Spiegel Online und die Prozentrechnung

Der Spiegel war, was die Berichterstattung über wissenschaftliche oder speziell medizinische Themen betrifft, noch nie besonders berühmt für differenzierte Berichterstattung. Spiegel-Online erst recht nicht. Trotzdem sollte es gerade bei so einem großen Verlag irgendwo Grenzen geben, was den Minimalstandard betrifft. So es sich denn noch um Journalismus handeln soll, dürfte dieser Standard dort deutlich unterschritten sein, wo eine Nachricht so dilettantisch verfasst ist, dass man völlig falsche Schlüsse daraus ziehen muss.

SPON berichtet über die HPV-Impfung, und dass diese in Deutschland übermäßig teuer ist. Soweit, so gut, Preise vergleichen gelingt dem Autor noch, auch wenn er offensichtlich übersehen hat, dass der Herstellerabgabepreis in Deutschland bei durchaus vertretbaren 115 EUR liegt und der Abrechnungspreis für Sprechstundenbedarf je nach Bundesland und Krankenkasse variiert. Dass Deutschland die volle Mehrwertsteuer von 19% auf Impfstoffe erhebt, kann man dem Hersteller nicht anlasten.

Doch dann geht es mit einer Zwischenüberschrift weiter:

In etwa sechs Prozent der Fälle schwerere Nebenwirkungen

Wie kann man als SPON-Schreiberling auf die Idee kommen, dass 6% der Geimpften schwere Nebenwirkungen bis zum Tod haben können und diese Impfung zugelassen sei? Und auch noch behaupten, dass das für alle Impfungen normal wäre? Sowas ist undenkbar und sollte selbst bei geringer Allgemeinbildung die Alarmglocken ertönen lassen.

Dies ist jedenfalls die Interpretation, die man beim Lesen des Artikels als Resumee zieht. Wir haben das mit mehreren Personen ausprobiert.

Das liegt nicht an der Oberflächlichkeit des Lesers, sondern des Schreibers, denn er behauptet:

Bei Auswertung der Daten von 12.424 geimpften Frauen in den USA zeigte sich:

Falsch, lieber SPON. Das ist nicht die Zahl Geimpfter, die untersucht wurden, sondern die Zahl aller gemeldeten Verdachtsfälle auf 20.383.145 Dosen HPV4*. Und diese Verdachtsfälle kann jeder melden, unabhängig von einem Kausalzusammenhang, über das Frühwarnsystem VAERS, welches gerade nicht darauf abzielt, die Verdachtsfälle auf biologische oder epidemiologische Plausibilität zu überprüfen. In der Jama-Studie** wurden diese VAERS-Verdachtsfälle ausgewertet. Schon im Abstract steht, dass es eine Quote von 53,9 gemeldeten Verdachtsfällen pro 100.000 Impfdosen gab. Das sind 0,0539 Prozent. Auf diese 0,0539 Prozent wiederum bezieht sich die Angabe der schweren Nebenwirkungen von 6 Prozent. Das haben wir nachgerechnet und kommen dann auf eine Häufigkeit von Verdachtsfällen mit schweren Nebenwirkungen von 0,003 Prozent oder auch 0,03 Promille oder noch deutlicher gesagt: Verschwindend gering im Vergleich zur Häufigkeit von 150.000 Konisationen pro Jahr in Deutschland (Quelle: http://www.chemie.uni-hamburg.de/igtw/Gesundheit/images/pdf/2009_02_Muehlhauser_Filz.pdf).

Nebenbei wird von 32 Toten berichtet, als ob es völlig selbstverständlich sei, dass dies kausal zuammenhängen würde und für jede Impfung gälte. Dass die Studie selbst sich nur mit der Zusammenfassung und Kategorisierung der gemeldeten Verdachtsfälle befasst, geht schon aus dem Abstract hervor. Auch die ihr zugrunde liegende Auswertung der Immunization Safety Office bezüglich der Todesfälle konnte anhand der ihr vorliegenden Daten keinerlei Schnittmengen hinsichtlich Häufigkeit, Altersgruppen und Zeitintervallen erkennen. Dass sich also beide Publikationen bezüglich der Kausalität nicht festlegen, hätte auch SPON erkennen können.

*Stand, 31.08.2008 (Biologics Surveillance Data, unpublished, CDC) Seite 6, http://www.cdc.gov/vaccines/recs/acip/downloads/mtg-slides-oct08/12-3-hpv.pdf
VAERS Team: Elaine Miller, RN, MPH; Alison Rue-Cover, RN, MPH; Kimp Walton
MSISO/OCSO: John Iskander, MD, MPH; CISA, VSD, and Brighton teams
NCHHSTP/CDC: Lauri Markowitz,
MDISD/NCIRD/CDC: Lisa Galloway (Biologics Surveillance Data)
FDA: Andrea Sutherland, MD

**“Postlicensure Safety Surveillance for Quadrivalent Human Papillomavirus Recombinant Vaccine“, JAMA. 2009;302(7):750-757.
Barbara A. Slade, MD, MS; Laura Leidel, RN, FNP-C, MPH; Claudia Vellozzi, MD, MPH; Emily Jane Woo, MD, MPH; Wei Hua, MD, PhD; Andrea Sutherland, MD, MSc, MPH; Hector S. Izurieta, MD, MPH; Robert Ball, MD, MPH; Nancy Miller, MD; M. Miles Braun, MD, MPH; Lauri E. Markowitz, MD; John Iskander, MD

15 Gedanken zu „Spiegel Online und die Prozentrechnung“

  1. Zitat: "Das haben wir nachgerechnet und kommen dann auf eine Häufigkeit von Verdachtsfällen mit schweren Nebenwirkungen von 0,003 Prozent oder auch 3 Promille"

    Tut mir leid, aber auch der Verfasser ist nicht gerade ein Meister der Rechenkunst. 0,003 Prozent entsprechen 0,03 Promille.

  2. Auch gut auf den Punkt gebracht hat den SPON Artikel die Begrenzte Wissenschaft :

    "Es findet sich im ganzen zusammengestoppelten Artikel keine einzige Information, die darauf hindeuten würde, dass sich jemand mit der Veröffentlichung selbst beschäftigt oder auch nur ein wenig Recherche in den Artikel gesteckt hätte."

    http://kamenin.wordpress.com/

  3. Die HPV Impfung reduziert hocheffizient die Möglichkeit an Genital/AnalKarzinomen zu erkranken bzw zu sterben- wirksam bei Frauen und Männern.

    Aus der Mitteilung des CDCs/FDA von 20.8.2009 "Every year, about 12,000 Woman are diagnosed with cervical canver and almost 4,000 die from the disease in the United States"

    Durch Impfung können 70% der Cervixkarzinome verhindert werden (nebst einigen anderen Karzinomen). Und auch 90% der "benignen" Genitalwarzen.

    Und die Sache mit den 32 Todesfällen. Natürlich gibt es eine basale Todesfallrate an allen Ursachen, vor oder nach Impfungen. Daher wurden hier 32 Verdachtsfälle von Versterben nach Impfung gemeldet.

    Insgesamt stirbt jeder NACH Impfung, ich werde innerhalb eines jahres nach meiner letzten Influenza Impfung versterben- aber mit ganz guten Chancen nicht durch eine Influenza Infektion zu sterben.

    Und in der USA und anderen Ländern in denen großflächig gegen HPV geimpft werden werden halt letztlich 70% weniger CervixCa Diagnosen herauskommen mit einer entsprechend reduzierten Sterblichkeit an diesem Karzinom.

    Aber sterben werden alle Geimpften- die Ungeimpften übrigens auch- und nicht ganz selten an Cervixkarzinom und im Schnitt früher als die Geimpften.

  4. Sehr gut nachverfolgter Artikel.

    <blockquote>Trotzdem sollte es gerade bei so einem großen Verlag irgendwo Grenzen geben, was den Minimalstandard betrifft. </blockquote>

    Das wichtige ist auch, dass Spiegel immerhin in der Bevölkerung ein gewisses Vertrauen genießt (warum auch immer). Solche Artikel schrecken dann bei (wichtigen) Impfungen die Leute ab.

  5. Wer, noch unter EsoWatch, in zum Teil unflätiger Weise öffentlich bekannte Persönlichkeiten verunglimpft und dabei selbst anonym bleibt, weil er „Belästigungen“ fürchtet, der ist für mich weder glaubhaft, noch dient seine Meinung meiner Meinungsbildung.

  6. @mwphisto

    @Heiner
    Dann frage ich mich, warum Du hier postest.
    ——————————————————–

    Stimmt! Zeitverschwendung.

  7. @Heiner

    Danke Heiner, dass du darauf aufmerksam gemacht hast.War also nicht gänzlich sinnlos 😉

    Ich weiss garnich, warum die sich hier aufregen. Sind doch selbst Weltmeister in Verbreiten von Polemiken. C’est la vie. 🙂

  8. …. und im Gegensatz zu psiram ist spiegel online auch dazu fähig, einen Fehler zu korrigieren – das ist nämlich bereits geschehen. 😉

  9. @Giacometti: Den über drei Jahre alten Beitrag hat dein Geistesbruder Heiner rausgezogen.
    Psiram führt zudem eine Errataliste, ist im Wiki zu finden. Fehler korrigieren wir jederzeit gerne, sonst hätte das Projektkeinen Sinn.
    Und jetzt ist der Kommentarbereich zu. Kindergarten bitte woanders.

Kommentare sind geschlossen.

css.php