Der Regividerm-Skandal – eine Medienbetrachtung

Fünfte Macht oder Fünfte Kolonne?

Über die rosa Creme „Regividerm“ ist hier und an anderen Stellen in den letzten zwei Wochen viel geschrieben und berichtet worden. Der Film und die bekannte Sendung „hart aber fair“ haben viele Millionen Zuschauer erreicht, die Print-Medien noch mal so viele. Aber es geht nicht nur darum, ob die Creme nun wirkt oder nicht. Die Art und Weise, wie die Inhalte verbreitet wurden, sagt einiges über den Zustand der „Vierten Macht“ aus (die Vorgänge im WDR sollen nachfolgend ausgenommen werden). Es soll nur die Wirkung und die Verbreitung von Inhalten durch andere Medien betrachtet werden.

Zunächst wurde von dem Pressebeauftragten des Herstellers das Internet genutzt, um Selbsthilfe-Verbände auf den bevorstehenden Film aufmerksam zu machen. Auch in den Foren, die manche Organisationen ihren Informationsplattformen angeschlossen haben und die eigentlich dem Austausch der Betroffenen und Mitglieder dienen sollen, wurden Neumitglieder gesehen, die sich eigens zum Zwecke der Bekanntmachung des Films angemeldet zu haben schienen.


Nach der Erstausstrahlung wurde das Thema in den Printmedien aufgegriffen, die zunächst in den meisten Fällen einfach die Darstellung des WDR verbreiteten, hier und da ein wenig ausgeschmückt, um mediale Individualität zu demonstrieren. An der Zielrichtung und der Wahrnehmung änderte sich nichts. Nach der Sendung „hart aber fair“, in der dankenswerterweise sich drei Gäste kritisch geäußert hatten, korrigierte die Mainstream-Presse immer noch nicht ihre Ausrichtung, wenn auch die kritischen Anmerkungen von Beda Stadler z.B. Erwähnung fanden.

Zu dieser Zeit, also drei Tage nach der Erstausstrahlung, waren in den Blogs „Stationäre Aufnahme“, „WeiterGen“ und hier sowie in dem hier zugehörenden Forum und im Ökotest-Forum bereits viele der heute bekannten Umstände zu lesen. Und es wurden fast stündlich mehr. Relativ früh hat ein Redakteur der kleinen Zeitung Mainpost die richtigen Fragen gestellt: „Warum kommt das Mittel so schnell nach dem Fernsehbeitrag auf den Markt? Warum gleichzeitig ein Buch mit der Rezeptur der Salbe? Wie viel Geld sollte für das Patent fließen? Und das alles nur zum Wohle der Patienten?“. Das war am 22.10. Lustigerweise heißt der Redakteur Folker Quack. Ein kritischer Quack, das lässt hoffen… Auch Katrin Blawat von der Süddeutschen, die am 19.10. noch voll des Lobes über den Film war, dem sie eine „gut dokumentierte Recherche und sachlichen Tonfall“ bescheinigt, kommen am 21.10. Zweifel an der Wundercreme. Andere Printmedien haben zum Teil erst am 24.10. erste kritische Beiträge gebracht.

Die Wochenmagazine, die für sich „Fakten, Fakten, Fakten“ oder besondere Gründlichkeit in Anspruch nehmen, haben diese im Fall Regividerm vermissen lassen. So ist im Spiegel-online am 21.10. im Wesentlichen eine etwas ausgeschmückte WDR-Fassung zu lesen, während der Focus am 20.10. gar einen neuen Medizinskandal sieht. Erst am 24.10 sieht der Spiegel Merkwürdigkeiten und der Focus meldet erst am 27.10., dass die Creme erneut überprüft werde. Damit gebührt dem Focus die rote Laterne in dieser Hinsicht, knapp vor dem Schweizer Tagesanzeiger, dessen Wissenschaftsredakteurin Juliane Lutz anscheinend eine Woche in den Bergen war. Was sie aber nicht daran hinderte, denselben Text auch noch bei der Basler Zeitung unterzubringen. Von den deutschen Printmedien war die Sächsische Zeitung hinsichtlich der Ursprungsstory am Langsamsten, da wurde die rührende Geschichte unbeirrt noch am 25.10. verbreitet.

Warum ist einigen, die sich wirklich bemühten, hinter die allzu glatte Fassade des Films zu schauen, gelungen, wozu die Redaktionen vieler Massenmedien nicht in der Lage waren? Das liegt an mehreren Ursachen. Zum einen an der Absendergläubigkeit. Kommt etwas von einem renommierten Absender, einem dem man prinzipiell vertraut, dann wird weniger genau hingeschaut. Der WDR gilt als seriöse Quelle, die beim WDR arbeitenden Journalisten als Profis. Man vertraut darauf, dass recherchiert wurde und darauf, dass das Ergebnis der Recherche kritisch geprüft wurde und journalistischen Grundsätzen genügt. Man glaubt auch zunächst einmal an die Ehrlichkeit der Kollegen. Zum anderen an einer Grundhaltung, die, sofern es nur gegen den „richtigen“ Gegner geht, offenkundig auch Teile eines journalistisch geschulten Verstandes einfach ausschaltet. „Pharma-bashing“ ist en vogue bei Vielen. Bei einem Nicht-Journalisten würde man so etwas selektive Wahrnehmung aufgrund von Vorurteilen nennen, die auch noch in die Fehlwahrnehmung mündet, selber besonders kritisch zu sein. Drittens ist auch unter Journalisten der Glaube weit verbreitet, „natürlich“ sei per se besonders mild und nebenwirkungsarm. Diesem Glauben kam Martens Beitrag entgegen. Man könnte auch sagen, er nutzt gängige Klischees. Zum Vierten sind viele Wissenschafts- oder Gesundheitsredaktionen mittlerweile nicht mehr mit naturwissenschaftlich geschulten Journalisten besetzt oder man arbeitet ganz mit Lohnschreibern. Da zählt Schnelligkeit mehr als Recherche, etwas, von dem angenommen wird, dass es die Leser interessiert mehr als etwas, das langweilig klingt. Da verkauft sich anscheinend der 524. Artikel zu „Homöopathie wirkt. Ganz sicher. Großes Indianerehrenwort.“ wie geschnitten Brot im Vergleich zu „Firma X bringt ein neues Mittel auf den Markt, das am GABA-Rezeptor ansetzt“. Nicht umsonst werden oft genug Beiträge in den Zeitungen abgedruckt, die Außenseitermethoden hofieren: So wird Unsinn durch gefühltes Interesse des Lesers zum Mainstream, aus Mainstream Engramme.

Ein erstes Beispiel für diesen Mechanismus gibt es für Regividerm auch schon: Der Tagesspiegel überschreibt am 3.11. einen Artikel mit „Neurodermitis-Kranke hoffen auf neue Salbe“. Auf eine Auseinandersetzung mit den zu Tage getretenen Widersprüchen, dem Medienskandal wird völlig verzichtet. Der Autor schreibt, als habe es keinerlei neue Informationen gegeben und interviewt nur ein wenig herum. Da wird lieber an die Schmierenkomödie noch ein Akt drangehängt, weil das Publikum „Zugabe“ ruft, als mal richtig journalistisch tätig zu sein.

Das Internet hat nun einiges verändert; musste man früher darauf hoffen, dass ein Leserbrief auch veröffentlicht wurde, kann man dies heutzutage einfach und komfortabel selber in die Hand nehmen. Nicht nur dies. Man konnte als einzelner Mensch kaum alle Zeitungen anschreiben, die eine Fehlmeldung verbreiteten. Beschwerden hinsichtlich wahrheitswidriger Fernsehsendungen gar erzielten meistens keinerlei Breitenwirkung; man musste froh sein, wenn man überhaupt eine Rückmeldung erhielt. Stellt man nun seine Meinung nicht gerade im Berufsforum der Hundefriseure zur Diskussion, kann man immer eine gewisse Breitenwirkung erzielen.

Sicher gibt es auch die Kehrseite: Seiten, auf denen systematisch die Unwahrheit erzählt wird, auf denen sich Menschen zusammenfinden, die keinen Bezug zur Wirklichkeit mehr haben, aber sich gegenseitig über 500 km hinweg auf die Schulter klopfen für die geteilte Wahrnehmungsverzerrung. Nicht zu vergessen Seiten, auf denen versucht wird, genügend kritische Masse zusammen zu bekommen, um bizarren Einfluss auf das Gemeinwesen zu nehmen oder gleich ganz Umstürzlerisches zu organisieren. Ja, es gibt nicht wenige „Fünfte Kolonnen“ im Internet.

Interessant ist auch, wie in der Wikipedia, z.B. hier versucht wurde, immer wieder Hinweise auf Regividerm unterzubringen. Dies führte zu einem regelrechten „edit-war“, also schreiben, löschen, schreiben, löschen jeweils der eigenen oder fremden Argumente. Empfehlenswert ist die Diskussion dazu, in der Befürworter und Gegner der Creme die verfügbaren Fakten vorwärts und rückwärts deklinieren.

Im vorliegenden Fall hat sich das Internet jedoch durch die Kraft der Argumente als „Fünfte Macht“ gezeigt, die der „Vierten Macht“ zum Wohle der Zuschauer und Kranken nachhalf und auch den Finger dorthin wies, wohin man sich – aus Absendergläubigkeit, weil der Gegner gefühlt der richtige war, oder aus Kollegensolidarität – nicht selber wenden mochte oder konnte.

„Fünfte Macht“ oder „Fünfte Kolonne“?
Beides.

20 Gedanken zu „Der Regividerm-Skandal – eine Medienbetrachtung“

  1. Der Markt will bedient werden. Meiner Meinung nach wird deswegen auch zu viel und zu schnell nach Pillen gegriffen. Auch der Zeitraum ist viel zu lang. Bei Publikationen bei Selbsthilfegruppen lohnt es sich im übrigen auch mal genauer hinzuschauen. Wirkliche Unabhängigkeit gibt es leider nicht.

  2. Das Problem an der ganzen Sache ist doch, dass ALLE Medien, die darüber berichteten und sogar vom Skandal sprachen, große Werbeprämien von der Pharmaindustrie erhalten . Das Fernsehen wie die Zeitungen. Wenn ich also die Geschichte um diese Wundercreme so in den Vordergrund stelle und gleichzeitig die böse Pharmamafia beschuldige und beschimpfe, ist die Gefahr groß, dauerhaft einen zahlungswilligen und zahlungsfähigen Werbepartner zu verlieren.

    Und das in schlechten Zeiten wie heute.

    Dann ist es doch besser, dass die Creme doch nicht so gut ist, vielleicht sogar ein Fake, und die üblichen Produkte doch weiterhin empfohlen werden. Nur der Chef von Merck Darmstadt, der bemüht sich noch immer, die Paste für seinen Sohn zu bekommen 😉

  3. Der kritische Artikel bei der Main-Post hat übrigens einen Kommentar, in welchem dem Herrn Quack Unwissenheit vorgeworfen wird. Ich denke, der Kommentar bestätigt EsoBlogs Vermutung, warum nicht nachgefragt wurde, ganz gut.

  4. Der "der Chef von Merck Darmstadt" muss ganz schön doof sein, wenn er sich noch immer "bemüht", "die Paste für seinen Sohn zu bekommen". Jeder Apotheker kann sie ihm jederzeit anrühren. Und wenn er "der Chef von Merck Darmstadt" ist, kann er sich das bestimmt auch leisten.

  5. @ von der Laien:

    W.K. ist nicht der "Chef von Merck Darmstadt" gewesen, sondern "Manager Business Development". Er ist jetzt bei Biotest wohl im Personalwesen. Das ist wohl ein BWler, kein Naturwissenschaftler oder Mediziner, nur zu Klärung.

    Ansonsten:
    Ist das jetzt eine Meta-Verschwörungstheorie? Da muss man erst mal mitkommen. WEIA.

  6. @ Sebastian Bach:

    Ach, das kannte ich auch noch nicht. Wer sagt solches? 😉

    Die Lobbyisten, so dachte ich, seien doch entweder in den entsprechenden Positionen (Politik, Presse) oder laufen durch die Hallen, um Leute, die "drin" sind, anzusprechen. Wirklich getrennt – das kam mir nicht so vor.

    Wieder was gelernt. 😉

  7. Ich finde das war ein Super Marketing-Coup der Firma. Die verkaufen das jetzt um so besser. Zwar kann die Salbe theoretisch von jedem Apotheker zusammen gemixt werden, aber kaum zu dem Preis, wie die Salbe jetzt verkauft wird. Hier wurde dieser Mediencoup auch mal von einer Apotheke zusammengefasst: http://www.mycare.de/glossa
    Ich habe aber auch schon von einigen die die Salbe genommen haben gehört, dass sie nach anfänglichen Problemen tatsächlich Verbesserungen feststellen. Wenn dem so ist, ist es dann nicht egal, ob es ein Medienskandal war oder nicht?

  8. @Henry: Quacksalber dieser Art suchen sich immer passende Erkrankungen aus. Neurodermitis ist diesbezüglich eine ideale Erkrankung: Sie ist für Betroffene extrem schlimm (man sucht verzweifelt nach Hilfe), trotzdem stirb keiner daran. Sie verläuft in Schüben, d.h. man kann vom Vollmond bis zum Gesundbeten alles irgendwie korrelieren und das als Ursache verkaufen, und sie verschwindet bei den Meisten irgendwann. Eine bessere Spielwiese für Quacks gibt es nicht. Entsprechend wird abgegriffen. Quacks sind ja nicht blöd, sie haben jahrhunderte lange Erfahrung, aus dem Leid Anderer für sich Kohle zu scheffeln.

  9. Selbstverständlich funktioniert diese Salbe. Ich selbst habe sie mir und einem Bekannten in der Apotheke mischen lassen. Bei uns beiden ist eine Verbesserung der Betroffenen Stellen eingetreten! Innerhalb kürzester Zeit. Also einfach mal halb so scharf schießen, wenn man es selbst nicht getestet hat und auch nicht betroffen ist!!!

  10. @Consolas

    Es ist seit langem bekannt, dass gerade bei der Psoriasis psychosomatische Faktoren eine starke Rolle spielen. Das entwertet nicht Deinen Bericht, aber es ist eben nicht klar, ob die Verbesserung:

    1) Wegen
    2) Troz
    oder
    3) Unabhaenig von

    der Salbe aufgetreten ist oder ob es auch jede andere rosa Salbe getan haette. Deshalb ist gerade bei einer Krankheit der Schuppenflechte der Doppelblindversuch so wichtig, um eben diese Faktoren weitgehend auszuschliessen.

    Ich weiss wovon ich hier rede: Teersalbe beleitete mich meine Jugend ueber …

  11. @Consoloas: Bitte, bitte, Kopf einschalten. NIEMAND behauptet, dass diese Salbe keinen Effekt hätte. Sie wird wohl mit ihrer Ölbasis durchaus lindernd wirken können. Aber das können dutzende andere Produkte auch.
    Worum es hier geht ist, dass hier anscheinend unhaltbare Heilsversprechungen gemacht wurden unter dem Deckmantel des Pharmabashings und dazu eine skandalöse Schleichwerbung.

    Bitte einfach unsere Dokumentation lesen:
    https://www.psiram.com/index.p

  12. .. und deshalb sollen wir die Cortison-Salben der Pharma verwenden? Ich gebe dir recht, beide Mittel bekämpfen nicht die Ursache. Aber hier geht es ja auch nur um die symptomatische Linderung. Und hierbei ist es ganz bestimmt besser, Alternativen zu Cortison in Erwägung zu ziehen! Wenn’s hilft – klasse. Was wollen wir mehr? Wer die Ursachen bekämpfen möchte, muss sowieso woanders angreifen.

  13. Du "sollst" gar nichts.
    Wir bieten Dir Informationen an und damit hat es sich. Mach doch, was Du willst.
    Es ist DEINE Haut und DEIN Geld.

  14. @Consolas
    Nein, Du kannst auch die Avocado-Salbe der… ja… äh… naja… auch wieder Pharma verwenden. Das sind nunmal die Firmen die Salben herstellen. Auch diese.

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