Vor gut einer Woche fand in Berlin die sechste Welt-Skeptiker-Konferenz statt. Eine Leserin unseres Forums hat uns freundlicherweise viele ihrer Fotos mit ein paar Anmerkungen zukommen lassen (Besten Dank!). Hier ihr Foto-Blog des ersten Tags. Und hier kommt Ihr zum zweiten Teil.
…und Registrierung war gleich morgens schon einiges los.
Im Shop konnte man sich mit diversen „skeptischen Gimmicks“ eindecken.
Es gab auch einen Bücherstand u.a. mit Sabine Pauls „PaläoPower“ ;-).
Amardeo Sarma begrüßte die Gäste und rief zum Networking auf. „Machen wir schon“, kam darauf als muntere Antwort.
Kurz vor Start hatte sich dann der Saal ordentlich gefüllt. Im Lauf des Tages und besonders an den Folgetagen wurde es sogar noch ein wenig voller.
Als fleißige Helfer hinter den Kulissen hatten die Berliner Skeptiker alle Hände voll zu tun.
Die Eröffnung übernahm James Alcock vom CSI.
Den ersten Vortrag hielt Eugenie Scott: „Creationism In and Outside the US“.
Sie sprach über die drei „Säulen der Verleugnung“, namentlich die Verleugnung der Wissenschaft, der Ideologie und der Kultur. Außerdem erklärte sie, wie sehr dezentral das US-Schulsystem aufgebaut ist und den starken Einfluss lokaler Schulbehörden in den ca. 15.000 Schuldistrikten. Ein schöner Satz von ihr zum Fehlen von Fragen zur Evolution in Prüfungsbögen: Was nicht geprüft wird, wird auch nicht gelehrt. Interessant auch ihre Einschätzung, dass die Mormonen nicht gegen die Evolutionslehre eingestellt sind.
Danach berichtete Dittmar Graf von einer Vergleichsstudie zum Thema Evolution zwischen Deutschland und der Türkei.
Überraschenderweise glauben deutlich mehr türkische (ca. 35%) als deutsche (ca. 20%) Studenten daran, dass Wissenschaft wichtig für Lebensstandard, Gesundheit und Wohlstand ist. Geht es den deutschen evtl. zu gut?
Mit dem Verstehen der Evolution taten sich überraschend viele Studenten schwer, selbst die mit Bio als Leistungskurs.
Johan Braeckman ging auf die unterschiedlichen Ansichten zu Evolution und Kreationismus in Europa ein.
Schweden steht an der Spitze der Pro-Evolutionsländer, was zu einem lauten „Go Sweden“ von Martin Rundkvist führte. Der Vortrag sorgte für gute Stimmung und war sehr unterhaltsam. Die Unterschiede zwischen den belgischen und niederländischen Kreationisten wurden angesprochen. Es wurde vor dem Auftauchen einer Arche Noah 2.0 bei der nächsten Olympiade gewarnt. Braeckmans Kommentar zum Bild der riesigen nachgebauten Arche: „Das ist nur der kleine Prototyp. Aktuell wird am Bau in Originalgröße gearbeitet.“
Anila Asghar berichtete von einer großen Studie in vielen islamischen Ländern zum Thema Islam und Evolution.
Die Studie hatte des Öfteren Probleme den Leuten zu erklären, was eine Studie ist und wozu diese Fragebögen dienen. Es herrschte immer wieder Skepsis und einige vermuteten sogar ein geschicktes Ausfragen durch das FBI hinter der Sache. Ihr Einblick in das pakistanische Biologielehrbuch zeigte eine Verquickung der durchaus korrekt dargestellten wissenschaftlichen Sicht mit Versen aus dem Koran, ergänzt durch die Interpretation dieser Verse, um zu zeigen, dass Wissenschaft und Koran zusammenpassen – durchaus spannende Assoziationsübungen. Interessant: In Ägypten sind die Ansichten der Menschen oft deutlich fortschrittlicher als z.B. in Pakistan und Indonesien. Young-Earth-Kreationismus (Erde sei ca. 6.000 Jahre alt) gibt es in islamischen Ländern fast nicht.
Gita Sahgals Vortrag muss wohl als eher sperrig bezeichnet werden.
Keine Ahnung, ob einfach nur die Unterstützung durch Slides oder andere Medien fehlte, oder es am roten Faden oder am Thema selbst lag. Es ging um den Begriff „Arier“, die Herkunft dieser und den aktuellen Missbrauch innerhalb der indischen Bildung durch die Hindus. Anscheinend wird so Mythenbildung und Geschichtsverfälschung betrieben, um andere ethnische Gruppen zu unterdrücken.
Kylie Sturgess brachte dann australisches Skeptikerfeeling mit und zog das „sinkable sloth taking a bath“ der „unsinkable rubber duck“ vor.
Damit bezog sie sich auf Immunisierungsstrategien z.B. in der Pseudowissenschaft, und legte durch den Einbau eines Faultierbildes in ihren Vortrag die Latte für Faultierfan Rebecca Watson etwas höher.
Wer Kylie nicht kennt, kann das auf tokenskeptic.org nachholen und dort z.B. ihren Podcast hören. Sie ging auf diversen pseudowissenschaftlichen Unsinn an australischen Schulen ein, z.B. BrainGym, Mozart für Babys, Dore. In Australien gibt es auch Steiner-Schulen und sogar Maharishi-Schulen. Kylie wiederholte Eugenie Scotts Aufruf, wählen zu gehen und das Feld der Unterrichtsinhalte nicht Pseudowissenschaft und Religion zu überlassen: „Get out and vote for science“.
Zum Abschluss der Vorträge berichtete Samantha Stein auf sympathische Art von ihrer Initiative „Camp Quest UK“.
Sie beklagte, dass in Großbritannien zuviel auswendig gelernt und zu wenig auf das Verstehen abgezielt wird. Camp Quest ist eine Art Ferienlager, um Kindern das Lernen und die Wissenschaft nahezubringen. Anhand einfacher Fragen (Wer schwimmt schneller, Mensch oder Giraffe?) lernen Kinder, wie Wissenschaft funktioniert, Experimente gemacht und Erkenntnisse gesammelt werden. Dabei haben die Kids viel Spaß und finden es einfach selbst heraus. Von den Erwachsenen bekommen sie nur sachte Hilfestellung und Anregungen, was sie machen könnten.
Es wurde sogar eine Studie der Kinder in einem Journal veröffentlicht: Blackawton Bees.
Im Rahmen des Camps besuchen die Kinder natürlich auch mal Wissenschaftler an ihrem Arbeitsplatz. Es ist sehr interessant, wie sich das Bild der Kinder von den Wissenschaftlern dadurch verändert. So ein Besuch wäre sicher auch für einige Erwachsene eine tolle Sache.
Zwischen den Vorträgen gab es immer wieder Gelegenheit zum Austausch mit anderen Skeptikern.
Sogar James Randi war präsent, immer für ein Gespräch zu haben und zeigte ab und an auch ein paar Tricks.
Und auch die Autogrammjäger kamen auf ihre Kosten.
Hier unterschreibt gerade Harriet Hall von www.sciencebasedmedicine.org.
Das besondere Highlight des ersten WSC-Tages war die Verleihung der Reason Awards (CSI) und der Outstanding Skeptics Awards (ECSO). Die Einleitung übernahm Amardeo Sarma.
Ein Reason Award ging an Simon Singh für seinen mutigen Kampf mit der British Chiropractic Association (BCA).
Die Bedeutung dieses Falles für die Rede- und Meinungsfreiheit kann kaum stark genug betont werden. Singh berichtete u.a., dass vor wenigen Tagen Elizabeth II. in ihrer traditionellen „Queen’s Speech“ eine Reform des umstrittenen englischen Verleumdungsgesetzes angekündigt hat.
Er erzählte auch vom britischen „Medium“ Psychic Sally, die den alten Popoff-Trick mit dem In-Ohr-Empfänger nutzt. Außerdem nahm sie durch ihre Kräfte den Kontakt zu einem Toten auf. Zu dumm nur, dass der nie gelebt hat, sondern nur ein fiktiver TV-Seriencharakter war.
Auch Prof. Dr. Edzard Ernst bekam einen „Reason Award“.
Ray Hymans Laudatio begann mit einer Vorstellung, wem hier eigentlich ein Preis verliehen werden soll: 700 Veröffentlichungen zur Alternativmedizin, diverse Ausbildungen auf diesem Gebiet, Arbeit in einem homöopathischen Krankenhaus und und und, bis hin zum Professor dieses Fachgebietes – die Aufzählung wollte fast nicht enden. Aber so ziemlich jeder im Saal wusste, welche Erkenntnisse Edzard Ernst aus all dem gewonnen hat, was die Sache für die Zuhörer spaßig machte. Es machte aber auch klar, dass Ernst nicht irgendwer ist, sondern eine wirkliche Größe des Fachs.
Ernst selbst ging noch einmal auf Simon Singhs Kampf mit der BCA ein und berichtete, wie sein Team unterstützend im Bereich Chiropraktik Studien betrieb. Heraus kamen 23 Papers innerhalb von 5 Jahren, deren Ergebnisse der BCA nicht gefallen haben.
Einer der ECSO-Awards ging an den italienischen Chemiker Luigi Garlaschelli. Dieser wurde zwar als „schüchterner Chemiker“ bezeichnet, hatte aber einen gar nicht schüchternen Vortrag parat. Seine Geschichten und Aktionen waren derart gut und spannend, dass ich komplett vergessen habe, ein Foto zu machen. Es war alles dabei, vom selbstgemachten Turiner Grabtuch, über weinende Statuen, Stigmata (dabei schoss er übers Ziel hinaus und behielt ein paar Narben) bis hin zur Beinahe-Sprengung seines privaten Labors. Dass ihn ein Fakir verklagt hat, passt da prima ins Bild.
Den anderen ECSO-Award erhielt der belgische Medizin-Professor Wim Betz.
Betz zeigte auf, mit welcher Lobbyarbeit sich die Homöopathie im Lauf der Jahre eine Sonderstellung geschaffen hat, warum sie heute keine Wirkungsnachweise bringen muss und sogar Aussagen zu medizinischen Indikationen machen darf.
Die Strategien der CAM-Lobby bestehen u.a. aus Flooding (viele nutzlose Studien; als Beleg werden sogar negative Studien angeführt), Cherry Picking, Ignorieren von Retractions (selbst zurückgezogene Studien werden weiterhin als Argument genutzt) und Datenverzerrung.
Er forderte einen wirksamen Verbraucherschutz auch im Bereich der Pseudomedizin. Dazu hat er begonnen eine internationale Datenbank einzurichten, in der alle Studien zur Homöopathie und vor allem die Bewertungen und Kommentare von Reviewern und Wissenschaftlern zu diesen gesammelt werden. So fällt es zukünftig leichter herauszufinden, wie als Beleg verwendete CAM-Studien zu bewerten sind und welchen Status diese haben.
Betz ging im Weiteren auch auf Kuriositäten wie den Remedy Maker zum Kopieren homöopathischer „Arzneien“ ein. Er verwies dabei auch auf die von den belgischen Skeptikern ausgelobten 10.000 Euro Preisgeld.
Ihr wurdet geentert! (1. Bild, der Herr in der linken, oberen Bildhälfte) 🙂
Besteht denn die Möglichkeit, dass noch weitere (vielleicht sogar alle?) Vorträge auf Youtube oder anderswo eingestellt werden?
Added link to Sahgal’s talk which just became available.
Added video links: Kylie Sturgess, Luigi Garlaschelli, and Wim Betz.