Hirntod und Esoterik im „Skeptiker“

Im jüngsten Heft des „Skeptiker“ (Nr. 3/2016) ist ein Interview mit Benedikt Matenaer erschienen, in dem er kurz über die absonderlichen Ansichten der Esoten zum Hirntod berichtet; speziell über diejenigen der „Nahtod-Szene“ und die der Anthroposophen. Eine leicht fassliche Übersicht über die Sachlage geht voraus, und er macht Vorschläge, wie die Rechtslage angemessener zu gestalten … Weiterlesen

Ethikrat und Hirntod

Wie unsere treuen Leser wissen, greifen wir gelegentlich das Thema „Hirntod“ auf, weil uns scheint, dass hier in der öffentlichen Wahrnehmung viel im Argen liegt. Vor einiger Zeit hatten wir Dr. Matthias Mindach für einen Gastbeitrag gewinnen können. Inzwischen haben sich sowohl der Deutsche Ethikrat als auch die Bundesärztekammer erneut positioniert. Das war uns Anlass nachzuforschen, ob es dazu Stellungnahmen gibt. Wir freuen uns, dass wir einen weiteren Gastbeitrag von Dr. Mindach präsentieren können.


Der Deutsche Ethikrat hält in seiner Stellungnahme „Hirntod und Entscheidung zur Organspende“ vom 24. Februar 2015 am Hirntod als Voraussetzung („Kriterium“) der Organentnahme fest. Doch nimmt die These von einer Nicht-Identität von Tod und Hirntod in der Stellungnahme breiten Raum ein. Der Rat stellt dazu eine Reihe von ethischen, juristischen und philosophischen Überlegungen an. Aus klinischer Sicht ist dieser These zu widersprechen. Außerdem ist zu konstatieren, dass solche Überlegungen nur wenig dazu beitragen können, die Verunsicherung und Desorientierung weiter Teile der Bevölkerung in der Frage des Hirntodes abzubauen.
[Dies ist eine erweiterte, überarbeitete Fassung eines zuerst in Fortschr Neurol Psychiatr. 2015 publizierten Beitrags (Volltext hier). Die Druckfassung ist in „Aufklärung und Kritik“, Heft 1, 2016 erschienen (Volltext hier); dort auch die vollständigen Literaturangaben.]

Einleitung

Der Deutsche Ethikrat hat im Februar 2015 seine Stellungnahme zu Hirntod und Organspende veröffentlicht. Nötig sei sie geworden, weil seit einer Veröffentlichung durch den US-amerikanischen President’s Council on Bioethics über die Kontroversen zum Hirntod von 2008 eine vertiefte Diskussion erforderlich sei. Am Tag ihres Erscheinens wurde die Stellungnahme von den medizinischen Fachgesellschaften begrüßt, da sie im Ergebnis am Konzept des Hirntods als Kriterium für die Organentnahme festhalte; aber es sei ein genauerer Blick auf dieses Papier mit einem Umfang von 200 Seiten gestattet.

Aus fachlicher Sicht stellt sich der geschichtliche Ablauf ein wenig anders dar. Seit seiner Etablierung im Jahr 1968 hatte sich das Hirntodkonzept international durchgesetzt. Im Jahr 1998 veröffentlichte A. Shewmon eine Serie von 175 Fällen, davon 56 mit ausreichender Verlaufsinformation, des „Überlebens“ Hirntoter für länger als eine Woche nach der Hirntoderklärung. Damit war klar, dass die alte Vorstellung, der Hirntod sei der Tod des Menschen, weil der Körper danach unausweichlich zerfalle, nicht zutrifft. In der nachfolgenden Fachdiskussion zeigte sich, dass es andere überzeugende Gründe gibt, den Hirntod als sicheres Zeichen des Todes anzusehen. Das White Paper des President’s Council ist eine Reaktion auf diese Diskussion, nicht deren Ursache. Die Rezeption dieses Papiers in Deutschland ist aber der Grund für das erneute Tätigwerden des Ethikrates. Wie dem auch sei, festzuhalten ist, dass die wesentlichen empirischen Befunde im Grundsatz seit 1998 bekannt sind. Die Frage im Untertitel des Forums Bioethik 2012 „Hirntod und Organentnahme. Gibt es neue Erkenntnisse zum Ende des menschlichen Lebens?“ wäre korrekt zu beantworten gewesen mit: „Nicht in den letzten dutzend Jahren“.

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Die Evangelischen Frau_innen, der Hirntod und die Organspende

Die Evangelischen Frauen in Deutschland haben einen umfangreichen Text über Hirntod und Organtransplantation verfasst, der sich mit einer Fülle von Forderungen ausdrücklich an den Gesetzgeber, die Öffentlichkeit, die Kirchen und überhaupt an jeden richtet. Auch an uns. Frau würde es nämlich sehr gut finden, wenn wir auf das Positionspapier 2013 zur Organtransplantation hinweisen könnten. Aber natürlich, liebe Evangelische Frau_innen, machen wir! Ein wenig Blättern in dem Text wird dann ja wohl erlaubt, nein: geradezu erwünscht sein.

Weit kommt man nicht beim Blättern, ohne zu stolpern (S. 5):

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Wann ist ein Mensch tot?

Im April diesen Jahres hatten wir den Blogartikel „Hirntod aus anthroposophischer Sicht“ veröffentlicht. Es ergab sich eine z.T. irritierende Diskussion in den Kommentaren. Wir haben etwas geforscht und sind auf einen Artikel gestoßen, der diese Problematik, die uns letztlich alle angeht, mit der sich aber nicht jeder auskennt, sehr gut illustriert: Wann ist ein Mensch tot?

In dem Artikel geht es um eine Replik zu den Ansichten von Dr. Sabine Müller, welche, um es krass zu sagen, meint, dass die Definition des Todes über den Hirntod nur eine Erfindung sei, um an mehr Organe zu kommen.

Der Artikel ist von Dr. Matthias Mindach, der sich gegen solche Vorwürfe wehrt. Er hat uns dankenswerterweise eine Kurzfassung des Artikels zukommen lassen, der in Langfassung, mit allen Quellenangaben, zuerst in der Zeitschrift Aufklärung & Kritik (Nr. 1/2013) erschienen ist.
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In der Beilage „Aus Politik und Zeitgeschichte“ der wöchentlich erscheinenden Zeitschrift „Das Parlament“, welche vom Deutschen Bundestag herausgegeben wird, erschien in Ausgabe 20-21, 2011 ein Beitrag von Dr. phil. Dipl.-Phys. Sabine Müller „Wie tot sind Hirntote? Alte Frage – neue Antworten“. Die dort vertretenen Ansichten über den Hirntod, die in den letzten Jahren Furore gemacht haben (bis hin zu einer Sitzung des Deutschen Ethikrats im März 2012), berühren den Fachkollegen jedoch eigentümlich und sollen deshalb hier kommentiert werden.

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Hirntod aus anthroposophischer Sicht

In der deutschen Wikipedia ist zum Hirntod im Kapitel „Kontroverse / Kritik aus der Wissenschaftsgemeinde“ zu lesen:

So meint etwa der deutsche Kardiologe Paolo Bavastro, dass der Begriff des „hirntoten Menschen“ eine „arglistige Täuschung“ sei, da ein Mensch mit Hirnversagen zwar „ein Mensch“ sei, dessen „Gehirn einen erheblichen Schaden“ habe und „ein schwerstkranker, sterbender Mensch“ sei, aber eben „noch kein Toter“. Ärzte könnten bei hirntoten Menschen trotzdem einen Herzschlag wahrnehmen, sie würden ihre Körpertemperatur selbst regulieren, Urin und Stuhl ausscheiden, sie könnten schwitzen, auf Schmerzreize reagieren und sogar Antikörper bilden, Männer könnten Erektionen bekommen und Frauen schwanger werden und gesunde Kinder gebären. Die Vorstellung, dass „nur die Hirnaktivität den Menschen zum Menschen“ mache und „der Tod des Hirns auch den Tod des Menschen bedeute“, sei überholt, so Bavastro.[9][10]

Hirntote Frauen können schwanger werden. Bitte kurz innehalten und nachdenken.

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