Zu rechtsextremistischen Denkstrukturen in der zeitgenössischen Esoterikbewegung
Ein Artikel von Holdger Platta aus Psychologie Heute 06/1997
Mit freundlicher Genehmigung von Psychologie Heute. Den original gesetzten Artikel mit Illustrationen gibt es als PDF (15 MB) hier (Das Copyright verbleibt beim Verlag)
Publizisten und Wissenschaftler äußern sich im wachsenden Maße besorgt: Die New Age-Bewegung – zeitgenössische Version der überkommenen Esoterik – werde immer stärker von rechtsextremistischen Tendenzen beeinflußt; faschistisches Denken gehe in dieser Bewegung um.
– Rund ein Viertel der esoterischen Gemeinschaften im deutschen Sprachraum seien rechtsextremistisch oder sympathisierten mit rechtsextremistischem Gedankengut – berichten die New Age-Analytiker Eduard Gugenberger und Roman Schweidlenka.
– „Viele politische Kernaussagen sind durchaus kompatibel mit reaktionärem, ja sogar rassistischem Gedankengut“, so die Wissenschaftsjournalisten Gerhard Kern und Lee Traynor.
– „Das New Age richtet sich an die Sanften, nicht die Militanten. Deshalb wird meistens übersehen, daß in dieser breiten religiösen Strömung der Selbstvergötterung faschistische Ideologie wiederauflebt“, urteilt Peter Kratz.
Welche Ideologeme des rechtsextremistischen Denkens sind es, die in der New Age-Bewegung auf Widerhall stoßen? Bestimmen Autoritarismus, Aversion gegenüber Menschenrechten und die mit diesen grundlegend verbundene Ethik, bestimmen Sozialdarwinismus sowie Rassismus und Antisemitismus zunehmend das Bild der heutigen Esoterik?
Sehen wir uns als erstes eine Definition der Esoterik an, die aus den Reihen der Esoterik selber stammt, den vollständig zitierten Artikel zu diesem Stichwort aus dem „New Age-Wörterbuch“ von Elmar Gruber und Susan Fassberg:
„Esoterik (vongriech. „nach innen gerichtet“) bezeichnet das in sich gekehrte, „vergeistigte“ Wissen. E. ist eine jahrtausendealte Tradition der Menschheit, die versucht, auf der Ebene der persönlichen Erfahrung (siehe Initiation), die Geheimnisse unseres Daseins erlebbar zu machen. Im eigentlichen Sinn kann E. weder gelehrt noch gelernt, sondern allein erlebt und gelebt werden. Deshalb verbindet jede esoterische Tradition, neben den auch nicht Initiierten zugänglichen Schritten (die „exoterisch“, also nach außen gerichtet sind) eine Reihe von Übungen, Prüfungen und Lebensweisen (etwa Meditation, Askese, Riten usw.), die gerade im rechten Handeln den Gehalt des esoterischen Systems erfahrbar und verstehbar machen. Das New Age wird von vielen Esoterikern als jene anbrechende Zeit angesehen, in der das esoterische Wissen nicht mehr geheimgehalten und allein Ausgewählten zugänglich gemacht werden muß, sondern zu einer allgemeinen Erfahrens- und Lebensform erhoben werden kann. Die Grundprinzipien der E., vor allem der abendländischen, sind in der smaragdenen Tafel des Hermes Trismegistos enthalten.“
Und zu diesen „Grundprinzipien“ des Hermes teilt uns das Wörterbuch mit:
„Smaragdene Tafel. Tafel, auf der Hermes Trismegistos (legendäre Figur des alt. Ägypten, später mit Thot, dem Gott des Wissens identifiziert) die Grundgesetze des Kosmos eingraviert haben soll. Die Botschaft der S.T. gilt als Grundtext der gesamten abendländischen Esoterik. Sie kann in vier Grundprinzipien zusammengefaßt werden: 1. „Wie oben so unten“, 2. Alles in der Welt ist polar, 3. Zwischen den Polen herrscht ein Kraftfluß, der ein Neues, ein Drittes entstehen läßt, 4. Alles im Kosmos läuft zyklisch, rhythmisch ab und untersteht dem Gesetz der Balance und Ausgewogenheit.“
Sehr konkret ist das alles noch nicht. Trotzdem läßt sich bereits diesen wenigen Sätzen entnehmen:
1. Bei der Esoterik handelt es sich um ein uraltes „Wissen“ der Menschheit.
2. Dieses „Wissen“ war für lange Zeit nur wenigen Eingeweihten bekannt und teilt sich auch nur auf „Offenbarungsweise“ mit.
3. Dieses „Offenbarungswissen“ soll jetzt im Zeitalter des Wassermanns allen Menschen mitgeteilt werden.
Was soll an solchen Auffassungen „rechtsextremistisch“ sein? Nun, unmittelbar natürlich noch nichts. Dennoch fallen bereits an dieser Stelle gewisse Vereinbarkeiten des esoterischen Denkens mit rechtsextremistischen Anschauungen auf:
1. Grundlegend für Esoterik ist, daß sie einer rationalen Überprüfung nicht zugänglich ist; sie ist damit nicht unbedingt schon antiintellektuell, auf jeden Fall aber irrational.
2. Offenkundig geht Esoterik von der Ungleichheit der Menschen aus; wo der Rechtsextremismus zwischen politischen Führern und Gefolgschaft unterscheidet, differenziert Esoterik zwischen „Eingeweihten“ und dem großen „unerleuchteten“ Rest auf dieser Welt.
3. Diese Unterscheidung zwischen zwei ungleichwertigen Menschheitsklassen veranlaßt Esoterik zu einem umfassenden geistigen Führungsanspruch: nicht nur im Irrationalismus und im Ungleichheitsdenken weisen Rechtsextremismus und Esoterik Parallelen auf; auch hinsichtlich des totalen Führungsanspruches trifft dies zu.
4. Wenn der Esoterisch-Eingeweihte mit seinem geistigen Führungsanspruch über Wissen zu verfügen glaubt, das die Geheimnisse des gesamten Universums umfaßt, dann ist dieser geistige Führungsanspruch auch unbegrenzt; er zeigt einen totalen, wahrscheinlich totalitären Zug. Kurz: Es scheint zweifelhaft, daß aus esoterischer Tradition demokratisches Denken, egalitäres Denken, rationales Denken abgeleitet werden kann. Entscheidend ist deshalb, was heutige Esoteriker konkret aus dieser Weltanschauung machen.
Doch kehren wir vorher noch einmal zu diesen hermetischen Grundsätzen zurück. Was teilt Esoterik uns mit?