Die Philosophie von Mario Bunge – eine Lesereise

Gewiss scheint es so, dass man ebensoviel und (vielleicht) mehr seelische Stärke und Standhaftigkeit braucht, um die Furcht vor Gott und den Glauben an ihn zurückzuweisen und entschlossen von sich abzustreifen, als um treu und beständig an ihm festzuhalten. Pierre Charron (1541-1603) Zweitens ist der Materialismus nichts für schwache Gemüter Bunge/Mahner, Über die Natur der … Weiterlesen

Lesereise 1: Das Problem

Teil 1 unserer Serie zur Philosophie Bunges

Karl Popper schreibt 1982 an Hans Albert [2]:

Andererseits fürchte ich mich davor, einfachen gläubigen Menschen (ich meine nicht Theologen(!!)) ihren Glauben zu nehmen. Was wissen wir denn über diese Dinge? Nichts. Es ist richtig, dass es keine Auferstehung gibt. Aber es ist auch richtig, dass sich die Physik der Materie, sogar in den letzten 25 Jahren, grundlegend geändert hat: wir wissen nichts, sogar über die Materie, als dass sie ganz anders sein muss als zur Zeit Einsteins, Heisenbergs, Bohrs, Schrödingers. Und die Kosmologie steht auch vor Rätseln.

Selig sind, die da arm sind im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich. Mit Verlaub: Hier scheint mir der große Philosoph doch ein wenig schief gewickelt. Er wird den „einfachen Leuten“ ihren Glauben ohnehin nicht so einfach nehmen können – gegen Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens. Fürchten muss er sich; aber davor, dass sie ihm das Haus anzünden. Außerdem: Wer schlicht ist, der ist auch manipulierbar, und: Soll das so bleiben? Weil wir nichts über die Materie wissen? Und ist es deshalb geboten, den einfachen gläubigen Menschen ihren Glauben nicht zu nehmen? Die einfachen gläubigen Menschen könnten mit ihrem Glauben Recht haben (wenn auch nicht die intellektuellen Winkeladvokaten des Glaubens, die Theologen)?

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Lesereise 2: Konkretes und Abstraktes (Ontologie)

Teil 2 unserer Serie zur Philosophie Bunges

Wenn es eine Idee gibt, die Bunges Philosophie zugrunde liegt, dann ist es wahrscheinlich diese: Man muss streng unterscheiden zwischen einer faktischen Existenz und einer konzeptuellen Existenz. Diese Unterscheidung durchzieht die gesamte Ontologie Bunges (Lehre vom Sein) und seine gesamte Erkenntnistheorie. Ich kenne keinen Philosophen, der da auch nur annähernd so konsequent ist. An keiner Stelle lässt er offen, ob er „von der Welt da draußen“ spricht oder von der Vorstellung, die wir uns von ihr machen. Ein Objekt kann entweder materiell oder konzeptuell sein, aber nicht beides zugleich. Ein materielles Objekt, d. h. ein real existierendes, hat einen Zustandsraum, d. h. es kann sich verändern; ein Konstrukt, d. h. ein konzeptuelles Objekt hingegen hat keinen Zustandsraum – es kann sich also strenggenommen weder verändern noch nicht verändern: „der Zustandsraum eines abstrakten Objektes [ist] leer“ [9]. Ein Konstrukt ist eine von ihrer Entstehung (Ideation) und ihrer Kommunikation abstrahierte Idee/Theorie [10], es ist eine Äquivalenzklasse von Gedanken (d.h. Hirnprozessen eines bestimmten Typs) [11], mithin nicht die individuelle, je einzigartige, reale Tätigkeit des einzelnen Gehirns. Konstrukte haben kein Eigenleben, nur konkrete Hirntätigkeit kann sie ‚verändern‘. Wenn alle Gehirne aufgehört haben zu existieren, dann gibt es auch keine Gedanken mehr, und aus Büchern und CDs werden tote Gegenstände ohne Bedeutung – die Poppersche Welt 3 hat ihr Ende gefunden.

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Lesereise 3: Über die Natur der Dinge

Teil 3 unserer Serie zur Philosophie Bunges

Eine kurze Bemerkung auch zu diesem Buch, das er gemeinsam mit Martin Mahner verfasst hat. Es komprimiert die Philosophie Bunges auf 240 Seiten und ist damit streckenweise ein wenig spröde. Es ist eine No-Nonsense-Philosophie. Eine thesenartige Verknappung, unter Hintansetzung von Kontext, Beispielen oder ausführlicherer Herleitung ist unvermeidlich. Dennoch: Nicht abschrecken lassen! Die Mühe wird belohnt. An dieser Stelle eine ausdrückliche Verbeugung auch vor Martin Mahner: Sein Beitrag kann von außen nur schlecht abgeschätzt werden, zu sehr sind die Inhalte aus einem Guss. Wenn hier von „Bunge“ die Rede ist, sei er immer mitgemeint, sofern auf die gemeinsam verfassten Werke Bezug genommen wird.

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Lesereise 4: Wahrheit (Semantik, Erkenntnistheorie)

Teil 4 unserer Serie zur Philosophie Bunges

Intuitiv ist Wahrheit die Übereinstimmung mit der Realität, aber natürlich wird diese schlichte, „naive“, Korrespondenz verdächtig, wenn die Realität als solche zweifelhaft oder zumindest der mangelhaften Erkennbarkeit verdächtig wird. Verbunden, aber nicht identisch mit der Frage, was die Wahrheit ist, ist die Frage, woran man sie erkennt – ihr Kriterium.

Für den Mönch Vinzenz von Lerins (um 450) war die Wahrheit das, was immer und überall und von allen geglaubt wird, womit sie mit der katholischen Wahrheit zusammenfiel. Descartes hielt dafür, dass wahr ist, was klar und deutlich ist – aber der Skeptiker Bayle fragt, wie es denn um diese Klarheit bestellt ist, wenn Christen ihre Konfession wechseln. Gottscheds empörte Widerlegung besteht darin zu behaupten, dass diejenigen, die sich unsicher seien, nur nicht richtig durchblicken würden, und:

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Lesereise 5: Religion

Teil 5 unserer Serie zur Philosophie Bunges

„Verbindung von Religion und Ethik“

Nach dem Vorgesagten wird man von Bunge keine Verteidigung der Religion erwarten, und darin wird man nicht enttäuscht. Manche Gedanken sind natürlich mehr oder weniger atheistisches Gemeingut, aber dennoch hat er Bleibendes zu sagen. Ein kurzer Abriss findet sich bereits in Treatise (Vol. 6, eingeordnet ins Kapitel 14, „Kinds of Knowledge“, Abschnitt 4, „Illusionary Knowledge“, Unterabschnitt 4.2., „Ideology“). Ausführlicher ist das Kapitel 6, „Materialismus, Wissenschaft und Religion“ in der Natur der Dinge. Der „populäre Irrtum“ einer Verbindung zwischen Religion und Ethik, dieser zentrale Punkt der heutigen Gottesbeweise, wird in Abschnitt 5.5 regelrecht zertrümmert. Auf gedrängtem Raum kommen Bunge/Mahner fast ohne Beispiele aus; sie argumentieren nahezu ausschließlich aus der inneren Widersprüchlichkeit der „gottgegebenen“ Ethik heraus. Sie scheitert als Gottesgebot:

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Lesereise 6: Wissenschaftlichkeit und Philosophie, Szientismus

Teil 6 unserer Serie zur Philosophie Bunges

Die Kritik Bunges an der vorherrschenden Philosophie ist scharf; kein Wunder, dass er nicht gemocht wird. Der intellektuelle Mob bekundet seine Abneigung hemmungslos: Eine Rezension bei Amazon von Über die Natur der Dinge spricht vom „kaum zu überbietenden Blödsinn“ und empfiehlt „jedem Leser, den Brennwert dieses Buches empirisch zu ermitteln“. – Da kommen einem die öffentlichen Auftritte von Trump-Anhängern (einfachen, gläubigen Menschen) in den USA in den Sinn, die ihre Nike-Sportschuhe verbrannt haben, weil die Firma einen Werbespot mit dem von Trump als Hurensohn titulierten Football-Spieler Colin Kaepernick geschaltet hatte.

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