Wenn Impfgegner eine Krankenkasse gründen wollen, oder: Magstadt? Where the F**k is Magstadt? (Teil 1)

KK-Serie

Wie konnten wir sie nur so lange übersehen? Seit bald zwanzig Jahren spielen Teile unserer Klientel „Krankenkasse“, trotzdem wurden die „Solidargemeinschaften“ bislang noch mit keinem Wort im Blog erwähnt. Glücklicherweise hat sich mit labude. eine Leserin unseres Blogs bereit erklärt, diese Lücke zu schließen. Damit beginnen wir eine Reihe zu den „besseren, weil ganzheitlichen“ Krankenkassen, hochpopulär in den Dunstkreisen von Anthroposophen. Wir wollten sachlich und neutral, labude. wollte poltern. Das habe die Krankenkassen-Mafia, die diesen Spaß finanziert, beim letzten Bilderberger zur Auflage gemacht, sagt sie.


 

Ich hab‘ nichts gegen Waldorf-Erziehung. Ein paar meiner besten Freunde waren auf Waldorf-Schulen. In den 1980er Jahren. Ihre Schilderungen von Familientreffen sind zum Schreien komisch. Während ich meinen Eltern immer noch nicht ganz verziehen habe, dass sie mir mit 16 noch nicht mal ein ganz winzigkleines Piercing (das wäre wirklich kaum aufgefallen!) in der Augenbraue erlaubten, werfen die ihren Eltern vor, dass sie ohne Abitur und Englisch-Kenntnisse kaum eine Chance auf einen interessanten, lebensunterhaltssichernden Job hatten. Aber dafür eine Menge selbstgeflochtener Körbe. Ich hab‘ mir das Piercing dann mit 18 stechen lassen – und es mit 18 1/2 wieder rausgenommen, es sah wirklich ein bisschen doof aus. Meine Freunde mussten das Abitur nachmachen, mit Mitte 20, neben einem Beruf, den sie gehasst haben, und wurden in ihrer persönlichen Lebensplanung um Jahre zurück geworfen.

Worüber in der Aksaha-Chronik nichts steht

Mittlerweile ist es einfacher geworden, nach einer Waldorf-Schule auch eine Hochschulzugangsberechtigung zu erwerben, nur rechnen können die Waldorf-Kinder von damals offensichtlich immer noch nicht. Die Sache mit den Zahlen und den exakten Ergebnissen, so ganz ohne Entfaltungsspielräume für die Temperamente, ist vermutlich einfach so gar nicht „Waldorf“. Mit Wasserfarben malen und mit Holz arbeiten kann man da auch nicht so richtig. Aber: In der diversifizierten Arbeitswelt von heute kann jeder seine Nische finden und dass ein nicht unbeträchtlicher Anteil der erwachsenen Bundesbürger knapp am mathematischen Nixblickertum vorbeischrappt, wäre auch gar nicht so schlimm, wenn die nicht ständig Dinge machen würden, die zumindest elementares mathematisches Verständnis voraussetzen. Die Wahrscheinlichkeit eines Impfschadens nach einer MMR-Impfung gegen die Wahrscheinlichkeit einer subakuten sklerosierenden Enzephalitis nach einer Masern-Erkrankung abwägen, zum Beispiel. Oder eine Versicherung, speziell eine Krankenversicherung, gründen.

Bull und Shit, könnte der geneigte Leser jetzt denken, warum sollten die notorisch Fakten-feindlichen Personenkreise, die das Psiram-Wiki bevölkern, denn Versicherungen gründen? Wir Deutschen haben die Gesetzliche Krankenversicherung erfunden, was soll man da denn noch besser machen? Über 72 Millionen Bundesbürger sind gesetzlich versichert, 85% davon sind dazu sowieso verpflichtet. Wir gehen zum Arzt, reichen’s Kärtchen über’n Tresen, jammern ein bisschen über die halbe Stunde Wartezeit, aber dann kommt der Onkel Doktor und nimmt sich so um die acht Minuten Zeit (PDF) für uns. Dafür zahlen wir pro Monat im Schnitt 15,5% vom beitragspflichtigen Brutto-Arbeitsentgelt, ganz bequem, macht der Arbeitgeber. Das reicht, um unseren Blutdruck um exakt 17 mmHg (geschätzt) in die Höhe zu treiben. Denn diese Beiträge bekommen wir doch nie im Leben wieder rein, wo wir uns doch immer vernünftig ernähren, ausreichend bewegen und sowieso gut auf uns achten. Kosten verursachen immer nur die anderen, also die, die ihren Kindern Mezzo-Mix ins Fläschchen tun, statt die empfohlenen drei bis vier Jahre voll zu stillen (Merke: Wenn es alt genug ist, um „Will Titti!“ zu sagen, ist es höchste Zeit, mit dem Stillen aufzuhören.).

Und weil es doch total gemein ist, für andere, im schlimmsten Fall auch noch kranke Menschen zahlen zu müssen, wenn man selbst im Besitz der alleinseligmachenden, unumstößlichen Wahrheit zur Krankheitsgenese ist (Krankheiten gibt es nicht. Können mit Zuckerkügelchen geheilt werden. Sind auch alle immer nur psychosomatisch.), dachten sich anthroposophische und anderweitig rational inhibierte Kreise in Freiburg, Heidelberg, Bremen und Magstadt (Where the F**k???), sie könnten es besser und gründeten „Solidargemeinschaften“ als bessere, weil „ganzheitliche“ Krankenkassen.

Zieh‘ Leine, Bismarck, da zeigt dir mal jemand, wie’s richtig geht!

Im Moment stellt sich der Gesetzgeber leider noch quer, mit so Scheinargumenten wie „Versicherungspflicht“ und „Solidaritätsprinzip“ und so, und erlaubt die „Unterstützungseinrichtungen“ und „Gesundheitsfonds“ höchstens als Alternative zur PKV oder zur freiwilligen GKV, aber steter Tropfen höhlt den Stein. Das Konzept ist so gut, dass es nur eine Frage der Zeit sein kann, bis ein Politiker der Grünen einen hellen Moment hat. Sogar unser aller Oberster Souverän, seine Majestät Peter der I. von und zu Wittenberg, hat mit der „NeuDeutschen Gesundheitskasse“ hier ein Betätigungsfeld gefunden, das von jedem denkenden Menschen eigentlich als kritisches Signal im Hinblick auf die Tragfähigkeit des Konzepts gedeutet werden könnte. Aber, Cave: Von jedem denkenden Menschen.

Denn was genau machen die „Solidargemeinschaften“ jetzt wirklich besser als die schnöde AOK von nebenan? Also zunächst einmal sind sie „ganzheitlich“. Und dann sind sie „dezentral“. „Transparent“ sowieso. Und „subsidiär“. Aber trotzdem auch irgendwie „solidarisch“. Und sie bezahlen Heilpraktiker. Wenn sie überhaupt zahlen. Denn die Solidargemeinschaften sind vor allem eines: „freiwillig“. Das klingt bei einer Krankenkasse erst mal ganz toll, denn „freiwillig“ ist gut. „Freiwillig“ ist „selbstbestimmt“. Ich finde „freiwillig“ eigentlich immer toll. Z.B. würde ich auch viel lieber meine GEZ-Beiträge „freiwillig“ zahlen. Nun gut, wahrscheinlich würde ich sie dann gar nicht zahlen, aber das wäre dann eben auch „freiwillig“.

Die „Solidargemeinschaften“ entmündigen ihre Mitglieder nicht, sondern bauen darauf, dass diese sich engagieren, für sich selbst und in der Gruppe. Dafür gibt es in den gesetzlichen Krankenkassen die Sozialwahlen, aber wer wird denn auch so niggelich sein und darauf hinweisen, dass echtes bürgerschaftliches Engagement oft beschwerlich ist und nicht ganz so kommod wie die Treffen beim Henner, dem Leiter der Artabana-Ortsgruppe „Wherethef**khausen“, am Esstisch aus Buchenholz?

Aber kann es funktionieren? Mal so ganz realistisch betrachtet? So ganz ohne Flötenklänge und eurythmisches Geflatter? Nö. Kann es nicht. Das macht wahrscheinlich nichts, denn die Beteiligten haben viel zu viel Spaß, mit den Nachbarskindern „bessere, weil ganzheitliche Krankenkasse“ zu spielen. So wie früher „Kaufmannsladen“, jetzt halt nur mit Entscheidungen über den Wert der Stoßwellenlithotripsie bei Harnsteinen oder die ambulante Durchführung von Apheresen als extrakorporales Hämotherapieverfahren (PDF). Wobei es an dem Buchenholz-Tisch vom Henner doch wohl eher um Misteln, Terlusollogie und Hopi-Kerzen geht.

Nächste Woche geht es weiter mit Teil 2: Das „Konzept“ in ihren eigenen Worten – die Satzungen der Solidargemeinschaften

 

8 Gedanken zu „Wenn Impfgegner eine Krankenkasse gründen wollen, oder: Magstadt? Where the F**k is Magstadt? (Teil 1)“

  1. Sehr unterhaltsamer Text, freue mich schon auf den nächsten Teil!
    Das ganze ist auch echt professionell geschrieben und muss sich vor keinem Zeitungsartikel verstecken.

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  2. Man findet auf den Webseiten gar keinen Leistungskatalog. Wird das dann nach Kassenlage entschieden, wer was erstattet bekommt? Ich sehe schon die fälligen Schlammschlachten vor Gericht.

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  3. Maxi, Du hast es nicht verstanden. Die werden ja gar nicht krank, weil sie ganzheitlich leben und mit ihren Temperamenten im Einklang sind und die Akasha-Geschichte verstanden haben. Und der Buchenholztisch ist sicher in einer Vollmondnacht geerntet (oder Neumond?) und mit Elfentränen imprägniert worden.

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  4. Hm. Gibts für die Reichsbürger auch ne Reichskrankenkasse?
    Dass die Homöopathische Krankenkasse ihre Finanzierung durch fleißige Verdünnung (Entstofflichung) ihrer Beiträge sicherstellt, ist garantiert. Aber Kügelchen sind günstig.

    Schöner Text, freue mich auf den nächsten Teil!

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  5. Eine derartige „Krankenkasse“ kann eine richtige Gelddruckmaschine werden.
    Selbst wenn die Versicherten nur den halben Satz einer richtigen Krankenkasse zahlen, dann kann die Möchtegern-Krankenkasse richtig Gewinn machen, indem sie z. B. einen Krebskranken nur einen Heilpraktiker zum Billigsttarif statt eine Chemotherapie bezahlt.

    Möglicherweise ist der finanzielle Gewinn auch der Hintergedanke,
    obwohl wenn man sich damit etwas beschäftigt, dann scheint es so, dass viele der Köpfe aus dieser Scene tatsächlich meinen was sie sagen.

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