Die Tullio-Simoncini-Therapie in der urologischen Praxis


Übersetzung eines Berichts eines anonymen französischen Urologen ‚Kystes‘, der in seinem Blog über einen Blasenkrebspatienten berichtet, der sich zuvor selbst mit Natriumbikarbonat (Backpulver) nach der Simoncini-Methode behandelte.

Quelle: Blog Kystes et autres choses

21. Juni 2009

Das Internet, ein schlechter Ratgeber für die Behandlung von Krebs…


Letzten Freitag, hatte ich Dienst [im Krankenhaus], das ist so mein Tag. Wenn Sie freitags im Krankenhaus anrufen, um den diensthabenden ’néphro‘ zu sprechen, dann haben Sie eine Chance oder das Pech von 50% bis 75% auf mich zu stoßen.

Seit dem Nachmittag beschäftigt uns ein Patient. Ein Mann von 60 Jahren, der in die Notaufnahme kam wegen altération de l’état général [Zustandsänderung des Allgemeinbefindens]. Er hat 1700 µmol/l Kreatinin im Blut (Normalwert < 120) und hat 7 mmol/l Kalium (Normalwert 3,5-5,5 mmol/l). Man ruft uns um Rat: Ein Nierenecho ist natürlich notwenig, genauso wie eine symptomatische Therapie.

Ein wenig später:
-Allo.
-Der hat ’nen beidseitigen Ureterverschluss und eine Hydronephrose.
-Ja, ich weiß. Du hattest mir schon gesagt, dass er einen Blasenkrebs hat und dass er seit zwei Tagen aus ’ner Klinik raus ist und jegliche Behandlung [dort] verweigert hat. Wir müssen den notfallmäßig aufnehmen. Hast Du sein Kalium nochmal kontrolliert?
-Euh, ja, wir sind gerade dabei.

Eine Stunde später:
-Allo.
-Die Urologen fragen, ob Sie den behandeln können wegen der Ureterverlegung.
-Ja klar.

Wieder später:
-Allo.
-Ich bin die radio [Radiologin], du bist doch der néphro.
-Ja, ein Alter, dem es gerade nicht gut geht.
-Also, ich hab die Nephostomie [Katheter-Zugang zum Nierenkelch] nicht hingekriegt. Wir probieren es morgen nochmal.
-Ok, ich übernehm den, den Monsieur.

Er kommt nun um halb zehn abends und der Pfleger warnt mich: “Wieder einer Deiner nephropsychiatrischen Fälle, Du wirst Dich noch amüsieren…”

Tatsächlich treffe ich auf einen sympathisch wirkenden Mann, auf der Liege, mit ausgeschaltetem Handy am Ohr. Begreife nicht ganz, wen er da erreichen will. Er fabuliert irgendwas vor sich hin – irgendwas paranoides und wahnhaftes. Offenbar versucht er seinen Arzt [Simoncini] in Italien zu erreichen. Ich beginne ihn zu befragen und werde völlig ignoriert. Er erhebt sich, reißt sich die Infusionsnadel raus und den Urinkatheter. Blut und Pisse verbreiten sich im ganzen Bett und er fängt an, mich dicht vor meinem Gesicht anzubrüllen. Eine wundervolle Szene. Er bedroht mich, will mich schlagen. Daran bin ich mittlerweile gewöhnt. Es gelingt, ihn zu beruhigen, und ganz entspannt gehe ich wieder raus. Bin doch schon sehr müde. Werde nun die Kontroll-Blutwerte prüfen und auf ein Wunder hoffen. Es gibt keine Wunder bei diesen Geschichten. Das Krea ist immer noch 1700, Kalium ist 6 und er hat ’ne Anämie mit 6 gr Hb.

Morgen muss die Nephrostomie klappen, um sicherzugehen, braucht er ’ne Dialyse. Habe keine Lust, mich mit dem zu schlagen, und ihm zu erklären, was ich da vorhabe.

Ich verschreibe ein Beruhigungsmittel und werde noch eine andere Patientin [zwischenzeitlich] versorgen. Komme wieder zurück, eine halbe oder dreiviertel Stunde später, umgezogen. Komme wieder rein ins Zimmer.

-“Ah, da ist der ja wieder. Diesmal mit ’nem Müllsack auf dem Kopf.” Netter Empfang. Für die, die es nicht wissen: Um zentrale Zugänge zu legen, haben wir hier so blaue Hauben (jetzt sind sie wieder blau und sehen tatsächlich etwas nach Müllsack aus), dazu sterile Schürze und Handschuhe.

Ich nehm es lächelnd. Ich erkläre ihm, was ich jetzt mache (wer es genau wissen will, kann das Video sich angucken auf der Webseite vom NEJM). Er macht sich über alles lustig, und springt dabei von einem Thema zum nächsten. Hört nicht auf Wortspiele zu machen, verfällt immer mehr ins Schlüpfrige. Man muss aber auch sagen, dass sich sein Leben seit Monaten um seinen Penis dreht. Für einen Mann hört sich das schon wie eine fixe Idee an, hier gleitet es in Richtung Verrücktheit ab. Ich begleite ihn aber bei seinen Wortspielchen, der Pfleger macht auch noch mit, schließlich will man ja sympa‘ sein.

Nadel, Xylocain, finde schließlich die Vena Femoralis, das geht nun rasch nach oben. Kleine Pause, um das der Famulantin zu erklären. Wichtig die Ausbildung, sie findet ich bin zu schnell. Der unangenehmste Moment ist die Dilatation des 14 french Katheters. Das tut weh und das blutet, wenn man voll mit Salzwasser ist wie ein Auster. Das ist bei meinem neuen Freund nämlich der Fall. Er lacht nun weniger. Ich gehe mit dem Katheter nun weiter hoch, glücklicherweise geht es schnell. Die Maschine ist hochgefahren, und schließe ihn nun an. Es geht los. Schließlich schläft er ein, das kommt vom Adrenalin, dem Schmerz, der Niereninsuffizienz und den schmerzstillenden und beruhigenden Medikamenten. Es wird eine ruhige Nacht.

Am Morgen, trotz Dialyse, trifft mich der Schlag: Sein Krea ist noch 1200. Das ist nicht das Problem, aber sein Kalium ist noch über 6. Also noch zwei Stunden Dialyse. Er ist genauso delirant und wahnhaft. Er lässt nun alles mit sich geschehen, spricht, ohne Anfang und Ende, kein Problem.

Samstag nachmittag gelingt die Nephrostomie, er braucht nun keine Dialyse mehr.

Am Montag geht es ihm besser, er ist weniger erregt und wirkt konzentrierter. Er beginnt zu erzählen und zusammen mit dem was uns seine Freunde erzählen, kommen wir so langsam hinter die Geschichte. Seit zwei Jahren pisst er Blut. Er weiß, dass er einen Tumor hat, seit etwa einem halben oder einem Jahr lehnt er jeglich konventionelle Therapie ab, genau ist das schwer von ihm zu erfahren. Er folgt einer alternativen Therapie, zu der er über das Internet gefunden hat [Bikarbonat-Therapie nach Tullio Simoncini]. Er spritzt sich seit mindestens sechs Monaten selbst Natriumkarbonat über einen Katheter in die Blase. Ein Misserfolg, das kann nur ein Misserfolg sein. Er will es sich noch nicht eingestehen, will so weitermachen. Bin niedergeschlagen. Er hat einen riesen Nierentumor. Er blutet wie ein angestochenes Schwein. Das einzig Positive ist, dass sich seine Nierenfunktion bessert und er bereit ist, einen Psychiater zu sprechen. Seinen Urologen liebt er nun weniger. Mal sehen, wie es nun weitergeht.

Er erzählt uns von seinen Katheterstochereien, seinen Schmerzen, seinem Leben, das durch die regelmäßigen Blutverluste im Urin gekennzeichnet ist, die Bikarbonateinspritzungen, seine Freude, wenn der mal Urin blutfrei aussieht und die Enttäuschungen, wenn das Blut wiederkommt. Er wirkt pathetisch und ich beginne mehr Sympathie für ihn zu empfinden. Ich weiß nicht warum. Er ist verloren, er hat sich reinlegen lassen, er weiß es und kann nichts mehr machen. Eine banale Verschluss-Geschichte werden Sie sagen, wir haben davon so 1-2 pro Monat wie diesen, eher durch Prostataadenome. Aber durch Blasenkrebs, das ist was anderes. Das ist deprimierend. Sein Tumor umschließt offenbar beide unteren Anteile der Uretere. Falls er den chirurgischen Eingriff zulässt und er machbar ist, dann wird dieser erhebliche zerstörende Folgen haben und seine Prognose ist ehrlich gesagt schlecht. Wenn man sich klarmacht, dass man ihn vor zwei Jahren hätte effektiv behandeln können…

Er will den Namen des Arztes nicht nennen, der ihm dieses morbide Wissen vermittelt hat. Ohne Ende beschreibt er ein ‚therapeutisches Protokoll‘, wie ein exorzistisches Ritual. Werde neugierig. Ich suche und finde mit Google das [siehe Bild oben]. Wenn Sie lachen wollen, dann lesen Sie mal diese erbärmliche pseudowissenschaftliche Literatur. Das ist eine Scheiße [unterstrichen und fett]. Da ist nichts Rationales dran, das ist heiße Luft, nichts weiter. Da ist nichts Wahres dran. Eine Delirium-Konstruktion von A bis Z. Diese Webseite ist echt gefährlich. Er [Simoncini] könnte mich zum Lachen anregen, so absurd ist das. Wie beim ‚malade imagunaire‘ [Werk von Moliere]. Ich werde ja gelb vor Lachen, wenn ich diese Behandlung sehe. Candida [ein Hefepilz] im Zentrum jedes Tumors, ein lächerliches Gemixe und dann noch das Natriumbikarbonat, das alles heilt. Das ist so drollig, dass man an eine Parodie denkt. Ich würde gern aus vollem Herzen lachen, wenn ich da nicht diesen Intensivpatienten hätte.
Er glaubte daran, scheint aber zunehmend weniger dran zu glauben. Es ist immer schwer zuzugeben, eine connerie [Blödsinn/Mist] begangen zu haben. Das ist traurig. Man müsste diese Webseite sperren und diesem Scharlatan verbieten, sich zu äußern. Ich weiß nicht, was ich tun soll, wie ich diesen Betrug anzeigen kann. Bevor ich diesen Patienten sah, hätte ich nicht geglaubt dass jemand an einen solchen Haufen Dummheit glauben kann. Ein Skandal ist das.

Ich liebe das Netz, surfe schon länger und mag diesen freien Raum. Aber wenn ich solche Seiten sehe und die Resultate davon, dann bekomme ich Zweifel. Die Technik ist was Gutes, aber manchmal…

Sicher, der Patient hätte auch so seinen Scharlatan gefunden, wenn es das Netz nicht gegeben hätte, aber dieses WWW ist ein derartiger Resonanzkasten. Man muss seinen kritischen Geist behalten, sich vor Wundermitteln in Acht nehmen und den [dazugehörigen] Verschwörungstheorien.

Ich hoffe, er entkommt dieser dreckigen Krabbe.

Bonne lecture und vor allem lasst nicht locker !

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Nachtrag zum krebsfördernden Natriumbikarbonat:
-Co-carcinogenic effects of NaHCO3 on o-phenylphenol-induced rat bladder carcinogenesis. Carcinogenesis. 1989 Sep;10(9):1635-40.

-Effects of urinary potassium and sodium ion concentrations and pH on N-butyl-N-(4-hydroxybutyl)nitrosamine-induced urinary bladder carcinogenesis in rats.Carcinogenesis. 1989 Sep;10(9):1733-6

-Effect of urinary pH on the progression of urinary bladder tumours, Food Chem Toxicol. 1999 Dec;37(12):1159-66.

5 Gedanken zu „Die Tullio-Simoncini-Therapie in der urologischen Praxis“

  1. Was vielleicht den Lesern nicht auf Anhieb klar ist: die pathologischen Blutwerte erklären die psychiatrischen Symptome. Aufgrund der ausgefallenen Nierenfunktion kommt es im Blut zum Anstieg bestimmter Substanzen, die ins Gehirn gelangen und die beschriebenen Symptome dann auslösen.

    Andreas

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  2. Richtig das www ist voll von Scheisse.
    Er hätte ja auch die Neue Germanische Medizin finden können, oder einen Homöopathen, der behauptet alle chronischen und akuten leiden mit Homöopathie heilen zu können – ich kenne da einen.

    Prognose jetzt infaust.

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