Während wir uns hier mit Pseudowissenschaftlern herumschlagen, hat sich ein Bund von neun Lobby-Organisationen aufs Pferd geschwungen, um ihre Pfründe zu verteidigen. Sie haben die Gefahr genau erkannt und den Feind ausgemacht: Den Posten des Chief Scientific Adviser („Oberster wissenschaftlicher Berater“) der Europäischen Kommission.
Natürlich, was könnte schlimmer sein, als ein Wissenschaftler – im konkreten Fall eine Wissenschaftlerin – in beratender Position? Noch dazu eine, die als „nachdenkliche und überzeugende Botschafterin für Wissenschaft und Beweise“ gilt. Das geht ja nun wirklich überhaupt nicht! Brr ….
Wie der Guardian so schön schreibt: Man fühlt sich an Richard Nixon erinnert, der vorgeführt hat, wie so etwas geht. Nixon schaffte seinerzeit das Beratergremium aus Wissenschaftlern ab und schickte den wissenschaftlichen Berater des Präsidenten sozusagen in die Wüste. Diese merkwürdigen Typen hatten so komische Vorstellung wie z.B. gegen den Vietnamkrieg zu sein. Verdammte Pazifisten.
Aber zurück zum wissenschaftlichen Berater der EU Kommission:
Am 22. Juli rafften sich neun NGOs auf und haben einen gemeinsamen Brief geschrieben (PDF).
Darin haben sie ihren Wunsch klar formuliert:
We hope that you as the incoming Commission President will decide not to nominate a chief scientific adviser and that instead the Commission will take its advice from a variety of independent, multi-disciplinary sources, with a focus on the public interest.Wir hoffen, dass sie als künftiger Kommissionspräsident sich dazu entscheiden werden, keinen wissenschaftlichen Berater zu nominieren und die Kommission sich stattdessen von einer Auswahl unabhängiger, multidisziplinärer Quellen, mit einem Fokus auf das öffentliche Interesse, beraten lassen wird.
Man muss hier kein Sherlock Holmes sein, um zu erkennen, wie der Hase laufen soll. Der Wink mit dem Zaunpfahl ist wohl überdeutlich. Man möchte lieber selbst die Beratung der Kommission übernehmen und ein wissenschaftlicher Berater wäre dabei logischerweise nur im Weg.
Der neugierige Leser wird sich wohl inzwischen schon wundern (falls er den Links nicht gefolgt ist), um welche Ansammlung von Helden es da geht, die offensichtlich ein Problem mit Wissenschaftlern haben. Wenig überraschend: Zu diesen NGOs zählen natürlich Greenpeace, so wie immer, dann Testbiotech von Christoph Then und einige bei uns weniger bekannte.
Es stellt sich natürlich die Frage, warum sie eigentlich gegen diese Position sind? Das hängt wohl unmittelbar mit der aktuellen Besetzung zusammen. Der Posten wird zur Zeit von Anne Glover, Professorin für molekulare Mikro- und Zellbiologie an der Universität Aberdeen, bekleidet.
Und was passt ihnen eigentlich nicht? Hmm:
We have not been able to obtain any information on what the Commission President has requested advice on, let alone what advice has been given.Wir waren nicht in der Lage, irgendeine Information darüber zu erhalten, worüber sich der Kommissionspräsident beraten ließ, geschweige denn welchen Rat er erhielt.
Ah, ja. Ok, dann könnte man kann ja gerne fordern, dass Anfragen und Antworten offen gelegt werden. Aber das ist eigentlich egal. Alles, was eine Professorin für Mikrobiologie der Kommission erzählen mag, kann ja auf jedem Fall nicht im Interesse von Greenpeace et al. liegen. Man hat ja auch schon in Deutschland am Beispiel HannoverGEN gezeigt, dass man die Leute in Bezug auf Gentechnik und Mikrobiologie lieber dumm halten möchte.
Und fast logisch hat Professor Clover öffentlich auch schon Dinge gesagt, die den Beteiligten Organisationen nicht passen:
To the media, the current CSA presented one-sided, partial opinions in the debate on the use of genetically modified organisms in agriculture, repeatedly claiming that there was a scientific consensus about the safety whereas this claim is contradicted by an international statement of scientists (currently 297 signatories) saying that it “misrepresents the currently available scientific evidence and the broad diversity of opinion among scientists on this issue“Den Medien gegenüber hat die aktuelle CSA einseitige, parteiische Ansichten in der Debatte um die Nutzung genetisch modifizierter Organismen in der Landwirtschaft geäußert und wiederholt behauptet, es gäbe wissenschaftlichen Konsens zur Sicherheit, obwohl dieser Behauptung durch ein internationales Statement von Wissenschaftlern (zur Zeit 297 Unterschriften) widersprochen wird, das sagt: „stellt die aktuell vorhandenen wissenschaftlichen Beweise und die breite Meinungsverschiedenheit unter Wissenschaftlern zu diesem Thema falsch dar“
297 Unterschriften auf einem Statement widersprechen ihr?
Sorry, aber Wissenschaft wird nicht dadurch entschieden, wie viele Leute eine Petition unterschreiben.
Hier passt ein Einstein-Zitat, gegen den 100 Autoren eine Broschüre aufgelegt haben, worauf er antwortete:
„Hätte ich unrecht, würde ein einziger Autor genügen, um mich zu widerlegen.“
Wir haben uns den Text kurz angesehen (hier zu finden) und auch, wenn er aufgrund der vielen Referenzen optisch „gut aussieht“ (kann etwas, das so viele Belege zitiert, falsch sein? Ei freilich!), kann man auf eine einfache Regel zurückgreifen:
Wer Gilles-Éric Séralini zitiert, hat die Debatte bereits verloren.
Aber darum geht es ja eigentlich nicht. Greenpeace et al. fordern ja gar nicht den Kopf von Professor Glover. Es geht nicht um sie und irgendwelche konkreten Aussagen: man möchte am liebsten gleich den ganzen Posten loswerden. Einen Wissenschaftler will man nicht in der Nähe der EU Kommission sehen. Man möchte selbst die Meinung diktieren und sich nicht von so seltsamen Leuten, zu deren Lebensinhalt Beweise und rationale Fakten zählen, in die Parade fahren lassen.
Dieser frontale Angriff auf die Wissenschaft – so muss man es sehen – hat auch den entsprechen Gegenwind hervorgerufen. Diverse Organisationen, darunter renommierte medizinische wie Cancer Research UK und Alzheimer’s Research UK oder die Royal Society sowie Professoren von mehreren Universitäten haben ihren Unmut geäußert.
Bei Sense about Science haben 40 Organisationen und 773 Personen unterschrieben.
Die Europäische Pflanzenforschungsorganisation EPSO hat es schön auf den Punkt gebracht:
For European citizens to have confidence in the way our institutions evaluate and develop policy they need to be assured that there is access to independent scientific advice at the highest level and that this independence is not compromisedDamit die Bürger Europas Vertrauen in die Vorgehensweisen unserer Institutionen zur Evaluierung und Entwicklung von Richtlinien haben, muss ihnen versichert werden, dass Zugriff auf unabhängigen wissenschaftlichen Rat auf höchster Ebene vorhanden ist und dass diese Unabhängigkeit nicht kompromittiert ist.
Als nächstes ist Herr Juncker am Zug und man wird sehen, was kommen wird. Ein Artikel im Cosmos-Magazin, „Europäische Wissenschaft unter Belagerung“, fürchtet das Schlimmste: dass es wenig wahrscheinlich scheint, dass sich die Hoffnung auf eine wissensbasierte Gesellschaft, die man vor Jahren hatte, erfüllt.
1 Gedanke zu „Wissenschaftlicher Berater? Igitt! Schafft das ab!“