Die Pocken, eine Geißel der Menschheit, die mehr als 300 Millionen Menschenleben gefordert hat, ist heute lange ausgerottet. Aber der Weg dahin war steinig.
Kaum hatte Edward Jenner, heute auch als „Begründer der Immunologie“ bezeichnet, im Jahre 1798 die Methode publiziert, die dann als Impfung bekannt wurde, formierten sich ihre Gegner und lehnten diese strikt ab.
Die Gründe waren vielfältig. Kleriker mahnten, es sei nicht christlich zu impfen, da der Impfstoff vom Tier stamme; in der Bevölkerung herrschte generelles Misstrauen in die Medizin; Impfgegner schrieben Pamphlete, dass es prinzipiell nicht funktionieren könne; Eltern machten sich Sorgen wegen der Narben am Arm …
Das Bild zeigt wie das „Impfmonster“, eine von allerlei Krankheiten beseelte Chimäre (ein Mischwesen aus mehreren Tieren), von Gehörnten mit Kindern gefüttert wird. Heraus kommen verseuchte, gehörnte Kinder (Mischwesen Mensch-Kuh). Der Mann links mit dem Rücken zum Bild stellt Edward Jenner dar. Im Hintergrund „Helden“ der Impfgegnerschaft, die mit Schwertern der Wahrheit versuchen, dem Treiben ein Ende zu machen. Details, auch zur Symbolik, findet man hier.
Praktisch vom ersten Tage an wurde versucht, Jenner lächerlich zu machen. Aber die Beweise waren da und die Methode verbreitete sich rasant. Bereits 1801 wurde die Impfung in Aachen durch den Arzt Gérard Reumont und 1807 in Bayern die Impfpflicht eingeführt! Selbstverständlich hatte auch er mit Widerstand, vor allem von den Katholiken, zu kämpfen.
Es wird übrigens (wohl fälschlicherweise) Papst Leo XII. nachgesagt, die Pockenimpfung strikt verboten zu haben:
„Wer auch immer sich der Impfung unterzieht, hört auf, ein Kind Gottes zu sein. Die Pocken sind ein Strafgericht Gottes, die Impfung ist eine Lästerung des Himmels.“
Das Zitat ist nicht belegbar und wurde dem erzkonservativen Wissenschaftsfeind wohl nur angedichtet. Sicher ist nur, dass sein Vorgänger Pius VII. eine obligatorische Impfung einführte und Leo XII. sie wieder abschaffte.
Aber der Erfolg, die Wirkung, war offensichtlich: In London halbierten sich z.B. die Todesfälle durch die Pocken nach Einführung der Impfung. 1853 wurde die Impfung von Kleinkindern in Großbritannien zur Pflicht erhoben. In den USA zog als erster Bundesstaat Massachusetts 1855 mit einem vergleichbaren Gesetz nach und Deutschland erließ 1874 das Reichsimpfgesetz. Es führte eine Pocken-Impfpflicht in Kombination mit Entschädigung der Betroffenen bei durch die Impfmaßnahme erzeugten Gesundheitsschäden ein.
Gegen Maßnahmen wie diese liefen jene Sturm, die eine Einschränkung ihrer persönlichen Freiheit fürchteten, die gegen jegliche Form des Zwanges waren.
Eine der größten Demonstrationen gegen Impfungen fand 1885 in Leicester statt. Zwischen 80 und 100.000 Impfgegner marschierten durch die Straßen, mit Transparenten, Kindersarg und einer Figur von Edward Jenner, man wollte nicht „gebrandmarkt“ werden.
Um diesem Treiben ein Ende zu setzen, wurde in Großbritannien eine Kommission ins Leben gerufen, die die Pocken-Impfung untersuchen sollte. Diese stellte 1896 fest, dass die Impfung wirkt, empfahl aber auch, die Strafen für die Verweigerung aufzuheben. Und so wurde 1898 die erste „Gewissensklausel“ eingeführt, mit der man die Impfung ablehnen konnte.
In Deutschland war es nicht besser: So verfasste der badische Pfarrer und Heimatschriftsteller Heinrich Hansjakob „Ein Büchlein über das Impfen„, in dem er sich über die „Staatsvergiftung“ aufregte. Er begründete die Abnahme der Pockenfälle damit, dass 1800 ein so warmes Jahr war, wodurch die Pocken nicht mehr so gedeihen konnten und sich in andere Krankheiten wie Scharlach und Typhus „auflösten“.
Das Kaiserliche Gesundheitsamt veröffentlichte 1896 eine Denkschrift zur „Beurtheilung des Nutzens des Impfgesetzes vom 8. April 1874 und zur Würdigung der dagegen gerichteten Angriffe.“, in der nüchtern und klar gegen die Angriffe durch die Impfgegnerschaft Stellung bezogen sowie der Nutzen der Impfung anhand von Zahlen demonstriert wurde. (Achtung: verlinktes PDF hat 55 MB)
Der Bühnenautor, Herausgeber und Hypnotiseur Reinhold Gerling, der später auch an die Spitze des „Großverbandes Deutscher Heilpraktiker“ trat, veröffentlichte kurz darauf einen Angriff auf das Dokument, was ihm eine Klage und Verurteilung wegen „Beleidigung und Verbreitung unwahrer Tatsachen zur Verächtlichmachung“ eintrug.
Dies und speziell Fakten jedweder Natur störten Gerling offenbar nie besonders. Er wurde treffend als „Mann der Propaganda, der unermüdliche Angreifer aller der Naturheilbewegung entgegenstemmenden Mächte“ charakterisiert. So wetterte er gegen die Medizin, wie z.B. mit dem Artikel „Kinderleichen als Katzenfutter“, in dem er den „gen Himmel schreienden Leichenmißbrauch“ eines Rechtsmediziners anprangerte, ohne dabei je den Boden einer sachlichen Auseinandersetzung zu berühren (aus „Menschenversuche in der Weimarer Republik“, Jens Reuland).
Es erscheint uns übrigens wichtig zu erwähnen, dass der von uns ansonsten hochgeliebte Samuel Hahnemann kein Impfgegner war:
„Was haben die schändlichen Gegenschriften der Kuhpockenimpfung geschadet? Nichts, gar nichts! Sie haben mehr dazu gedient, ihre Vortrefflichkeit desto gründlicher zu untersuchen und einzusehen“
(P. Lehrke, Impfkonzepte in der Homöopathie. 1998).
Die unter Homöopathen verbreitete Impfgegnerschaft geht wohl eher auf Schüler von Hahnemann zurück, wie Constantin Henning, der sich eindeutig als Impfgegner positionierte und Impfungen als Vergiftung des Blutes bezeichnete, die für Kinder großen Schaden bedeuteten. Oder Clemens von Boenninghausen, der die Impfung als „die in leichtfertigen Händen so gefährliche, das Scrophelgift ohne allen Zweifel ungemein verbreitende Vakzine“ bezeichnete und glaubte, jeden Pockenkranken mit Homöopathika innerhalb von 4 Tagen heilen zu können.
Wie man sieht, war die Pockenimpfung im 19. Jahrhundert hart umkämpft, vielleicht sogar härter als heutzutage (Impfungen im Allgemeinen). Und selbstverständlich ging der Kampf zwischen Impfgegnern und Befürwortern auch im 20. Jahrhundert weiter. Ein schwerer Kampf, der viele Menschenleben gefordert hat. Trotz aller Bemühungen, den Menschen diese Krankheit zu erhalten, wurden die Pocken 1980 durch die WHO für ausgelöscht erklärt, nachdem mehrere Jahre keine Fälle mehr aufgetreten waren. Die Impfung hatte nach langem Kampf gesiegt.
Und trotz aller Bemühungen der Impfgegner hoffen wir, dass auch Kinderlähmung und Masern bald der Vergangenheit angehören.
Wer „Geißel“ mit „s“ schreibt ist eine Geißel der Rechtschreibung. Da stülpen einem sich ja die Pockennarben um. *schauder*
Danke für den Hinweis. Korrigiert. Unser Rächzschreibninja hatte leider keine Gelegenheit den Artikel zu sichten.
Der Symbolik-Link ist leider ‚put.
Man sollte ja meinen, dass der Bildungsstand der Bevölkerung im Vergleich zu früher größer ist und auch Medizinlaien sich ein gewisses Grundverständnis der Materie anlesen können. Aber leider zehrt die Impfgegnerschaft noch immer von Mythen und Ängsten die sich nur in den Details von damals unterscheiden, aber im Prinzip gleich sind und sich nur dem Zeitgeist angepasst haben. Nach weit über 100 Jahren weitestgehend positiver Erfahrung in Bezug auf die Immunisierung durch Impfungen ist das, meiner Ansicht nach, sehr traurig und irgendwie deprimierend. Ich bin kein besonders ängstlicher Typ, aber heil froh das meine jüngste Tochter jetzt ein Jahr geworden ist und gegen Masern geimpft werden konnte ohne sich vorher durch die Unvernunft anderer infiziert zu haben.
@Flo: Fixed.
ich hab da ein paar historische Schriften
1868 Die gefahren der Impfung und die Staatsmedizin
Argumente ähnlich wie heute
in London starben
1838-42 Pockentote 7099 Scharlach/Masern/Keuchhustentote 234.976
1850-54 Pockentote 3622 Scharlach/Masern/Keuchhustentote 292.782
also 3477 weniger Pocken, dagegen 42.194 mehr Scharlach..
oder „Warnruf an alle Regierungen und speziell an das öst.Parlament gegen die Einführung eines Impfzwanggesetzes“ von M Schmidtbauer ca 1902.
Und trotzdem konnte die WHO im Mai 1980 schreiben „smallpox is dead“
Auch wenn der Beitrag bereits uralt ist: mit „Constantin Henning“ ist doch sicher Constantin Hering gemeint?