
„Ihre Augen leuchteten wie die Fenster brennender Irrenhäuser.“
(aus Arno Schmidt, Leviathan)
Die Multiple Sklerose ist eine der häufigsten neurologischen Krankheiten in den gemäßigten Klimazonen des Erdballs. Der Median des Erkrankungsalters liegt bei 30 Jahren, und wenn man sie hat, wird man sie nicht mehr los. Viele tausend Forscher beschäftigen sich mit ihr, Milliarden Dollar wurden und werden zu ihrer Erforschung und Bekämpfung aufgewendet. Seit Anfang der 90er Jahre stehen wirksame Immuntherapien zur Verfügung. Inzwischen gibt es eine Fülle an wissenschaftlich abgesicherten Therapieformen, von denen einige, so hofft man, in naher Zukunft in der Lage sein werden, die immer schwelende Krankheitsaktivität vollständig zu unterdrücken. Die Medizin ist hier in schneller Entwicklung; was vor zwei Jahren richtig gewesen ist, hat heute nur noch eingeschränkte Gültigkeit. Es gilt dabei aber: hohe Wirksamkeit bedeutet häufig auch hohes Risiko, und es bleibt eine Herausforderung, für den richtigen Patienten die richtige Therapie zu finden.
Dieses Problem ist gelöst, das Allheilmittel ist gefunden: „Das Coimbra-Protokoll ist sicher eine der sensationellsten medizinischen Entwicklungen in der Medizin überhaupt. Sensationell, weil kaum für möglich gehaltene Therapieerfolge bei MS berichtet werden“, sagt Dr. med. Volker Schmiedel [1]. Das elektrisiert. Vor allem elektrisiert es, weil in der Fachliteratur gar keine Berichte vorliegen. Der Erfinder des „Coimbra-Protokolls“ ist der brasilianische Neurologe Cicero Galli Coimbra, welcher erkannt hat, woran die bisherigen Versuche, die MS mit Vitamin D zu behandeln, gescheitert sind. Sie waren nicht mutig genug, die Patienten mit toxischen Dosen zu behandeln. Placebokontrollierte Studien dazu sind unethisch, sagt er, weil das bedeuten würde, Patienten von vornherein aus seiner über jeden Zweifel erhabenen [2] Therapie auszuschließen, weil sie dann mit einer (tatsächlich stets unwirksamen) Placebotherapie verglichen werden müsste. Er hat recht, aber die Begründung ist falsch: placebokontrollierte Studien sind (inzwischen) unethisch, weil es heute nachgewiesen wirksame Therapien gibt. Mehr…
Nach Diasporal mal wieder so ein richtiges Thema wo verstaubte und verluderte Schulmediziner so richtig voll auf ihre Kosten kommen, die Kasse klingelt und dahergelaufene Quacksalber doof aus der Wäsche gucken. Aber keine Sorge liebe Leser: So schlimm ist es doch nicht.
Seit etwa 2 Jahren macht eine etwa 75 Jahre alte Hypothese zu einer „venösen Multiplen Sklerose“ (MS) bei Multiple-Sklerose-Kranken die Runde. Demnach wäre die Ursache der häufigsten neurologischen Krankheit erkannt: Eine Abflussbehinderung für venöses Blut aus dem Kopfbereich durch angeborene Verengungen oder Verschlüsse bestimmter Venen im Bereich des Halses, genannt Chronische Cerebro-Spinale Venöse Insuffizienz (CCSVI). Nichts gegen Hypothesen, vielleicht ist auch was dran, immerhin sprechen einige Beobachtungen dafür, dass sich bis heute Neurologen auf einem Irrweg befanden, indem sie annahmen, bei der MS handele es sich um eine Autoimmunerkrankung. Aber auf der anderen Seite spricht doch auch sehr viel dafür, dass sie richtig liegen, und die CCSVI vielleicht nur ein unbedeutender Nebenfaktor ist, oder überhaupt kein Zusammenhang besteht.
Aber kommen wir zum Kern der Sache: Primum non nocere ist eine wichtige Regel in der Medizin. Diese knapp 2.000 Jahre alte Regel besagt „zunächst nicht schaden“, will meinen, dass vor Einsatz einer Therapie zwischen Nutzen und möglichem Schaden stets abgewogen werden muss.
Im Zusammenhang mit der CCSVI-Hypothese kann aber beobachtet werden, dass trotz des bislang nicht sicher nachgewiesenen Zusammenhangs zwischen CCSVI und MS (bzw. angesichts der extrem widersprüchlichen Studienlage) an mehreren Kliniken im In- und Ausland „experimentelle“ Ballondilatationen und Stent-Implantationen am Fließband durchgeführt werden (3.000 – 6.000 Euro). Imposanterweise oft „Liberation Treatment“ genannt. Dies, obwohl sich die Befürworter der „venösen MS-Hypothese“ sich noch nicht einmal einig darüber sind, wie die CCSVI zu diagnostizieren ist.
Der Gipfel sind Berichte aus dem Internet über Eingriffe bei Gesunden (also Nicht-MS-Patienten), die sich vorsorglich ihre CCSVI ballonieren lassen, aus Furcht sie könnten eine MS bekommen.
Zur Zeit laufen mehrere Studien, deren Ergebnis wohl 2011 veröffentlicht wird. Schaun mer mal…
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