Wie man eine offensichtliche Maßnahme verschweigt um Erfolg vorzutäuschen


Frau Wolkenstein ist zurück! Nachdem auch im Esoblog schon gemutmaßt wurde, die Werbeserie für ihre Privatpraxis sei wegen des negativen Echos vorschnell eingestellt worden, darf sie nun wieder über Traditionelle Chinesische Medizin fabulieren. Ganz zufällig einen Tag nach der Meldung im Esoblog.

Dieses Mal geht es um eine chronische Fehlbelastung. Die offensichtliche Lösung des Problems – das Abstellen dieser Fehlbelastung – verschweigt Frau Wolkenstein, weil sie lieber ein Ohr so lange perforiert, bis der Schmerz maximal ist.

Der Fall:

„Vor circa 3 Wochen habe ich diskrete Schmerzen im rechten Arm verspürt, diese aber ignoriert, in der Hoffnung, dass sie von selbst wieder verschwinden“, beschreibt der junge Mann, der vor mir sitzt, seine Beschwerden. Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Die Schmerzen ist schlimmer geworden.

(Hallo Redaktion! „…sind schlimmer geworden“)

Der Patient zeigt auf seinen rechten Ellenbogen und empfindet bereits bei sanftem Druck meinerseits, auf einen bestimmten Punkt, einen hellen Schmerz. Drehbewegungen im Unterarm sind ihm kaum noch möglich, das Tragen leichter Lasten ebenfalls nicht.

„Ich denke so etwas nennt sich Tennisarm. Der Witz ist nur, dass in meinem Leben noch nie Tennis gespielt habe“, erzählt der Mann. Seine Selbstdiagnose ist korrekt, allerdings bezeichne ich sein Erkrankungsbild als „Mausarm“, da der Patient täglich acht Stunden Computerarbeit leistet.

So weit, so gut. Kommen wir nun zur Ursache:

Üblicherweise bedient der Mann die Computermaus folgendermaßen: Der Unterarm liegt nicht auf dem Schreibtisch auf, der Ellbogen ist permanent seitwärts angehoben. Diese unergonomische Armhaltung ist der Auslöser für seine Schmerzen.

Bingo Frau Wolkenstein! Sie haben eine korrekte Diagnose gestellt!

Was ist also zu tun? Lassen Sie uns raten liebe Frau Wolkenstein: man korrigiert als allererstes die nicht ergonomische Haltung und schont das Gelenk ein paar Tage. Meistens hat sich das dann schon erledigt. Richtig, oder?

Mitnichten! Zunächst muss die klassische Rechtfertigung aller Alternativmediziner her: Die „Schulmedizin“ ist doof und Ärzte glauben, dass der Ball hüpft, weil ein Frosch drin sitzt:

Schulmedizinisch ist diese Schmerzproblematik als „repetitive strain injury syndrome“ bekannt, ausgelöst durch chronische Muskelbe- beziehungsweise -überlastung. Lokale Anwendungen an der schmerzenden Stelle mit Salben oder Infiltrationen zeigen deshalb wenig bis keine Wirkung, da der Ort des Schmerzes nicht seine Ursache darstellt. Erst eine Entspannung der verkrampften Muskulatur im Bereich der Schulter- und Nackenregion lindert auch den Schmerz im Arm.

Sollte ein Arzt heutzutage bei einer solchen Symptomatik nur lokal behandeln, sollte man ihn nicht mehr aufsuchen.

Ist die „Schulmedizin“ erst einmal aus dem Spiel, kann Frau Wolkenstein wieder ihre Schatulle unbegrenzter Schwurbelei öffnen:

Die Muskel-Funktionskette, die er während seiner Tätigkeit überlastet, reicht vom Ellenbogen, über die Schulter zur Halswirbelsäule. Konkret spürt der Patient den Schmerz zwar nur in einem kleinen Areal am äußeren Ellenbogen, betroffen ist aber ein gesamter Meridian, der in der traditionell chinesischen Medizin als Dickdarm Meridian bezeichnet wird.

Der Dickdarm-Meridian! Natürlich! Kennen Sie dieses Kinderlied?

With the finger bone connected
to the hand bone,
and the hand bone connected
to the arm bone,
and the arm bone connected
to the shoulder bone,
Oh mercy how they scare!

Aber gut, jetzt kommt immerhin zum ersten Mal in der gesamten Serie so etwas Ähnliches wie eine Erklärung. Es hat 5 Monate gedauert.

Neben der Körperakupunktur an den beiden Meridianen Dickdarm und Lunge, die als Beuge- und Streckmuskulatur der gleichen Muskelfunktionskette in Beziehung stehen, werden auch schmerzhafte Stellen der Halsmuskulatur genadelt. Für Patienten immer wieder erstaunlich, dass sich schmerzhafte Punkte finden, obwohl sie selbst an diesen Körperregionen keine Schmerzen empfinden. Im Fachjargon wird dieses Bild auch „referred pain syndrome“ genannt. Typisch dafür: Die Schmerzen zeigen sich an anderer Stelle, wie die Ursache.

(Hallo Redaktion! „…,als die Ursache“)

Entschwurbeln wir das mal: Wenn man mit der Akupunkturnadel irgendwo sticht und es tut weh, ist die korrespondierende Körperregion krank, auch wenn es keinerlei entsprechende Symptome gibt.
Daraus ergeben sich interessante Diagnosemöglichkeiten. Man braucht keine Röntgengeräte, Blutuntersuchungen oder sonstigen Methoden. Eine Nadel reicht.
Sie glauben, Frau Wolkenstein würde das nicht machen? Lesen Sie weiter, wie sie die korrekten Punkte findet:

Als wirksame Schmerztherapie setze ich in diesem Fall Chinesische Ohrakupunktur ein. Der gesamte menschliche Körper spiegelt sich im Ohr wieder. Die genadelten Regionen entsprechen den Zonen des Armes, der Schulter und der Halswirbelsäule. Am menschlichen Ohr ist genau jene Stelle schmerzhaft, die mit der Region im Körper korrespondiert. Daher sind die Punkte auch leicht zu finden, da sie mehr schmerzen mehr als die benachbarten Zonen. Damit die gewünschte Wirkung einige Tage anhält, werden Permanentnadeln gesetzt, das sind winzige Stahlnadeln. Meist fallen diese nach einigen Tagen ab, oder aber man kann sie mit dem Finger selbst entfernen.

Man stelle sich das bildlich vor. Um die korrekten Punkte zu finden, muss Frau Wolkenstein das komplette Ohr nadeln, um die Stellen zu finden, die am meisten schmerzen. Andererseits sagt sie, dass sie die „Zonen des Armes, der Schulter und der Halswirbelsäule“ sticht. Haben diese nicht genug geschmerzt und sie musste weitersuchen?

Da das Ohr aber den gesamten menschlichen Körper widerspiegeln soll – warum auch immer – behandelt sie während der Findungsphase den ganzen Körper mit. Da sollte man vielleicht mal über Nebenwirkungen sprechen, oder ist das egal und der Meridian interessiert sich nur für Nadeln, wenn da was krank ist (woher auch immer das weiß)? Bringt sie nicht den Energiefluss im gesamten Körper durcheinander?

Frau Wolkenstein wäre nicht Frau Wolkenstein, wenn sie nicht noch eine weitere Maßnahme einstreuen würde. Aber nein, eine andere Körperhaltung bei der Arbeit findet immer noch keine Erwähnung:

Zur Entspannung der gesamten Rückenmuskulatur empfehle ich dem Patienten Tuina oder Shiatsumassagen in Anspruch zu nehmen. Beide Methoden arbeiten mit der Idee der Meridiane. Auch regelmäßige sportliche Betätigung, kann die Neigung einen Mausarm zu entwickeln, verringern.

Das ist etwas, was auch jeder Hausarzt verschreiben würde. Ein Bezug zur TCM ist völlig unnötig und wirkt wieder mal aufgesetzt.

Der Erfolg ist natürlich auch da:

Der Patient hat seine ersten Dauernadeln nach einer Woche verloren. Die Schmerzen nahmen nach der Erstbehandlung wieder zu. Nach dreimaliger Wiederholung der Ohrakupunktur war der Patient jedoch wieder in der Lage alle Bewegungen schmerzfrei auszuführen.

Die Schmerzen nahmen also erst einmal zu, dann wurde es aber besser. Was hat jetzt geholfen? Die Akupunktur? Die Massage? Oder war der Patient vielleicht so klug, seinen Arbeitsplatz ergonomischer einzurichten, auch wenn Frau Wolkenstein das offenbar gar nicht mit einbezogen hat? Wie hat sie das ermittelt?
Oben haben wir gelernt, dass auch Körperregionen krank sein können, ohne dass sie schmerzen. Hat Frau Wolkenstein erneut genadelt und festgestellt, dass die Akupunkturpunkte nun nicht mehr weh tun?

Die wissenschaftlichen Belege für die Wirksamkeit der Akupunktur beim Tennis-Ellbogen sind gemischt. Allgemein gibt es im Bereich Schmerztherapie am ehesten Belege für diese Maßnahme.
Wenn es eine Wirksamkeit gibt, hat sie aber sicher nichts mit Meridianen zu tun, sondern z.B. mit der Ausschüttung körpereigener Substanzen, die schmerzstillend wirken. In diesem Fall war vermutlich, neben einer mutmaßlichen anderen Körperhaltung, die Massage der bestimmende Faktor.

Frau Wolkenstein scheint sich die Kritik zu Herzen genommen zu haben, geholfen hat es allerdings nicht. Mehr als das Bemühen, es besser zu machen, ist nicht zu erkennen. Der Redaktion des Online-Standards sei geraten, nochmal drüber zu schauen.

Aber vielleicht musste es schnell gehen, weil zufällig erst am Vortag das Ende der Serie vermutet wurde und man kontern wollte.

Und Frau Wolkenstein wird übrigens immer noch als Präsidentin ihrer eigenen Firma beworben.

Anmerkung: Die Grammatikfehler („Hallo Redaktion“) wurden inzwischen korrigiert. Vielleicht schaffen die das beim nächsten Mal ja sogar, bevor sie es veröffentlichen.

8 Gedanken zu „Wie man eine offensichtliche Maßnahme verschweigt um Erfolg vorzutäuschen“

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  2. nahezu alles wurde bereits gesagt. Ein weiterer Tipp wäre aber noch (und da hätte sie zwar nicht die TCM aber zumindest Buddhismus ins Spiel bringen können*) aus- & aber anständig:
    Einfach weniger Pornoseiten.

    *“Beyond Dogma (The challenge of the modern world)” by the Dalai Lama (1996)

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  3. —in his 1996 book Beyond Dogma, he [Dalai Lama] clearly states, „A sexual act is deemed proper when the couples use the organs intended for sexual intercourse and nothing else“.
    So ein Spielverderber 🙁

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  4. Wie lange darf man denn im Schnitt auf einen „Mausarm“(wau echte Brüller) warten?
    Ich sitze seit ca. 12 Jahren jeden Tag ~10Stunden oder manchmal auch mehr am PC und jetzt warte ich natürlich darauf auch mal Schmerzen zu haben, damit ich mich von Frau Wolkendings durchlöchern lassen kann und Massagen bekomme aber irgendwie spüre ich da nichts 🙁
    Habe ich einfach nur Pech oder mache ich irgendwas falsch?

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  5. Der Mausarm hat seine Ursache in einer ständigen Fehlbelastung des Armes.

    Wenn ich den Standard richtig verstehe, werden die Schmerzen mit Akupunktur bekämpft. Daraus ergeben sich zwei Schlußfolgerungen:

    1. Die TCM behandelt nicht die Ursache einer Erkrankung, sondern nur die Symptome.
    2. Wenn die Nadeln gegen Mausarm helfen, dann dürfte sie doch gegen alle Arten der Fehlbelastung helfen? Also, nicht Gewohnheiten ändern, nadeln lassen!!!

    So ein Blödsinn!

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