Kinderlähmung: Weitere Attentate in Pakistan

Der Kampf gegen die Kinderlähmung nähert sich einerseits dem Ende, aber er ist in gewisser Hinsicht auch in die schwerste Phase eingetreten. Die letzten Meter sind offenbar die härtesten.

Waren es 2010 noch 1.352 Fälle, fiel die Zahl 2012 auf 223. Ein gewaltiger Erfolg. Leider sah es 2013 nicht so gut aus: die Fallzahlen stiegen erneut auf 389 Fälle. Und wie man auf polioeradication.org lesen muss, sind mit Stand 5. Januar 2014 schon wieder 4 Fälle bekannt.

Dass in den Kriegswirren Syriens die Kinderlähmung, wohl aus Pakistan eingeschleppt, wieder auftrat, war nur einer der Krisenherde des Jahres. Die U.N. hat in einem Kraftakt begonnen, 22 Millionen Kinder im Nahen Osten mit Impfungen (Polio, Masern, Mumps, Röteln) zu versorgen, davon 1,6 Millionen in Syrien. Man geht davon aus, dass dafür etwa. 40 Millionen US Dollar notwendig sind.

Um die Welt zu versorgen, wurden 2013 1,7 Milliarden Einheiten OPV (Oral Polio Vaccine) benötigt; die Kosten für den Endspurt wurden auf etwa 1 Milliarde Dollar pro Jahr bis 2018 angesetzt. Das mag viel erscheinen für wenige Hundert Fälle, aber wie gerade auch das Jahr 2013 gezeigt hat, würde ein Nachlassen der Anstrengungen sofort zu einem Wiedererstarken der Seuche führen. Sie würde sich erneut ausbreiten und wieder mehr und mehr Opfer fordern.

Trotz aller Widrigkeiten darf der Griff nicht gelockert werden. Und als Preis winkt sogar etwas, das auch die Impfgegner freuen wird: Ist die Krankheit erst vollständig besiegt, werden auch keine Impfungen mehr notwendig sein.

Die Kinderlähmung ist noch in drei Ländern – Pakistan, Nigeria, Afghanistan – heimisch; vor allem dort gilt es, sie noch zu besiegen.

Die Taliban Afghanistans haben im Mai 2013 versprochen, die Impfkampagnen nicht zu behindern, sofern sie nicht von Ausländern durchgeführt werden. Es ist übrigens wichtig zu bemerken, dass die Taliban Afghanistans und Pakistans zwei völlig verschiedene Organisationen sind und nichts miteinander zu tun haben.

In Nigeria ist das Impfprogramm mittlerweile auf Kurs, obwohl man sich auch dort mit den örtlichen Impfgegnern herumschlagen musste.

Man muss an dieser Stelle noch Somalia erwähnen, das 2013 mit 189 fast die Hälfte aller Fälle hatte. Die Situation dort ist schwierig, aber es gilt noch nicht als Land, in dem die Seuche einheimisch ist. Seit Ausbruch der Epidemie im Mai wurden 4 Millionen Menschen geimpft, jedoch sind etwa 600.000 Kinder unerreichbar, da sie im Gebiet der islamistischen Gruppe al-Shabab leben. Laut AllAfrica glauben die Menschen dort der „Informationskampagne“ der al-Shabab allerdings nicht, die behauptet, dass die Impfung ihre Kinder steril mache und mit Aids infiziere.

Und last but not least: Pakistan. 2012 wurde als Folge einer Serie von Angriffen auf Ärzte und WHO-Mitarbeiter, bei denen 9 Menschen ums Leben kamen, die Impfkampagne ausgesetzt. Man ging von einer gezielten, geplanten Mordserie radikalislamischer Extremisten aus.

Ein Anführer in Nord-Waziristan hatte angekündigt: Keine Impfungen mehr, solange die Amerikaner Drohnenangriffe durchführen. In dem Distrikt häuften sich inzwischen die Fälle.

Für dieses Jahr wurde eine landesweite Impfkampagne angekündigt, um endlich auch in Pakistan die elende Seuche auszurotten. Wie es scheint, gab es als Folge zwei Attentate, bei denen insgesamt sechs Polizisten, drei Impfhelfer (1 Mann, 2 Frauen), ein Kind ums Leben gekommen. Die Polizisten waren zum Schutz der Impfhelfer abgestellt.

Seitdem bekannt wurde, dass der Arzt Shakil Afridi in Abottabad ein falsches Impfprogramm durchgeführt hatte, von der CIA inszeniert, um DNA Bin Ladens zu finden, ist das Misstrauen groß. Mitarbeiter der WHO werden verdächtigt, „Agenten des Westens“ zu sein, die die Anführer der Taliban aufspüren sollen, um sie zu töten. Es gibt auch Gerüchte über eine jüdische Verschwörung mit dem Ziel, Muslime unfruchtbar zu machen, die von Taliban und diversen Klerikern verbreitet wurden.

Auf der positiven Seite scheint es den Leuten in Pakistan zu reichen und auf Druck der Öffentlichkeit haben sich die Tehreek-i-Taliban Pakistans offiziell von den Anschlägen distanziert. Von der Durchführung übrigens weniger, da wird eher von „Übereifrigen“ und „Hardlinern“ gesprochen. Manche, speziell Fußsoldaten, glauben an grundlose Verschwörungstheorien.

Einige Taliban-Kleriker haben erklärt, dass Impfungen nicht unislamisch sind und sie natürlich auch keine kranken Kinder wollen. Es bleibt zu hoffen, dass sich die moderaten Köpfe unter den Taliban durchsetzen und erkennen, dass sie mit Aktionen wie in Nord-Waziristan nur sich selbst und vor allem der Bevölkerung schaden.

1 Gedanke zu „Kinderlähmung: Weitere Attentate in Pakistan“

  1. positiv zu erwähnen ist aber, dass es nur mehr Isolate des Poliovirus Typ 1 gibt. Polivirus Typ 2- da gabs das letzte Isolat 1999- ist also offenbar bereits global ausgerottet.
    Und Poliovrus Typ 3 da gabs das letzte Isolat am 10. Nov.2012 in Nigeria.
    Von den 3 Wildtypviren zirkuliert also offenbar nur mehr Poliovirus Type 1.

    Und das ist trotz aller Hindernisse Grund zu Optimismus.

    Und sogar im islamischen Syrien gelingte es derzeit trotz Krieg in der Region 22 Mio Kinder unter 5 Jhr gegen Polio zu impfen.

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