Die Welt: Gentechnik, 250.000 Selbstmordbauern und anderer Unsinn

Die Welt hat in einem kürzlich erschienenen Artikel mit dem schönen Titel „Studie bescheinigt grüner Gentechnik Totalversagen“ komplett unreflektiert die Märchen einer sogenannten Studie fröhlich abgedruckt. Besonders interessant dabei, dass sie es eigentlich besser wissen könnten, haben sie doch in eigenen Artikeln einige dieser Märchen selbst schon thematisiert.

Besonders sticht aus dem Artikel die alte Kamelle hervor, dass sich wegen der Gentechnik in den vergangenen zwölf Jahren nach offiziellen Statistiken allein 250.000 Bauern umgebracht hätten. Wow. Harte Fakten sozusagen! Die zugrunde liegende Studie spricht übrigens sogar von 15 Jahren (Seite 21).

Leider hat die Zahl einen winzigen Schönheitsfehler. Gentechnisch modifizierte Samen wurden erst 2002/2003(!) in Indien eingeführt, nicht bereits 1997. Zynische Bemerkungen liegen uns hier auf der Zunge, aber tatsächlich ist die Selbstmordrate indischer Bauern leider entsetzlich hoch.

Verzeihen wir diesen kleinen Fehler. Der Studienschreiber hat das sicher einfach nicht gewusst, nein, ganz sicher nicht, ganz sicher nicht (*hust* Studie, Seite 41 *hust*). Wichtig ist doch: stimmt die grundsätzliche Behauptung denn? Bringen sich tatsächlich viele Bauern wegen der Gentechnik um?
Nein.

Das Thema wurde schon im exzellenten Blog (Leseempfehlung, die Erste!) Gute Gene, Schlechte Gene besprochen. Die Welt (sic!) hat in einem früheren Artikel die Behauptung als Mythos entlarvt. Und dann gleich nochmal. Auch Novo Argumente (Leseempfehlung, die Zweite!) hat das Thema schon mal zerkaut (nebenbei auch die Autorin Vandana Shiva: „Dünne Männer, die sich in dürren Bäumen aufgehängt hatten, verendete Ziegen, denen Blut aus dem Maul tropfte, weil sie angeblich das Stroh von „Gen-Baumwolle“ gefressen hatten …“), wobei auch eine Studie des International Food Policy Research Institute zitiert wird, die die Behauptungen untersucht und als unsinnig beurteilt hat.

Sehr schlimm ist anscheinend auch, dass sich die Preise für Saatgut seit der Einführung von GMO Baumwolle verachzigfacht haben! Faktor 80! Hallo, klingelt es da nicht? Klingeln da nicht irgendwelche Realismusdetektoren?

Zurück von der Märchenwelt in die Realität: In der sind die Preise von 1600 Rupien (2003) auf 800 Rupien (2006) gefallen. Dieses Jahr wurden die Preise wieder um 180 Rupien erhöht. (1 Euro = 70 Rupien)

Das sich zwei Drittel des Weltsaatgutmarktes in den Händen von Monsanto befinden, ist wohl eher ein feuchter Traum (von Monsanto). In der Wirklichkeit müssen sie sich (als Platzhirsch) mit 23% zufrieden geben.

Nach all dem Schwachsinn ist da die Behauptung, dass Superunkräuter durch Gentechnik quasi „gezüchtet“ werden, ein dickerer Brocken. In dem Thema steckt ein Stück Wahrheit, gegen Glyphosat können Resistenzen gebildet werden. Aber Maßnahmen wie Herbizidwechsel negieren das Problem. Bei Raps gibt es das Problem in der Praxis z.B. überhaupt nicht.

Man möge uns verzeihen, wenn wir nicht noch mehr Details zerpflücken (ja, das geht tatsächlich!), aber das reicht doch wohl, oder?

Wir möchten der Welt zu diesem Meisterwerk ehrlich gratulieren, das muss Bild an Fehlerdichte erst mal nachmachen …

23 Gedanken zu „Die Welt: Gentechnik, 250.000 Selbstmordbauern und anderer Unsinn“

  1. Danke fürs Auseinandernehmen!
    Dass sich Vandana Shiva nochmal mit dem von ihr maßgeblich miterfundenen Mythos des Bauernsterbens in Indien in die Öffentlichkeit traut, war ja schon mal die einfallsloseste Kuriosität! Wie NGO-like verhält sich ihre Organisation Navdanya? Das Konzept klingt nett gemeint, habt ihr mehr Infos dazu?

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  2. @fatmike182:
    Nein, wir haben zwar noch (vermutlich 2) Folgeartikel zu der „Studie“ geplant, aber Navdanya haben wir uns noch nicht ernsthaft angesehen.

    Btw.: Im Nachtrag gefällt mir der Absatz zu den Superunkräutern nicht so, aber gegen Ende war ich dann schon etwas genervt. Das Thema Resistenzbildung/Superunkräuter kann man nicht in einem Absatz abhandeln. Was aber nichts daran ändert, dass die Behauptungen in der Studie schlicht falsch sind.

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  3. Wieder was gelernt. Ich dachte das die Terminator-Technologie mit für die Selbstmorde verantwortlich ist. Durch den Artikel und eine genauere Beschäftigung mit dem Thema bin ich jetzt auf eurer Seite.

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  4. …möchte in diesem Zusammenhang auf den Artikel von Thomas Deichmann und Hans Jörg Jacobsen „Vandana Shiva und indische Selbstmorde“ bei NovoArgumente aus dem Jahr 2008 verweisen, wo die Selbstmordthese bereits widerlegt wurde: http://www.novo-argumente.com/magazin.php/novo_notizen/artikel/00097

    Für weitereführende Recherchen empfehle ich das Novo-Dossier „Grüne Gentechnik und Landwirtschaft: http://www.novo-argumente.com/magazin.php/novo_dossiers/gruene_gentechnik_und_landwirtschaft/

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  5. Der Begriff Superunkräuter ist sowieso ziemlich unsinnig, denn spitzt man mit Gyphosat, werden sich einige gegen Glyphosat resistente Unkräuter durchsetzen, spritzt man Glufosinat, werden sich einige gegen Glufosinat resistente Unkräuter durchsetzen. Was daran „super“ sein soll, möge man mir erklären. Aber ich weiß schon, unterschwellig wird immer damit schwadroniert, dass diese Pflanzen alles so zuwuchern wie das Indische Springkraut bei uns die Bachufer. Eigentlich müsste es die Monsanto- und BASF-Kritiker ja sogar freuen, denn wäre es wirklich so, wären RoundupReady und Liberty-Link-Pflanzen morgen vom Markt verschwunden und mit ihnen die beiden Herbizide, weil sie ja nicht mehr wirken, was die sowieso nicht mit Herbiziden arbeitenden Biobauern eh nicht jucken sollte. Und mangels Selektionsdruck würden mit der Zeit auch die resistenten Unkräuter wieder verschwinden.

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  6. Interessant. Auch wenn ich nicht vertehe, wie dieser Unsinn wieder zu stande kam.
    Nur Schade, dass die Schreiber von Novoargumente nicht überall so gut recherchieren können.

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  7. @Volvox: Novoargumente funktioniert anders als eine übliche deutsche Redaktion, im Vordergrund steht Diskurs und nicht Linientreue. Man kann da zum weinen gute Artikel finden, aber auch solche, über die man sich ziemlich aufregt. Oder auch mal schlicht schlechte.

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  8. @Mr. Bojangles: Vielen Dank! Die Sache mit dem Link aktualiseren wir.

    @Volvox: Ja und Nein. NovoArgumente versteht sich ja vor allem auch als Autorenmagazin. Logisch, dass da nicht jede Autorenmeinung zwangsläufig voll und ganz die Meinung der Redaktion widerspiegelt. Aber natürlich gibt es auch bei uns eine Redaktionslinie, für die wir einstehen. Artikel, die wir abwegig finden, veröffentlichen wir auch nicht. Man sollte z.B. hiermit was anfangen können: http://www.novo-argumente.com/magazin.php/ueber_novo/ Aber ich möchte jetzt nicht von der eigentlichen Sache ablenken. Nur eins noch: Die schlechten Artikel sind aber sehr sehr selten bei uns 😉

    Super, dass ihr hier auch auf das Thema aufmerksam geworden seit!

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  9. „Wieder was gelernt. Ich dachte das die Terminator-Technologie mit für die Selbstmorde verantwortlich ist.“
    Die „Terminator-Technologie“ gibt es noch nicht. Ob sie gut oder schlecht wäre muss dann sich noch zeigen, wenn sie auf dem Markt ist.

    Rincewind :
    @Volvox: Novoargumente funktioniert anders als eine übliche deutsche Redaktion, im Vordergrund steht Diskurs und nicht Linientreue. Man kann da zum weinen gute Artikel finden, aber auch solche, über die man sich ziemlich aufregt. Oder auch mal schlicht schlechte.

    Fühl dich frei auf jede Schwäche hinzuweisen 😉

    @Artikel:

    Ist es nicht erstaunlich, dass wenn sich 21 NGOs zusammenschließen und eine „Studie“ niederschreiben, es nicht für ein einziges peer reviewed paper reicht? Na gut, sonderlich erstaunlich ist dies nicht.
    Was mir im Artikel fehlt, ist der Grund warum die Bauern Selbstmord begehen, was nunmal ein Fakt ist. Hier steht darüber ein wenig mehr http://en.wikipedia.org/wiki/Farmers%27_suicides_in_India

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  10. @Johannes Richardt: Stimmt, richtig schlechte Artikel fallen mir jetzt nicht ein, sofern man schlecht als in sich inkonsistent definiert, was wohl auch sinnvoll ist 🙂

    @Grüzi: Gerade hier fühl ich mich zu ziemlich viel frei 🙂 Im Übrigen halte ich solche Konzepte wie sie Novo hat, nicht für schwach, ganz im Gegenteil. Nichts regt mehr zum Denken an, als manchmal provokative Ansichten widerlegen zu wollen, um dann dem Autor manchmal zuzustimmen. Die angesächsische Diskussionskultur ist halt im deutschsprachigen Raum etwas ungewohnt.

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  11. So, dummerweise gibt es eine Aussage von Axel-Springer-Chef Döpfner, die zweifelsfrei zu dem Schluss führt, dass die Springer-Presse keinen Wert auf die Wahrheit legt. Das heisst sowohl früher nicht, alsauch heute nicht. Vielmehr geht es dabei ja nur um reine Ablenkung, was auch auf alle hier erwähnten sowie den abgedruckten Artikel natürlich zutreffend ist.

    Denn Springer-Chef Döpfner bezeichnet „guten Journalismus“ ja selbst als „GUT INSZENIERTE, kollektive Unterhaltungs- und InformationsERLEBNISSE“:

    http://www.youtube.com/watch?v=I-VpvBgLXgQ

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  12. Man kann also davon ausgehen, dass Artikel aus diesem Bereich auch mit Hinblick auf Seiten wie EsoWatch und seine Leser geschrieben werden. (Döpfner ist ja recht interessiert am Internet…)

    Es stellt sich also die schwere Frage, WER hier reingefallen ist! Denn außer ein paar Aktivisten (oder auch ein paar mehr, was aber letztlich keinen echten – und wenn, dann bald wieder revidierten – Einfluss auf politische Entscheidungen hat) und EsoWatch springt da doch kaum jemand drauf an.. is den meisten ja zu anstrengend, sich damit zu beschäftigen, also kann man das lesen auch gleich sein lassen.

    Und man sollte sich nicht der naiven Annahme hingeben, die Verlage hätten keinen Einblick in die Leserschaft, was Internetlinks angeht. Was Youtube kann, können die Verlage auch (Statistische Auswertung der Aufrufe).

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  13. Ein paar Aktivisten und keinen Einfluss?
    Kann es sein, dass Du überhaupt keine Ahnung von der Thematik hast?

    Dass es gerade sie traf, ist neben der erschreckenden Bereitschaft zur Gewalt das zweite bemerkenswerte Detail der aktuellen Überfälle. Fast alle Universitäten haben sich mit ihren Experimenten wieder ins Gewächshaus zurückgezogen, wo sie Grundlagenforschung an Modellpflanzen betreiben. Es ist den Gegnern gelungen, die unabhängige akademische Forschung an gentechnisch veränderten Nutzpflanzen von deutschen Feldern zu vertreiben. Nun werden offenbar gezielt die letzten universitären Pflanzengenetiker im Freiland attackiert.

    http://www.zeit.de/2011/30/Oekoterror-Gruene-Gentechnik

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  14. @denglischKritiker
    Da ist jemandem aber ein netter Widerspruch gelungen…
    Erst verweist man auf Döpfner als Inszenierer und Unterhalter, der aber Artikel veröffentlicht, die keine Leserschaft haben sollen, außer einer Hand voll Aktivisten und Esowatcher.
    Klingt nach einem tollen Rezept für reißende Absatzzahlen, wie man es eben von der Springerpresse erwartet – Ist ja schließlich eine Non-Profit-Organisation munkelt der Insider!
    Für den Rest siehe Cohen oder ältere Blog-Einträge hier auf Esowatch.

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  15. Pingback: Psiram » Goldener Reis, Zulassung und Feldzerstörung
  16. sogar der DLF ist an dieser unvorstellbaren und böswilligen Kampagne beteiligt.

    http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/weltzeit/2139636/

    Wo das doch eigentlich der Segen der Menschheit ist….. die sollten nur mal fürn paar Rupie mehr Vitamin A zu sich nehmen, dann klappts auch mit der Hausbank.

    http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/weltzeit/2139636/

    Bei solcher boeswillig verzerrten Berichterstattung müssen die Unwissenden ja auf schräge
    Gedanken kommen . 😉

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    • Klar. Die Gentechnik ist schuld. Zusammen mit der Technologie für Zeitreisen.

      Bereits 1995 fanden 10% der Farmer-Selbstmorde in Indien in Maharashtra (der Bundesstaat im ARTE Film) statt. Speziell die Region Vidarbha, die von häufigen Dürreperioden gezeichnet ist, ist schwer gezeichnet. Damit will ich nicht sagen, dass es der Region heute besser geht.

      Es ist natürlich immer fein, wenn man auf einen Schuldigen zeigen und den dann kreuzigen kann. Schön alle komplexen Faktoren ausblenden. BT Cotton hat die Probleme indischer Bauern nicht gelöst. Das stimmt. Aber das kann wohl keine Technologie und kein Saatgut. Die zugrundeliegenden sozioökonomischen Probleme müssen durch die Politik gelöst werden, nicht durch Technik.

      Egal was mit der Gentechnik in Indien passiert, ohne weitere Maßnahmen wird das Sterben der Bauern weitergehen.

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