Vom 21. bis 23. November 2014 fand in Hamburg erneut die Lebensfreude-Messe statt: eine Veranstaltung, auf der Eso-Anbieter an Ausstellungsständen und mit Vorträgen dem Publikum viel Schwurbel und Scharlataneriemethoden nahebringen können. Unter anderem waren Anbieter indigener Zeremonien bei der Messe vertreten. Der NDR hat offenbar erst jetzt die Saure-Gurken-Zeit und berichtete in einer regionalen Fernsehsendung.
Einer dieser Anbieter war der Brasilianer Naldo Correia da Silva, der seit einigen Jahren offenbar regelmäßig die Lebensfreude-Messen in Hamburg, Kiel und Lübeck beschickt. Correia betreibt in Hamburg eine Shiatsu-Praxis und gibt an der Paracelsus-Schule Kurse für angehende Heilpraktiker. Correia hatte nicht nur einen Stand, an dem er Shiatsu vorstellte, sondern hielt auch Werbevorträge für von ihm angebotene Reisen nach Brasilien und weitere „schamanische“ Praktiken. Dazu gehört z.B ein Telefon-Orakel, zu dem der „Schamane“ das Geburtsdatum und den Familiennamen braucht. Wir erkennen: es kann sich wohl kaum um traditionelle indigene Orakel handeln – in indigenen Kulturen gab es keine Familiennamen und auch keine Geburtsdaten nach europäischen Kalendern. Dazu erfahren wir noch, dass der „Schamane“ seinen Sitz in Sao Paulo hat.
Bei der dreiwöchigen Reise nach Brasilien, für die Correia auf der Messe werben durfte, handelt es sich um ein Camp mit Ayahuasca-Konsum. Der Beschreibung nach (Flug nach Rio de Janeiro, Weiterfahrt in einen 20 km entfernten Ort) wohnt die „Schamanin“, deren „Schüler“ Correia nach eigener Aussage ist, nicht gerade in einer Region, in der Ayahuasca traditionell von indigenen Völkern verwendet wurde – dazu müsste man ein ordentliches Stück den Amazonas hinauf. In den indigenen Kulturen, die Ayahuasca kennen, wird es außerdem nicht von den Hilfesuchenden konsumiert, sondern von den Medizinleuten, denen es als diagnostisches Hilfsmittel dient. Wer also seiner Kundschaft mit ein paar Ayahuasca-Trips etwas Gutes (und Teures) tut, gibt sich wenigstens deutlich als Plastikschamane zu erkennen. Da Ayahuasca in Deutschland unter das BTM-Gesetz fällt, ist der Werbevortrag auf der Messe – auch wenn Ayahuasca offenbar nur dezent nebenher erwähnt wird – nach dem Motto „legal – illegal – völlig egal“ zu sehen.
Weiter soll bei diesem Aufenthalt „nach den Riten des afrikanischen Candomblé gearbeitet“ werden. Hierbei handelt es sich um eine afro-brasilianische Religion, in der sich Elemente der traditionellen Religionen mehrerer afrikanischer Ethnien mischen. Um den Gemischtwarenladen auch ordentlich mit Angebot zu füllen, kommt noch eine Obstkiste dazu: „Darüber hinaus wird die Methode eines amerikanischen Anthropologen vorgestellt, der weltweit die schamanischen Traditionen studierte. Er entwickelte eine Brücke zwischen den Grundelementen des Schamanismus und der westlichen modernen Kultur.“ Bei dem hier so diskret ohne Namensnennung beschriebenen Amerikaner handelt es sich um Michael Harner und seine Foundation for Shamanic Studies, die Harners angebliche Lehre des Core Shamanism in teuren Seminaren anbietet. Vereinfacht gesagt mischt Harner eine Vielzahl indigener Religionen aus diversen Regionen, die er alle als Schamanismus bezeichnet, dessen „Kern“ er herausgearbeitet haben will. Die FSS verkauft insbesondere Zeremonien der Lakota wie Schwitzhütte und Visionssuche und propagiert, ihre Schüler könnten andere Bewusstseinszustände auch ohne entsprechende Drogen erreichen, die in einigen Kulturkreisen von Schamanen, Medizinleuten etc. eingenommen werden. Wie aus der Kurzvorstellung von Correia auf der Webseite der Paracelsus-Schule hervorgeht, hat Correia Seminare bei Harner bzw. bei der FSS absolviert.
Bei Correias Reisebeschreibung fällt ein weiterer Satz auf: „Um jegliche äußere Ablenkung zu vermeiden, werden die Teilnehmer im spirituellen Zentrum der Schamanin Suely in dafür vorgesehenen Schlafräumen untergebracht.“ Dies lässt vermuten, dass das Etablissement sehr abgelegen liegt und den Teilnehmern kein Kontakt mit der Außenwelt möglich ist, den die Veranstalter nicht kontrollieren können. Auffällig und nicht in Übereinstimmung mit indigenen Usancen ist auch, dass für beide Plastikschamanen keine indigene Ethnie genannt wird, der sie angehören.
In Correias Angebot sind mehrere deutliche Anzeichen dafür, dass sein Angebot auf den Esoterikmarkt zugeschnitten ist: er bietet eine breitere Palette verschiedener Praktiken aus unterschiedlichen Kulturen an, wie die angeblichen Schamanen, mit denen er zusammenarbeitet, er hat selbst bei falschen Schamanen gelernt und er ist in den Markt der exotischen Drogen eingestiegen.
Eine weitere Anbieterin aus Dortmund, Birgit Darmstädter, nennt ihre „schamanische“ Praxis „Indian Hope“. Auf ihrer Webseite stellt sie ihr Angebot folgendermaßen vor: „Die alten Heilweisen der Indianer – Der Pfad des Medizinrades. Ganzheitliches Heilen für Mensch & Tier nach alten, überlieferten indianischen Bräuchen und Riten“.
Eine genauere Auflistung schließt sich an, in der es um „Medizin der Mutter Erde“ geht, um „Behandlung mit Heilsteinen, Heilenergien und Edelsteinwasser“, um „Entstörung und Aufladen ihrer Heilsteine, Licht- und Energiearbeit, spirituelle und hellsichtige Lebensberatung, Channeling: Kontakt zur geistigen Welt, Jenseitskontakt, Karma, Chakrenarbeit, Aurareinigung & Blockadenauflösung, … Tierbehandlung & Tierkommunikation“, etc. – das volle Programm des esoterischen Gemischtwarenladens, es ist aber nur wenig Indigenes dabei.
Das Angebot ihres Messestandes gestaltete sich laut Programm entsprechend: „Indian Hope: Licht-Heilenergie, Heilsteine, Indianerschmuck, Mineralien, Ketten, Armbänder, Mandalas, Dreamcatcher, Devas, Räucherwerk, Energietöpfchen, Auralesen“. Bei diesem Angebot möchte man der Dame zurufen: „Wrong India!“
Auch Darmstädter ist regelmäßig auf den Lebensfreude-Messen vertreten. Tatsächlich scheint ihre Hauptaktivität im Beschicken esoterischer Messen zu liegen, da sie für 2014 im Zeitraum von März bis November insgesamt 25 Messen abreist. Auf ihrer Webseite findet sich ebenfalls kein Hinweis darauf, bei welchen Lehrer sie ausgebildet wurde (sofern überhaupt). Obwohl sie Tarife für Gruppenbehandlungen angibt, bleibt dafür wohl bei ca. 2,5 Messen pro Monat nicht allzuviel Zeit übrig. Das freut doch irgendwie.
Einen weiteren Stand hatte die Wildnisschule Native Spirit. Hier wird es nun katastrophal: Der Betreiber dieser Schule ist nicht damit zufrieden, an gut zahlende Stadtmenschen den Unfug weiterzugeben, den er bei seinem „Tracking“-Lehrer Tom Brown Jr. gelernt hat. Brown gibt vor, an seinem Wohnort in New Jersey von einem alten Apachen namens Stalking Wolf das Überleben in der Wildnis gelernt zu haben. Da ist schon ein guter Teil des Tannenbaums am Warnleuchten. New Jersey ist nicht gerade in der Nähe der Gebiete, in denen Apachen leben. Hätte Brown tatsächlich einen solchen Lehrer gehabt, würde er nicht pauschal von „Apache“ sprechen, sondern müßte die Teilethnie, den Clan, die Familie kennen. „Stalking Wolf“ ist kein Name, wie er in diesen Ethnien vorkommt, sondern bei einigen Plainsethnien. Unsere Freunde bei NAFPS (New Age Frauds and Plastic Shamans) kennen Brown auch, haben sogar in einige seiner zahlreichen Bücher geschaut und kritisieren, dass Brown sich die Welt hübsch säuberlich in Schubladen verpackt: Weiß ist gleich „zivilisiert und modern“, indianisch ist gleich „primitiv und unzivilisiert“.
Gelernt hat Brown offenbar nicht von indigenen Lehrern, sondern aus von Weißen geschriebenen Büchern, aus denen er nur erfahren konnte, wie Weiße sich das Überleben der Indianer „in der Wildnis“ vorstellen. Er hat also Schwurbelkram im Angebot, den er nochmals verdünnt an zahlende Schüler weiterreicht, die dann eigene Schulen aufziehen und den Schwurbelkram ein weiteres Mal verdünnen. Beim europäischen Endkunden kommt „irgendwas mit Wildnis“ in recht homöopathischen Dosen an. Trotzdem werden Brown und auch seine Schüler als authentisch wahrgenommen.
Im Fall der Schule „Native Spirit“ verrührt (oder verschüttelt) der Inhaber, Peter Kirschner, das Spurenlesen und Schmalspur-Survival zusätzlich mit indigenen Zeremonien und verkauft Schwitzhütten, Visionssuchen und Lehrgänge zur Schamanenausbildung. Kirschner bietet zwei Ausbildungskurse an: im einen erwirbt die zahlende Kundschaft den klingenden Titel eines „Indigenen Wildnistrainers“ mit dem Schwerpunkt auf Wildnis- und Survival-Wissen. Ja – bitte, wie? Sollen die Kunden tatsächlich glauben, sie seien dann sowas wie „geprüfte Indianer“? Vermutlich ja, denn sonst hätte der schlichte „Wildnistrainer“ ja gereicht.
Welche Sicht indigener Menschen dahinter steckt, ist deutlich genug, und diese Richtung wird bereits auf der Eingangsseite eingeschlagen, auf der es heißt, Kirschner betreibe eine „wiedererweckte Schule der Steinzeit am Fluss Inn“, die sich „dem Wissen aus dem Wurzelgedächtnis der Kulturen“ widmet.
Der zweite Kurs ist die „schamanische Ausbildung zum Erinnerer“. In beiden Kursen müssen die Kunden übrigens Teile der jeweils anderen „Ausbildung“ absolvieren, d.h. auch beim „Wildnistrainer“ geht es in die Schwitzhütte. Die „schamanische Ausbildung“ wird sogar gefährlich: Kirschner lässt die Kunden vier Schwitzhütten absitzen, darauf folgt die Mithilfe als „Feuerhüter“ bei einer Schwitzhütte und im nächsten Schritt werden die Kunden bereits zu Schwitzhüttenleitern und Lehrern „eingeweiht“. Den Kunden wird also suggeriert, sie wüssten nunmehr genug, um selbst Schwitzhütten durchzuführen und zu leiten. Dies erfordert im indigenen kulturellen Kontext eine jahrelange Ausbildung – es lässt sich daher vorstellen, wie wenig dagegen Kirschners Schüler bei ihm lernen. In von solchen noch nicht einmal halb ausgebildeten Personen geleiteten Schwitzhütten besteht für deren Kundschaft Lebensgefahr (z.B. weil diese „Leiter“ nicht erfahren genug sind, um den Gesundheitszustand der Schwitzenden im Auge zu behalten – sofern ihnen das als Aufgabe des Schwitzhüttenleiters überhaupt vermittelt wurde, oder aufgrund falscher Auswahl der Steine etc.).
Weiterhin bietet Kirschner auch noch eine „Pfeifenzeremonie nach Stalking Wolf“ an, die er ein paar Absätze darunter jedoch mit einer (falsch geschriebenen) Bezeichnung aus der Lakota-Sprache belegt. Der Lakota-Begriff ist insofern folgerichtig, als es eine solche Zeremonie bei den Apache gar nicht gibt.
Kirschner nimmt zwar Bezug auf zahlreiche Medizinpersonen, bei denen er gelernt haben will, drückt sich aber auf seiner Seite sowie auch in Interviews in der Regel um genauere Angaben herum. Dennoch lässt sich eine Veröffentlichung finden, gegenüber deren Autor Kirschner offenbar behauptete: „Peter Kirschner hat bei den Mapuche-Schamanen in Chile, Maya-Schamanen in Guatemala, Sufi-Meistern in der Türkei und bei den Crees in Nordamerika gearbeitet und gelernt. Er ist auch von der Veden, Buddhistischen Traditionen und Erfahrungen mit Peruanischen Schamanen beeinflusst, folgt in seiner Philosophie aber vor allem der Erzählung Lightningbolts.“ Ferner wird betont, dass sich Kirschner den populären Lehren der Deer Tribe Métis Medicine Society von Harley Reagan sowie denen von Vincent LaDuke alias Sun Bear entzogen habe.[1] Statt dessen wird aus der Nennung des Namens „Lightningbolt“ deutlich, dass Kirschner offenbar Schüler von Charles Storm alias Hyemeyohsts Storm ist, der wie Reagan und LaDuke einer der am längsten etablierten Plastikschamanen auf dem Eso-Markt ist und als Lehrer von H. Reagan gilt. Wie Reagan behauptet Storm eine indigene Herkunft, die umstritten ist, und wie Reagan und LaDuke hat er ein Konstrukt von „Lehren“ zusammengestellt, das auf gut zahlendes, weißes, esoterisches Publikum aus den USA und Europa zugeschnitten ist. In unserem oben bereits verlinkten Artikel zu Storm ist genauer nachzulesen, welche Rezeption Storms Bücher bei indigenen Amerikanern hatten und haben – in den USA dürfen Storms Bücher nicht mehr als Sachbücher, sondern nur noch als Romane verkauft werden.
Lebensfreude jedenfalls kann angesichts solch teils gefährlicher Schwurbel- und Scharlatanerieangebote eigentlich nur dann aufkommen, wenn man diesen Zusammenrottungen von Anschlägen auf Gesundheit, Intelligenz und Portemonnaie sorgfältig aus dem Weg geht.
[1]Wolfgang Dietrich: Variationen über die vielen Frieden: Band 2: Elicitive Konflikttransformation und die transrationale Wende der Friedenspolitik, Wiesbaden 2011. S. 127 f. In der englischsprachigen Übersetzung des Werkes heißt es an der entsprechenden Stelle zweideutig: „However, Peter Kirschner never played a role in Harley Swiftdeer Reagan’s disputed Deer Tribe Metis Medicine Society“; jedoch wird Kirschner in der Fußnote eine Nähe zu Reagans Lehren attestiert. vgl: Wolfgang Dietrich: Elicitive Conflict Transformation and the Transrational Shift in Peace Politics, London 2013 S. 50
Schade, dass diese Veranstaltungen immer so viel Asche kosten, sonnst würde ich sie des öfteren gern aufsuchen um mich zu gruseln 😉
Wäre zu aktualisieren:
https://www.psiram.com/de/index.php/Lebensfreude-Messen
„Pfeifenzeremonie“: Immerhin ehrlich, die Pfeife.
Noch schändlicher ist,dass bei Birgit Darmstätter die angeblich blinde Schamanin „no Eyes“noch nicht einmal blind ist und das ist doch nun wirklich der Hit….
@Victoria
Die „blinde“ Indianerin hat mir eine selbst gezeichnete Skizze erklärt (Strichmännchen), die aber anscheinend „nicht gut gelungen “ sei und Namen von Steinen aufgeschrieben. Ich war so in das Gespräch vertieft, dass ich nicht mitbekam , dass „No Eyes“ nicht blind sein kann und sie hinter Ihrer Sonnebrille Ihr „wahres Gesicht“ versteckt. UNVERSCHÄMT! Zumal ich zum ersten Mal auf der Messe, um mir die Aussteller näher anschauen wollte, da ich auf der Suche nach alternativen Heilmethoden war. Zudem müsste ich für meine „Reinigung“ extra einen Termin ausmachen.
Die wohl selbsternannte Indianerin erlebe ich gerade mit Sonnenbrille bei einem Vortrag.
Bei einem Kongress erzählt sie viele Fantastereien, die durch nichts belegt sind. Und die
Zuhörer hören gläubig zu wie Sektengläubige und meinen, dass alles aus ihrem Mund stimmen
muss. Eigentlich reinster Spekulationsfirlefanz für Dumme.
Damit sage ich nicht, dass es keine anderen Realitäten geben kann. Nur diese Frau mit Feder am Kopf
absolviert lediglich eine Labershow mit versuchter Lebenshilfe.