Der Herr der Schädel

Gestern begann am Landgericht Frankfurt der Strafprozeß gegen Dr. Reiner Protsch von Zieten. Ein Rückblick: Protsch von Zieten war über dreißig Jahre, seit 1973, Leiter des Instituts für Anthropologie der Universität Frankfurt, bis er 2004 wegen Unregelmäßigkeiten suspendiert wurde. In diesen 30 Jahren hatte es, zumindest seit Mitte der 80er Jahre, immer wieder Hinweise gegeben, dass es an dem Institut nicht so ganz mit rechten Dingen zuging. Mitarbeiter wunderten sich über die staubigen, da unbenutzten Apparaturen, andere über Merkwürdigkeiten bei seinen Veröffentlichungen oder die Art und Weise, wie bei ihm promoviert wurde. Insbesondere etwa 80 Zahnärzten verhalf er zur begehrten Urkunde. Auch wenn der eine oder andere etwas geahnt oder sogar gesagt haben mag vor der allgemeinen Aufdeckung, so war Protsch von Zietens Mittel der Wahl immer „Angriff ist die beste Verteidigung“ und er war es gewohnt, damit auch durchzukommen. Fast alle Dekane der Biologie der Zeit, als er tätig war, können ein Liedlein davon singen, wie schnell aus einem Dissens ein aggressiv geführter Disput mit ihm wurde. Nicht wenige gaben nach Auseinandersetzungen mit ihm resigniert auf. So konnten in dem Klima von Einschüchterung der Mitarbeiter, Aufbrausen bei geringster Kritik von Kollegen und dem Umstand, dass der deutsche Professor, wenn er erst mal sitzt, wo er sitzt, kaum weg zu kriegen ist, jahrzehntelang Wissenschaftsbetrug und andere dunkle Machenschaften gedeihen.

Protsch von Zieten hatte schon einmal vor dem heute begonnenen Verfahren Ärger mit der Justiz. Er hatte einen weiteren schmückenden Doktortitel haben wollen und an der Universität Wien war man willens, das, was er als seine eigene Arbeit vorlegte, anzuerkennen. Pech nur, dass er so sicher war, dass der Titel zuerkannt wurde, dass er ihn bereits führte, bevor er erteilt worden war. Einen Strafbefehl von 18.000 DM wollte er nicht hinnehmen, woraufhin der Richter noch einen kleinen Zuschlag auf 27.000 DM verhängte. Wahrscheinlich war Protsch von Zieten in gewohnter Manier aufgetreten und der Richter hatte ihm dann zeigen müssen, dass auch jemand wie er sich an Recht und Gesetz halten muss.

Protsch von Zieten, der von sich selber gerne behauptete, er sei von 11 Doktorvätern betreut worden, darunter 2 Nobelpreisträger, war hinsichtlich der Ausschmückung seiner Person nicht schüchtern. So bezeichnete er sich als „Zehnkämpfer“, prahlte mit körperlicher und angeblicher geistiger Fitness und war doch in seinem eigentlichen Fach so schwach, dass er in den Vorlesungen vielfach grobe Fehler machte. Fehler, die eigentlich keinem Biologen passieren dürften, ja nicht mal einem interessierten Abiturienten. Aber da er ja an der „UCLA“ studiert hatte, wie er immer wieder stolz betonte, schauten wahrscheinlich auch die Kollegen weg. Ob diese Unterlagen von damals jemals jemand wirklich geprüft hat, steht noch heute aus. Jemand, der über Jahrzehnte so dreist und immer wieder neu lügt, hat vielleicht auch schon früher gelogen. Jemand, der, nachdem er eigentlich schon überführt ist, die Markierung aus Schädeln gefräst zu haben und sie als sein Eigentum ausgegeben zu haben, eine – gefälschte – Kaufurkunde an die Staatsanwaltschaft (!) nachlegt, ist einer, der uneinsichtig ist.


Protsch von Zieten ist ein geübter und notorischer Blender. Das fängt schon beim Namen an, den er nicht nur durch Doktortitel, sondern auch durch einen Adelszusatz protschiger, Verzeihung, protziger machen wollte. Während er heute angibt, dies sei ein Titel aus eigener Blutsverwandschaft, behauptete er anfangs, als er den Titel frisch führen durfte, noch, es sei ein Titel aus der Sippe seiner Ehefrau.

So konnte auch heute sein Auftritt als kranker Mann nicht wirklich überzeugen (u.a. deshalb hatte es so lange bis zum Verfahrensbeginn gedauert, die Verteidigung führte dann aber doch nur „hohen Blutdruck“ an, obwohl Protsch von Zieten ostentativ mit Gehstock erschienen war). Er hat zuviel gelogen, zu oft ihm vertrauende oder von ihm abhängige Personen hinters Licht geführt. Auch seine Verteidiger, der Staatsanwalt und das Gericht scheinen teilweise auf seine Masche hereinzufallen. Wie anders ist es zu erklären, dass einer der Verteidiger Protsch von Zietens Taten damit zu entschuldigen sucht, er bzw. „sein“ Institut seien von der Universität ungerecht behandelt worden? Wie ist es zu erklären, dass der Staatsanwalt so intensiv darauf achtet, dass die Folgen für den Täter für den jahrzehntelangen Betrug möglichst gering sind? Dass er strafmildernd den möglichen Verlust der Pension einzubeziehen Willens ist? Wie kann der vorsitzende Richter so rasch einknicken, wenn es um die Öffentlichkeit interessierende Fakten wie die des Wissenschaftsbetrugs geht?

Ein Ladendieb, der etliche Male gestohlen hat, oder ein mehrfacher Kreditkartenbetrüger, die z. B. auch noch im Gegensatz zum Angeklagten wirtschaftliche Not leiden, werden hart bestraft. Er hatte eine gute C4-Stelle inne. Sogar Protsch von Zietens Spielereien wie schnelle Autos oder teure Kleidung für den Stammhalter waren damit mühelos bezahlbar, wenn auch vielleicht nicht die Jugendstilvilla mit Bediensteten in Mainz. Bei einem normalen Täter werden in der Regel auch nicht strafmildernd die Straffolgen auf Ruhegehälter etc. berücksichtigt; es wird davon ausgegangen, dass derjenige die Folgen seiner Tat auch in beruflicher Sicht tragen muss und dies etwas war, was er vor der Tat auch hätte berücksichtigen müssen. Wie kann es sein, dass alle Beteiligten so darauf aus sind, möglichst wenig Staub aufzuwirbeln und so überaus milde mit Protsch von Zieten umgehen?

Der Termin gestern bestand im Wesentlichen aus der Verlesung der Anklageschrift, der Feststellung der Personalien und der Bekanntgabe, es habe Vorgespräche gegeben. Die Absprache bestand in einem Entgegenkommen des Gerichts hinsichtlich der Höhe der Strafe, wenn ein Geständnis erfolge. Konkret: Der „Deal“ war Geständigkeit bei wesentlichen Anklagepunkten gegen milde Strafe. Seine Verteidiger hatten eine Erklärung vorbereitet, in der 10 der 13 Anklagepunkte mühsam eingeräumt werden, zu denen er dann nur noch Zustimmung signalisieren musste. Es war ein geschickter Schachzug der Verteidigung, Protsch von Zieten ausdrücklich dazu zu bringen, so wenig wie möglich zu sagen. Starrsinnig, uneinsichtig und immer von sich selbst überzeugt, hätte er womöglich wieder versucht, auf seine Weise aus der Sache zu kommen. Dass vor Gericht Blenden und Täuschen nicht gut sind, hätte ihn womöglich nicht von einem Versuch abgehalten. Da hätten dann auch seine drei Verteidiger, darunter zwei ortsfremde Spezialisten, wohl keine Milde für ihn aushandeln können. Das „Geständnis“ war im Grunde ein viertklassiges: kein Wort der Reue, keine bekundete Einsicht ins Unrecht, noch nicht mal selbst vorgebracht, sondern von der Verteidigung verlesen. Die Verteidiger waren peinlich darauf bedacht, dass der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses der Universität nicht angehört wird. Es gibt also sicher noch einige Dinge, die noch nicht öffentlich geworden sind, da sogar ein Verteidiger Protsch von Zietens davon sprach, man wolle „doch in diese Niederungen nicht absteigen“. Dies wurde zuungunsten der Öffentlichkeit vom Gericht entschieden, ein weiterer Punktsieg der Verteidigung.

Der HR zum Prozeß

Die Liste der Vorwürfe ist lang. Neben Unterschlagung auch Urkundenfälschung und einiges mehr an Vorbereitungs- und Vertuschungstaten.

Das Verfahren wird Freitag fortgesetzt, u.a. wird dann der psychiatrische Gutachter gehört werden.

Das Gericht war mit nur einer beisitzenden Richterin und dem Vorsitzenden sowie zwei Schöffinnen besetzt. Die Richter und der Staatsanwalt sind relativ jung, es steht zu hoffen, dass sie die Tragweite des Falles begreifen. Fraglich ist auch, ob sie der recht erfahrenen Verteidigung gewachsen sind, denn schon jetzt ist absehbar, dass das Urteil wahrscheinlich wesentlich milder ausfallen wird, als nach der Menge der Taten zu vermuten gewesen wäre.

So viel Milde könnte allenfalls noch angemessen sein, wenn der Angeklagte aufgrund einer krankhaften Persönlichkeitsstruktur nicht anders handeln konnte. Dies wird dann morgen von dem psychiatrischen Gutachter zu betrachten sein. Es könnte sein, wenn die Verteidung auf nur bedingt schuldfähig plädiert, dass dies Protsch von Zietens letzte große Täuschung ist: er hat gut gelebt, nur die Rechnung will er nicht zahlen. Ein reuiger Sünder sieht anders aus.

Editiert 18.06.2009

12 Gedanken zu „Der Herr der Schädel“

  1. Was mich an der Geschichte am meisten ankotzt, ist nicht nur die Art und Weise, wie Her Protsch mit Leuten umgegangen ist, die von ihm abhängig waren. Nein, er hat auch den Pseudwissenschaftlern vom Schlage eines Zillmer eine regelrechte Steilvorlage gegeben. Da kann man sich noch so sehr den Mund fusselig reden. Der Schaden, den Protsch hier angerichtet hat, ist kaum abzusehen.

  2. "…schon jetzt ist absehbar, dass das Urteil wahrscheinlich wesentlich milder ausfallen wird, als nach der Menge der Taten zu vermuten gewesen wäre."

    Naja, wie jemand im verlinkten HR-Bericht erläutert, würde ein nicht so mildes Urteil den Angeklagten ja auch "erheblich beeinträchtigen".

  3. Herr von Zieten war mir kein Begriff bis heute, doch wie bizarr ist seine Geschichte! Absurd, dass er über die vielen Jahre Schaden anrichten konnte. Danke für deinen blog, die kritischen Worte.

  4. Was geht in den queren Köpfen mancher "gefährlicher" Männer vor sich?

    Pinochet stellte sich tot-krank, als es zum Prozess kam. Der des mehrfachen Mordes beschuldigte "Herr Kimmel" – El Capone der Pfalz – plädiert tatsächlich auf "Unschuldig" und jammert der Öffentlichkeit einen vor!

    Wo bleibt die Selbst-Verantwortung, die Ehre?

  5. Frisch aus dem Laborjournalblog, eine Anekdote:
    ______________________________
    "Das LJ-Preisrätsel hat mich wieder an PvZ erinnert und an das,
    was Studenten damals so alles klaglos über sich ergehen ließen. Eine
    Vorlesungs-Reihe begann etwa damit, dass PvZ seinen vollen Namen an die Tafel schrieb:

    Prof.Dr.Dr. Protsch von Zieten, Leutnant der Reserve

    Er verlangte von den Studenten auch, in dieser Vollständigkeit angesprochen zu werden. Dass Professoren häufig etwas exzentrisch sind, lernt man schnell im Studium, aber das Auftreten von PvZ war wohl damals schon eher pathologisch. Trotz allem ein faszinierendes Lehrstück für den Missbrauch autoritärer Strukturen. Ich warte mit Spannung auf den Film zum Fall, vielleicht mit Heiner Lauterbach als PvZ."
    __________________________
    http://www.laborjournal.de/blog/?p=304

  6. Hallo cohen,
    du scheinst RPvZ zu kennen und seine Vorlesungen besucht zu haben. Kennen wir uns? Ich war damals einer der beiden wissenschaftlichen Mitarbeiter, denen RPvZ aufgetragen hatte die Signatur von den Pan-Schädeln und den zugehörigen Karteikarten zu fräsen und gegen sein Kürzel RPvZ zu tauschen. Dass er die einigartige Pan-Sammlung damit als sein Eigentum deklarieren und für 70.000 $ in die USA verkaufen wollte, wusste ich damals noch nicht. Das war 2 Tage, bevor er suspendiert wurde. Meine Frage also nochmals: Kennen wir uns? Warst du einer der letzten wissenschaftl. Mitarbeiter an dem Anthrop. Institut da gewesen?

  7. @Cryss

    Die Anekdote stammt nicht von cohen sondern von „Name der Redaktion bekannt“, der oder die im verlinkten Artikel zitiert wurde.

  8. Oh! Okay. Na dann brauche ich mit einer Antwort von (Name euch bekannt) kaum zu rechnen 🤔…
    Ein schönes Osterfest euch!
    Cryss.

  9. Pingback: Psiram

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