Professor Wolfgang Nellen vom „Department of Genetics“ der Universität Kassel war vor kurzem bereit uns ein paar Fragen zum breiten Thema Gentechnik und der diesbezüglichen Situation in Deutschland zu beantworten. Prof. Nellen hat den Lehrstuhl für Genetik bereits seit 1995 inne, betreibt Grundlagenforschung und hat eine lange Liste von Publikationen veröffentlicht. Da die Antworten sehr umfangreich ausgefallen sind, werden wir den Text in 2 Teilen veröffentlichen.
Herr Professor Nellen, können Sie uns kurz erklären, womit Sie sich beruflich beschäftigen, woran Sie hauptsächlich arbeiten?
Ich bin Molekulargenetiker und meine Abteilung arbeitet an Mechanismen der Epigenetik. Wir benutzen den Modellorganismus Dictyostelium (eine einzellige Amöbe) um zu verstehen, wie die genetische Information z.B. durch die Verpackung der DNA in der Zelle beeinflusst wird. Dabei ergeben sich interessante, vermutlich generell gültige Erkenntnisse, wie z.B. die Umwelt Einfluss auf die Nutzung der genetischen Information nimmt und wie sich Zellen gegen molekulare Parasiten (z.B. Viren) wehren. Das ist reine Grundlagenforschung, die zum grundsätzlichen Verständnis, wie Leben funktioniert, beiträgt.
Inwieweit unterscheiden sich Züchtungen von Genmanipulierten Pflanzen? Oder anders gefragt: Ist Genmanipulation nur gezielte Züchtung?
Zunächst eine Korrektur: der Ausdruck „Genmanipulation“ wurde von Interessengruppen geprägt. Lassen Sie Ihr Auto manipulieren, wenn Sie in der Werkstatt die Zündung einstellen lassen? Gehen Sie zum Zahnmanipulator, wenn Sie sich ein Implantat machen lassen? Der negative Beigeschmack scheint beabsichtigt zu sein.
Gentechnische Veränderungen sind keine gezielte Züchtung. Durch die universelle Gültigkeit des genetischen Codes ist es möglich, Gene aus anderen Organismen in ein Genom einzusetzen. Das geht nicht durch Züchtung. Das bekannteste Beispiel dafür ist der Bt Mais, der ein Gen des Bakteriums Bacillus thuringiensis enthält.
Man kann aber auch z.B. Gene in einem Organismus ausschalten, um unerwünschte Eigenschaften loszuwerden. Ein wenig bekanntes, aber eindrucksvolles Beispiel ist eine Sonnenblume mit deutlich erhöhtem Anteil an ungesättigten Fettsäuren. Dabei wurde gezielt ein Gen ausgeschaltet, das normalerweise zur Sättigung der Fettsäuren führt. Dieser Effekt wurde auch durch Züchtung mit vorgeschalteter Mutagenese erzielt – also ohne Gentechnik. Mutagenese bedeutet, dass durch erbgutschädigende Substanzen (radioaktive Bestrahlung, krebserzeugende Gifte) ungerichtet Veränderungen erzeugt werden. Die Behandlung erfolgt so, dass mindestens 90% der Organismen (hier Sonnenblume) durch massive Erbgutänderungen sterben. Unter den Überlebenden wird nach solchen Veränderungen gesucht, die man sich wünscht – und die man oft auch findet. Ein Problem dabei ist, dass es durchschnittlich ca. 20 weitere Mutationen in einem solchen Organismus gibt. Von denen hat man keine Ahnung wo sie sind und was sie bewirken. Durch umfangreiche Rückkreuzungen mit dem Ausgangsstamm versucht man diese Mutationen auszukreuzen – ganz sicher kann man dabei aber nie sein.
In diesem Fall entspricht die gentechnische Veränderung im Ergebnis einer Züchtung – Gentechnik hat dabei jedoch den Vorteil, dass andere, unbekannte Mutationen wesentlich unwahrscheinlicher sind.
Ist es gesundheitsschädlich „Genetisch Modifizierte Organismen(GMO)“ zu essen? Gibt es irgendwelche Hinweise dafür/dagegen?
Kleine Korrektur: „genetisch modifiziert“ sind wir alle denn wir unterscheiden uns in unseren Genen. Diese genetische Varianz ist durch natürlich auftretende Mutationen entstanden. Sie meinen „gentechnisch modifizierte Organismen“, d.h. eine gezielte, technische Modifikation der DNA.
Schädigungen der Gesundheit sind bei zum Verzehr zugelassenen GMOs nicht bekannt. Es gibt immer wieder Berichte über Rinder, die an „Genmais“ gestorben oder erkrankt sind. Ein ursächlicher Zusammenhang ist aber nicht gegeben. Das wäre auch erstaunlich denn in USA werden Rinder fast ausschließlich mit GV Mais gefüttert. Es hätte auffallen müssen, wenn die alle sterben.
Gibt es Gefahren/Risiken bei der Verwendung von Tiergenen in Pflanzen und wenn ja welche?
Wenn Gene zwischen sehr verschiedenen Arten ausgetauscht werden, muss sorgfältig darauf geachtet werden, wie sie in das „genetische Umfeld“, z.B. den Stoffwechsel des Empfängers eingreifen und welche Effekte sie dort haben. Ein Allergen aus einer Nuss in eine Sojabohne zu setzen ist keine gute Idee. Ein für den Menschen tödliches Toxingen aus einer Schlange in die Kartoffel zu setzen, ist mit größter Wahrscheinlichkeit gesundheitsschädlich. Ein Gen für Frostresistenz aus einem Fisch in eine Erdbeere zu setzen kann einen Vorteil haben. Es müssen umfangreiche Untersuchungen durchgeführt werden, wie das Genprodukt sich in der Erdbeere verhält und ob es sich auf andere Eigenschaften der Erdbeere auswirkt – und ob diese Auswirkungen schädlich für den Verbraucher sind. Ein Handicap seriöser Wissenschaftler ist, dass sie niemals niemals sagen sollten. Negative Effekte können nie zu 100% ausgeschlossen werden. Nach einer ordentlichen Analyse halte ich die Risiken jedoch für geringer als bei der oben genannten „natürlichen“ Sonnenblume, die noch eine unbekannte Zahl an Mutationen unbekannter Wirkung enthält und die weitgehend ungeprüft als „Naturprodukt“, möglicherweise mit Biosiegel, vermarktet werden kann.
Führt an der Gentechnik überhaupt ein Weg vorbei?
Langfristig wohl kaum. Züchtung hat lange zu gewaltigen Ertragssteigerungen geführt. „Natürlich“ sind unsere Lebensmittelpflanzen seit fast 10.000 Jahren nicht mehr. Jetzt scheinen aber die Grenzen der konventionellen Züchtung erreicht zu sein. Gentechnisch ist es möglich, Pflanzen an die Eigenarten der Standorte anzupassen (Trockenresistenz, Salzresistenz usw.) um z.B. auch den Folgen des Klimawandels zu begegnen. Der Wettlauf mit Schädlingen wird schwieriger und Ernteverluste müssen eingedämmt werden. Teilweise könnte man diese Ziele vielleicht auch durch Kreuzung erreichen, aber gewiss nicht alle und es würde viel länger dauern.
Sie sind ja auch am Science Bridge(http://www.sciencebridge.net/) Projekt beteiligt, worum geht es dabei?
Science Bridge ist eine unabhängige „non-profit“ Organisation (gemeinnütziger Verein). Unabhängig bedeutet, dass wir von keinen Sponsoren aus der Wirtschaft abhängig sind und uns ausschließlich aus (moderaten) Kursgebühren und Mitgliedsbeiträgen finanzieren. Wir liefern in erster Linie Schulen Experimente zu Molekularbiologie und Gentechnik – zunächst also reine Wissensvermittlung und Experimentiererfahrung. Dabei versuchen wir möglichst wertfrei Information zur Gentechnik zu geben.
Weiterhin informieren wir in öffentlichen Veranstaltungen zur Gentechnik. Information ist jedoch eine Sache, sie alleine kann die Resistenz gegen Argumente (bedingt durch sehr erfolgreiche PR Aktionen verschiedener NGOs) nicht beheben. Wir versuchen deshalb, eigene Erfahrungen durch Laborkurse für interessierte Bürger zu vermitteln und danach zu diskutieren. Die Ergebnisse sind interessant: obwohl wir nicht versucht haben, Pfarrer, Journalisten oder auch Greenpeace-Gruppen zu „hirnmanipulieren“ gingen sie meistens sehr nachdenklich aus den Kursen nach Hause und alle meinten, dass sie die Sache jetzt etwas differenzierter sehen (ohne gleich zu flammenden Gentechnikbefürwortern zu werden!).
Welche Internetseiten können Sie empfehlen um sich zum Thema „Grüne Gentechnik“ zu informieren?
Wenn es bei der theoretischen Auseinandersetzung mit der Thematik bleibt, empfehle ich die XING Gruppe „Grüne Gentechnologie“ und die Infoseite von Transgen. Etwas Informationsmaterial haben wir auch auf der Science Bridge Seite unter Informationsmaterial Grüne Gentechnik. Ich hatte übrigens NABU und Greenpeace angeboten, dort auch ihre Sicht der Dinge einzustellen – wollten sie aber nicht.
Zur Fortsetzung:
Horizontaler Gentransfer: Erklären wir die Friedhöfe zum Sperrgebiet!
Wie heißt denn der zitierte prof. bei Esowatch? Nur dass ich ihn richtig einordnen kann 😀
was? wie? welcher Esowatch-Prof? Wo zitiert?
Ignorieren Sie’s. Der trollt nur rum.
Ansonsten: Schönes Interview.
aktuell:
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,794203,00.html
>>WWF-Experte Clay schlägt acht Maßnahmen vor, um Nahrungsmittel effektiver bereitzustellen. So müsse man schonender mit Land umgehen. Allein in den vergangenen 150 Jahren habe die Welt die Hälfte ihrer fruchtbaren Böden verloren. Auch könne man es sich nicht leisten, bei der Zucht neuer Getreidesorten auf die Gentechnik zu verzichten. „Die Produktivität pro Hektar muss verdoppelt werden“, meint Clay. Ansonsten werde man den steigenden Bedarf niemals decken. Ob das gelingen kann, ist zu bezweifeln: „In den kommenden 40 Jahren“, sagt Clay, „müssen wir die gleiche Menge an Lebensmitteln herstellen wie in den letzten 8000 Jahren zusammen.“<<
dem ist nichts hinzuzufügen…
Vielen Dank für das spannende Interview!
Dass diese zutiefst seriöse Haltung inzwischen tatsächlich zu einem Handicap geworden ist, „verdanken“ wir zu einem Großteil den sensationsgeilen Medien, die aus einer eigentlich erkenntnistheoretischen Banalität (niemand kann „beweisen“ dass die Sonne morgen aufgeht) die Schlagzeile „Wissenschaftler können nicht ausschließen, dass die Sonne morgen NICHT aufgeht – sind Notvorräte sinnvoll?“ in fetten Lettern als Sensation verkaufen.
Es mangelt an wissenschaftlicher Bildung. Und die ist nicht von einem Studium abhängig, sondern eher einer Haltung. Die kann auch ein zwölfjähriger haben, wenn er denn gewillt ist, den Unterschied zwischen Wunschdenken und Realität zu akzeptieren.
Es gibt keinen Weg zu einer 100% risikofreien Gesellschaft. Wer das trotzdem will, ruiniert sie.
Das „Informationsmaterial Grüne Gentechnik“ ist ziemlich interessant, habe gerade die Folien gelesen. Eigentlich muss man ja doof sein, wenn man züchtet und nicht Gentechnik anwendet. Und das Bild der Bananen sollte man Ray Comfort schenken. 😉
Das hier schaut übrigens auch spannend aus, wenigstens im medizinischen Bereich tut sich noch was.
http://www.biotechnologie.de/BIO/Navigation/DE/root,did=136310.html?listBlId=74462&
Na, also ich gehöre noch nicht zur Generation Twitter und hätte auch den ungekürzten Text gerne verschlungen. 🙂
Streicht jemand noch das ’n‘ raus? („gegen molekularen Parasiten“)
Danke für den Text!
Danke, Typo fixed.
Die Bemerkung zu Twitter und dem ungekürzten Text verstehe ich nicht?
Wenn ich raten darf: Stöber bezieht sich auf die Zweiteilung der Interview-Veröffentlichung. Angepasst an eine für Twittertexte gerade noch ausreichende Aufmerksamkeitsspanne.
Naja, der Text ist wirklich recht lang… (Wie man jetzt ja sieht)
Gut geraten! 🙂
Aber jetzt kann ich ja weiterschmökern, hoffentlich träume ich dann nicht vom Angriff der Killergurken oder so. *g*
@pikus
Danke pikus!
So sieht´s leider weitestgehend einfach und nüchtern betrachet aus!