt:
https://geschlechterallerlei.wordpress.com/2016/08/04/gastartikel-leszek-zu-der-frage-ob-gender-studies-unwissenschaftlich-sind/#comment-8899
@cero
Eine Wissenschaft, deren Kenntnisstand nicht hinreicht, um in Lehrbüchern sinnvoll zusammengefasst zu werden. Aha.
Ein bisschen dürftig für ein Fachgebiet, das je nach Quelle, seit 40 Jahren existiert. Da wird dann wohl auch nichts mehr kommen. Oder sollen wir noch hoffen, wie auf die seit 200 Jahren ausstehenden Homöopathie-Beweise?
Bei meinen unkonzentrierten Streifzügen aufgelesen. Bei WP, Anne Fausto-Sterling, ist zu lesen:
Drollig. Diese Idee ist ein Plagiat aus Stanislaw Lem, Sterntagebücher:
(meine Hervorhebung). Also: Lem, der Ahnherr der Gender Studies. Sokal, du hast deinen Meister gefunden.
@ pelacani
Naja, die Chemie hat knapp 2000 Jahre gebraucht, bis sie vernünftige Ergebnisse zustande gebracht hat. 😉
Aber Spaß beiseite: 40 Jahre sind gar keine so lange Zeit, insbesondere wenn man berücksichtigt, dass erst in den letzten ~10 Jahren quantitative Methoden verstärkt Einzug in das Feld gehalten haben.
Der Vergleich mit der Homöopathie hinkt insofern, dass die Wirksamkeit der Homöopathie nicht nur nicht bewiesen, sondern inzwischen als (konsistent in Theorie und Praxis) eindeutig widerlegt bezeichnet werden kann.
Andererseits bin ich wahrscheinlich nicht der Richtige, um die Gender Studies zu verteidigen, deswegen würde ich mir auch Diskussionsteilnehmer aus dem anderen Lager wünschen. Ich habe nur den Eindruck, dass die Debatte an vielen Stellen noch von Unverständnis geprägt ist (da nehme ich mich nicht aus) und schließe nicht aus, dass die Wahrheit irgendwo dazwischen liegt.
Gender Studies ist also noch im Alchemie-Stadium.
@plor danke für diese Studien in dem Bereich, in meiner letzten Diskussion wollte keiner mir was dazu verlinken außer wikipedia.
@pelacani/cero
wie ich schon schrieb, Gender Studies befinden sich noch in einer protowissenschaftlichen Phase. Da wäre es doch elementar wichtig, den Schwachsinn des Bereichs zu kritisieren, damit Gender Studies sich zu einem seriösen ideologiefreien Fach entwickeln können.
Wenn ich das auch nur für einen Augenblick ernst nehmen würde, dann würde ich mir diese Arbeit anschauen:
Neben allerlei entlarvenden Vorbemerkungen, die an der Menschenkenntnis von Ferstl und Kaiser zweifeln lassen, wenn sie eine Reformfähigkeit ihres Faches vermuten, kommen sie bei den praktischen Konsequenzen auf diesen Punkt zu sprechen:
Man muss nur auf die unschuldige Idee kommen, sich diese Daten einmal anzuschauen. Irmen und Steiger haben einen Lückentext (einen Wahlzettel mit wenigen Sätzen) ins Netz gestellt und dazu aufgerufen, aus vorgegebenen Items generische Masculina oder gendergerechte Termini auszuwählen und in die Lücken einzusetzen. Der Ursprungstext war übrigens auch gendergerecht, liest sich aber grauenvoll. Was immer man statt dessen auswählen konnte: es liest sich flüssiger. Es waren 88 Teilnehmer (32 Frauen und 56 Männer), Nichtakademische Berufe: 4,4%, Durchschnittsalter 30 Jahre. Hochgradig repräsentativ. Dann wurden geschätzt 22.000 Signifikanzen errechnet und insgesamt konstatiert:
Wer hat denn nun eigentlich festgestellt, dass der so erzeugte Text akzeptabel ist?
Die Teilnehmenden haben also ihr eigenes Arbeitsergebnis akzeptiert. Ok.
Die Beziehungen zwischen Gender Studies und Wissenschaften müssen in der Tat überdacht werden. Gender Studies sollten in den Fokus von Psychologie und Sozialwissenschaften gelangen, als Untersuchungsobjekt. Da wäre Forschungsbedarf. Das kann die Gesellschaft nicht allein pensionierten Naturwissenschaftlern oder interessierten Bloggern überlassen.
„in einer protowissenschaftlichen Phase“
So in etwa wie die Homöopathie?
das war die vllt, als Hahnemann sich Homopathie anno dazumal überlegt hatte, als die Medizin ansich auch noch in den Kinderschuhen steckte, aber ist leider niemals rausgekommen bzw. zu Pseudowissenschaft geworden.
@ pelacani
Und warum keinen Fokus auf die Biologie?
@Eckhard K.
Unsinn gibt es überall in den Wissenschaften, aber nicht at its core.
Gender Studies: a never ending Story….Von mir stammt der anfangs von Joseph K. angegebene Link zum „European“. Anlass zu dem Text für mich waren zum Einen: Das erste Mal – nach rd 15 Jahren Gender Studies – meldet sich „die“ klassische Wissenschaft (hier die Biologie) sich zu Wort, und das gleich mit 3 Büchern innerhalb von wenigen Monaten. Und zum Anderen war Anlass für mich die Reaktion der Genderlobby darauf: Beschweigen (außer einigen Diffamierungsversuchen) und dann: einfach weiter forschen. Wie bitte? Wo bleibt da die Freude am Diskurs, die Forderung nach einer öffentlichen(!) Gender Debatte? Grad die Biologie wäre doch der Idealpartner für die Butler-Jüngerinnen! Das wäre doch mal eine ganz anderer Annäherung an das Thema nature vs nurture! Schade.
#8 gab eine Übersicht zum Thema Gender und die anderen Professionen. Dazu noch meine Ergänzung: Überwiegend dienten m.E. die gewonnenen Erkenntnisse der Gender Studies auch selbst referentiell der eigenen Klientel. Soweit zur ersten und zweiten Frage von Joseph K. Zu den übrigen Fragen hier der Versuch einer jeweils kurzen Antwort:
– Abgeleitete Maßnahmen: Die Gender Studies sollen m.E. auch den theoretischen Background für den Instrumentenkoffer „Gender Mainstreaming“ (GM) liefern. GM wurde politisch zum Synonym für Gleichstellungsmaßnahmen und die wiederum betrafen zum großen Teil Maßnahmen zur Frauenförderung, als da wären die Frauenquote für die DAX – Unternehmen (befindet sich zur Zeit in der kontrollierten Durchsetzung), Gender Budgeting, Gendergerechte Sprache, Frühsexualisierung usw. Diese Maßnahmen werden größtenteils ex cathedra verkündet und überwacht durch die Gleichstellungs-Infrastruktur in der öffentlichen Verwaltung (einschl. Hochschulen), und on Top dem Frauenministerium.
– Gehaltsschere: Sie beträgt lt destatis 7% https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2016/03/PD16_097_621.html Darin sind die Minderverdienste der Frauen (Teilzeit, Minijobs) mit einberechnet. Die allseits bekannten 21% stellen die Bruttodifferenz der Jahresgehälter dar. Sie sind nur geeignet für politische Agitation, nach dem Motto: Daran ist das Patriarchat schuld mit der Folge: Frauen als Opfer.
– Infragestellung biologischer Geschlechtsdeterminierung: Der empirische Gehalt wird sehr prägnant in diesen 10 Punkten dargestellt: http://www.badische-zeitung.de/bildung-wissen-1/zehn-fragen-zur-zukunft-der-geschlechter–127525335.html. Auf einen Nenner gebracht: Die Biologie baut auf verifizierbaren Erkenntnissen auf und die Gender Studies?
– Rollentausch Mann – Frau: Ist für mich kein Ziel. Warum auch?
– Kritik der Gender Studies zum Gender-Schwachsinn? Mir nicht bekannt. Wünschenswert wäre es allemal, geht aber wohl nicht, weil dazu Distanz vor dem eigenen Tun Voraussetzung wäre…….
@Eckhard K.
Ich glaube bei allem nicht, dass Männer wirklich auf dem Weg in die gesellschaftliche Benachteiligung sind. Das sage ich jetzt einfach so aus meiner Lebenserfahrung heraus, weil ich mich nicht in dieses uferlose Thema vertiefen will. Insofern verstehe ich auch den Affekt einiger der Kritiker an den Gender Studies nicht. Noch eine Nachfrage:
Es ist mir nicht klar, wie das gehen sollte. Fachfremde Evaluation?
Herr Kuhla, bevor Sie ganz die Orientierung verlieren: Die sieben Fragen sind nicht von mir, sondern von Psiram. Ich bin einer von denen, die Ihren Text kritisieren (wenn Sie es so lieber mögen: „diffamieren“). Warum? Weil Sie wie Kutschera & Co. 200 Professuren pauschal und alarmistisch abqualifizieren, ohne nachzusehen, was sie im Einzelnen machen und ob sie wirklich alle oder überwiegend krude Thesen vertreten, gar in den Fußstapfen des unsäglichen Herren Money wandeln. Sie schreiben sogar selbst, dass „keine neutralen(!) Evaluationen der Ergebnisse“ vorlägen – wenn das so ist, und es scheint ja so zu sein, ist das eben ein zweischneidiges Schwert.
Da, wo in den Gender Studies Ideologie als Wissenschaft verpackt wird, ist Kritik notwendig, keine Frage. Die Polemiken von Kutschera & Co. gegen die Gender Studies sind aber kein „Weckruf“, sondern selbst pure Ideologie. Einen „Weckruf der Biologen“ hätte ich mir übrigens nach Björn Höckes evolutionsbiologisch verbrämter Hetze Ende letzten Jahres gewünscht, er wurde sogar öffentlich eingefordert, da haben Kutschera & Co. leider geschwiegen, den an sie gerichteten Weckruf haben sie nicht gehört, oder nicht hören wollen.
Es ist mir nicht klar, wie das gehen sollte. Fachfremde Evaluation?
Sie sollten sich mal die Daten anschauen,. wer in den westlichen gesellschaften benachteigt ist. Die feministische Narrative ist in derart dominant, dass selten ein Blick auf die andere Seite der Medaille gemacht wird. Hier mal ein paar Daten zum reinschnuppern: http://www.realsexism.com/
Es sind im Verlauf dieser Diskussion pars pro toto einige Texte verlinkt und besprochen worden, die Ihnen deutlich unrecht geben, Herr Kuhn. Man kann darüber nicht elegant hinweggehen. Wir müssen also nicht schon wieder beim Urschleim anfangen. Wenn Sie wünschen, mache ich mir die Mühe, Sie gezielt um Kommentare zu den einzelnen Posts hier zu bitten.
@ pelacani
Männerbenachteiligung: Da liegt wohl ein Mißverständnis vor. Männerrechtler gewesen zu sein, zähle ich zu meinen Jugendsünden. Jetzt trete ich dafür ein, dass Mann UND Frau sich einem längeren gesellschaftlichen Prozess auf ein neues Geschlechterarrangement hin bewegen – ohne Schweig und Co. Evaluation: s.u.
Nein, das werde ich nicht tun. Bis ich begriffen habe, ob das Daten sind, dauert es mir zu lange, und das ist ein dröger Stoff.
Hier leiste ich mir die Perpetuierung meines naiven Vorurteils. 😀
@ pelacani:
„pars pro toto einige Texte“: Warum muss ich dabei nur an die Gefahr des cherry pickings denken?
„die Ihnen deutlich unrecht geben“: Also durchweg alles Unfug, was die „Genderleute“ produzieren?
Und sorgfältige Suche hat keine anderen Texte ergeben? Waren nicht sogar welche hier verlinkt? Man kann darüber nicht elegant hinweggehen. Wir müssen also nicht schon wieder beim Urschleim anfangen. Oder waren das alles falsche Schotten, weil sie nicht krude waren? Wenn per definitionem nur unter die Gender Studies fällt, was krude ist, schließe ich mich der Pauschalverurteilung natürlich sofort an.
Bleibt halt nach wie vor die Frage nach den 200. Konkret: Soll z.B. die Professur von Frau Regitz-Zagrosek – ich hatte das schon mal verlinkt – abgewickelt werden? Oder die von Frau Strauß mit ihrer Arbeitsmarktforschung, die wir nebenan auch mal kurz erwähnt hatten?
Fundstück des Tages, der den Genderwahnsinn gut beschreibt:
http://justillon.de/2016/10/gesetze-gender-bundeskanzla-makel/
@ Joseph Kuhn
Danke für die Aufklärung. Meine Kritik an den Genderstudies beruht auf eigener Erfahrung in der Forschungsmethologie und Teilnahme an vielen Gender Veranstaltungen. mit Vorträgen der Genderfachfrauen. Das dazu.
Ihre Kritk an Kutschera: Sie wechseln die Diskursebene, wenn den Höcke mit ins Feld ziehen. Da mach ich nicht mehr mit, deswegen von mir dazu: no comment.
#100 Evaluation von Gender Studies: Ich denke da an die Kriterien für die Peer Reviews: Heranziehen von Gutachter des gleichen Fachgebiets, und wenn’s sein muß, mit einem Doppelblindgutachten. Das ist Alles bei den Genderleuten Theorie, weil dann die Auswahl der Gutachter aus der Gruppe gleichermaßen ideologisch vorgeprägter Experten erfolgt…….Und, das kommt noch hinzu: die Förderer spielen das Spiel der Seilschaften in der Regel mit. Es gibt keinen fachinternen Wettbewerb.
#103
Binnenkonsens?
Mich erinnert das an die Jahre 1980-1990. Damals erreichte die französische Postmoderne die deutschen Universitäten. und viele stellunglose Jungphilosophen bzw. Assistenten erkannten die Aufstiegschance. Sie stellten den Aberwitz in schnell geschriebenen Büchern ernshaft als tiefgeschürfte neue Philisophie hin und machten so Karriere. Ein Beispiel dafür ist nach meiner Erinnerung Wolfgang Welsch. Ich könnte es damals nicht glauben, das so ein Unsinn es in die deutsche Universität schafft.
@ Eckhard Kuhla:
Damit wäre immerhin die empirische Basis Ihrer Bewertungen geklärt.
@ Hans Wurst:
Binnenkonsens? Hier auf Psiram? Nie im Leben!
@ Joseph Kuhn
Mißverständnis.
Ist Ihnen der mehrfach verlinkte Text von Charlotta Stern entgangen, kurz referiert hier (#52)? Ein Stein, der schwer im Magen liegt; unverdaulich.
Ist Ihnen der Text der Böllstiftung entgangen, mit Trommelwirbel ausgerufen (#10), die Götzendiener zu unterdrücken, die Schismatiker wiederzuvereinen und die Ungläubigen zu widerlegen? Gallebitter, ungenießbar (#34, #35, #43).
Ist Ihnen dieser Text entgangen, angekündigt als Morgenröte der Wissenschaft (#73)? Eine grüne Banane, verfault bevor sie reifen konnte (#88). Woher mag nur diese Textpassage stammen?
Fausto-Sterling, wo kam sie doch gleich vor? Hier (#84). Sagen Sie nicht, Sie seien nicht gewarnt gewesen.
Kirschen?
Hier sind sie, die Kirschen:
Für einen seriösen Forscher kann ich mir mehrere Wege vorstellen, damit umzugehen. Ärger, dass meine ehrliche Arbeit dazu herhalten muss, Spinner zu legitimieren. Scham und Furcht, vielleicht gefragt zu werden, ob ich mit diesen Leuten irgendwas zu tun habe. Abspaltung, so wie es genügend Naturwissenschaftler gibt, die an den lieben Gott glauben. Aber, wie sagte Herr Kuhn bei sich zu Haus (#126):
Klar. Es sind auch Mittelwege möglich. Z. B., dass sie vom Bacillus genderii gapis infiziert sind, die Sepsis aber noch vom kritischen Denken eingedämmt ist.
@ pelacani:
Da kommt offensichtlich was raus bei Ihnen. Nicht nur das Siezen. Viel Erfolg weiterhin.
@ Hans Wurst:
Missverständis? Echt? Bei wem?
@Joseph Kuhn
Ach, das war nur ein Schäufelchen Sand.
@ pelacani
Off Topic, aber ganz ehrlich, muss das sein, diese Überheblichkeit in den Posts? Das Einzige, was man damit erreicht, ist, dass eine vernünftige Diskussion im Keim erstickt wird.
Und da kannst du noch so oft behaupten, der Andere hat keine Argumente. Würdest du dich mit den Argumenten von jemandem auseinandersetzen, der dich von vornherein nicht ernst nimmt und nur beleidigt (Ja, lächerlich machen ist das Gleiche wie beleidigen)?
Schade, gerade Joseph ist (meiner Erfahrung nach) alles andere als ein Hardliner, zu dem keine Argumente vordringen können. Und eine rationale, faktenbasierte Auseinandersetzung zu dem Thema wäre wirklich interessant.
Bitte? Der Keim ist hier. Von „ersticken“ kann keine Rede sein. Im Übrigen vgl. #74. To whom it may concern.
Ich bin vor ca 20 Jahren über die frz. Postmoderne mit dem Feminismus in Kontakt gekommen, ich meine, es war Luce Irigaray. Sie hielt das Weiche, Flüssige für das typisch Weibliche, und meinte , es brauche eine weibliche Physik, im speziellen eine feministische Hydrodynamik.
Das war das Ende meiner Beschäftigung mit dem Feminismus.
@ Hans Wurst:
Zwei Nachfragen:
1. Lässt sich daraus etwas für die 200 Professuren in Deutschland ableiten?
2. Warum gilt die Konsequenz dem Feminismus (der sich im Übrigen zwar geistig bei den Gender Studies bedient, aber damit ja nicht identisch ist), oder den Gender Studies, und nicht dem postmodernen Blabla, wie es Sokal und Brickmont mit ihrem Hoax-Artikel zurecht vorgeführt haben?
Ein ziemlich bedenkliches Interview mit einem Geschichtsdidaktiker:
„ZEIT: Liegt es auch am Siegeszug der Gendertheorie, die ja grundsätzlich Geschlecht als nichts Festgelegtes, sondern als etwas sozial Aufgezwungenes betrachtet? Glauben Sie an diese Theorie?
Lücke: Ja, ich glaube daran. Und das ist auch wirklich eine Glaubensfrage. Wissenschaft setzt immer Prämissen, und die Prämisse der Genderwissenschaft, dass Geschlecht immer etwas sozial Konstruiertes ist, hat den großen Vorzug, sehr viel erklären zu können, vor allem den Umstand, dass sexuelle Identität auch außerhalb der Fortpflanzung so wirksam und folgenreich ist. Und dass wir die Biologie dazu benutzen, Sexualität zu definieren, aber diese Biologie ihrerseits sozial konstruiert ist – just zu diesem Zweck.
ZEIT: Ist nicht ein Hauch Irrsinn dabei? Gewiss ist die spezielle Ausformung, das spezielle Erscheinungsbild von Geschlecht sozial und historisch bedingt – aber kann das auch schon für die bloß biologische Beschreibung gelten? Taugt die Gendertheorie zur Kritik einer Naturwissenschaft?
Lücke: Ja – denn die Biologie hat auch ihre vorwissenschaftliche Arbeitshypothese: nämlich immer etwas eindeutig bestimmen zu wollen.“
http://www.zeit.de/2014/10/interview-martin-luecke-staat-gendertheorien/komplettansicht
Mich erinnert das frappierend an Darstellungen von Kreationisten/Alternativmedizinern: man stellt Wissenschaft und wissenschaftliche Methodik erst falsch dar, pickt sich dann dennoch die Ergebnisse dieser Disziplinen, die die eigene Sicht bestätigen heraus und für alles andere hat man zur Not immer die Möglichkeit, sich mit einem Taschenspielertrick herauszureden. Für den Alternativmediziner sind unliebsame Ergebnisse Fälschungen der Pharmamafia oder eben der nicht ganzheitlich denkenden wissenschaftlichen Methode, im Genderbereich ersetzt man Letzteres dann damit, dass der Wissenschaftsbereich und sein Blick eben männlich dominiert sind.
sollten die seriösen Lehrstühle der Gender Studies sich nicht wehren, wenn ihr Ruf durch so viel junk science und Ideologie in Verruf gebracht wird? Die wissenschaftliche Community ist doch sonst recht schnell, wenn in den Medien irgendein Schund gebracht wird und irgendwie scheinen nur diese Genderextremisten dort vertreten zu sein. Ist es vllt nur ein Problem der Wissenschaftskommunikation?
Wie können Studieninteressierte erkennen, welcher Lehrstuhl bzw. welche Uni seriöse Gender Studies anbietet oder ist das mehr wie Lotto spielen?
@Joseph Kuhn
Schau Dir bitte den ersten Abschnitt des Hirschauer-Textes an. Er sucht zu definieren, was Gender Studies ist, indem er sie von Geschlechterforschung abgrenzt. Danach ist glasklar, dass die von Dir in #101 erneut erwähnte Arbeit von Frommert und Strauss eben keine Genderforschung ist. Das war aber bei Deinen Posts hier bisher die einzige Literaturstelle, die Du überhaupt je angeführt hast. Du bist da merkwürdig zurückhaltend. Korrigiere mich, wenn ich mich falsch erinnere.
Aber ob uns Hirschauer selber in unserer Kernfrage weiter hilft, ist ungewiss; er ist ein Verräter.
Noch kürzer: Was Wissenschaft ist, bestimme ich. Das Wort „gut“ hat zwei Antonyme: zum einen „schlecht“, zum anderen „böse“. Es bleibt offen, welches hier gemeint ist; vielleicht beide. Ist diese Fachgesellschaft Gender die Blüte – oder nur eine weitere, zufällige, Sumpfblüte der Genderforschung?
PS. Wenn Du jetzt nicht wiederholst, dass man ja nicht wissen könne, was die 200 Gender-Professuren so tagsüber tun, dann bleibe ich beim Du.
@ pelacani:
Wie gesagt, wenn wir bei den Gender Studies alles nicht mitzählen, was seriöse geschlechterbezogene Forschung ist, wer weiß, was ich über den Rest denken würde, den müsste ich mir dann genauer ansehen. Da aber immer von den 200 die Rede ist, geht es mir erst mal nur darum, egal ob wir uns danach duzen oder siezen (vielleicht finden die Pronominal Studies ja auch noch ein paar mehr Möglichkeiten).
@ PG:
Ein paar rein begriffliche Anmerkungen zu den zitierten Interviewpassagen:
1. Niemand muss lange darüber nachdenken, ob er/sie einen Penis hat oder eine Vagina. Dazu reicht der Blick vorne runter, wenn der Bauch nicht zu weit vorragt. Die Frage ist, ob damit schon alles über Sachverhalte wie die Geschlechteridentität oder soziale Geschlechterrollen gesagt ist. Bei diesen Dingen geht es ja darum, wie wir uns selbst sehen oder von Anderen gesehen werden. (wollen).
2. Geschlechteridentität: Wie wir uns als „Mann“ oder als „Frau“ selbst sehen, hat zum einen natürlich ganz viel mit dem zu tun, was wir sehen, wenn wir vorne runtergucken. Aber nicht nur. Nicht nur, dass es „Sonderfälle“ gibt wie z.B. Menschen, die sich mit ihrer Geschlechteridentität, ihrem Selbstbild als „Mann“ oder „Frau“, im falschen Körper fühlen. Ich unterstelle vielmehr einmal, dass für mehr oder weniger alle das Thema nicht mit der Biologie (äußere Geschlechtsmerkmale, Gene etc.) zuende ist.
3. Warum nicht? Weil es für Männer z.B. eine Rolle spielt, ob sie sich als harten Kerl (ggf. mit weichem Kern) sehen, oder als rationalen Mann, der sich nicht von seinen Gefühlen leiten lässt, oder als coolen Typen, auf den die Frauen stehen, oder als emanzipierten Mann, der die Frauen versteht, oder als maskulinistisch bewegten Mann, der sich von Frauen nichts vormachen lässt, oder …. Analog bei den Frauen. In dem Sinne gibt es eben mehr als zwei Geschlechter, oder, falls das akzeptabler klingt: Die Bilder, wie wir uns als „Männer“ bzw. als „Frauen“ sehen, haben viele Farben.
4. Und noch was zu dem Satz mit der Eindeutigkeit der Biologie, der so abstrakt natürlich eh Unsinn ist. Wenn über „Identitäten“ diskutiert wird, dann in der Regel deswegen, weil sie fragwürdig geworden sind, weil wir uns vergewissern wollen, wer oder was wir sind. Da ist Eindeutigkeit ein Wert, egal ob es um „Mannsein“ oder „Frausein“ geht , die westlichen Werte oder um die deutsche Leitkultur. Man schaue sich nur mal die „identitäre Bewegung“ an, ein einziger Schrei nach klaren Abgrenzungen. Wenn Frauen nicht nur studieren wollen, sondern auch eine Professur oder einen Vorstandsposten haben wollen, oder Männer mehr mit ihren Kindern zu tun haben wollen, wäre es doch schön, wenn man wüsste, ob da jetzt was aus dem Ruder läuft, siehe Kutscheras wiederholte Äußerungen dazu, oder ob das noch „normal“ für eine Frau oder einen Mann ist. Und wie schön wäre es, wenn die Biologie einem das sagen könnte. Die sagt mir aber gerade nicht, ob ich als Frau meine natürliche Bestimmung am Herd oder als Mann auf dem Motorrad finde.
Und was hat das nun alles mit den Gender Studies zu tun? Keine Ahnung, siehe oben.
Ok. Bis dahin können wir ja so tun, als ob alles in Ordnung wäre.
@ Joseph Kuhn
1. Niemand muss lange darüber nachdenken, ob er/sie einen Penis hat oder eine Vagina. Dazu reicht der Blick vorne runter, wenn der Bauch nicht zu weit vorragt. Die Frage ist, ob damit schon alles über Sachverhalte wie die Geschlechteridentität oder soziale Geschlechterrollen gesagt ist. Bei diesen Dingen geht es ja darum, wie wir uns selbst sehen oder von Anderen gesehen werden. (wollen).
Und was ist mit dem ‚hairless women‘ ?
@ Joseph Kuhn
Das Problem ist doch aber, dass niemand behauptet, es gäbe keine sozial konstruierten Geschlechterrollen. Ich weiß nicht, wer das wo geschrieben hätte, die Sichtweise, Geschlecht und Geschlechterrollen seien nur und ausschließlich Biologie und basta vertritt doch gar niemand. Nature and nurture ist doch schon lange Standard in diesem Fach und es ist eher die „andere Seite“, die hier schlichten Unsinn verbreitet, wie in dem von mir verlinkten Interview mit Lücke.
Welchen Erkenntnisfortschritte gibt es denn gegenüber einer evolutionsbiologischen Erklärung durch Gender Studies, was kann denn durch die rein soziale Konstruktion von Geschlecht besser beschrieben werden als durch die Annahme, dass das meiste auf sozialer Überformung biologischer Grundlagen beruht? „Coole harte Männer“ und „weiche Frauen“ sind beispielsweise problemlos aus der Lebensrealität unser Vorfahren der letzten Hunderttausend Jahre zu erklären.
@ PG:
Ich hoffe, Sie erwarten nicht, dass ich hier den Part übernehme, die Gender Studies (was immer darunter fallen mag) oder gar unsinnige Statements ihrer Fachvertreter zu verteidigen. Das sollen die Leute selbst machen. Und wenn hier niemand die Verteidigerrolle übernimmt, kann ich das auch nicht ändern.
Mein Problem ist eines im Vorfeld: dass gerade die medienpräsenten Kritiker der Gender Studies oft meinen, einfach drauflos schwadronieren zu dürfen, weil sie ja die Wissenschaft vertreten würden und die anderen die Ideologie. Das fängt bei den immer wieder bemühten 200 Professuren an und hört bei den Kutschera-Sprüchen auf: „Männer wollen einfach eine nette Frau, mit der man nicht viel diskutieren muss; jung, attraktiv, gut kochen muss sie können, Kinder großziehen.“ Oder, damit die Stichprobe der Textschnipsel etwas repräsentativer wird: „Da es immer mehr studierte Damen gibt, fehlen für Männer ohne Hochschulabschluss Frauen mit gleichem (bzw. niedrigerem) Bildungsniveau. Diese gebildeten, nicht aber studierten Männer finden demgemäß keine Partnerin mehr und sind dann auf Import-Bräute (z.B. aus Thailand) angewiesen.“
Soll das wirklich der „Weckruf der Biologen“ sein, von dem Herr Kuhla spricht? Da hätte ich, wäre ich Gender-Forscher, auch keine Lust auf eine Diskussion.
Unser Thema ist aber: “Gender Studies und die Wissenschaft” und nicht: “Was leisten sich manche Kritiker sonst noch so an schrägen Ansichten” (die hier übrigens niemand außer Ihnen zitiert hat). Ich habe das Gefühl, dass die Pro-Gender-Fraktion den Sarrazins, Pirinccis usw. ganz dankbar ist (vgl #35).
Selbst wenn Sie damit recht hätten, dass die Kritik nur “drauflos schwadroniere” (was ich nicht zugestehe): dann wäre das Fehlen einer seriösen Kritik zu beklagen, nicht zu reden von einer akademisch-wissenschaftlichen (vgl. #89). Die von der
Fachgesellschaft Geschlechterstudien // Gender Studies Association
gegen Hirschauer ins Feld geführte Irigaray (Zitat in #117) hat übrigens in Sokals Elegantem Unsinn 20 Seiten. Der Selbstdarstellung nach zu urteilen ist der Verband repräsentativ.
@ Joseph Kuhn
Bricmont
Aus einer Einführung in die gender studies:
„One of the most significant dimensions of gender studies is that it is political. It raises questions about power in society, and how and why power is differentially distributed between different genders. It asks questions about who has power over whom, in which situations, how power is exercised, and how it is, and can be, challenged. Different theories and perspectives within
gender studies have different approaches to these questions, and look for answers in different social processes. Many debates are on going, as new data is revealed and new theories are put forth.“
„Sex as defined earlier is the concept that emerges from anatomical and physiological characteristics that differentiates males and females biologically whereas gender can be seen as a social construct manifested by masculine and feminine roles prevalent in a culture or a society. Thus gender can be seen as an artefact of social, cultural and psychological factors which are
attained during the process of socialization of an individual. What is the significance of the
concept ‘gender’? In talking about the social and cultural construction of masculinity and
femininity, gender allows us to see these dimensions of human roles and personalities as based not on nature but on social factors. It then allows us to address issues like subordination and discrimination as issues where change is possible.“
http://cbseacademic.in/web_material/doc/Chapter1%20What%20is%20Gender%20Studies_%20Understanding%20Basic%20Concepts.pdf
Hier wird sehr gut sichtbar, dass es eben nicht die Kritiker der gender studies sind, die einen Ausschließlichkeitsanspruch haben und behaupten, es gebe keine sozial konstruierten Geschlechterrollen. Vielmehr wird der Einfluss der Biologie in dieser Einführung beschränkt auf die sichtbaren Unterschiede der Genitalien und deren Funktion bei der Fortpflanzung. Sie hat KEINEN Einfluss auf Rollen und Verhaltensweisen, diese sind allein sozial determiniert.
Das Selbstverständnis als „politisch“ ist de facto eben auch eine Aufgabe des Strebens nach Neutralität, die die wissenschaftliche Methode auszeichnen sollte. Es fördert zwangsläufig bias und Immunisierung der eigenen Grundannahmen gegen Kritik und über die Gemeinsamkeiten dieser Art von Konstrukten kann man bei Psiram genügend Beispiele finden.
Ich wollte hier nur noch auf zwei Aspekte eingehen, die kurz aufgegriffen wurden.
Zur „fachfremden Evaluierung“ von Studiengängen:
Ich hatte das Privileg an einer Max-Planck-Graduiertenschule promovieren zu dürfen. Diese IMPRS werden alle x Jahre (x = 5?) evaluiert. Dazu werden diverse WissenschaftlerInnen ausserhalb des Institutes und der MPG eingeladen, die dann die wissenschaftliche Evaluation vornehmen. Diese WissenschaftlerInnen sind in der Tat nicht gänzlich fachfremd (zB möglicherweise ZoologInnen, die ein Botanikinstitut bewerten), aber sie sind fachfremd genug, um einen kritischen Blick von aussen zu gewährleisten.
Inwieweit es eine Wagenburgmentalität in den GS gibt, die einen kritischen Blick zwischen den einzelnen Fakultäten erlauben, kann ich nicht beurteilen. Es ist aber möglich, Studiengänge „hinreichend“ fachfremd prüfen zu lassen.
Zum anderen hat Joseph Kuhn moniert, daß BiologInnen die fachlich falschen Einlassungen vom AfD-Höcke zur Fortpflanzungsstrategie des Menschen (r und K-Strategienwechsel innerhalb der gleichen Spezies) nicht öffentlich gegeisselt haben. Tatsächlich gab es da von prominenter Seite nichts zu hören (wohl aber von unprominenter).
Ich glaube aber tatsächlich, daß Höcke soviel Unsinn geredet hat, daß jeder Kommentar dazu ihn geadelt hätte.
Es gibt ohnehin innerhalb der MINT-Fächer eine bemerkenswerte Schüchternheit gegenüber gesellschaftspolitischen Anliegen. Kaum einE WissenschaftlerIn, die sich bei Impfungen oder Homoöpathie exponiert. Uns fehlen die Brian Greenes und Neil de Grasse Tysons (ohne Wolfgang Lesche zu nahe treten zu wollen).
@ PG
Aus ein anderen Einführung in die Gender Studies:
„Recent writings on sex and gender suggest that feminism has relied
upon too great a polarisation of the sex/gender distinctions, observing that
the meanings attached to sex differences are themselves socially
constructed and changeable, in that we understand them and attach
different consequences to these biological ‘facts’ within our own cultural
historical contexts. More recent gene research also attempts to argue that biology does contribute to some behavioural characteristics and the
example of research on transgendered individuals reinforces this (given
that many transgendered people characterise their sense of something
being wrong with them as being trapped in the wrong body) […]
However, Butler [in Bezug auf die These der Beliebigkeit sozialer Geschlechterrollen)
has more recently denied that performativity allows the degree of ‘free
play’ with gender that some of these theorists have suggested (Butler in
Phelan 1997).“
Pilcher/Whelehan 2004: 57f
Dies verweist darauf, dass es sich bei den Gender Studies um ein heterogenes Feld handelt, bei der es wenig Sinn macht, einzelne Vertreter rauszugreifen und darauf basierend dann das gesamte Argument für invalide zu erklären. Es existiert sicherlich eine Bruchstelle zwischen konstruktivistischen und radikal-konstruktivistischen Positionen, wie sie die Sozialwissenschaft mittlerweile eigentlich komlett durchzieht. Ich persönlich kann man radikal-konstruktivistischen Ansätzen nicht viel anfangen. Ob sie unwissenschaftlich sind, ist eine andere Frage. Auch der obige Absatz bezieht sich auf soziale Rollen und Identitätszuschreibungen. Die These ist, dass diese sozialen Rollen unabhängig von biologischen Faktoren vergeben werden (können). Zwar gibt es eine generelle Kontingenz (Luhmann) menschlicher Sinnzusammenhänge und auch das Thomas-Theorem („If men define situations as real, they are real in their consequences“) konnte bisher nicht widerlegt werden, aber ich würde mich auch schwer damit tuen, bestimmte Faktoren einfach ausschließen zu wollen. Das ist aber leider im Wissenschaftsbetrieb nicht selten.
Ob das Streben nach Neutralität die wissenschaftliche Methode auszeichnen sollte, ist auch so eine Sache. De facto kann Neutralität nicht erreicht werden. Auch der Wissenschaftler ist immer Teil der ihn umgebenden Welt. Hinter der Fassade der Neutralität stecken eben doch zumeist bestimmte Weltsichten und Einstellungen. Das ist natürlich bei einem toten Gegenstand etwas weniger auffällig, doch gilt es im Grund auch für die Naturwissenschaften. Auch ihre Forschungspraxis ist geprägt von gesellschaftlichen Diskursen, Machtstrukturen und so weiter. Man könnte dementsprechend argumentieren, dass gerade Sozialwissenschaften sowieso immer auch politisch sind, da sie sich mit der sozialen Welt auseinandersetzen. Zu beachten, dass die Wissenschaft einen Teil der Gesellschaft ist und nicht wie ein körperloser Beobachter über ihr schwebt, ist in dieser Hinsicht erst einmal ehrlich. Die Frage ist in der Folge, was das bedeutet. Das entbindet einen halt nicht davon, deutlich aufzuzeigen, wie man zu seinen Ergebnissen gekommen ist. Wo in dem Fall halt die Stärke qualitativer Verfahren liegt (die hier ja auch angesprochen wurden). Mittels quantitativer Verfahren können halt nur Dinge überprüft werden, von denen die Forscher glauben, dass sie für ein bestimmtes Feld wichtig sind. Sie spiegeln somit immer die Vorannahmen der Forschenden und können blind für komplexere Problemlagen sein. Im Idealfall bringt man in der Folge hat beides zusammen, wobei auch hier Probleme bestehen, da bestimmte Sachverhalte kaum quantifizierbar sind. Idenditätskonstruktionen oder Weltsichten kann man schwerlich standardisiert abfragen.
Ich habe mir den Flyer der letzten Jahrestagung angesehen; Bericht von der Veranstaltung hier. Man findet auch die Abstracts, z. B. hier.
Lohnt sich der Versuch herauszufinden, was damit gemeint sein könnte? Ist dies gemäßigter oder radikaler Konstruktivismus? 😉 Die Liste solcher Zitate lässt sich ohne jede Anstrengung vermehren. Klar, es sind vielleicht nicht alle so, aber ebenso klar ist: So etwas fällt auf die ganze Innung zurück. Kein Wunder, dass die Forderung nach Evaluierung laut wird.
Ich bin heilfroh, daß ich mittlerweile räumlich und zeitlich Lichtjahre von der deutschen Universität entfernt bin.
Es ist doch absehbar, daß Triggerwarnungen und Mikroaggressionen auch bei uns an der Tagesordnung sind.
@ pelacani
Wenn ich ehrlich bin… Mich würde es nicht interessieren ( 😉 ), da es mir zu sehr nach französischer Philosophie klingt und die hat mich bisher nur bedingt interessiert. Die hat einen Schreib- und Redestil, der eher ins Literarische geht und für mich – als in Deutschland sozialisierten Akademiker – schwer auszuhalten ist. Aber da es da um eine theoretische Betrachtungsweise geht, möchte ich jetzt auch nicht per se behaupten, dass das Unsinn ist. Auch weil ich allein vom Abstract nicht weiß, worum es da genau gehen soll, da Überschrift und Abstract irgendwie nichts miteinander zu tuen haben. Dementsprechend kann ich auch kaum sagen, welcher Denkrichtung der Kram zuzuordnen ist.
Der Unterschied zwischen Konstruktivismus und Radikal-Konstruktivismus lässt sich eigentlich am Beispiel des Wortes Baum festmachen. Beide Richtungen würden behaupten, dass es soetwas wie den Baum an sich nicht wirklich geben kann. Zu unterschiedlich sind die Lebensformen, die unter diesem Begriff zusammengefasst werden. Auch scheint es so zu sein, dass unterschiedliche Völker entsprechende Lebensformen mit unterschiedlichen Wörtern beschrieben, bei denen auch wieder unterschiedliche Bedeutungen mitschwingen. Radikal-Konstruktivisten würden jetzt behaupten, dass die Bezeichnung Baum und die damit verbundenen Vorstellungen (Lebensquelle, Zeichen der Jahreszeiten, was auch immer sich Menschen halt schon so alles gedacht haben) völlig beliebig entwickelt haben. Sprich: Sie könnten völlig anders sein und werden in Zukunft wahrscheinlich auch völlig anders. Konstruktivisten würden behaupten, dass der Begriff und die damit zusammenhängenden Vorstellungen nicht komplett beliebig sind, sondern eben doch auch von der Materialität der Bäume (kommen recht häufig vor, kann man manchmal Essen von bekommen, anzünden geht auch, etc.), den Zustand der Gesellschaft (wie wichtig sind Bäume noch für eine Gesellschaft usw.) abhängen. Das könnte man linguistisch ergänzen, dass Bäume in der Urzeit wohl sehr wichtig für Menschen gewesen sein müssen, da die Tendenz besteht, für das Leben wichtige Gegenstände mit kurzen Begriffe zu bezeichnen, da es sonst zu kompliziert wird. Natürlich verkompliziert sich diese Debatte, wenn wir anschließend über Dinge reden, die in der realen Welt mit eigenen Bewusstsein existieren und nicht nur Objekt wissenschaftlicher Debatten, sondern auch selbstbestimmtes Subjekt sind/sein wollen.
So ist die Frage, warum unter bestimmten sozialstrukturellen Bedingungen bestimmter Geschlechterverhältnisse herrschen (unter dem Wissen, es könnte ander sein), eher eine konstruktivistische. Hier gibt es relativ interessante archäologische Untersuchungen zum Wandel des Verhältnis von Mann und Frau im Zuge der menschlichen Seßhaftwerdung und der erstmaligen Etablierung staatsähnlicher Strukturen und organisierter Religionen, die darauf verweisen, dass die materiellen Bedingungen einer Gesellschaft stark prägen, welche Rollen Männer und Frauen zugestanden werden. Denn richtig ist – irgendwo hatte ich das hier gelesen -, dass eine Geschlechterdifferenzierung natürlich eine gewisse Funktionalität aufweisen muss, damit sie hegemonial werden kann. Das heißt im Umkehrschluss natürlich nicht, dass sie für alle Beteiligten positiv sein oder ihren Bedürfnissen entsprechen müssen. Aber grundsätzlich dürfte es eher kein Zufall sein, dass monotheistische Religionen dazu tendieren, die selben Vorstellungen von angemessenen weiblichen Verhaltensweisen zu entwickeln.
Ich glaube, das ist ebenso richtig wie falsch: richtig, weil die Neutralität nicht erreicht werden kann; falsch, wenn man nicht nach ihr strebt; gelogen, wenn man sie als Fassade nutzt. Das ist geradezu ein Prüfstein für Wissenschaftlichkeit. Nicht umsonst macht man sich unmöglich, wenn man seine Conflicts of Interest nicht klarlegt. Die Reflexion über die eigene Interessenlage ist genauso essentiell in den Geisteswissenschaften; dieser Überzeugung bin ich. Der Philosoph der Frühaufklärung Pierre Bayle sagt über den Job des Historikers:
@ Dirk
Kann man erstellte Beiträge bearbeiten?
Was jedenfalls ergänzt werden sollte ist, dass aufgrund des politischen Gehalts der Geschlechterfrage wohl oder übel ihre Erforschung auch immer politisch sein wird. Das gilt ähnlich wie bei Forschungen zu Klasse oder Ethnizität/Rasse. Diese ist einerseits auch immer eingebunden in bestehende gesellschaftliche Vorstellungen. So ist die Existenz von menschlichen Rassen biologisch ja durchaus umstritten, dennoch wird sie in vielen Ländern (insbesondere USA und die dominieren die Forschung letztendlich) weiter verwendet, während der Begriff in Deutschland aufgrund des 3. Reiches eher gemieden wird. Die Verwendung des Begriffes Rasse als Untersuchungsgenstand ist also auch immer irgendwie politisch (unbestritten der Tatsache, das man in Deutschland einfach Rasse durch Kultur ersetzt hat und eigentlich so weiter macht wie vorher). Andererseits fordern Neukonzeptionen von Geschlecht, Rasse oder auch Klasse natürlich auch immer bestehende gesellschaftliche Konstellationen heraus, was für mich auch ein Grund ist, warum die Gender-Debatte von beiden Seiten so vehement geführt wird. So ist der Verweis sicherlich richtig, dass Teile der Gender-Studies für sich einen politischen Anspruch reklamieren, der über das gängige enge Verständnis von Wissenschaft hinausgeht. Andererseits ist es aber auch so, dass das gänge Verständnis von Wissenschaft eben auch Ausdruck gesellschaftlicher Strukturen und dominanter Denkmuster ist. Das geht dann in der Folge auch darüber hinaus, dass bestimmte Forschungsthemen zu einem bestimmten Zeitpunkt „sexy“ sind und mittels bestimmter Buzzwords mediales/öffentliches Interesse und damit auch Forschungsgelder generieren können. Auch die Grundannahmen (sozial)wissenschaftlicher Forschung sind politischer Natur. Es ergibt sich also ein ziemlich komplexes Feld mit einer Vielzahl an Akteuren bei denen auch immer nicht klar zu erkennen ist, ob es beispielsweise bei Kritik an den Gender-Studies nicht eben doch (auch) um Hoheitskämpfe geht, wie bestimmte Themen bearbeitet werden sollten und wer das Recht dazu hat, zu schreiben und zu veröffentlichen. In dieser Hinsicht ist es auch so, dass die Form und der Inhalt mancher Kritik eben auch auf die Gruppe aller Kritiker zurückfällt – analog zu manchem Humbug in den Gender Studies.
@ pelacani
Interessante Nebenentdeckung bei der Arbeit von Ferstl und Kaiser:
„gleichberechtigte Erstautorinnen“
GleichBERECHTIGTE, wo doch sonst von der Gender-Fraktion GleichSTELLUNG gefordert wird.
Wenn sie es nicht einmal in ihrem eigenen Fachbereich gebacken kriegen …
Du hast vollkommen recht. Aber das beschreibt natürlich einen Idealzustand. Ich kann nicht verleugnen, in Deutschland sozialisiert worden zu sein – im Prinzip könnte ich es aufgrund regionaler Identitäten noch weiter runterbrechen. Ich kann aufgrund meiner Eltern und Großeltern auch nicht den Einfluss der katholischen Soziallehre oder Befreiungstheologie verneinen, auch wenn ich selber mit der Organisation nichts mehr zu tun habe. Aber auch das, was die Aufklärung unter Bürger der Welt verstand, war der aufgeklärte (männliche) West-Europäer. Ihnen wäre es beispielsweise im Traum nicht eingefallen anzunehmen, dass Afrikaner eine geltungswürdige Perspektive auf historische Fragen haben könnten, einfach weil ihnen ein historisches Bewusstsein grundheraus abgesprochen wurde. Die Theorie der Geschichtslosigkeit des afrikanischen Kontinents, der quasi seit der Urzeit in einem ursprünglichen Naturzustand verharrt hätte bis die Europäer kamen, ist dementsprechend auch in dem Versuch der Aufklärung neutral zu sein, nicht angezweifelt worden. Dies konnte erst durch eine Art der parteiischen Wissenschaft gelingen, die sich neben der Analyse auch eine Veränderung der Zustände zum Ziel gemacht hatte. Deswegen hast du mit dem Conflict of Interest natürlich trotzdem recht. Meiner Erfahrung nach wird dieser Conflict aber in der akademischen Welt sehr selten praktisch thematisiert.
@Dirk
Bearbeiten ist hier 5 Minuten lang möglich. Das reicht natürlich nur, um einen Tippfehler bei einem kurzen Text auszumerzen. Längere Beiträge sollte man in einem anderen Editor vorbereiten. Word geht. (Kann ja auch immer sein, dass hier was im Orkus verschwindet). Ein paar html-Tags zur Formatierung sind machbar. Die Kommentarspalte eines Blogs ist ohnehin nur mäßig geeignet für tiefergehende Diskussion, aber immer noch besser als Facebook.
So unterschiedlich können Erfahrungen sein. Das ist ein harter Kampf, mit allen Bandagen.
Neurology First ist z. B. heftig im Clinch mit der DGN; der Vorsitzende hat sich gerade empört gezeigt.
Im Ansatz ahnlich, wenn auch deutlich weniger überzeugend: MEZIS.
Noch ein wenig anders, aber immerhin Interessenlagen berührend, und noch viel weitreichender: AllTrials. Das sind keine obskuren Spinner, die nirgends wahrgenommen werden.
Ethnologie/Geschichte fremder Völker ist sicherlich etwas, wo mir noch der leiseste Schimmer abgeht, aber die Erkenntnismöglichkeiten von oral history stelle ich mir begrenzt vor. Im Übrigen spielten die außereuropäischen Gegebenheiten durchaus eine Rolle in der Aufklärung; z. B. Geschichte beider Indien. Aber wir bewegen uns jetzt etwas vom Thema weg. 😉
Wenn wir das vertiefen wollen, sollten wir uns wirklich ins Forum begeben. Da muss man sich zwar anmelden, aber es gibt deutlich bessere Möglichkeiten von Zitat im Zitat, Formatierung, Verlinkung, Bilder usw.
Ich muss zugeben, dass ich die Kommentarspalte hier glatt für das Forum gehalten habe… Wunderte mich schon, weil mir das jetzt nicht viel besser als FB vorkam… Dann meld ich mich da später mal an. 😉
Brandheiß, exklusiv bei PSIRAM 😀
[Für die Nichtmediziner unter unseren Lesern: JAMA ist allererste Adresse]
edit. Das mit dem „brandheiß“ muss ich wohl zurücknehmen. Bei der ersten Literaturzusammenstellung sind 8/10 Quellen älter als 2 Jahre, 7/10 älter als 10 Jahre.
Da möchte ich ganz vehement widersprechen! Wissenschaft darf niemals politisch beeinflusst sein. Und es ist Irrsinn zu behaupten, nur weil ein Thema politisch umstritten ist, muss die wissenschaftliche Untersuchung politische Aussagen treffen.
Siehe Gentechnik, siehe Kernkraft, siehe Stammzellforschung. Alle diese Gebiete schaffen es neutrale, von der politischen Meinung unabhängige Ergebnisse zu produzieren. Warum sollte das für die Gender Studies nicht gelten?
@ cero
Wissenschaft ist politisch beeinflusst. Ob sie das möchte oder nicht. Und je mehr man in soziale Themenbereiche geht, umso deutlicher wird dies. Ich möchte dies am Beispiel der Kriminalität verdeutlichen:
Es gibt zig empirische Studien zu den Hintergründen und Ursachen von Kriminalität. Diese widersprechen sich oftmals. Von sozialer Klasse und Genetik bis zu mangelnder moralische Standfestigkeit und dem Einfluss fehlender Väter/Mütter ist bisher so ziemlich alles diskutiert worden, was irgendwie Kriminalität auslösen könnte. Ein Ergebnis konnte bisher nicht wirklich gefunden werden. Teile der Wissenschaft retten sich daher in multikausale Erklärungsmuster, die zumeist besagen, kommen eine Menge negativer Faktoren zusammen und fehlen Resilienzfaktoren, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass jemand eine Straftat begeht. Dies klingt eigentlich sehr logisch und einfach ist aber hoch voraussetzungsvoll. Damit diese Studien funktionieren, muss ignoriert werden, dass Kriminalität eigentlich kaum zu definieren ist, außer „Verhaltensweisen, die einmal als kriminell“ definiert werden. Diese Definition ist aber nicht wissenschaftlich, sondern normativ erfolgt. Sprich, sie drückt bestimmte Werthaltungen, Prinzipien und Deutungsmuster aus, die von Teilen der Gesellschaft mit Entscheidungsbefugnis als unerwünscht definiert worden sind. So ist beispielsweise zu erklären, dass im deutschen Recht das Eigentum einen besonderen Rechtsschutz besitzt, weil zur Zeit der Verfassung des BGB und StgB im Kaiserreich und der Weimarer Republik nun mal eher bürgerliche Abgeordnete das Sagen hatten, die in ein intrinsisches Interesse am Schutz des Eigentums hatten. In diesem Kontext von „kriminell“ als Eigenschaft eines Verhaltens zu sprechen und damit mehr zu meinen als „verboten“ ist dementsprechend eigentlich theoretisch unsauber, geschieht aber dennoch in der Praxis permanent – unter dem Deckmantel der scheinbaren Neutralität der Forschung. Sie ist aber in dem Sinne nicht neutral, obwohl sie wissenschaftliche Methoden anwendet. Das meine ich mit politisch. So ist es zum Beispiel durchaus auffällig, dass amerikanische Wissenschaftler wesentlich stärker Law and Order-Modelle zur Lösung von „Kriminalitätsproblemen“ präferieren und viel stärker auf moralisch/unchristliche Ursachen von Abweichung abstellen, als es beispielsweise ihre europäischen Kollegen tuen, die weiterhin sehr traditionell mit Ansätzen sozialer Deprivation arbeiten.
Dieser Sachverhalt ist dabei nicht auf die Kriminologie beschränkt, sondern weitet sich auf alle Themenbereiche aus. So wird man zum Beispiel in der Ökonomie einen riesigen Disput über Konjunktur- und Wirtschaftsprogramme finden. In der Gesundheitsforschung und im Bereich Public Health gibt es eine riesige Debatte bezüglich des effektivsten und besten Gesundheitssystems. Was aber effektiv und am besten ist, hängt stark vom zugrundeliegenden Menschenbild ab. Für Vertreter liberaler Denktraditionen mag selbst ein offensichtlich besser funktionierendes Gesundheitssystem keine Lösung sein, weil sie der Meinung sind, dass die Freiheit des Menschen ein höheres Gut als die Heilung eines Falles von Prostatakrebs ist.
Und in diesem Kontext bewegt sich auch die Geschlechterforschung ebenso wie die gesamte Soziologie. Das Ziel ist runter gebrochen die Beschreibung gesellschaftlicher Zustände, um auf der Problemanalyse basierend, ein besseres Leben für alle zu ermöglichen. Nur was ist das bessere Leben? Spätestens an dem Punkt wird es halt auch politisch. Nur wenn man akzeptiert, dass das was man beschreibt und darlegt, auch grundsätzlich anders gesehen werden könnte und man nicht den einen Königsweg finden wird, dann kann Sozialwissenschaft funktionieren, dafür muss sie sich aber auch den politischen Gehalt ihrer Themenbearbeitung bewusst sein.
@ Dirk
Damit beschreibst du aber eigentlich nur, dass es ein Problem der gesamten Soziologie ist (also tiefer liegt). Das ändert nichts daran, dass „Forschungen“ dieser Art, sofern sie einen Wahrheitsanspruch haben, also nicht nur als „Denkanstöße“ gedacht sind, keine Wissenschaft sind.
Wissenschaft entsteht an dem Punkt, wo man Hypothesen quantitativ untermauern kann. Der „qualitativen Analyse“ wird in der Soziologie offensichtlich viel zu viel Bedeutung zugeschrieben, obwohl sie zum Erkenntnisgewinn eigentlich nicht mehr beiträgt, als ein Zeitungsartikel oder ein Forenkommentar.
Ich kann qualitative Analysen als Grundlage zur Hypothesenbildung akzeptieren. Aber sobald man auf die Idee kommt, dass die dort getroffenen Aussagen irgendeinen inhärenten Wahrheitsgehalt besitzen, wird es unwissenschaftlich.
Quantitative Analysen können dagegen immer objektiv sein, saubere Begriffsdefinitionen vorausgesetzt. Bei dem Satz
bin ich mir nicht sicher, ob ich ihn richtig verstehe. Es ist durchaus vernünftig, wissenschaftlich gesehen, kriminell als Handeln gegen das (aktuelle) Gesetz zu definieren. Dass Menschen Ergebnisse aus der Wissenschaft umdeuten und mehr hinein interpretieren, als da eigentlich ist, ist ärgerlich, geschieht aber in jedem Bereich. Wenn das innerhalb der Soziologie so üblich ist, dann ist dieser Teil genauso unredlich.
@ Dirk
Zusatz:
Die Diskussion bewegt sich gerade ein wenig auf die Frage hin „Was ist eigentlich Wissenschaft?“. Und da möchte ich schon mal im vornherein darauf hinweisen, dass Wissenschaft nur dann für sich beanspruchen kann, näher an der objektiven Wahrheit zu sein, als bloße Meinung, wenn sie reproduzierbare Ergebnisse liefert und damit Ereignisse (bis zu einem gewissen Grad) vorhersagen kann.
Wenn sie das nicht kann, dann gibt es auch keinen Grund, warum ihr vertraut werden sollte.
@ cero:
Wobei man natürlich über die Frage, ob die Gender Studies Wissenschaft sind oder nicht, besser diskutieren kann, wenn man erstens weiß, was zu den Gender Studies zählt und was sie machen, und zweitens, was Wissenschaft ist.
Hm. Das ist das Hempel-Oppenheim-Schema. Für die Psychologie würde das bedeuten, dass sie zum Behaviorismus zurückkehren müsste, zur Suche nach Gesetzen der Art „Reiz A verursacht (vermittelt über irgendetwas im Kopf) die Reaktion B“. Das setzt nicht nur ein passiv-reaktives Menschenbild voraus, mit dem zumindest manche Evolutionsbiologen und Systemtheoretiker gleichermaßen ein Problem haben dürften, das liefe zudem noch auf einen kontrollwissenschaftlichen Ansatz hinaus, der im Erfolgsfall die totale Manipulierbarkeit des Menschen zur Folge hätte. Wenn es gelänge, menschliches Verhalten abgesehen von irgendwelchen Störgrößen vorherzusagen, könnte man es auch programmieren, indem man die Reize setzt, die die gewünschten Reaktionen hervorrufen. Ein Wissenschaftsprogramm, das auf das Ende der Freiheit des Menschen hinarbeitet, statt darauf, ihn von immer mehr Einschränkungen zu befreien?
(Disclaimer: Bevor jetzt jemand meint, damit postuliere ich einen Geist jenseits der Materie: Nein, ich postuliere nur die Möglichkeit vernünftigen, auf Gründe ausgerichteten Handelns)
@ cero
Richtig. Die Definition müsste eigentlich sein, „kriminell ist, was als kriminell definiert“ wird. Damit ist aber darauf verwiesen, dass Kriminalität nicht etwas ontogenetisches ist, sondern von Menschen erschaffen wurde und damit auch bestimmte (politische) Selektionsprozesse ablaufen, die weniger vom Verhalten an sich, als von den Interessen der Gesetzesschreiber abhängen. Das impliziert die Frage, warum haben wurden bestimmte Gesetze so definiert und warum nicht anders. Gibt es eine wahren Wesensgehalt der Kriminalität? Das allein ist schon eine Fragestellung, die mittels quantitativer Forschung kaum zu beantworten sein wird, da es um historisch gewachsene Strukturen geht, die gleichzeitig permanenten Wandel unterliegen. Deswegen funktioniert diese Engführung auf Reproduzierbarkeit in diesen Kontexten auch nicht. Wir können beispielsweise auch kaum die russische Revolution nochmal aufführen. Trotzdem kann die Entstehungsgeschichte des Kommunismus wissenschaftlich untersucht werden, ganz ohne Quantifizierung.
Hier stehen sich – und das ist in der Tat richtig – zwei unterschiedliche Wissenschaftsverständnisse gegenüber, die wohl eng damit zusammenhängen, dass der Forschungsgegenstand so elementar unterschiedlich ist. Das eine eher naturwissenschaftliche Verständnis hat das Ziel, möglichst viele allgemeingültige Regeln aufzustellen. Dem steht das eher sozialwissenschaftliche Verständnis entgegen, dass darauf verweist, dass Wahrheit kein objektiv zu bestimmender Zustand ist – gerade wenn es um Menschen geht, die permanent ihre Welt verändern. Hier ist der Anspruch an Wissenschaftlichkeit, dass die Methodik und die Ergebnisfindung offengelegt werden sowie Gütekriterien qualitativer Arbeit eingehalten werden, so dass es für Leser nachvollziehbar ist, wie man zu einem Ergebnis gekommen ist. Darauf basierend kann selektiert werden, welche Erklärungsmuster sinnvoll erscheinen und zur Analyse oder Bearbeitung eines Sachverhaltes nützlich sein können. Dass da aber Wahrheit am Ende steht, würde eigentlich kein Sozialwissenschaftler ernsthaft behaupten. Dies liegt allein schon daran, dass mittels sprachlicher Mittel und Symbole gearbeitet werden muss, die bestimmte Deutungsmuster bereits vorgeben und die Beobachtung eines Sachverhaltes immer vom beobachtenden Individuum abhängt. Als Beispiel kann man hier die kantische Trennung zwischen Noumenon und Phänomenon nehmen. Es mag sein, dass es ein „Ding an sich“ gibt, aber dieses Ding an sich können wir nur mittels derer Begriffe und Konzepte beschreiben, die uns zur Verfügung stehen. Dies bedeutet, dass andere Menschen zu anderen Zeitpunkten und in anderen Kontexten zu anderen Ergebnissen kommen können. Hier festzustellen, was letztgültig wahr ist, ist unmöglich. (Ist denn das wahre Wort für Baum „Baum“ oder „tree“). Wir können uns letztendlich nur über Konventionen der Kommunikation einigen, die müssen aber den wissenschaftlichen Anspruch haben, dass die Dinge auch ganz anders gesehen und beschrieben werden können. Wahrheit ist somit sozialwissenschaftlich gesehen kein Zustand, der aus sich heraus existiert, sondern der Dingen zugeschrieben wird. Diese Zuschreibung kann allerdings hochpraktikabel sein.
Prinzipiell ist es natürlich auch wünschenswert, dass qualitativ gewonnene Ergebnisse im Rahmen einer Triangulation auch quantitativ bearbeitet werden. Aber andersrum gilt eben auch das gleiche. Quantitative Verfahren können nur abdecken, was der Forscher sich vorher gedacht hat, was für ein Feld wichtig sein könnte. Erfolgt hier keine theoretische Reflektion der eigenen Weltsicht sowie eine Auseinandersetzung mit dem, was die untersuchten Menschen eigentlich selber denken, besteht permanent die Gefahr, das entscheidende Themenbereiche ausgeklammert werden und falsche oder zumindest zu kurz greifende Annahmen getroffen. Zum anderen sind quantitative Verfahren je nach Themengebiet halt auch unterkomplex. Ich kann sicherlich versuchen quantitativ zu bestimmten, wie viel arme Menschen es in Deutschland gibt. Wobei auch hier wieder politische Fallstricke auftreten bei der Frage, wo setzt man eigentlich die Grenze? Was ist wahre Armut. Ist das ein absoluter oder ein relationaler Begriff. Kann ich das als Wissenschaftler eigentlich einfach bestimmen oder gehört auch dazu, ob sich Menschen selber als arm sehen? Wenn ich aber die Auswirkungen von Armut auf Menschen betrachten will, dann komm ich zumeist nicht darum, mich der Fragestellung qualitativ zu nähern. Da muss ich mit den Menschen reden, mir ihre Geschichten anhören, nach sich wiederholenden Mustern suchen und so weiter. Das ist nicht erfassbar mit „Bitte bewerten sie ihre Familiensituation auf einer Skala von 1 bis 5“. Da hab ich keine Kontrolle über intervenierende Faktoren, die vielleicht von der Biographie der entsprechenden Person abhängen, die ich aber nur über aufwändigere Verfahren erfahren kann. Dementsprechend ist die Wahl der wissenschaftlichen Methode einfach abhängig von der Fragestellung und dem Erkenntnisinteresse. Wenn es mir zum Beispiel um politische Konzept führender CDU-Politiker geht, dann kann ich das nicht quantitativ erfassen, wenn ich wirklich an ihren handlungsleitenden Vorstellungen interessiert bin. Ich werde dabei auch keine reproduzierbaren Ergebnisse bekommen, da eine Wiederholungsbefragung kaum möglich sein wird. Oder um in der Kriminologie zu bleiben. Interessiert mich, wie sich Gesetze mit der Zeit geändert haben und wie und warum sich Vorstellungen von Jugendkriminalität verändert haben, dann kann ich das nicht mittels quantitativer Daten machen. Ich muss theoretisch selektieren, welche Erklärungsmuster auf Basis anderer empirischer Forschungsergebnisse wahrscheinlich erscheinen, kann das aber letztendlich kaum experimentell überprüfen.
@ Dirk
Ich entschuldige mich jetzt schon für die Unlesbarkeit des Kommentares. Ich hab ihn diesmal sogar vorgeschrieben, aber irgendwie hat es letztendlich dennoch die Formatierung zerhauen beim Kopieren…
@ Dirk:
Doch, schon. Auch viele Sozialwissenschaftler wollen Aussagen über die Realität machen, das geht nicht ohne Wahrheitsanspruch (im Sinne einer regulativen Idee). Dass „eine Beobachtung eines Sachverhaltes immer vom beobachtenden Individuum abhängt“, ist auch kein Spezifikum der Sozialwissenschaften, das ist eigentlich sogar tautologisch, weil nur das beobachtende Individuum – heutzutage in der Arbeitsgruppe – eine Beobachtung machen kann. Aber es beobachtet, d.h. es schaut auf etwas, und das ist die Realität (ob die natürliche wie in der Physik, die soziale wie in der Soziologie oder eine zeichenhafte wie in der Mathematik ist egal). Ob es prinzipiell nicht möglich ist, etwas objektiv zu beobachten, weil uns nur Perspektiven gegeben sind, weiß vermutlich niemand, und auch dann müsste man versuchen, die verschiedenen möglichen Perspektiven einander gegenüberzustellen, weil sie zumindest so etwas wie Realitätsaspekte zeigen sollten – sonst rutschen wir fröhlich die Relativismusrutsche runter, bis wir beim Satz angekommen sind, dass wir wissen, dass wir nichts wissen. Da will ich nicht hin. Und der Fortschritt der Wissenschaft zeigt auch, dass wir uns nicht (immer nur) im Kreis drehen.
@ Joseph Kuhn
Der Punkt, das man verschiedene Perspektiven miteinander verbinden kann und muss ist völlig richtig, das geht aber auch ohne den Anspruch eine letztgültige Wahrheit finden zu können. Man kann mehr oder weniger überzeugende Beschreibungen der Wirklichkeit bzw. der Realitätsaspekte liefern, die diese aber kaum als solche komplett erfassen können, sondern eher Möglichkeiten der Interpretation aufzeigen. Meine Aufgabe als Wissenschaftler ist dann, diese Interpretation so gut es geht zu plausibilisieren. Das hat dann auch etwas mit Relativismus zu tun, zumindest in dem Sinne, in dem man sich die Möglichkeiten aber auch die Beschränkungen wissenschaftlicher Ergebnisfindung bewusst macht.
So kann man letztendlich wissenschaftlich schwerlich definieren, ob die Güte eines Gesundheitssystems von dem Maß an Behandlungserfolgen oder von dem Maß an individueller Freiheit für die Bürger zu bewerten ist. Ich tendiere zwar eindeutig zum ersteren Ansatz (allein schon aufgrund von dem mich überzeugenden Ansatz der harm reduction), aber dies sehr wahrscheinlich auch aufgrund meiner wohlfahrtsstaatlichen Sozialisation in einem westeuropäischen Land. Hier, finde ich, überhebt sich Wissenschaft, wenn sie Wahrheit finden will, da bei solchen Fragen normative Fragestellungen eine zu große Rolle spielen. Ähnlich sieht es bei der Frage aus, ob das System des Common Laws oder der Verfassungsorientierung demokratischer ist? Einem Engländer erscheint die Idee eines Verfassungsgerichtes völlig absurd, während einem Deutschen das „law on the fly“ und das Primat der Politik in England zumeist extrem beliebig vorkommen. Ich würde es aber anmassen finden hier die eine Wahrheit finden zu wollen, wie ein Rechtssystem aufgebaut sein sollte. Manchmal können eben auch zwei „Wahrheiten“ existieren bei denen eine objektive geschweige denn quantitative Bestimmung ihrer Eigenschaften eigentlich unmöglich ist. Auf diese Problematik wollte ich hinaus, da entsprechende definitorische und empirische Probleme ja ein permanentes „Hintergrundrauschen“ sozialwissenschaftlicher Forschung darstellen.
Bezüglich des im Kreis drehens hab ich ja zumeist das Gefühl, dass man letztendlich in Grundsatzfragen auch immer noch nicht viel weiter ist, als zur Zeit der griechischen Antike. Aber das ist ehere eine polemische Behauptung als alles andere 😉
@ Dirk:
Normative Fragen kann man nicht empirisch entscheiden, das ist richtig. Wer das versucht, begeht nur einen naturalistischen Fehlschluss. Das führt sogar etwas zum Kernthema des Blogs zurück, wenn gewisse Pflanzenphysiologen mit gefestigtem Weltbild die Geschlechterverhältnisse am liebsten weiterhin so hätten, wie sie sich – biologisch und/oder gesellschaftlich – entwickelt haben.
Aber das hat m.E. nichts mit der Funktion des Wahrheitsbegriffs in der Wissenschaft zu tun. An Ihrem Beispiel: „Die Güte“ des Gesundheitssystems kann ich nicht empirisch bestimmen, wenn dieser Gütebegriff widerstreitende Interessen beinhaltet. Siehe oben. Aber ich kann das eine („Güte A“) wie das andere („Güte B“) explizieren und dann empirisch untersuchen, wie die jeweilige Güte am besten zu erreichen ist. Herauskommen nicht zwei Wahrheiten, sondern zwei Antworten auf zwei Fragestellungen.
Und ob wir in „Grundsatzfragen“ nicht weiter sind als in der Antike? Das hängt davon ab, was man als „Grundsatzfragen“ ansieht. Auch das führt ein wenig zum Blogthema zurück: Ob die 200 Genderprofessuren unwissenschaftlich arbeiten, kann man auch besser beurteilen, wenn man weiß, was man eigentlich dazu zählt und was nicht.
Jetzt erst mal gute Nacht und einen schönen Feiertag!
Wissenschaft ist im Kern keine Methode, sondern eine Haltung. Es ist, die Erkenntnis immer im Hinterkopf zu haben:
Du kannst dich irren.
Popper, Objektive Erkenntnis*. Die Kontrolle der Beobachtung, der Vergleich, die Statistik usw. sind Mittel, Fehlerquellen systematisch auszuschalten. Je nach Fachgebiet wird man andere Mittel einsetzen müssen. Der Kunsthistoriker Ernst Gombrich hat mal einen bestechenden Fake-Aufsatz** geschrieben, eine Art Sokal im Kleinen. Wenn er den letzten Satz weggelassen hätte, dann hätte er ihn zweifellos irgendwo als echt unterbringen können.
Reproduzierbarkeit ist die Abbildung von Kontinuität*** und somit genauso Voraussetzung für Wissenschaft wie ihr Ziel, auch in der Psychologie. Da gibt es keinen Grund für dystopische Visionen. Die Evaluation von Psychotherapie z. B. beruht selbstverständlich auf dieser Annahme, denn sonst wäre sie sinnlos. Zwischen Erkenntnis und Beeinflussung können Welten liegen, was jedem klar ist, der schon einmal Psychotherapie in praxi beobachten konnte. Natürlich ist Kausalität immer komplex und nur mehr oder weniger fassbar, aber nicht-kausale Ereignisse nennt man Wunder. Wenn sich die Kritik nur noch im Kopf abspielt und das Außen nicht mehr wichtig ist, dann handelt es sich um Theaterkritik. Kann großartig sein, ist aber nicht unbedingt Wissenschaft.
Das ist ein Mem. Es hat ein Eigenleben.
* „Denn der Wissenschaftler, nennen wir ihn »S«, weiß weder, noch glaubt er. Was tut er aber?“
** Die Rhetorik der Zuschreibung. Ein kunsthistorischer Aufsitzer. In der Einleitung schreibt er: „Der vorliegende Versuch, dennoch die Schlüssigkeit von Argumenten in Frage zu stellen, denen man oft im kunsthistorischen Schrifttum begegnet, darf daher auch nicht allzu ernst genommen werden. Er will bloß auf ein Manko hinweisen, das wohl immer bestehen wird, das Manko eines Kriteriums, das objektiver ist als plausible Rhetorik.“
*** Popper meint, an ihr wäre zu zweifeln. Aber man dürfe sich freuen, wenn der Zweifel scheitere. Führt jetzt zu weit weg.
Formatierung geht mit html-Tags. Wenn man das will, sollte man einen Editor mit Syntax-Highlighting benutzen, z. B. Notepad++. Im Forum wär’s leichter erlernbar, aber dazu ist es jetzt zu spät. Bleiben wir halt hier.
Das Problem ist, dass die Debatte ja hier stattfindet. Was nützt es da im Forum zu diskutieren, wo ganz andere Beiträge sind und die diese Diskussion in der Form gar nicht existiert.
@ pelacani:
Ja, muss so was sein, ich weiß auch nicht, wo das immer herkommt.
Da wäre ich vorsichtig, der Kausalitätsbegriff ist ein tückisches Miststück. Aber ich meine zu verstehen, was Du meinst (was Sie meinen ;-)): dass alles eine materielle Basis haben muss und es keine Geister gibt. Das glaube ich auch, die Frage ist nur, ob wir die Beziehungen unseres Denkens zu dieser Basis schon angemessen beschreiben können. Ich will nur darauf hinweisen, dass die Mathematik z.B. keine kausalen Beziehungen zwischen Ereignissen untersucht, dass wir auch die Stimmigkeit von Argumenten in der Physik nicht nur auf der Ebene kausaler Verknüpfung von Ereignissen prüfen, sondern auch auf der Ebene logischer Beziehungen zwischen Sätzen und dass die Wahrheitsrelation zwischen Sätzen über Ereignisse und den Ereignissen selbst keine kausale Beziehung ist.
Wie auch immer das eine mit dem anderen zusammenhängt – irgendwie muss das ja sein, sonst hätten wir in der Tat einen Geist im Kopf. Und dass wir hier recht geistlos vorgehen, darüber zumindest sind wir uns doch (hoffentlich) einig. Wie auch darüber, dass unsere Argumente sinnvoll sein sollten und nicht nur kausale Hervorbringungen, denn sonst wäre eins so „wahr“ wie das andere, keiner könnte es prüfen.
Für die Frage, ob die Sozialwissenschaften einen Haltepunkt in der Realität haben (sollten) oder nicht, ist das aber auch egal und viel mehr kann ich dazu sowieso nicht beitragen, ich bin kein gelernter Wissenschaftstheoretiker und blamiere mich lieber auf den Gebieten, in denen ich mich besser auskenne.
Der Fakeaufsatz von Gombrich ist nicht online, wenn ich das nach kurzem googeln recht sehe?
Die Quelle ist, soweit ich sie mir notiert habe: E. Gombrich: Kunst und Kritik, S. 102ff; Ursprünglich erschienen unter dem Titel: „Rhetorique de l’attribution (Reductio ad absurdum)“ in Revue de l’Art, 42, Oktober 1978.
@ Joseph Kuhn
Das sehe ich nicht so. Dass man Vorhersagen treffen kann, heißt ja noch lange nicht, dass diese deterministisch oder unabhängig vom Umfeld sind. Auch eine Vorhersage der Form „Wenn Vorbedingung x vorliegt, werden mindestens 52% der Menschen y tun (innerhalb des aktuellen Zeitgeschehens)“ ist durchaus valide.
Dass man jetzt großflächige Experimente durchführen kann, ist natürlich gerade in den Sozialwissenschaften häufig nicht gegeben (z.B. ethisch nicht vertretbar). Man kann aber zumindest Teilaspekte seiner Theorie experimentell untermauern und Analogien ziehen. Dass das einfach ist, hat keiner behauptet. 🙂
@ Dirk
Ich habe schon fast ein schlechtes Gewissen auf so einen ausführlichen Kommentar so kurz zu antworten, aber die Frage, die sich mir stellt ist:
Was ist dann der Vorteil einer qualitativen Abhandlung gegenüber einer Kolumne in einer Wochenzeitung? Aus welchem Grund sollte man dann der Wissenschaft mehr Vertrauen als irgendeinem Blogger oder Journalisten entgegen bringen?
Vielleicht gleich im Anschluss die Frage: Was sind denn genau die Gütekriterien einer qualitativen Arbeit (und damit meine ich nicht die korrekte Zitierung und Formatierung 😉 )?
PS: Dass es irgendwo mehrere Wahrheiten gibt, heißt eigentlich immer nur, dass der Ausgangspunkt nicht sauber genug definiert wurde. Alles Andere sind lediglich Abwägungen zwischen verschiedenen Optionen, dazu hat aber ja Joseph auch schon geantwortet.
Nochmal @ Dirk
Da ich darauf oben nicht eingegangen bin: Die Geschichtswissenschaft hatte ich so tatsächlich nicht im Blick, hier wäre die Forderung nach einer Vorhersagekraft tatsächlich absurd. Das liegt aber meines Erachtens nach daran, dass sie eine rein deskriptive Wissenschaft ist, die versucht anhand von einigen Fakten (Dokumente etc.) frühere Ereignisse zu rekonstruieren.
Dennoch interessante Anmerkung, ich werde darüber noch ein wenig nachdenken. 🙂
@ cero:
Wenn man die Ansprüche an die Verlässlichkeit der Vorhersagen und an die Reproduierbarkeit (das kam in Deinem Argument auch vor) etwas zurücknimmt, dann hast Du natürlich völlig recht. Wahlprognosen stimmen beispielsweise manchmal recht gut, aber die Menschen könnten sich auch anders verhalten. Es steht kein naturwissenschaftliches Gesetz hinter ihrer Vorhersage, sondern ein statistisches Modell, dem die ontologischen Zusammenhänge zwischen Input und Outcome egal sind, siehe auch nebenan die Diskussion um die Wahlprognosen für Trump/Clinton.
Anderes Beispiel: Man kann sicher recht verlässlich vorhersagen, dass die meisten Abiturienten auf die Frage, ob Napoleon früher als Adenauer gelebt hat, die richtige Antwort geben. Das ist aber eine Vorhersage ganz anderer Art als die, dass morgen wieder die Sonne aufgeht.
„Vorhersagen“ sind übrigens auch in der Mathematik nicht üblich, eine Wissenschaft ist es trotzdem.
@ cero
Die Frage nach der Güte qualitativer Forschung ist ja durchaus auch berechtigt und es ist eine, die die qualitative Forschung auch seit Jahren umtreibt. Ich werde mal etwas ausholen, – ich weiß, dass das nervig ist, aber kurzhalten ist eine Tugend, die mir immer schwer fällt – um darzulegen, wie ich diesen Punkt sehe. Ich habe, glaube ich, oben auch übertrieben, in dem ich meine Ansichten bzw. eine Teilansicht der Wissenschaftstheorie auf die gesamte Sozialwissenschaft verallgemeinert habe. In diesem Kontext will ich auch auf Kuhns berechtigte Einwände eingehen.
Das grundsätzliche Problem bei der Erforschung sozialer Sachverhalte ist, dass die Auseinandersetzung mit der sozialen Welt immer eine zumindest partielle Übernahme von moralischen und normativen Setzungen bedeutet. Der Forschungsgegenstand ist letztendlich der Mensch, welcher im Gegensatz zum Atom auch immer einer soziales, moralisches und normatives Wesen ist. Der Mensch hat im Versuch, die Welt für sich verständlich und kontrollierbar zu machen in seiner Geschichte verschiedenste Ordnungssysteme geschaffen, die aber nicht in dem Sinne objektiv und neutral waren, sondern auch immer moralisch-normative Urteile beinhalteten. Von diesen Ordnungs- und Normdeutungen kann sich auch Wissenschaft nicht komplett lösen, wenn sie sich mit dem Menschen und den von ihm geschaffenen Welten auseinandersetzt. Als Beispiel würde ich wieder die Kriminalität anbringen, einfach weil das mein Arbeitsgebiet ist.
Der Begriff der Kriminalität funktioniert in seinem Kern analog zum Begriff der Sünde. Es ist eine moralisch-normative Bewertung menschlichen Verhaltens, die sich teilweise über Jahrhunderte entwickelt hat. Wir haben in unserem Strafrecht Elemente des römischen Rechtes, des Kirchenrechtes, Elemente der Aufklärung (Schuldprinzip, bei dem Juristen z.B. neurobiologische Befunde größtenteils ignorieren), der bürgerlichen Gesellschaft, des Nationalsozialismus (Mordparagraph) oder auch der 68er-Bewegung (Abschaffung der Strafbarkeit von Homosexualität; Abtreibungsparagraph). All dies spielt in die Erforschung von Kriminalität eigentlich hinein. Nähme man jetzt die Fragestellung, wie lässt sich Sünde am effektivsten verhindern, könnte ich darauf natürlich vielleicht sogar eine Antwort finden, uns wäre aber sofort klar, dass es sich hierbei um eine moralische Unternehmung handelt, weil es voraussetzt, dass es so etwas wie Sünde als Eigenschaft eines Verhaltens gibt. Denn es würde bedeuten, ein religiöses Weltbild als gegeben und wahr zu akzeptieren. Ähnlich verhält es sich dann auch bei Kriminalität. Stelle ich die Frage, wie sich Kriminalität verhindern lässt – was berechtigt sein kann, immerhin sind zahlreiche als kriminell definierte Handlungen mit Leid verbunden – muss ich aber zumindest im Blick behalten, dass auch Kriminalität eine normativ-moralische Wertung beinhaltet und in dem Sinne keinen rein objektiven Gehalt hat. Denn gäbe es zum Beispiel keine Bürokratie, die ein Strafgesetzbuch entwickelt hätte, würden wir wahrscheinlich mit anderen Begriffen über bestimmte unerwünschte Verhaltensweisen sprechen. Und dies lässt sich letztendlich unendlich in alle Teilbereiche der Sozialwissenschaft fortsetzen. Wir kommen, meiner Meinung nach, nicht darum umher zu akzeptieren, dass wir versuchen können Wirklichkeit mit den uns zur Verfügung stehenden Begriffen zu beschreiben, aber wir werden wohl nicht auf Wahrheit stoßen. Das mag eine gewisse Begriffsklauberei sein, aber ich denke, dass es nicht schaden kann, weil ja gerade das den Raum für Kritik, Debatte und Weiterentwicklung öffnet – also die grundsätzliche Haltung: Es könnte auch ganz anders sein.
Und damit komme ich zudem Punkt, dass der Kern von Wissenschaftlichkeit für mich nicht in der Wahrheit der Ergebnisse liegt, sondern in der Methodik und systematischen Herangehensweise an ein Problem. Dementsprechend kann es durchaus sein, dass ein Zeitungsartikel über einen sozialen Sachverhalt näher an der „Wirklichkeit“ liegt, als ein bestimmtes wissenschaftliches Ergebnis. Was den Zeitungsartikel jedoch von einer wissenschaftlichen Arbeit unterscheidet, ist die Art der Herangehensweise und der Darstellung der Ergebnisse. Wissenschaft muss für sich den Anspruch haben, den Prozess der Ergebnisfindung durch Darstellung der angewandten (statistischen) Verfahren, des Analysematerials oder der Analyseprozesse offenzulegen und somit zugänglich für Kritik und Debatte zu machen. So sollte es beispielsweise bei qualitativen Verfahren Usus sein aufzuzeigen, was man wie erforscht hat. Bei Interviewstudien heißt das, dass man seine Leitfragen offenlegt, den Prozess der Analyse dokumentiert, sich an speziellen Abläufen der Dateninterpretation orientiert und in der Darstellung der Ergebnisse so eng am (transkribierten) Interviewtext wie möglich arbeitet. Das sind alles Gütekriterien, die ein Zeitungsartikel nicht erfüllen muss, woraus sich für mich aber die Qualität wissenschaftlicher Arbeit ergibt. Sie muss, in dem Wissen, dass die Interpretation von Daten nicht vom Interpretierenden losgelöst werden kann, ihre Daten so präsentieren, dass die Ergebnisfindung so plausibel wie möglich gemacht werden kann.
Letztendlich kann das natürlich trotzdem nicht auflösen, dass ein Interpretationsprozess stattfindet, der in einer gewissen Form niemals objektiv sein kann, da er halt das ist, was er ist: eine Interpretation. Dabei ist der Unterschied zu quantitativen Verfahren aber auch nicht so groß, wie man auf dem ersten Blick denken könnte. Auch quantitative Daten bedürfen der Interpretation. Statistische Daten ergeben zunächst einmal aus sich heraus ja auch keinen Sinn, sondern müssen in bestehende Annahmen und Theorien integriert bzw. intelligibel gemacht werden. Das aber wiederrum geschieht dann auch wieder im Kontext von normativ-moralischen Werten.
Ein Beispiel ist in diesem Zusammenhang der Umgang mit Big Data in der Kriminologie. So ist es, meines Wissens nach so, dass sich in amerikanischen Untersuchungen gezeigt hat, dass die Zahlungsmoral bei Kreditkartengebühren ein ziemlich starker Indikator für die Gefahr einer strafbewährten Rückfalltat ist. Das ergab sich aus Studien, in denen man versucht hat, so viele statistische Daten wie möglich in ein Modell zu werfen. Nur was folgt daraus? Ist es so, dass Straftäter einfach ungern Gebühren bezahlen oder steckt dahinter evtl. Armut als Ursache, da die Gebühren nicht gezahlt werden können? Man müsste also wohl oder übel mit einer Auswahl an Fällen reden, um sich den Hintergründen ihres Verhaltens zu nähern. Hier kommt erschwerend hinzu, dass bestimmte Aspekte quantitativ kaum erfasst werden können. So ist es z.B. statistisch gesehen wahrscheinlich, dass farbige US-Bürger für dieselbe Tat eher in den Knast gehen, als Weiße. Daraus ergibt sich dann aber schon wieder die Frage, ob denn die Verhängung einer justiziellen Strafe das richtige Maß ist, um die vorgestellte Verbindung (Kreditkarte-Rückfall) aufzubauen, da es sein kann, dass bestimmte Gruppen systematisch über- oder unterrepräsentiert werden. Dahinter könnten wiederrum rassistische Überzeugungen bei Richtern stecken. Die kann man zwar standardisiert erfragen, aber man kommt ihnen näher, wenn man sie zu ihren handlungsleitenden Entscheidungsprinzipien befragt oder z.B. Gerichtsentscheidungen und -prozesse ethnographisch untersucht. Gleichzeitig ist Rassismus natürlich auch in gewisser Form eine moralische Wertung, da die Verwendung dieses Begriffes beinhaltet, dass alle Menschen gleich behandelt werden sollten und dass es für eine Gesellschaft schädlich ist, wenn dies nicht geschieht. Wie ich finde ein überzeugender Ansatz, aber nicht rein objektiver, sondern auch politischer Natur.
Was die Frage des Vertrauens angeht, würde ich sagen, dass Vertrauen vielleicht der falsche Begriff ist. Ich weiß nicht, ob jemand letzten Sonntag die Sendung Anne Will gesehen hat (wird auch im Forum diskutiert), in der Prof. Dr. Spitzer aufgetreten ist, der auch hier zum wiederholten Male seine These der digitalen Verdummung aufgeführt hat, indem er behauptete, dass Kinder erst ab 14 Jahren Computer und Smartphones benutzen sollten, da sonst die Hirnentwicklung beschädigt werden würde. Der gute Mensch arbeitet empirisch und mittels quantitativer Verfahren. Aber überzeugt mich seine These vor allem mit ihren Konsequenzen in Hinblick auf das Schulsystem? Eher nicht. Einen seiner akademischen Gegenspieler in Form von Prof. Dr. Vorderer von der Uni Mannheim find ich in dem Themengebiet wesentlich nachvollziehbarer. Man kann jetzt Spitzer vorwerfen, dass er größtenteils nur sich selber zitiert in seiner Forschung, aber ich hätte jetzt auch Probleme zu sagen, er ist gar kein Wissenschaftler. Sollte man seiner Haltung also vertrauen? Die Wissenschaft ist in ihrer Geschichte auf die abstrusesten Ideen gekommen (Euthanasie, Rassismus, Kolonialismus usw.), so dass ein gewisser Grundzweifel ihr gegenüber durchaus angebracht ist – wie allen anderen menschengemachten Systemen auch. Das heißt aber natürlich nicht, dass daraus eine komplette Beliebigkeit folgt. Denn was die Wissenschaft – wie oben angedeutet – von einem Blogger unterscheidet, ist die Art der Plausibilisierung und Nachvollziehbarmachung der Ergebnisfindung. Dabei muss Wissenschaft aber auch auf der Bühne der gesellschaftlichen Debatte bestehen, da sie eben mit anderen Weltdeutungen konkurriert. Deswegen mag ich das Psiram-Projekt eigentlich auch sehr gerne, weil hier die aktive Auseinandersetzung gesucht wird und sich Wissenschaft so in der praktischen Debatte auf Basis der von ihr gewonnenen Daten bewähren kann. Ich wär wie gesagt nur vorsichtig (bedingungsloses) Vertrauen einzufordern oder letztgültige Wahrheiten verkündigen zu wollen.
Bezüglich den Gütekriterien die bzgl. qualitativer Verfahren zu beachten sind, gibt es dann tatsächlich aber auch widerstreitende Positionen. Dies kann man z.B. hier einsehen:
https://www.ph-freiburg.de/quasus/einstiegstexte/grundfragen-und-basiskonzepte/guetekriterien.html
In dieser Hinsicht ist auch noch kein abschließender Konsens gefunden worden, was auch daran liegt, dass die qualitative Sozialforschung erst in den vergangenen 20 Jahren wieder an Bedeutung gewonnen hat, was eine Aktualisierung der Grundlagendebatte zur Folge hatte. Sehr hilfreich finde ich aber das Einführungswerk „Qualitative Interviewforschung“ von Jan Kruse. Das ist leider sehr lang, aber setzt sich eben auch mit wissenschafts- und erkenntnistheoretischen Fragestellungen auseinander.
PS: Bevor ich es vergesse: Ich habe bisher selber in quantitativen wie in qualitativen Forschungsprojekten gearbeitet. Es ist also nicht so als ob ich eine Methodik grundsätzlich für besser oder sinnvoller halten würde. Die Auswahl der Methodik sollte allein auf Basis der Fragestellung beruhen, wobei natürlich klar ist, dass qualitative Forschung keine allgemeingültigen (im wissenschaftlichen Sinne) aussagen treffen kann. Sie kann aber Hinweise auf die Verfasstheit der „Wirklichkeit“ geben, die mittels quantitativer Verfahren nicht gewonnen werden können.
PPS: Wegen meiner kann man auch eine Grundsatzdiskussion hierzu auch im Forum führen. Ich habe aber keinen diesbezüglich Thread gefunden und es wäre auch schade die recht produktive Diskussion hier abzubrechen. Das ist leider immer blöd, wenn die Diskussion auf verschiedenen Kanälen verläuft. Aber ich finde es eigentluch auch gut, wenn so etwas „öffentlich“ erörtert wird, da dies ja bedeutende Fragen sind.
nicht-klassische Pseudo-Maschine? akausale Fernwirkung? Truth is concrete, Die Wahrheit ist aufm Platz (alte Fußballweisheit, Spr 1, 20).
🙂
Nein, ich finde das nicht absurd. Der Gegenstand der Geschichtswissenschaft ist herauszufinden, „wie es gewesen ist“ (v. Ranke). Was der Vorhersagekraft entspricht, wäre hier die größtmögliche Annäherung an die einstmaligen Verhältnisse. Es hat sie gegeben, und sie sind nicht mehr veränderlich.
Nicht, dass wir nicht auch darüber schon endlos palavert hätten:
https://forum.psiram.com/index.php?topic=10488.0
Der Mediävist Kurt Flasch kommt auch zu Wort (#35):
Das passt übrigens durchaus auch als Kommentar zu Dirk, #158. Wer davon noch nicht genug hat, kann sich noch durch diesen Faden ackern (mäandert heftig, berührt aber das Thema):
https://forum.psiram.com/index.php?topic=11631.0
Aber ich finde, wir sind kurz davor, die Welträtsel zu lösen.
@ pelacani
In dem Fall eher uraltes Wissen. Da steht in meinem Regal z.B. noch das Reclam-Büchlein „Kausalität. Neue Texte“ aus den 80er Jahren, also früher mal neue Texte. Neuer: z.B. die letzten Beiträge im Sammelband „Philosophie der Physik“ von Esfeld. Mehr kann ich nicht bieten, die Kausalitätsdiskussion überblicke ich nicht ansatzweise.
Es hilft hier nach meiner Erfahrung sehr, drei Ebenen zu unterscheiden: (a) das Fachwissen einer Domäne, also als korrekt geltende Aussagen / Theoreme o.ä im Themengebiet einer Wissensdomäne, (b) die Wissenschaftstheorie der Domäne, also die anerkannten Methoden zum „Beweis“, daß Aussagen korrekt sind, und (c) die Meta-Wissenschaftstheorie, also anerkannte Methoden zur Bildung von domänenspezifischen Wissenschaftstheorien. Das ganze ist angelehnt an die linguistischen Konzepte Objektsprache, Meta-Sprache und Meta-Meta-Sprache.
Fangen wir oben an: eine Grundforderung an eine wissenschaftliche Disziplin besteht darin, daß sie ihren Wissensdomäne und die verwendete(n) konkrete(n) Wissenschaftstheorie(n) benennt. Jede Disziplin, die von sich behauptet, sie sei eine Wissenschaft, und die staatlich finanzierte Stellen fordert, hat hier eine Bringschuld. Hier fängt das Versteckspiel der GS an: In den offiziellen Selbstdarstellungen ist regelmäßig die Rede davon, man sein „keine normale Wissenschaft“, eine „angewandte“ Disziplin, „interdisziplinär“ (was nicht stimmt) usw. An der Stelle kann man eigentlich aufhören. Jede detaillierte Kritik an den GS erfordert willkürliche Festlegungen des Kritikers, welche Themen die „echten“ GS behandeln und welche Methoden sie verwenden.
Im Endeffekt wird hier in der Debatte um die Unwissenschaftlichkeit der Gender Studies regelmäßig die Beweislast umgekehrt: die Kritiker sollen beweisen, daß so gut wie alles was unter dem Etikett „Gender Studies“ publiziert wurde, unwissenschaftlich ist. Die Kritiker sind widerlegt, wenn es irgendwelche seriöse Forschung aus den klassischen Disziplinen gibt, die Geschlechterunterschiede behandeln und denen ggf. nachträglich das Etikett „Gender Studies“ angeheftet wurde. Wenn man dann die eigene Zuständigkeit in vagen Termen („wir untersuchen Geschlechterhierarchien“) beschreibt und die Kritiker akzeptieren diese Vagheit, dann haben sie automatisch verloren.
Die Debatte rutscht dann regelmäßig auf die Ebene (b) und die klassischen Probleme der unterschiedlichen Wissenschaftstheorien in den großen Wissenschaftsbereichen (Formal-, Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften). Man verbeißt sich an dem nicht lösbaren Problem, daß es keine einheitliche Wissenschaftstheorie für diese Wissenschaftsbereiche geben kann.
Perfektes Derailing, das von der Kernfrage ablenkt, wer verantwortlich ist, eine integrierte Wissenschaftstheorie der Gender Studies zu präsentieren.
Pro forma konzedieren ja einige GS-Forscherinnen, man würde auch biologische Einflüsse auf das Sozialverhalten berücksichtigen. Wenn das ernst gemeint ist, müßte man sich viel Gedanken machen über die Integration der jetzt involvierten Wissenschaftstheorien, die ist nach meinem Eindruck (ich bin MINTler) schwierig bis unmöglich.
In einer Art freiwilliger Beweislastumkehr fangen jetzt die Kritiker der GS an zu diskutieren, wie eine eigene integrierte Wissenschaftstheorie für die Geschlechterfrage aussehen könnte, die man als Gegenentwurf zur mutmaßlichen, aber nirgendwo greifbaren integrierten Wissenschaftstheorie der GS präsentiert – das wäre eine Debatte auf Ebene (b) – oder mit der man Ergebnisse de GS auf Ebene (a) bewertet. Den Schuh sollte man sich nicht anziehen.
Noch eine kurze Bemerkung zum „Viewpoint“ in JAMA von gestern.
http://jamanetwork.com/journals/jama/fullarticle/2577142
Das Papier fordert, bei allen klinischen Studien sowohl über Gender (ich sage mal: „soziales Geschlecht“) als auch über Sex (erwähnt nur: chromosomales Geschlecht) der Probanden/Patienten zu berichten:
Das klingt ein wenig sperrig. Haben Sie es handlicher?
Nein, haben sie nicht. Das ist doch der GAU für die 40 Jahre Genderforschung. Praktische Verwendbarkeit: Null.
Doch es gibt einen Ansatz:
„Frau X, wurden Sie, als Sie geboren worden sind, als Junge oder als Mädchen bezeichnet? Und als was fühlen Sie sich heute? Als Frau oder als Mann?“ – Lachen Sie nicht, auch wenn es witzig ist, die Erkenntnisse aus der angegebenen Literatur 6 (eine Transgender-Studie) auf eine normale Population übertragen zu wollen. Das ist ernst gemeint.
Meine Prognose: alles in allem wird das auf einen sinnlosen bürokratischen Mehraufwand in jeglicher klinischer Forschung hinauslaufen. Nicht mehr aufzuhalten.
@ Joseph:
Ja, der Verweis auf Reproduzierbarkeit und Vorhersagefähigkeit war genau so gemeint.
Mit der Mathematik hast du natürlich Recht, die hat aber den Vorteil als einzige Wissenschaft tatsächlich unbestreitbare Wahrheiten entdecken zu können und ist deshalb etwas außen vor. 🙂
@Dirk:
Dass der Untersuchungsgegenstand der Sozialwissenschaften kulturell geformt ist, liegt in der Natur der Sache (das ist ja quasi die Definition), da stimme ich natürlich zu. Die Frage ist ja eigentlich, ob die Ergebnisse der Wissenschaft kulturellen Schwankungen unterliegen. Das sollte wiederum nicht der Fall sein (Dass eine Aussage, die über eine bestimmte Kultur getroffen wurde nicht zwangsläufig auf eine andere Kultur übertragbar ist, steht dazu nicht im Widerspruch).
So richtig überzeugt bin ich immer noch nicht, dass die qualitative Forschung wie von dir beschrieben zu mehr dient als zur Hypothesenbildung. Vielen Dank hier für den Link zur PH Freiburg, das werde ich mir gleich noch mal in Ruhe durchlesen.
Bei den quantitativen Methoden muss ich dir aber widersprechen. Der große Vorteil ist hier nicht etwa, dass man bestimmte Resultate bestätigt, sondern viel mehr, dass man bestimmte Resultate ausschließen kann (im Gegensatz zur qualitativen Forschung).
Du hast vollkommen Recht was z.B. die Interpretation von Korrelationen ohne Berücksichtigung von potentiellen Drittfaktoren angeht. Wenn man nur das tut betreibt man aber auch wieder qualitative Analyse (Hypothesenbildung), nicht quantitative Analyse. Der große Vorteil ist jetzt, dass man diese Hypothesen quantitativ überprüfen kann, etwa indem man Drittfaktoren – in deinem Beispiel Armut – kontrolliert.
Sollte der Effekt unabhängig von der Armut sein, dann zeigt sich das in der Statistik. Hier gibt es nur wenig Interpretationsspielraum.
Wie, glaube ich, oben schon erwähnt sehe ich den Mehrwert qualitativer Analysen zur Hypothesenbildung für die quantitative Untersuchung. Aber nicht als Selbstzweck.
Zu dem Vertrauen und Anne Will: Das ist wahrscheinlich nicht das beste Beispiel. Ich bezweifle mal, dass Prof. Spitzer (der Psychiater ist), methodisch saubere Studien angefertigt hat, die seine Position ausreichend stützen. Das hört sich eher nach Altmänner-Rant an. Hat da mal jemand einen Faktencheck zur Hand? Falls ich mich irren sollte, bin ich natürlich immer offen für Referenzen. 🙂
@pelacani: Das wäre dann aber eine Vorhersagekraft, die niemals experimentell überprüft werden kann, oder? Könnte aber sein, dass ich dich da falsch verstehe. Vielen Dank erstmal für die Links zum Forum, interessante Diskussionen (so viel zum Lesen! 🙂 ).
@alle: Ich habe jetzt mal hier (https://forum.psiram.com/index.php?topic=15145) einen Thread im Forum aufgemacht, da schon gebeten wurde, die Diskussion dorthin zu verlagern.
Die vielen Intersex operationen zeugen davon wie konstruiert geschlechtskategorien in binäre konstrukte eigentlich sind :). Eure Kritik hilft dazu auch mal garnicht. Lest mal „die Medikalisierung der Geschlechtszuweisung“ von Gregor Anja. Verstehen hilft ganz sicher auch 🙂 (also nicht nur Buchstaben entziffern. http://www.bpb.de/apuz/135440/medikalisierung-uneindeutigen-geschlechts?p=all
Wieviele sind es denn? So in Zahlen, Prävalenzen vielleicht? Oder ist „viel“ gleichbedeutend mit lautstark? Ich habe mich mal bemüht, dazu Zahlen zu finden, eine schwierige Angelegenheit. Weißt Du da mehr?
Und die werden sicher nicht alle operiert.
Selbst wenn es „viele“ wären, würden sie von rein gar nichts zeugen, außer davon, dass ein Bedarf an solchen Eingriffen besteht. Ich habe bisher nichts davon gehört, dass die Mediziner durch die Straßen ziehen und potentielle Patienten einfangen.
Gut, wenn ich so nett aufgefordert werde, dann bemühe ich mich ums Verstehen. Das Ergebnis meiner Bemühung ist: die „Geschlechtszuweisung“ sollte vom chromosomalen, anatomischen, hormonellen, psychosexuellen usw. Befund absehen und dem Geschwafel von Politologen überlassen werden.
Die Informationen könnt ihr euch durch Recherche doch auch selber aneignen, ist doch nicht die Aufgabe eines x-beliebigen Internetusers.
Ein paar Standartwerke aus der Genderforschung:
Simone De Beauvoir: Das andere Geschlecht;
Judith Butler: Gender Trouble;
Harold Garfinkel: Studies in Ethnomethodology (Agnes-Fall);
Zur Einführung:
Einführung in die Frauen- und Geschlechterforschung von Becker und Kortendiek im VS Springer Verlag; Sehr zu empfehlen der Teil zu Geschlechterstereotypen und Zweigeschlechtlichkeit.
Judith Butler ist sehr streitbar und ich würde der Dame nicht in allen Punkten zustimmen.
Ich habe mir kurz überlegt was zur Unterscheidung von Sex/Gender zu schreiben, aber das könnt ihr wirklich auch selber rausfinden.
Die Gender Studies stehen dem Feminismus nahe – das ist richtig. Nichtsdestotrotz arbeiten sie nach den gleichen Kriterien wie andere Wissenschaften und unterliegen einer umfangreichen wissenschaftlichen Fachdiskussion. Das ganze Fach als blödsinn abzutun ohne sich damit auf eigene Faust beschäftigt zu haben ist lächerlich. Es ist nicht die Aufgabe der Internetnutzer, dich aufzuklären und zu informieren, sondern deine eigene. Gerade auf diesem Portal ist so eine Einstellung mehr als enttäuschend.
Lass‘ Dich in Deinem Kinderglauben nur nicht von den geschätzt 140 Diskussionsbeiträgen hier erschüttern, die das Gegenteil beweisen.
Da habt ihr ein Beispiel für eine peer reviewed wissenschaftliche Produktion aus den Genderstudies :
http://de.richarddawkins.net/articles/der-konzeptionelle-penis
@ Uli
Ich finde die Originalität und den Erkenntnisgewinn eher mäßig. Solche Bezahl-Online-Publikationen, die keiner kennt, gibt es wie Sand am Meer. Jeder wiss. Autor hat ein Postfach voller Angebote von solchen „Zeitschriften“, in denen er umschmeichelt wird, für ein paar hundert $ was zu schreiben (nein, nicht Autorengehalt, sondern Gebühren). Das Ziel ist es nicht, Wissenschaft zu betreiben, sondern Geld zu drucken. Ich glaube also nicht, dass man das als debunking der gender studies verbuchen kann – was, nach meinem vorläufigen Eindruck, ohnehin unnötig ist.
Ok. Ich komme nicht aus dem Wissenschaftsbetrieb.Ich möchte mich für meinen dämlichen Einwurf entschuldigen .Aber mit deinen Ausführungen wäre das ganze Thredthema ja eigentlich Müll.
Peer reviewed ? Was ist das schon für ein Kriterium ?
M.f.G
ULI
Also so verbiestert solltest Du das nun auch wieder nicht sehen. Hier noch eine Einschätzung von Alain Sokal himself:
http://www.skeptic.com/eskeptic/17-06-07/#feature
Ein wichtiges; aber, wie alle Kriterien, kein absolutes.