Ist das der neue Standard?

Die österreichische Medienlandschaft ist ein Trauerspiel. 1988 trat der legendäre Zeitungsgründer Oscar Bronner an, dies zu ändern, um eine „Zeitung für Leser“, ein intelligentes, mündiges Blatt zu gründen. DER STANDARD war geboren.

Entgegen allen Befürchtungen behauptete sich diese Tageszeitung und sorgte tatsächlich für eine Bereicherung nicht nur der ausgehungerten medialen Szene, sondern wohl auch der politischen Kultur. Heute hat sie eine Reichweite von ca. 5%.

Ihren Ansprüchen wird sie durchaus gerecht, wenn da nicht die Abteilung „Gesundheit“ für einen kräftigen Ausreißer in tiefe Schubladen sorgen würde. In mehr oder weniger regelmäßigen Abständen wird unverfrorener Unsinn von sich gegeben, wie man ihn sonst nur aus Boulevardblättchen kennt.

Welche fachliche Qualifikation es erfordert, Mitarbeiter der Gesundheitsredaktion dieser Zeitung zu werden, erschließt sich dem Beobachter nicht, aber selbst einer Absolventin des Institutes für Publizistik sollte das Recherchieren zugemutet werden dürfen. Sollte man meinen.

Statt dessen werden naive Interviews mit Esoterikern geführt oder gar nur Einladungen zu einschlägigen Veranstaltungen gelistet.
Die Redakteurinnen müssten gar nicht weit laufen, hat doch in seltenen Anflügen von Vernunft diese Zeitung selbst vor Monaten James Randi zitiert:
hier und
hier.

Sollte es doch noch skeptische Leser geben; der STANDARD bietet einen kostenlosen Crash-Kurs in Sachen Homöopathie an, verfasst von einer Homöopathin, die auch ganz zufällig in anderen Artikeln dieser Qualitätszeitung aufscheint.

Hat man von diesem Geschwafel genug, ist man urlaubsreif. Doch der STANDARD lässt nicht locker und verfolgt die Leute mit seinen „Gesundheitstipps“ in die entlegensten Winkel unserer Erde.
Ob in der Serengeti, im australischen Outback – weit und breit keine Apotheke? Keine Problem: ein Glaubuli-Proviant hilft uns über die schlimmsten Reisekrankheiten hinweg, weiß unsere schon bekannte Homöopathin.

Aber auch jenen, die es vorziehen, im schönen Alpenland zu urlauben und dort sportlich aktiv sind, kann geholfen werden. Homöopathie bei Sportverletzungen!

Im Bekanntenkreis der Journalistinnen des STANDARD dürften sich aber auch Anhänger der traditionellen Nadelstecher aus dem fernen China befinden, was langwierige Recherchen erspart.
Für jene Unbedarften, die mit Schlagwörtern wie TCM noch nichts anzufangen wissen, vermittelt uns der STANDARD wieder mal einen Vortragstermin.

Danach aber heißt es, das so Erlernte gleich mal anzuwenden. Asthma und Allergien sind bekanntlich weit verbreitet und für viele eine rechte Plage, aber der STANDARD hilft in der Not.

Nicht jeder kann Asthma haben und an einer Allergie leiden, aber müde sind wir doch alle irgendwann einmal und der Magen ist ob Völlerei nur allzu oft überfordert. Unser Dr. Sommer, pardon, der STANDARD, weiß auch hier weiter: ENTGIFTEN! Tiefer gehts nimmer.

Nachdem wir nun alle giftfrei geworden sind, tun wir noch etwas für die Kosmetik: die Haut als Spiegel der Seele.

Als die Treibstoffpreise ungeahnte Höhen erreichten, griff der STANDARD zu: TCM-Körperübungen sorgen für mehr Energie im Alltag. Eine TCM-Expertin erklärte, Meridiane würden für eine fortlaufende Zirkulation der Energie sorgen, Vorsicht aber sei geboten, den unsichtbaren Weg des Qui nicht zu blockieren.

Das alles finden wir in einer Tageszeitung, die ihre Blattlinie folgendermaßen definiert:

„Der STANDARD ist ein liberales Online-Medium. Es ist unabhängig von politischen Parteien, Institutionen und Interessengruppen und wendet sich an alle LeserInnen, die hohe Ansprüche an eine gründliche und umfassende Berichterstattung sowie an eine fundierte, sachgerechte Kommentierung auf den Gebieten von Wirtschaft, Politik, Kultur und Gesellschaft stellen.“

Die Wissenschaft haben sie vergessen.

13 Gedanken zu „Ist das der neue Standard?“

  1. Diese ganze Alternativmedizin- und Placebo-Lobby ist ein Symptom der Wohlstandgesellschaft. "Uns" gehts einfach zu gut, ansonsten würde man keine Kohle für solch einen Unsinn rausschmeissen. Der geistige Zenit in Österreich (und vielen anderen Ländern) ist überschritten. China ist hier z.B weit fortschrittlicher: Wer es sich leisten kann, läßt sich nach wissenschaftlichen Standards (sic!) behandeln. Von wegen TCM und Esoterik…

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  2. Tja der Standard läßt ja auch Impfgegner zu Wort kommen, wie den Homöopathen Dr Hans Loibner, der dort behauptet HP-Viren sind nicht die Ursache des Cervixkarzinoms, sondern es wäre der häufig wechselnde Geschlechtspartner der Frau….Loibners HP hat sich geändert, früher konnte man noch klicken auf "Seiten die mir nahe stehen". Klickte man drauf war man beim Opus dei. Evtl steckt da ein religiös fundamentalistischer Hintergund hinter seiner Meinung.

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  3. @ Godesberg

    Bewiesen nicht: das karthographische Netz ist sowas wie ein Hilfsliniensystem, ein Kunstprodukt, das eher erfunden wurde, als dass es von Natur aus existiert.

    Aber hat dann ein Mensch neben Meridianen auch Breitengrade?

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  4. Jaja die die angeblich so "ganzheitlich" behandeln "behandeln" ausschließlich nach Symptomen.

    Und sie behandeln erfolgreich die "Mexikogrippe" oder auch "Schweinegrippe" genannt: http://bonner-wirtschaftsge

    Zitat: <i>Curt Kösters, Vorsitzender des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) ist sich sicher, das sich diese „Infektionskrankheit sehr gut homöopathisch behandeln lässt. Die Homöopathie hat von ihren Anfängen an immer wieder gerade bei epidemischen Erkrankungen ihre Wirksamkeit unter Beweis stellen können – es gibt keinen Grund, davon auszugehen, dass sich dies nun grundsätzlich anders verhält.“</i>

    Dann kann ja nichts mehr passsieren. Was bin ich erleichtert

    Aber es wird noch besser, ohne Homöopathie hätte es seinerzeit noch wesentlich mehr Tote gegeben:

    <i>Der Hamburger Arzt stützt seine Aussage unter anderem auf dokumentierte Behandlungserfolge etwa bei der Spanischen Grippe von 1918. Während dieser Pandemie starben weltweit bis zu 50 Millionen Menschen, auch in Schweden versuchten Ärzte die Grippe in den Griff zu bekommen. Dr. H. W. Sjögren hat 805 seiner Fälle dokumentiert, die er homöopathisch behandelte, „da die Sterblichkeit bei allopathischer Behandlung abschreckend wirkte.“ Seine Bilanz waren im Krankheitsverlauf ohne Komplikationen „zwei oder drei Todesfälle“, bei auftretender Komplikation mit einer Lungenentzündung lag die Sterblichkeit höher (5 von 47 Erkrankten). (Allgemeine Homöopathische Zeitung, AHZ, 1919, Haug-Verlag).</i>

    Ohne Worte…

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