Da im Blog gerade die Frage gestellt wurde – und bei uns gilt „Service is our success!“ – , möchten wir uns kurz einen Artikel des Kopp-Verlags vorknöpfen. In dem Text Von Big Pharma unterdrücktes Dokument beweist: Impfstoffe verantwortlich für plötzlichen Tod wird behauptet, dass der Impfstoff Infanrix hexa am schockierenden Tod von Dutzenden Kleinkindern schuld sei. Der Hersteller habe dies jedoch in offiziellen Sicherheitsberichten verschleiert.
Begründet wird dies damit, dass durch eine Klage in Italien der offizielle Report von GlaxoSmithKline (PDF, 1271 Seiten, 12 Megabyte) an die regulierenden Behörden veröffentlicht wurde und damit diese schrecklich geheimen Informationen bekannt wurden.
So behauptet Kopp:
Es erklärt, dass entgegen den verzerrten Zahlen von GSK, die den Eindruck erwecken, Dutzende plötzliche Tode nach einer Impfung stünden nicht in Verbindung mit Infanrix hexa, dieselben Zahlen jedoch, aufgeschlüsselt nach der Zeit des Auftretens, deutlich machten, dass der Impfstoff tatsächlich in direktem Zusammenhang mit den Toden stand.
Der Teufel steckt im Detail, heißt es, und in diesem Fall übertünchte GSK diese Details, indem die Mehrheit der Tode innerhalb von zehn Tagen nach der Impfung mit den wenigen Toden nach mehr als zehn Tagen zusammengefasst wurde.
Ist schon unglaublich, wie GSK das im offiziellen Report verschleiert hat. Brillant geradezu:
Aus der Tabelle kann ja wohl wirklich niemand, geradezu gar keiner ablesen, wie viele Todesfälle es jeden Tag gab. Dazu müsste man quasi hohe Mathematik beherrschen. Also mindestens die Volksschule absolviert haben. Man kann schon verstehen, dass der typische Autor bei Kopp an solch hohen Hürden scheitert. (1271 Seiten ohne Bilder und Sprechblasen, wer liest denn das?)
Aber Spaß beiseite. Das Thema ist ja leider ein Ernstes.
Ignorieren wir mal die journalistische Qualität des Kopp-Verlages, deren Autor offenbar nicht einmal angeschaut hat, worüber er da schrieb, und wenden uns den Fakten zu.
Den Stein ins Rollen gebracht hat der indische Arzt Jacob Puliyel, der auf Pubmed wegen des Inhalts obiger Tabelle nachgehakt hat. Sein Text wurde aufgegriffen und hat relativ wunderliche Stilblüten getrieben. Wir haben übrigens hier im Blog schon einmal eine interessante Arbeit von Jacob Puliyel besprochen.
Tatsächlich sieht man an der Tabelle, dass in den ersten Tagen sehr viele und danach praktisch keine Todesfälle mehr gemeldet wurden (nur zwei Meldungen in den Tagen 10-19 bei Kindern im ersten Lebensjahr).
Das erscheint auf den ersten Blick besorgniserregend. Aber ist es das auch? Wir meinen: nein. Allerdings ist die Erklärung tatsächlich etwas aufwändiger und die Frage daher gar nicht schlecht. Wir hoffen, dass es uns gelingt, den Sachverhalt verständlich zu erklären.
In der Tabelle ist für 20 Tage kumulativ aufgeschlüsselt, wie viele Todesfälle gemeldet wurden und wie viele Todesfälle zu erwarten wären.
Zu erwartende Todesfälle
Erstmal: Wie kommt man zu der Erwartung von 54 Todesfällen?
Der Punkt ist: es sterben jeden Tag Menschen, auch Kleinkinder. Ob mit Impfung oder ohne Impfung. Bei Kleinkindern ist das natürlich ein besonderer Horror, aber es ist leider Realität. Kann man keine Todesursache zuordnen, so spricht man von plötzlichem Kindstod(SIDS). In Deutschland fallen dem plötzlichen Kindstod inzwischen nur mehr ca. 150 Kinder pro Jahr anheim, 1998 waren es noch 602.
Aus statistischer Sicht muss man also jedes Jahr abhängig von der Zahl der Geburten mit einer gewissen Zahl an Todesfällen rechnen. GSK argumentiert, dass die gemeldeten Zahlen weit darunter bleiben.
Der von GSK hier errechnete Wert von 54 klingt nach viel, aber die Daten wurden über einen Zeitraum von 11 Jahren erhoben, d.h. es werden die Todesfälle an jedem Tag über 11 Jahre addiert. GSK ermittelt den Wert über eine Formel, in der Impfdosen mit der Häufigkeit von plötzlichem Kindstod multipliziert werden.
Versuchen wir die Annäherung mal aus einer anderen Richtung. In Deutschland starben im betrachteten Zeitraum 3.480 Kinder, ohne dass eine Ursache gefunden werden konnte. Das bedeutet, dass in Deutschland allein an jedem Tag im Jahr im Schnitt 3480 / 365 Todesfälle zu beklagen waren, also 9 Kinder an jedem Tag. Man dividiert nur durch 365 und nicht durch die Jahre, den man will ja wissen, wie viele Kinder in 11 Jahren in Summe, z.B. an jedem 19. Februar (um das heutige Datum als Beispiel zu nehmen), gestorben sind.
Da in Deutschland laut GSK etwa 30% der betrachteten Impfdosen verkauft wurden, kann man damit abschätzen, dass ca. 3×9, also 27 Fälle realistisch sind. Hier zeigt sich ein Unterschied zu dem Wert von GSK. GSK rechnet pro Impfung (jedes Kind erhält ja zwei im ersten Jahr), und damit kommen sie auf die doppelte Anzahl von 54 erwarteten Todesfällen.
Ob man jetzt die Betrachtung pro Impfung oder pro Kind (54 oder 27) durchführt, ist eine interessante Frage. Könnte man diskutieren; der Einfachheit nehmen wir im weiteren einfach die 27.
Das Problem mit den Daten
Aus dieser Erwartung folgt, dass eigentlich jeden Tag 27 Todesfälle gemeldet werden müssten. Von Tag 10-19 werden aber nur mehr 2 Todesfälle gemeldet und selbst am Tag 0 werden nur 16 der erwarteten 27 Fälle gemeldet.
Man sieht hier vielleicht schon das Problem – die Anzahl der Meldungen ist viel niedriger als die Anzahl der echten Todesfälle. Da stimmt etwas nicht. Die Zahlen spiegeln sicher die Realität nicht wider.
Wie erklärt sich das? Es gibt in der Statistik das Problem des Reporting Bias. Man meldet nur, was auffällig ist, d.h. am Tag nach der Impfung erinnert sich jeder an die Impfung und meldet den Fall. Zwei Wochen später ist das nicht mehr präsent. Niemand denkt mehr an die Impfung als mögliche Ursache und man meldet den Fall von SIDS daher auch nicht.
Das ist hier wohl passiert. Unabhängig von einer Begründung sind die Daten einfach schlecht. Im Grunde müssten an jedem der 20 Tage in der Tabelle ca. 27 Todesfälle gemeldet worden sein. Wenn es dann eine Abweichung gäbe, dann könnte man tatsächlich folgern, dass es ein Problem gibt.
Fazit:
Man kann aus dieser Tabelle daher leider insgesamt sehr wenig herauslesen. Weder, dass die Impfung gefährlich, noch das deren Sicherheit mangelhaft ist. Die Zahlen in dieser Tabelle hängen sozusagen in der Luft. Man müsste alle Todesfälle erfassen, wissen, wie viele Todesfälle es tatsächlich jeden Tag, das ganze Jahr über, gegeben hat. Dann könnte man nachprüfen, ob nach Impfungen tatsächlich mehr Kinder verstorben sind als an anderen Tagen. Aber ohne diesen Bezugsrahmen kann man nicht viel sagen. Die ganze Diskussion um die Tabelle ist eher „viel Lärm um nichts“. Vielleicht kann man noch GSK vorwerfen, dass die Tabelle nicht viel wert ist. Aber mehr auch nicht.
Um das noch klarzustellen: Auch wenn diese Tabelle weder so noch so viel hergibt, hat man in den letzten Jahrzehnten viel Mühe investiert, um die Ursachen des plötzlichen Kindstods zu ergründen. Man hat einige Risikofaktoren identifiziert. Impfungen waren nicht darunter – im Gegenteil: Eine Metaanalyse kam sogar zum Schluss, dass Impfungen das Risiko etwa halbieren.
Recht erstaunlich, dass die Datenlage so unterirdisch ist.
Man sollte eigentlich erwarten, dass in den meisten Fällen der Hausarzt/Kinderarzt sowohl bei den Impfungen als auch bei auftretenden Komplikationen (bis hin zum Tod) stetig involviert ist.
Ähnliches gälte auch für Impfungen im Krankenhaus.
Spätestens beim Auswerten der anfallenden Daten im Krankenkassensystem sollte man das Datum einer Impfung anhand der Rezeptdatierung mit dem Ableben des Patienten wenigstens über den Monat gemittelt korrelieren können.
Klar: Der Hersteller des Impfstoffs kann und soll auf diese Daten nicht zugreifen können. Aber zumindest den staatlichen Stellen (hier dem PEI) sollte das zum Gegencheck einer solchen Zulassungsstudie doch gebilligt werden.
Der Link zum anderen Blogartikel über Herrn Puliyel 404t. Da ist ein ‚c‘ zu viel am Ende.
Danke, korrigiert.
Mit dem Herrn hatte ich kürzlich eine e-mail Korrespondenz. Der ist recht uneinsichtig und hat ebenfalls obige Tabelle amgeführt.
Tatsächlich gibt es diverse Publikationen, dass Impfungen zT SIDS präventabel sind, so hat die Einführung der Haemophilus Influenzae b Impfung in Ungarn zu einem drastischen Rückgang der SIDS Fälle geführt, was annehmen läßt dass etliche SIDS Fälle nicht diagnostizierte HIB-Infektionen waren. Das dürfte auch für Keuchhusten Infektionen zutreffen- weil die Zwerge noch nicht richtig husten können- die werden blau aus Sauerstoffmangel und sterben.
Etwa 50% der SIDS Fälle sind aber auf ein sog longQT Syndrom zurückzuführen. Das ist eine Herzrhytmus Störung, bei der die Kids plötzlich sterben. Da gibts auch eine prospektive Studie dazu. Die haben bei Geburt ein EKG gemacht und dann nachgeschaut, ob die Kinder mit long QT Syndrom nach einer gewissen zeit noch leben- und siehe da viele waren an SIDS gestorben.
Die Ursache von long QT Syndrom ist oft ein genetischer Ionenkanaldefekt- angeboren.
Es gibt bereits einige Gene, auf die man testen kann- ständig kommen neue dazu.
Hier der Stand vor ca 2 Jhr:
zum Long QT Syndrome, dominante Gene: LQTS1 11p15.5 KvLQT1 (KCNQ1) 40-55 %,
LQTS2 7q35-36 HERG (KCNH2) 35-45 %,
LQTS3 3p21-24 SCN5a (hNaV1.5) selten,
LQTS5 21q22.1–22.2 MinK (KCNE1),
LQTS6 21q22.1–22.2 MiRP1 (KCNE2), rezessive Formen: JLN1 11p15.5 KvLQT1 (KCNQ1) rezessiv ca. 6.3 % JLN2 21q22.1–22.2 MinK (KCNE1) rezessiv ca. 0.7 %
Könnt man bei Geburt screenen- dann hätte man doch Risikogruppen- die intensiv betreut werden müßten. Und ja es wird schon an medikamentösen Therapien geforscht.
Nachtrag: die prospektive Studie
Schwarz PJ et al NEJM 2000; 343; 262-7 und NEJM 1998; 338:1709-14
Dank an den Blogger Cornelius Courts- der hat mich aufmerksam gemacht auf diese Studie
http://scienceblogs.de/bloodnacid/