Hogwarts ist überall, auch am Rhein

Hört man dieser Tage den Namen Mainz, so denkt man bei der Stadt wahrscheinlich (auch) an die Firma Biontech und deren Impfstoff gegen die Corona-Infektion. Zählt man sich nicht zu den Impfgegnern und ist wissenschaftlich interessiert, wird man evtl. auch die wissenschaftliche, technische und organisatorische Leistung bewundern, die einen so neuartigen und sensationell wirksamen Impfstoff auf der Basis von mRNA ermöglicht hat. Ja, es ist eine Meisterleistung der Wissenschaft, an dem sehr viele Menschen über lange Zeit gearbeitet haben – zum Wohle der Menschheit. Echte Wissenschaft bringt einen Nutzen, auch wenn dies nicht das primäre Ziel wissenschaftlicher Forschung sein muss. Das funktioniert aber nur, wenn man sich wirklich an die wissenschaftlichen Standards hält und nicht nur so tut. Wie an vielen anderen Orten auch, ist das in Mainz aber – selbst an der dortigen Universität – nicht unbedingt gängige Praxis. Wir zeigen ein paar Beispiele.

Wer die Szene der Corona-Leugner ein wenig beobachtet hat, der wird mit dem Namen Mainz evtl. auch eine anderen Namen verbinden: einen der Kronzeugen der Szene, der aufgrund scheinbarer wissenschaftlichen Expertise einen hohen Stellenwert in der Querdenker-Bewegung hat: Sucharit Bhakdi, ein ehemaliger Professor an der dortigen Universität. Gut, er ist dort länger schon nicht mehr aktiv und lebt auch nicht mehr dort, verweist aber immer noch auf seine damalige Position. Apropos Uni Mainz: ein anderes Schwergewicht in der kritischen Auseinandersetzung – jetzt im positiven Sinne – ist eine dort noch forschende Person: Pia Lamberty, die viel über die Verschwörungsmechanismen der Querdenker aufgeklärt hat.

Um kurz weg von dem in Skeptikerkreisen momentan vorherrschenden Thema „Corona“ und den damit verbundenen Verschwörungserzählungen zu kommen (um dann wieder darauf zu kommen), noch ein anderer Begriff, der mit der Uni Mainz verbunden ist: der Urzeit-Code (kurz: es sollte – ganz ohne Gentechnik – möglich sein, landwirtschaftliche Erträge ohne anderen Mehraufwand [chemische Mittel etc.] zu verbessern). Das ist ein pseudowissenschaftlicher Unsinn, der vor Jahrzehnten schon in den Medien für Aufsehen sorgte, sollte er doch einen Beitrag zum Wohle der Menschheit leisten. Tat er nicht, da er eben keine (echte) wissenschaftliche Leitung war.

Mainz deshalb, weil dort ein anderer Professor den Beleg erbracht haben wollte, dass der Wunderprozess tatsächlich funktioniert. Es war letztlich nur eine Diplomarbeit, die nie veröffentlicht wurde und die bisher nur in Auszügen (die natürlich die Wirksamkeit zeigen sollten) freigegeben wurde. Der verantwortliche Professor Gunter Rothe hat das Thema nicht zufällig betreut, was an seinen anderen Aktivitäten damals (und heute immer noch) klar wird. Er forschte auch zum wissenschaftlichen Außenseiter-Thema „Biophotonen“ und veröffentlichte mit anderen Schwurblern Beiträge, etwa mit dem mittlerweile verstorbenen Fritz-Albert Popp.

Das Thema „Biophotonen“ ist ein klassisches pseudowissenschaftliches Konstrukt. Es gibt Anleihen an die Realität, kann sich aber in der Wissenschaft nicht durchsetzen, da die behaupteten Beobachtungen und Effekte niemals von anderen Forschern bestätigt werden konnten. Überhaupt ist es typisch, dass erst bahnbrechende Thesen in den Raum gestellt werden, und man dann erst versucht, diese zu beweisen. In der echten Wissenschaft ist der Erkenntnisweg umgekehrt: zuerst werden Beobachtungen gemacht, und erst dann nach Erklärungen gesucht. Findet man keine Bestätigung, werden angebliche Entdeckungen, Erklärungen und Modelle in der echten Wissenschaft wieder verworfen. Anders in der Pseudowissenschaft.

Entdeckungen sollen einen Nutzen haben, ob innerhalb der Wissenschaft, die so ihr Verständnis von der Welt ausbauen und verbessern kann, oder letztendlich als medizinisch, gesellschaftlich oder wirtschaftlich verwertbarer Beitrag. Das aber nur, wenn die Entdeckung auch tatsächlich, also nach den strengen wissenschaftlichen Kriterien, erarbeitet wurde. Ansonsten haben sie keinen Nutzen. Wenn man an widerlegten bzw. niemals reproduzierten Behauptungen fest hält, dann gerät man schnell in den Bereich der Pseudowissenschaft, die einen ganz anderen Nutzen an solchen Konstrukten hat.

Womit wir bei weiteren Personen von der Uni Mainz sind, die wissenschaftlich daher kommen (eben weil sie an so einer Institution beschäftigt sind), aber doch nur Pseudowissenschaft betreiben. Wir sind damals auf einige Wissenschaftler der Sportwissenschaften der Uni Mainz aufmerksam geworden, weil diese 2014 den Beleg erbracht haben wollten, dass „Elektrosmog“ bzw. dessen Auswirkungen auf das Gehirn bei der Handynutzung erfolgreich durch ein typisches Scharlatanerie-Produkt namens „AkuRy“ vermindert werden kann. Ein sich gerne in fernöstlicher Pose ablichten lassender Professor namens Wolfgang Schöllhorn (Bild rechts) hatte zusammen mit seiner Mitarbeiterin Diana Henz eine Studie zu dessen Wirksamkeit erstellt. Damit warb der Hersteller; die Studie wurde nie in einer wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlicht, auch wenn dies versucht wurde, weil es dann auch der etwas gebildetere Kunde für einen wissenschaftlichen Beleg hätte halten können.

Das hat Diana Henz aber nicht abgehalten, auf zahlreichen pseudowissenschaftlichen „Kongressen“ damit zu werben, und schlimmer: weiter auf dem Gebiet zu „forschen“. Die verwendete Methodik EEG ist prinzipiell für solche Schlussfolgerungen (speziell XY hat Einfluss auf die gemessene Hirnaktivität) nicht gut geeignet; die Störanfälligkeit ist hoch, die Ergebnisse unspezifisch. Das sind aber optimale Voraussetzungen für Pseudowissenschaft: man schafft wissenschaftlich aussehende Ergebnisse (tolle EEG-Diagramme), zieht abenteuerliche Schlussfolgerungen, die diese niemals hergeben würden und wirbt mit universitärem Hintergrund. Somit sind ihre Forschungen zum Einfluss von Qigong auf die Hirnfunktion, die sie ebenfalls untersucht, auch nicht unbedingt aussagekräftig; genauso wie ihre weiteren „Studien“ (die nur zu Werbezwecken erstellt werden) zu anderen fragwürdigen Produkten.

Auffallend ist, dass Henz vornehmlich im Verlag Frontiers*, einem sog. Open-Access-Verlag, publiziert. Dort konnte sie dann 2018 erneut zusammen mit Prof. Schöllhorn einen Artikel veröffentlichen, der eine Studie analog zu der des AkuRy zusammenfasst. Hier ging es um ein ähnliches Scharlatanerie-Produkt namens Gabriel-Chip (wer genau hinsieht erkennt, dass es sich quasi um den gleichen Quack handelt). Wir fanden schnell auch den Namen Gunter Rothe (der mit dem Urzeitcode) auf der Herstellerseite, der die Wirkung des Produktes ebenfalls belegen sollte. Der mittlerweile emeritierte Professor macht kräftig Werbung für solche Quacksalbereien, alleine durch seinen Titel und durch die Mitgliedschaft in seriös klingenden (pseudowissenschaftlichen) Vereinigungen, wie der „Geophysikalischen Forschungsgruppe e.V.”. Seine Pseudoforschung zu den Biophotonen ist dabei recht hilfreich. Solche Vereinigungen (meist als Institut oder Akademie bezeichnet) sollen unabhängige Forschung bzw. Belege zu den Produkten vortäuschen und sind meist eng mit den Herstellern verwoben. Dies ist aber auf den ersten Blick nicht leicht zu erkennen.

Wo ist also der Wert der Pseudowissenschaft, wenn sie keinen Erkenntnisgewinn oder einen anderen belegbaren Nutzen hat? Man kann leicht erahnen, dass mehrere Seiten davon profitieren. Zum einen sind es die Pseudowissenschaftler, die ihre kruden Konstrukte weiter am Leben halten können (und noch den einen oder anderen Nebenverdienst abschöpfen) und natürlich die Hersteller solcher Produkte, die ständig bemüht sind, dem Kunden wertlosen Tinnef als wissenschaftlich fundiert verkaufen zu können. Diese unheilige Allianz versteckt sich gerne in undurchschaubaren Konstruktionen, die einen offensichtlichen Interessenkonflikt kaschieren sollen.

Die Studie von Henz (2018) wurde von einer (gemeinnützigen!) Schweizer Stiftung namens „Stiftung für Gesundheit und Umwelt“ finanziert, es ist offensichtlich eine Auftragsstudie. Warum sollte dies aber eine gemeinnützige Stiftung tun? Schaut man genauer nach, wer dahinter steckt, wird das schnell klar. Geldgeber ist die Firma Hepart, die neben unnötig hochdosierten Vitaminpräparaten und Mineralstoffen auch den Schweizer Vertrieb für den Gabriel-Chip übernimmt. So uneigennützig ist die Stiftung gar nicht: sie dient dem Marketing der mit der Stiftung verbundenen Unternehmen. Eigennützig wäre die bessere Bezeichnung, denn so wie die Stiftung das ist, so ist es die Pseudowissenschaft insgesamt.

Pseudowissenschaft dient nur den sie vertretenden Personen und Institutionen, sie hat keinen Mehrwert für die Gesellschaft, so wie es echte Wissenschaft und Forschung hat. Auch wenn der (überzeugte) Anwender entsprechender Produkte und Praktiken für sich einen Nutzen erkennen mag, so ist dieser nur eine (Selbst-)Täuschung. Man traut der wissenschaftlich basierten Medizin nicht, sieht hinter allem eine große Verschwörung, die die wahren Ursachen für Krankheiten verschleiert. Verschwörungstheorien sind ein weiteres Merkmal pseudowissenschaftlicher und insbesondere pseudomedizinischer Tätigkeit. Verschwörungserzählungen über etabliertes Wissen und Praktiken gezielt zu verbreiten und so mit Ängsten für die eigene Sache zu werben, ist Teil der Vermarktungsmaschinerie pseudowissenschaftlicher Unternehmungen.

Deutlich wird dies an einem weiteren (ehemaligen) Mainzer Professor, der eng mit der genannten Stiftung verbunden ist: Jörg Spitz (Bild rechts). Er gilt als der Vitamin-D-Papst im deutschsprachigen Raum und propagiert eine hochdosierte Einnahme von Vitamin-D-Präparaten, die er auch selbst anbietet. Im Angebot hat er auch – wen wundert’s – den Gabriel-Chip. Zu seinen Erzählungen gehört es, dass ein Mangel an Vitamin D zu beinahe allen möglichen Gebrechen führt und dass viel Vitamin D viel hilft. Wenn das von der aktuellen medizinischen Forschung so nicht bestätigt wird, kann es seiner Überzeugung nach nur daran liegen, dass „interessierte Kreise“ kein Interesse haben, die „wahren“ Ursachen von Krankheiten zu bekämpfen, so zumindest der Subtext.

Über seine „Sonnenallianz“ verkündet er, Vitamin D würde jede Impfung als Schutz vor Corona „in den Schatten stellen“. Das versucht er auch mit Studien zu belegen, wie es echte Wissenschaftler tun würden. Nur geben die Studien nicht das her, was er daraus versucht abzuleiten. Corona (Covid) ist von zusätzlichen Gaben – vor oder nach einer Infektion – an Vitamin D nicht davon abzuhalten, einen schweren Verlauf zu nehmen. Das wird von vielen unabhängigen Meta-Analysen bestätigt, nachdem das Thema kurz hochgekocht war und es die Hoffnung gab, es könnte etwas dran sein. Mit Hoffnung lässt sich Geld verdienen, mit Fakten aber offensichtlich nicht.

 


*Frontiers Journal Series sind wissenschaftliche Zeitschriften, die vom Schweizer Verlag Frontiers Media SA herausgegeben werden. Im sog Open-Access-Modell zahlt der Autor für die Veröffentlichung, die dann frei (über das Internet) eingesehen werden kann. Der Verlag steht im Verdacht, ein sog. Raubtier-Verlag zu sein, d.h. es werden kaum Artikel aufgrund (z.T. erheblicher) wissenschaftlich-mehodischer Schwächen abgelehnt. So eine Praxis ist vor allem bei Pseudowissenschaftlern beliebt, die bei strenger Prüfung in der Regel mit einer Zurückweisung ihrer Publikation rechnen müssen. Alleine die Tatsache, dass im Artikel von Diana Henz ein massiver Interessenkonflikt besteht (die Studie wurde von einem Vermarkter des untersuchten Gegenstandes bezahlt) und dies nicht erklärt wird, verstößt gegen seriöse wissenschaftliche Standards. Der Artikel hat mit einer echten wissenschaftlichen Publikation nur das äußere Erscheinen gemein, in Wahrheit ist das eine Werbebroschüre.

Beitragsbild von hier: 11 Characteristics of Pseudoscience

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