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Schrödingers Ratte, oder wie uns Worte täuschen

5. November 2010 21 Kommentare

Das Gedankenexperiment von Erwin Schrödinger, bekannt als „Schrödingers Katze„, werden die meisten unserer Leser kennen. Eine bemerkenswerte Frage ist, warum er eigentlich eine Katze dafür genommen hat. Warum keine Ratte oder eine lästige Fliege? Ratten sind natürlich mindestens genauso spannende Tiere, aber seit der Pest mit eher schlechtem Renommee behaftet. Fliegen nerven einfach. Zufall? Womöglich, aber Schrödinger hat das wohl intuitiv richtig gemacht: Ein Experiment, bei dem eine emotionale Anteilnahme mit ausgelöst wird, veranlasst Menschen, näher und genauer darüber nachzudenken, selbst wenn es nur ein gedankliches ist.

Das führt zu etwas, worüber sich nachzudenken lohnt: Wie sehr sind wir von etwas beeinflusst, was man schnodderig “Wortmagie” nennen könnte? Der Begriff „Antibiotika“ ist ein schönes Beispiel. “Gegen das Leben”. Ist natürlich Unsinn, Antibiotika richten sich gezielt gegen das Leben bestimmter Bakterien, denen unser Leben wiederum ziemlich egal ist. Marketingtechnisch muss man zugeben: Das ist ein sehr schlechter Name für eine Medikamentengruppe, die wie wohl keine andere so viele Menschenleben gerettet hat.

Findige Werbestrategen kennen solche wortmagischen Begriffe natürlich schon lange. Folgerichtig entstanden solche Ausdrücke wie Pro-Biotika. Die bewirken zwar nichts Wesentliches, außer sich nach links oder rechts zu drehen, womöglich die Verdauung etwas anzuregen, aber es klingt einfach super. Die zweite Frage, für welches Leben eigentlich, also unseres oder das der Bakterien, soweit fragt man ja gemeinhin nicht.

Euphemismen (“Schönreden”) oder ihr Gegenteil, Dysphemismen, sind allgegenwärtig, von Armut als “wirtschaftlich schwach” oder von einer lebensrettenden medizinischen Versorgung als “Apparatemedizin” oder “Giftcocktails” zu reden.

Die alternativ”medizinische” Esoterikfront betreibt das besonders intensiv. Vermutlich, weil es an anderen, konkreten Argumenten mangelt. Und typischerweise die meisten dem Fehlschluss anhängen, wenn das andere schlecht geredet wird, muss das eigene gut sein.

Welch schlimme kognitive Dissonanzen man mit dieser Denkweise erleiden kann, zeigt das Beispiel MMS. Zusammengefasst kann man sagen, dass die Anwender meist völlig für “Natur” und gegen schlimme “Chemie” sind, chloriertes Wasser in Schwimmbädern ablehnen ebenso wie Antibiotika – ein ursprünglich reines Naturprodukt – , aber dann den mehr oder weniger verdünnten ätzenden Klo- und Rohrreiniger in sich reinschütten, weil der Erfinder Jim Humble ja ein Guter sein muss, da er von Medizin bzw. Biochemie so gut wie keine Ahnung hat. Also nicht der weltweiten Verschwörung von Gesundheitsbehörden und -ämtern angehört, die sagen: Abflussreiniger trinken ist nicht gesund.

Wie man sich die Welt je nach Bedarf per Wortmagie schön oder schlecht redet – dafür gibt es tausende Beispiele.

Ein sehr prominentes ist die Homöopathie, hier hat man es geschafft, den verunglimpfenden Begriff “Schulmedizin” (Medizin wird nicht an Schulen gelehrt) sogar zum Wortschatz studierter Mediziner zu machen inklusive dem damit einhergehenden, unterschwelligen Hamlet-Argument: Es gibt mehr zwischen Himmel und Erde …

Und bevor wieder jemand fragt, wozu dieser Beitrag gut sei: Nein, es ist nichts Neues und altbekannt. Aber es ist nützlich, wenn man sich ab und an dessen deutlich bewusst wird. Man fällt immer wieder viel zu leicht auf Wortmagie herein.

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