Die Methoden der Arzneimittelindustrie – Bad Pharma

goldacreMitte August ist die deutsche Version von „Bad Pharma“, das zweite Buch des Wissenschaftsjournalisten Ben Goldacre, auf den Markt gekommen. Der etwas reißerisch übersetzte Titel „Die Pharmalüge“ ist nicht Programm, dafür jedoch der Untertitel: „Wie Arzneimittelkonzerne irreführen und Patienten schädigen“. Wie zu erwarten war, hat die Industrie bereits reagiert, indem sie das Buch als Boulevard bezeichnet und zur „sachlichen Diskussion“ aufruft.

Dabei ist das letzte, was man Goldacre unterstellen kann, Unsachlichkeit. Goldacre erläutert die verschiedenen Taktiken der Täuschung, auf die Pharmakonzerne zurückgreifen, mit der Akribie eines Wissenschaftlers und liefert üppig Belege – auch auf die Gefahr hin, den Leser mit Informationen zu überfluten. Etwas anderes kann er sich ob der drohenden Gefahr einstweiliger Verfügungen und Klagen auch gar nicht erlauben, wie er aus Erfahrung weiß. Ein Kapitel seines ersten Buchs konnte erst in zweiter Auflage erscheinen, wegen einer Verleumdungsklage vom mittlerweile selbst verurteilten, selbsternannten Krebs- und AIDS-Heiler Matthias Rath (hier online auf Englisch zu lesen).

Er schreibt über das systematische Zurückhalten von unschmeichelhaften Ergebnissen und Nebenwirkungen, von zahnlosen Behörden und Ignoranz. Er zeigt, wie die Grundlage medizinischer Entscheidungen verfälscht wird, welche Schlupflöcher existieren und mit welcher Dreistigkeit diese erst heruntergespielt, dann halbherzig anerkannt und schließlich immer noch ignoriert werden. Und er schreibt von Menschen, die aufgrund einer verfälschten Datenlage Entscheidungen getroffen haben, deren Folgen sie nicht abschätzen konnten.

Neben aller Kritik am jetzigen Stand macht Goldacre auch eines klar: die evidenzbasierte Medizin ist das wichtigste Werkzeug, um Aussagen über irgendeine Behandlungsmethode treffen zu können, und wir dürfen es uns keinesfalls aus den Händen reißen lassen. Es überrascht nicht, dass Goldacre die sehr lobenswerte AllTrials-Kampagne mitbegründet hat, die die Registrierung aller klinischen Studien und die Veröffentlichung aller vergangenen Studien fordert.

Goldacre fühlt sich einem Bildungsauftrag verpflichtet und sein Buch ist förmlich eine Anleitung zum Aktivismus. Jedes Kapitel schließt mit konkreten Handlungsvorschlägen für alle Beteiligten, von behandelnden Ärzten, Studenten, Patienten bis zu Politikern. Für Patienten gibt es Informationen, worauf man achten muss, bevor man sich gutgläubig für eine Studie eintragen lässt, und wie man mit seinem Arzt über den Einfluss von Vertretern reden kann. Für Mediziner wird ausgeführt, wie Werbekampagnen für neue Medikamente aufgezogen sowie Studien verfälscht und fehldargestellt werden können. Für Studenten gibt es Richtlinien, worauf man beim Umgang mit Pharmavertretern Acht geben muss und welche Risiken man dabei eingeht.

Das Thema ist nicht neu, und daraus wird auch kein Hehl gemacht. Das Buch ist aber nicht nur eins der aktuellsten zum Thema, sondern wie immer ausgezeichnet belegt und gut geschrieben. Wer „Bad Science“ (dt. „Die Wissenschaftslüge“) mochte, sollte sich Bad Pharma nicht entgehen lassen.

Insgesamt ein sehr lesenswertes Buch für Laien genauso wie für alle angehenden Ärzte und Pharmaziestudenten, die nicht unvorbereitet von einer Milliardenbranche umgarnt werden wollen. Empfehlung: dem Medizinstudenten im Bekanntenkreis ein Exemplar für die Weihnachtsferien in die Hand drücken.

Vorwort auf Englisch
Interview mit Peter Sawicki, Autor des dt. Vorworts.
Amazon-Link auf deutsch (kein Referral)
Englische Version für Pfennigfuchser (gebraucht mittlerweile sehr günstig)

12 Gedanken zu „Die Methoden der Arzneimittelindustrie – Bad Pharma“

  1. und sawicki hat das vorwort geschrieben, abertausende von diabetikern (auch ohne christlich zu sein) haben kerzen angezündet als dieser mensch endlich endlich geschaßt wurde.
    genau der hat nur studien zugelassen die „ihm“ genehm waren.
    also nicht nur „die“ pharmaindustrie.

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  2. Information ist ja an sich nichts schlechtes. Es ist auch durchaus vernünftig alle durchgeführten Arzneimittelstudien zu veröffentlichen – die meisten sind ja bereits auf clinicaltrials.gov einsehbar.

    Nur wenn dann das alles veröffentlicht wird- wer soll diese Menge an Information denn lesen? Und sachgerecht kommentieren?

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  3. pelacani :@ Wolfgang Zum Beispiel diejenigen, die systematische Reviews für die Fachpresse schreiben, oder diejenigen, die für Cochrane Meta-Analysen machen.

    Na ja die sollten das schon können- aber wenn ich mir zB anschaue was Impfgegner mit der VAERS Daten in USA oder mit den PEI-Daten in DE anstellen und wie sie Ergebnisse ins Gegenteil umdrehen, dann sausen diese Ergüsse ja auch wieder im www herum und es besteht dann weiterer Kommentarbedarf/Korrekturbedarf.

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  4. @ wolfgang
    Was Impfgegner so mit Daten anstellen, wird die Fachwelt kaum wirklich irritieren. Wenn aber die zugänglichen Ergebnisse nicht die ganze Wahrheit darstellen, dann ist die Desorientierung der Fachwelt unvermeidlich.

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  5. pelacani :@ wolfgang Was Impfgegner so mit Daten anstellen, wird die Fachwelt kaum wirklich irritieren.

    Die Fachwelt nicht, aber irritiert sind verunsicherte Patienten, wenn wieder mal eine Sau durchs Impfgegnerdorf getrieben wird. Das hat man ja bei Thiomersal, Autismus, MMR, Aluminiumhydroxid etc pp gesehen.

    Wenn aber die zugänglichen Ergebnisse nicht die ganze Wahrheit darstellen, dann ist die Desorientierung der Fachwelt unvermeidlich.

    Das ist im Prinzip richtig- aber wer ist die Fachwelt? Kann jeder Arzt Studienergebnisse richtig=wahrheitsgemäß interpretieren? Ich glaub nicht. Und wenn ers kann, wann soll er das machen? Clinicaltrials.gov listet derzeit über 155.000 Studien. Und dann seh ich schon die Homöopathen (die sich für Fachleute halten, aber ein Realitätsproblem haben) wie sie sich über Wirksamkeitsstudien von echten Arzneispezialitäten hermachen.

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  6. wolfgang :

    Kann jeder Arzt Studienergebnisse richtig=wahrheitsgemäß interpretieren? Ich glaub nicht. Und wenn ers kann, wann soll er das machen?

    Klar, das zu erwarten wäre unrealistisch. Aber es ist auch nicht nötig. Kein klinisch tätiger Arzt wird die gesamte Studienlage seines Fachs überblicken können, das wird allenfalls für ein kleines Spezialgebiet möglich sein. Deswegen gibt es ja „Übersetzungen“ durch Reviews, Meta-Analysen und kommentierte Referate in der Fachpresse.

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