Warum wir Studien brauchen.
“Ihr mit Euren Studien dauernd. Mir hat es geholfen, und das genügt mir.” “Wer heilt, hat recht!” (Das haben wir schon oft erwähnt). Das sind Sätze, die man so in Diskussionen mit Anhängern so genannter alternativer Methoden immer wieder hört. Das klingt erst einmal nach gesundem Menschenverstand, nach etwas, das eigentlich einleuchtet.
Beda Stadler (Prof. und Leiter des Immunologischen Instituts in Bern) meinte einmal, dass die zwei größten Errungenschaften der Medizin im 20. Jahrhundert die Doppelblindstudie und das Impfen gewesen wären. Es erstaunt, dass er die Doppelblindstudie vor das Impfen gesetzt hat. Aber er hat recht.
Man muss aber erst einmal ein Verständnis für die Problematik entwickeln, um das nachzuvollziehen. In der Medizin hat man ein Problem: Der “Versuchsgegenstand” Mensch ist zum einen nicht normiert, und er ändert sich während des Versuches auch noch dauernd. Da haben es die Physiker wesentlich einfacher. Ein Eisenwürfel bleibt ein Eisenwürfel. Auch, wenn man ihn beschimpft oder gegen die Wand knallt. Ein lebender Organismus hingegen reagiert konstant auf Umwelteinflüsse, und vor allem ist er darauf spezialisiert, sich permanent selber zu reparieren.
Es ist enorm schwierig, eine Methode oder Behandlung als wirksam zu beweisen, da man nie weiß, was ohne diese Behandlung geschehen wäre. Klar, es gibt eindeutige Eckpunkte: Kein Mensch wird Zyankali in passender Menge überleben, kein insulinpflichtiger Diabetiker den Entzug des Insulins. Der größte, umstrittenste Teil spielt sich allerdings in der Mitte ab.
Hinzu kommt unser Hirn. Es ist nicht dafür gemacht, die “Wahrheit” zu erkennen, sondern fungiert evolutionär als Überlebensinstrument. Dazu gehört die Selbsttäuschung, das selektive Wahrnehmen inklusive dem Umgekehrten, dem selektiven Wegschauen. Was dem Überleben dient, ist gut, ob nun real falsch oder nicht. Die Natur ist da sehr pragmatisch und kennt keine Ethik oder Moral. Was unser menschliches Hirn auszeichnet, sind im Wesentlichen zwei Dinge: Filtern und Lügen. Klingt nicht gut, ist aber so. Weiter kommt erschwerend hinzu: Was wir persönlich erleben, gewichten wir wesentlich schwerer als die Berichte Anderer. Und unsere Erinnerungen sind auch sehr selektiv, ja oft sogar falsch. Psychologische Untersuchungen z.B. zum “false memory syndrom” haben das eindrücklich belegt.
Speziell im Fall von Krankheit wird alles nochmal schwieriger: Eine ernsthafte Bedrohung unseres Lebens macht unseren Denkapparat nicht nüchterner, sondern im Gegenteil unvernünftiger. Die Beispiele, wie ansonsten vernünftige Menschen in solchen Situationen zu absurdesten Strohhalmen greifen, sind Legion. Dazu sind die Behandler oft empathisch verbandelt, auch diese sind dann nicht mehr sicher fähig, zwischen Wunsch und Wirklichkeit zu unterscheiden.
Wie kommt man nun aus diesem Teufelskreis? Diese Problematik ist ja nicht erst seit gestern bekannt. Kluge Köpfe haben dazu die wissenschaftliche Methode erfunden. Im Bereich der Naturwissenschaften ist das das Experiment: Wir versuchen, eine Idee an der Realität zu messen, sie für andere nachvollziehbar zu machen. Der Physiker macht z.B. Experimente mit seinem Eisenwürfel.
In der Medizin hat man allerdings drei zusätzliche Probleme: Man hat es mit Menschen zu tun, mit denen man nicht einfach experimentieren kann und will (was die Nazis gemacht haben, will wirklich keiner zurück wünschen). Es existiert bei ernsthaften Erkrankungen oft Zeitdruck, man kann nicht unbegrenzt herumprobieren. Und als Drittes sind Menschen verschieden – was beim einen wirkt, muss beim anderen nicht ebenso wirken oder kann nicht akzeptable Nebenwirkungen haben.
Die beste Lösung, hier etwas handfeste Grundlagen für Entscheidungen zu bekommen, sind Studien, wo immer es geht Doppelblind-Studien. Doppelblind, um die Täuschungen auf beiden Seiten zu eliminieren. Solche Studien sind aufwändig, schwierig, und nicht selten auch furchtbar schlecht gemacht. Aber es gibt nichts Besseres. Das ist so ähnlich, wie Churchill sich zur Demokratie geäußert hat: „Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen – abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.“
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