Über den Unsinn populärer Ernährungstipps am Beispiel des Speisepilzes

 

Die Welt ist voll von guten Ratschlägen. Das gilt in hervorgehobenem Maße für das Thema „Ernährung“, was an sich nichts anderes bedeutet als Essen und Trinken, aber den Vorzug hat, irgendwie dietätisch-asketisch zu klingen und damit voll im Geist der Zeit zu liegen. Leider bleibt es allzu oft nicht beim frommen Klang, der Ton macht stattdessen gleich die ganze Musik, und so hebt sich immer wieder der Zeigefinger, um dem nach Rat hungernden und dürstenden Volke zu bedeuten, was bei den Höllenstrafen ungesunder Lebensweisen unbedingt – genau so und nicht anders! – zu tun oder zu lassen ist.

Und so kommt es, dass sage und schreibe unter der Rubrik „Genuss“ eines großen deutschen Nachrichtenmagazins eine Schlagzeile erscheint, die da lautet:

 

Nur so sollten Sie Pilze zubereiten

 

ergänzt durch den irgendwie frivol klingenden Zusatz

 

eine Mikrowelle ist hilfreich

 

In dem dazu gehörenden Artikel geht es um verschiedene Arten, Pilze zuzubereiten. Anders als es der Titel vermuten lässt, geht es aber keineswegs um eine Methode, die kleinen Dinger möglichst schmackhaft zuzubereiten. Es geht stattdessen darum,

wie man Pilze zubereiten sollte – sodass alle Nährstoffe erhalten bleiben

also um etwas, was zumindest mit „Genuss“ nur in zweiter Linie zu tun hat. Stattdessen geht es in irgendeinem nicht ganz offengelegten Zusammenhang um Gesundheit, wie man vermuten darf, und dies mit erheblichem Autoritätsgehabe, denn

Wissenschaftler haben herausgefunden…

 

Pilze, unten links

…dass es da irgendetwas mit den üblichen Verdächtigen, also Proteinen und – das vor allem – Ballaststoffen zu tun habe. Nun gut, wir wollen der Internationalen der Orthorektiker den Spaß nicht verderben, aber zwei Anmerkungen seien doch erlaubt, um den Gestus der Aufgeklärtheit, mit dem solche Berichte auftreten, auf das rechte Maß zurecht zu stutzen.

 

 

Erstens:

Vielleicht ist es ja gar nicht so sinnvoll, ausnahmslos alle Inhaltsstoffe bestmöglich zu erhalten. Das, was wir essen und trinken, hat die Natur nicht erschaffen, um uns eine Wohltat zu gewähren. Es ist eher so, dass das nutzbare Nahrungsangebot aus Dingen besteht, denen sich ein Organismus in langen und sich ständig fortentwickelnden Evolutionszyklen so gut anpasst, wie es eben gerade geht – aber niemals perfekt;  dafür enthalten diese Dinge auch die eine oder andere eher ungute Substanz, die allenfalls in Maßen den Esser nicht gerade um die Ecke bringt. Einige andere Substanzen sollte man lieber erst gar nicht anrühren – gerade Pilze können da ziemlich unangenehme Eigenschaften entfalten. Welche Garmethode solche gerade eben noch oder gar nicht mehr tolerierbaren Inhaltsstoffe am effektivsten ausschaltet, war entweder erst gar nicht Gegenstand der zitierten Studie, oder die Information fiel bei der Formulierung des Artikels unter den Tisch. Ein typisches Beispiel für den Unterschied zwischen realen (Gesundheit) und Surrogat-(Inhaltsstoffe)Endpunkten ernährungswissenschaftlicher Behauptungen…

Zweitens:

Wozu eigentlich müssen ausgerechnet die Bestandteile von Pilzen „bestmöglich“ erhalten werden? Eine einfache Tatsache lautet: niemand braucht Pilze. Es gibt nicht einen einzigen Inhaltsstoff gängiger Speisepilze, für dessen bedarfsdeckenden Verzehr der Mensch auf den Genuss von Pilzen angewiesen wäre. Kein Mensch muss seinen Bedarf an

Ballaststoffen, Vitaminen und auch Proteinen

aus Champignon, Schwammerl oder Steinpilz decken. Es ist von allem genug da – selbst wenn man ein Leben lang keinen einzigen Speisepilz verzehrt. Das mag anders gewesen sein, als der Jäger und Sammler alles zusammenklauben musste, was Landschaft und Jahreszeit gerade hergaben. Es ist sicher nicht mehr so in Zeiten, in denen es auf Grund des umfassenden Angebots praktisch kein einzelnes unentbehrliches Produkt mehr gibt.

Darum unser Rat: vergessen Sie, weshalb Sie Pilze so und nicht anders zubereiten sollen, wie es der „Stern“ (nun ist es doch herausgerutscht…!) rät. Es gibt keinen Grund, es anders zu tun, als es Ihnen bisher am besten schmeckte. Ältere oder überhaupt unerschrockene Leser finden vielleicht sogar bei diesem Herrn noch die eine oder andere Anregung:

 

Clemens Wilmenrod (1906-1967), Erfinder des Toast Hawaii und der gefüllten Erdbeere

 

Ach, und übrigens: den Tipp mit der Mikrowelle vergessen Sie besser. In der Rubrik „Genuss“ ist er deplaziert.

29 Gedanken zu „Über den Unsinn populärer Ernährungstipps am Beispiel des Speisepilzes“

  1. Was für ein unsäglich doofer Artikel im Stern. Knollenblätterpilze wirken übrigens ganz grandios als Antioxidationsmittel. Hat die Autorin vergessen.

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  2. “ Es gibt nicht einen einzigen Inhaltsstoff gängiger Speisepilze, für dessen bedarfsdeckenden Verzehr der Mensch auf den Genuss von Pilzen angewiesen wäre.“

    Und was ist mit Meskalin?

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  3. ulf_der_freak :“ Es gibt nicht einen einzigen Inhaltsstoff gängiger Speisepilze, für dessen bedarfsdeckenden Verzehr der Mensch auf den Genuss von Pilzen angewiesen wäre.“Und was ist mit Meskalin?

    Die vermutlich humoristische Intention deiner Frage scheitert bemerkenswert reflexiv, das hat direkt was Philosophisches. Finde den Fehler, dann findest du die Antwort. Oder – um die Antwort vorwegzunehmen:
    Genau das ist mit Meskalin. 😉

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  4. Btw, noch ein Ernährungsgeheimtipp:

    „Bereits ein Glas molwanisches Leitungswasser deckt den Jahresbedarf eines Erwachsenen an E. coli-Bakterien“
    – Aus: Molwanien – Land des Schadhaften Lächelns, Jetlag Travel Guide. (aus dem Gedächtnis zitiert)

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  5. Gefährliche Bohnen :

    Btw, noch ein Ernährungsgeheimtipp:

    „Bereits ein Glas molwanisches Leitungswasser deckt den Jahresbedarf eines Erwachsenen an E. coli-Bakterien“
    – Aus: Molwanien – Land des Schadhaften Lächelns, Jetlag Travel Guide. (aus dem Gedächtnis zitiert)

    Was ist denn das?? Autoren: Santo Cilauro, Tom Gleisner & Rob Sitch. Glaub ich nie im Leben, kann nur Moers sein.

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  6. In der Gesamtschau und unterm Strich kommt – wolle man die Summe aller Ernährungstipps die so publiziert werden befolgen – nur eines raus: Unter- und Mangelernährung sowie die allgemein körperliche (und wahrscheinlich auch gesitige) Verfassung eines Lord Voldemort im Endstadium.

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  7. @Problem:
    Es gibt nicht einen einzigen Inhaltsstoff gängiger Speisepilze, für dessen bedarfsdeckenden Verzehr der Mensch auf den Genuss von Pilzen angewiesen wäre.
    Den täglichen Bedarf an Aflatoxin B1 deckt man am besten via Aspergillus-flavus-befallene Nüsse. Eine zusätzliche Zubereitung (auch mittels Mirkrowelle) ist möglich aber müßig, da Aflatoxin meines Wissens nach hitzestabil ist.

    @ulf_der_freak:
    Statt Mescalin schlage ich hier Befotenin vor – welches gar nicht unbedingt mit Pilzen verzehrt werden muss. Vielmehr kann man den Produzenten wiederverwenden, wenn man will. Und hier ergeben sogar Märchen Sinn – denn wenn man der Kröte nen Zungenkuss verpasst sieht man anschließend vielleicht sogar einen Prinzen… 😀

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  8. @ ulf_der_freak
    @ ulf freak: Meskalin wird aus dem Peyote-Kaktus gewonnen. Als psychotrope Substanz aus Pilzen bietet sich Psilocybin an. Ob das die Mikrowelle überlebt, weiß ich nicht. Ich habe in jungen Jahren mal Fliegenpilze probiert. War ein dämliches Experiment und lud nicht zur Wiederholung ein. Pfifferlinge finde ich besser.

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  9. Eigentlich bereitet man Pilze gar nicht zu, dann bleibt wirklich alles, was drin ist, vollständig und unverändert erhalten. Mehr geht nicht.

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  10. Umami :

    Wie bereitet man es denn nährstoffschonend zu?
    Schlimmer als Dosenchampingnions kann es ja wohl kaum schmecken.

    Warum um Himmels Willen soll man gerade Pilze „nährstoffschonend“ zubereiten? Darum geht es doch in dem Artikel.

    Pfiffer in Butter schmoren, klein wenig Sherry, Pfeffer, Salz, mit einem Schluck Sahne ablöschen, Spaghetti unterrühren. Essen und genießen.

    Was soll da das Nährstoffgedöhns? Das nimmt man spätestens mit dem nächsten Gericht in ausreichender Menge zu sich, falls es ja nicht gereicht haben sollte. Weniger Hysterie und mehr Genuss trägt mit Sicherheit zu einem entspannteren, und damit vermutlich längerem Leben bei.

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  11. Im Vergleich zu den alltäglichen Ernährungsirrsinns-Artikeln ist der kritisierte Stern-Artikel doch geradezu mustergültig: Er enthält sogar einen Direktlink auf die dem Artikel zugrundeliegende Studie. Heutzutage ist das schon eine journalistische Rarität.

    Dass der Beitrag von Pilzen zur menschlichen Nährstoffversorgung gnadenlos übertrieben wird: geschenkt!
    Diesen Hype spezieller Nahrungsmittel entgegen jeglicher wissenschaftlichen Erkenntnis findet man auch in den wesentlich zahlreicheren Artikel über Obst oder Salat. Siehe Superfoods, zum Beispiel. Zum Glück haben wir heutzutage so ein reichhaltiges, qualitativ hochwertiges Nahrungsangebot, (und das automatische Verlangen nach „handfester“ Nahrung) dass solche Heilsversprechen nur selten zu ernsthafter Mangelernährung führen.

    ————

    Übrigens ist der größte Pilzerzeuger in Deutschland ausgerechnet die Wesjohann-Gruppe. Genau, die mit den Wiesenhof-Schlacht“fabriken“! Schließlich gibt Hühnermist ein prima Substrat zur Pilzzucht. Will wieder keiner wissen.

    Es ist immer wieder amüsant, wenn man die Grünzeug-Verfechter und „Massentierhaltungs“-Gegner auf solche Zusammenhänge hinweist. 😀

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  12. Natürlich bereite ich Pilze lieber lecker zu.
    Warum darf ich aber nicht fragen, wie die nährstoffschonende Zubereitung geht? Ob es mir schmeckt, darf ich dann doch bitte selbst entscheiden.

    Der Champignon ist roh ungiftig (und schmeckt auch ganz gut). Da spielt es ja keine Rolle, in so lange zu garen, bis die Gifte kaputt sind wie bei anderen Lebensmitteln.
    Einen edleren Pilz würde ich für einen solchen Versuch nicht opfern.

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  13. Umami :

    Natürlich bereite ich Pilze lieber lecker zu.
    Warum darf ich aber nicht fragen, wie die nährstoffschonende Zubereitung geht? Ob es mir schmeckt, darf ich dann doch bitte selbst entscheiden.

    Der Champignon ist roh ungiftig (und schmeckt auch ganz gut). Da spielt es ja keine Rolle, in so lange zu garen, bis die Gifte kaputt sind wie bei anderen Lebensmitteln.
    Einen edleren Pilz würde ich für einen solchen Versuch nicht opfern.

    Natürlich darfst Du fragen. Die Antwort steckt doch im verlinkten Artikel: Mikrowelle. Wird jedenfalls behauptet. Nur, es ist halt völlig irrelevant. Viele Speisepilze sollte man durchaus ca. 20 min garen, weil sie sonst einfach schwer verdaulich sind.

    Probiere es halt einfach aus, hindert Dich doch keiner 🙂

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  14. Umami :Natürlich bereite ich Pilze lieber lecker zu.Warum darf ich aber nicht fragen, wie die nährstoffschonende Zubereitung geht?

    Jeder darf das fragen, keine Frage. Wer nur der Gesundheit zuliebe futtern will, soll das ruhig tun. Was der Artikel meint, ist rechts oben in der Ecke abgebildet.

    A propos rohe Champignons: im Agaricus bisporus, dem zweisporigen Egerling, vulgo Champignon, kommt ein natürliches Hydrazin-Derivat, das sinnigerweise so genannte Agaritin vor, welches gentoxische oder karzinogene Wirkung haben könnte, und von dem eine allseits bekannte Internet-Enzyklopädie meint: „Daher ist der Rohverzehr der Fruchtkörper mit einem gewissen Risiko verbunden.“ No risk, no fun?

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  15. Ernstgemeinter Zubereitungstipp: Kleine Champignons oder Champignonviertel sehr heiß ohne Öl und nur kurz anbraten, dann erst Buttern bzw. in die Soße schmeißen.

    Ziemliches Gegenteil von Mikrowelle.

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  16. @Thon S.: Genau, Maillard lässt grüßen, kommt wirklich gut. Pro-Tipp: Mit Pilzpulver (steinhart, dörren, in Schlagmühle pulverisieren) noch zusätzlich aromatisieren. Oder Sauce mit Pilzbutter (Butter und Pulver, schön durchgezogen) aufziehen.

    Den Schleimmatsch aus der Mikro braucht man nun wirklich nicht.

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  17. Das Gesundesserpack macht vor gar nix halt, nicht mal vor dem Champignon! Aber warum sollte es dem Gourmet denn besser gehen als z.B. junge Mütter? So werden diese schon verunsichert und kleine Kinder genauso ab dem Kindergarten in die Abhängigkeit des Lobes der Ernährungstrulla getrieben. Dabei ganz nebenbei zur Essstörung erzogen. Am Ende des Tages bei sachlicher Überprüfung bleibt als Nutzen für die Gesellschaft ein paar Arbeitsplätze für Zertifikats-Dummbratzen aus dem Mittelstandshalbtagsarbeitnehmerinnen, die fortan mit DGE Siegel auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung mit Krankenkassensegen der Bevölkerung den Kopf waschen und ein schlechtes Gewissen mit Angstapellen einreden.

    Man braucht gerade als dicker Mensch ein dickes Fell um sich gegen diesen Humbug zu wehren.

    „Esst doch was ihr wollt!“ – nannte Pollmer sein Buch und dabei sollte man es ganz unzeitgemäß belassen.

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  18. @Champignonfan
    Warum diese Aggressionen?
    Offensichtlich darfst du essen, was du willst und tust es auch, dennoch bin ich, ohne es jetzt belegen zu wollen, überzeugt, dass sehr dicke Menschen weder gesünder noch zufriedener sind. Muss aber nicht stimmen, doch diese zu operieren ist einfach nur ätzend, weshalb ich hoffe, dass Dicksein kein Ideal wird.

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  19. @ Mste
    Ich würde mal vermuten, dass viele Leute meinen, Übergewichtigen ungefragt Ratschläge zur Ernährung und Lebensgestaltung geben zu dürfen (oder zu müssen). Das wird ähnlich sein wie bei Schwangeren und Müttern mit kleinen Kindern – da glauben auch Hinz und Kunz, es besser zu wissen und auch fremde Frauen jederzeit an ihrer Weisheit teilhaben lassen zu dürfen. Dass das auf Dauer nervt kann ich sehr gut nachvollziehen.

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