Ganzheitliches Schmarotzertum
Manchmal platzt einem der Kragen wenn man sieht mit welcher Ignoranz und Dreistigkeit Leute, die sich „Heilpraktiker“ nennen vorgehen. Niemand auf der Welt käme auf die Idee (bis auf Manufactum), etwas als besser anzusehen, nur weil es alt ist. Esoteriker und Heilpraktiker tun das aber aus Prinzip. Sie fragen sich nie, ob es nicht auch Gründe gibt, dass bestimmtes „altes Wissen“ vergessen wurde.
Das vermutlich älteste Wissen der Menschen, nämlich wie man Feuer macht, ist jedenfalls nicht verloren gegangen und man sieht auch ein, warum: Es ist bis heute nützlich, das zu wissen. Warum man aber „Jahrtausende altes Wissen“ von z.B. absurden Annahmen über die menschliche Anatomie wieder ausgraben muss wie bei der sogenannten Traditionellen Chinesischen Medizin (Die Chinesen haben nie Anatomie betrieben und haben sich halt was aus den Fingern gesogen), ist mir rätselhaft. Das Konzept von „Energiebahnen“ mag ja auch als Hypothese nicht verkehrt gewesen sein, doch heute wissen wir sehr genau, wo und wie Nervenbahnen verlaufen – meist nicht dort, wie damals vermutet.
Und dann dieses unsägliche und permanente Geschwafel von „Ganzheitlichkeit“. Von „nur an der Symptomen herum doktern“. Die gleichen Schwafler empfehlen dann im gleichen Atemzug Homöopathie. Dabei ist Homöopathie geradezu ein Paradebeispiel für rein symptombezogenes Agieren.
Besonders irritierend, weil man nie weiß, ob aus Dummheit, Ignoranz oder Unfähigkeit entstanden, ist die Tatsache, dass so gut wie jede Heilpraktikerin Methoden im Repertoire hat, die sich völlig widersprechen und zwar oft in einem Maße, dass aus der jeweiligen Sicht die andere Methode als unwirksam oder gar schädlich gesehen werden muss. Was würden wir von Menschen sagen, die behaupten, die Erde wäre eine Scheibe und gleichzeitig kugelförmig? Man würde sie als das bezeichnen, was sie sind: Spinner, nicht ganz dicht etc. Ist man aber Heilpraktiker, nennt man das „ganzheitlich“ und ist beledigt, wenn man darauf aufmerksam gemacht wird.
Die Bandbreite der Heilpraktiker ist groß (was kein Wunder ist, es gibt ja keinerlei offizielle Ausbildung). Hier zwei Beispiele von größtenteils harmlos bis zum bösartigen Demagogen:
Als Mann erweckt so eine kuh blauäugige, unschuldig wirkende Frau Beschützerinstinkte. Aber Vorsicht: bei einer ernsthaften Erkrankung sollte man sich nicht dahin begeben, denn das Mädchen die Dame gehört zur der berüchtigten Sorte der ehemaligen Krankenschwestern die meinen, das Vorbereiten auf einen Multiple-Choice Test beim Amtsarzt wäre mit einem Medizinstudium gleichzusetzen.
Ein ganz anderes Kaliber ist Harald Schicke. In geradezu atemraubender Demagogie spricht er der modernen Medizin bis auf Chirurgie die Wirksamkeit ab.
Nur ein Beispiel:
„Die Verheißungen der Schulmedizin haben sich bislang nie erfüllt. Der Kampf gegen den Krebs ist ebenso verloren wie alle anderen auch, obwohl sie mit vielen Milliarden allein in Deutschland subventioniert worden sind.“
Wer sowas sagt, hat entweder keine Ahnung, oder er lügt wie gedruckt. Bei einigen Krebsarten gibt es heutzutage langfristige Überlebensraten von 90%. Noch vor 20 Jahren eher gegen 0%.
Solche Leute halte ich für besonders widerlich. Sie machen Menschen Angst, um an sie ran zu kommen. Sie geben unverfroren Tipps, die massiv lebensverkürzend sein können (z.B. bei Heliobacter Pylorii Knoblauch statt sinnvolle Antibiotika)
Nebenbei fährt er die bekannte Schiene: Die Fehler der „Schulmedizin“ (es gibt keine Schulmedizin, sie wird an Universitäten gelehrt) aufzählen um damit die „Naturheilkunde“ zu belegen. Eine Begründung, warum gerade in der Medizin das Wissen von vor 300 Jahren besser als das heutige sein soll, gibt er natürlich nicht, dafür konstruiert er absurde Verschwörungstheorien.
Bezeichnend: Auf seiner Seite ist das erste Foto von ihm, danach folgen in gleicher Größe Virchow, Semmelweis und Paracelsus.
Ich weiß, weder Dummheit noch Ignoranz noch Größenwahn ist gesetzlich sanktioniert. Das ist auch gut so. Jeder wie er will oder kann. Aber wie kann es sein, dass einerseits zum Behandeln von kranken Menschen ein jahrelanges, aufwändiges Studium nötig ist und gleichzeitig Heilpraktiker ohne Qualifikationsnachweis mit einem offensichtlichen Hass auf die moderne Medizin ebenso auf die Menschen losgelassen werden? Wenn schon dieses Absurdum in Deutschland nicht abgeschafft werden kann, plädiere ich dafür, dass Heilpraktiker niemanden unter 18 Jahren behandeln dürfen.
Es gibt schon genug schlechte Ärzte. Da brauchen wir nicht auch noch Heilpraktiker.
(ri)
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