#WeToo: Psiram ist dabei

Plötzlich lesen alle Gedichte; ein bestimmtes Gedicht jedenfalls. Es heißt „avenidas y flores“, wurde 1951 von dem Schweizer Eugen Gomringer in spanischer Sprache verfasst und ziert (noch) eine Fassade der Alice Salomon Hochschule in Berlin, die ihn dafür, ganz nebenbei, mit einem Literaturpreis auszeichnete. Es geht um Alleen, Blumen, Frauen und einen Bewunderer; und der Akademische Rat der Hochschule will es entfernen lassen.

Denn: nach langer Beratung kam das Gremium zu dem Schluss, es (das Gedicht) sei sexistisch – oder so etwas ähnliches, denn um dieses Wort wird im Text der Entschließung ein Riesenbogen gemacht. Lieber spricht man von einer Renovierung mit Neuanstrich der Fassade, gerade sechs Jahre nach der Applikation der acht bejahrten dichterischen Zeilen und nachdem der örtliche Asta volle vier Jahre zum Anstoßnehmen brauchte.

Der arme Poet! Jetzt barmt er über einen „Eingriff in die Freiheit der Kunst und Poesie“ und erwägt „rechtliche Schritte“. Aber was will er denn eigentlich noch? Abgesehen von der Uncoolness: mehr öffentliche Wahrnehmung wird einem Lyriker in den nächsten hundert Jahren nicht mehr zuteilwerden. Eine bequeme Position eigentlich, der undankbaren Hochschule gegenüber mit dem im Kunstbetrieb üblichen Aplomb  ein unmoralisches, aber spaßiges Angebot zur geringfügigen Umschaffung des ungeliebten Wandschmucks zu machen, zum Beispiel so:

Statt Blumen und Frauen: Autos und Bier, das hätte ohnehin bestechende Vorzüge. Männern erspart es Prioritätskonflikte, und Frauen dürfen sich ihrer Vorurteile gegenüber Männern versichern. So haben alle, was sie brauchen (und verdienen). Und die Hochschule spart sich einen Haufen Knete für Malerarbeiten und womöglich sogar Honorare an die Lyrikerin Barbara Köhler, die nun stattdessen die nämliche Wand bedichten soll.

7 Gedanken zu „#WeToo: Psiram ist dabei“

  1. Laaangweilig. Doofe linke Studenten machen doofe Sachen und stören sich an Sprache, an der sich zu stören lächerlich ist. Man kann sie ja machen lassen, was soll’s.

    Antworten
  2. Wo Herr Gromlinger da einen „Eingriff in die Freiheit der Kunst und Poesie“ sieht, erschließt sich mir nicht. Dass sein Gedicht abgehängt werden soll, kann er natürlich bedauerlich finden, aber woraus leitet er den Anspruch ab, dass seine Verse an dieser Wand stehen sollen? Schräg.

    Jeder Sprayer, dessen Graffiti entfernt oder übermalt werden und der u.U. für seine künstlerische Tätigkeit juristisch belangt wird, hätte mindestens genauso viel Anlass, über Eingriffe in die Freiheit der Kunst und Poesie zu klagen.

    (Ob man das Gedicht für sexistisch hält und für sexistisch genug, um seine Entfernung zu verlangen, steht auf einem anderen Blatt. Das wirkt schon ein wenig gewollt, nach so langer Zeit.)

    Antworten
  3. Für den Nächsten, der damit nichts anzufangen weiß:
    „Das Gedicht ist schön, es ist formal perfekt und es handelt von Frauen, Blumen und einem Verehrer. Ist das heute schon ein Vergehen? Ist das der Geist, der heute an unseren Unis herrscht? Was kommt als nächstes? Gehen die Studierenden in die Bibliothek und reißen alle Bücher raus, in denen das Wort „Frau“ in Verbindung mit „Verehrer“ gedruckt steht? Und ich dachte, unsere Freiheit wird fremdländischen Terroristen bedroht, von engstirnigen Radikalen, die sich die Welt nach ihrer Lesart der heiligen Bücher machen wollen.“
    https://kafkaontheroad.wordpress.com/

    Antworten
  4. Es gibt ständig solche Vorfälle an Unis, seit einiger Zeit. Als nächstes machen sich die vernünftigeren Studenten darüber lustig, und es passiert gar nichts wichtiges, auch wenn das übertüncht wird und die Dummköpfe ihren Willen haben.

    Wenn man mal zurück denkt findet man Zeiten als der Diskurs unter Studenten viel fester in der Hand der extremen Linken war als heutzutage. Und da ging es nicht drum irgendwie ein Gedicht zu entfernen sondern eher so das faschistische System entlarven und Revolution usw… mit ordentlichen Sympathien für viel krassere illiberale Staaten als man heute unwidersprochen verherrlichen kann.

    Da scheint mir das hier einfach nur…doof, aber nicht bedeutend genug um Angst zu kriegen vor der antiliberalen Bedrohung. Wenn eine laute Minderheit das Gedicht creepy findet kann ich nur den Kopf schütteln. Aber das wird sich so nicht durchsetzen.

    …und außerdem außerhalb der traditionellen Zielscheibe von psiram.com, aber das ist ja nun Geschmacksache.

    Antworten
  5. “Angenommen, es gäbe Dinge, die für die einen nicht sexistisch sind, es für die anderen aber sehr wohl sein könnten. Angenommen, eher jüngere Menschen könnten auf Sexismus eine andere Perspektive haben als eher ältere. Und viele Frauen eher eine andere als viele Männer.

    Angenommen, die demokratische Entscheidung einer Hochschule darüber, wie sie mit Kunst und Sexismus umgehen möchte, wäre eine Entscheidung darüber, wie sie mit Kunst und Sexismus umgehen möchte, und nicht darüber, wie die Gesellschaft Kunst oder Sexismus zu betrachten hat. Angenommen, es gäbe diese Freiheit. Und nicht eine festgelegte Tugend, die eine Abweichung direkt zum „Generalangriff auf unsere Kultur und damit auf unsere Freiheit“ erklärt. Und angenommen, wirklich nur mal ganz kurz angenommen, „Tugendterrorist“ wäre ein Begriff, der wirklich etwas diskutieren wollte. Wer wäre dann der Tugendterrorist?“

    http://www.bildblog.de/96217/gomringer-gedicht-wer-ist-hier-der-tugendterrorist/

    Antworten
  6. @mossmann

    Das gefällt mir nun auch nicht. Den Begriff Tugendterrorist mal zur Seite- was wird da ausgesagt?

    – das Klima im Umgang mit Kunst und Sexismus an Hochschulen ist nicht mit dem in der Gesellschaft gleichzusetzen- Ja mag sein aber es ist auch nicht bedeutungslos als Indikator.

    – Junge Menschen bzw. Frauen haben eine andere Perspektive auf das Thema- die Perspektive kann trotzdem doof, heuchlerisch oder inkonsistent sein. Oder schädlich.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

css.php