Das Recht auf den Versuch

Das amerikanische Repräsentantenhaus hat gerade ein Gesetz zum „Recht auf Versuch“ (right-to-try) beschlossen. Es beinhaltet, kurz gesagt: die Patienten sollen auch nicht zugelassene, weil ungenügend geprüfte neue Medikamente bekommen dürfen, wenn sie an einer schweren Erkrankung leiden.

Das klingt zunächst durchaus sympathisch, und es passt gut in die Agenda der Trump-Regierung, die lästigen Beschränkungen abzuschütteln, die die Wirtschaft unter den vorangegangenen Präsidenten geknebelt hatten. Statt erneuerbarer Energien gilt es, die herrliche saubere Kohle (beautiful clean coal) zu nutzen, um Amerika wieder groß zu machen usw. Treibende Kraft hinter dieser Gesetzgebung ist das libertäre (wenn man zu Klartext entschlossen ist, dürfte man auch sagen: reaktionäre) Goldwater-Institut, eine Denkfabrik in Arizona, gegründet einst von Barry Goldwater. Der Präsident ist für das Gesetz, der Vizepräsident ist dafür, und – was womöglich noch wichtiger ist – die Mega-Spender für die Republikaner, die Koch-Brüder, sind auch dafür.

Einfallsreich wird das Gesetz mit einer Variante des Wer-heult-hat-recht-Unsinns begründet:

Rep. Morgan Griffith (R-Va.) said that if faced with a terminal illness, he’d “take any risk, including injecting monkey urine if that meant I could spend a few more days, months or years with my children.”
Der Abgeordnete Morgan Griffith sagte, wenn er eine tödliche Erkrankung hätte, dann würde er jedes Risiko eingehen, sogar Affenurin spritzen, wenn das dazu führen würde, dass er ein paar Tage, Monate oder Jahre länger mit seinen Kindern verbringen könnte.
TheHill

Auf ein paar tausend Dollar kann es einem da wirklich nicht ankommen. Es gibt nur ein paar Schwierigkeiten dabei. Das Selbstvertrauen, unter einer tödlichen Bedrohung eine volltönende, Erlösung versprechende Werbung richtig bewerten zu können, mag verbreitet sein, aber die Fähigkeit dazu ist es mit Sicherheit nicht – zumal wenn sich diese Werbung von vornherein nicht auf harte Daten stützen kann. Nichts verrät dem Abgeordneten Morgan Griffith, ob er mit der Injektion von Affenurin sein Leben nicht um Tage, Monate oder Jahre verkürzt. Und das wäre allemal um Größenordnungen wahrscheinlicher.

Die eingängige Formulierung des Abgeordneten ist noch aus einem anderen Grund irreführend. Es geht in Wirklichkeit nicht um Substanzen, die mit ein wenig Allgemeinbildung und Kritikfähigkeit für jeden als Schlangenöl zu erkennen sind. Es geht um größere Beträge. Die Prüfung neuer Chemotherapeutika oder Biologicals auf Wirksamkeit ist mühsam und gefährlich – nicht nur für die Patienten, sondern auch für die Wirkstoffe und damit für die Investitionen der Pharmafirmen: die präklinischen Entwicklungskosten für neue Medikamente sind erheblich. Der Prüfstein für die Wirkung ist der multizentrische kontrollierte Blindversuch. Er allein ist geeignet, bestechende pathophysiologische Theorien und vielversprechende Laborergebnisse zu verifizieren. Scheitert er aber, dann sind hunderte Millionen Dollar Vorleistungen durch den Schornstein gejagt. Das sehen die Anleger nicht so gern.

Zum Weiterlesen:

Bills remove impediments to ill-advised state “right to try” laws, shield wrongdoers, and hide adverse events

7 Gedanken zu „Das Recht auf den Versuch“

  1. Das neue Gesetz wird so lange von den Republikanern und ihren ultrakonservativen Unterstützern als großer Wurf bejubelt werden, bis die ersten menschlichen Versuchskaninchen in großer Zahl unter massiven Nebenwirkungen leiden werden oder sogar versterben, weil das neue Medikament ungenügend getestet wurde.
    Aber die Herrschaften, die die dieses Gesetz verbrochen haben, werden sich danach die Hände in Unschuld waschen und scheinheilig ein Gebet für die Opfer anstimmen.

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  2. Heilversuche mit nicht zugelassenen Mitteln sind nach Par. 21 AMG (Härtefallregelung) auch in Deutschland möglich. Die Regeln dafür scheinen etwa so wie in den RTT-Gesetzen der US-Bundesstaaten zu sein. Wesentlicher Unterschied ist, dass bei uns die Hersteller die Präparate kostenlos liefern müssen.

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  3. @gnaddrig
    Cool. Erinnert mich an unser Bingo, aber ist noch etwas ernster.

    Peter Köhler :

    Heilversuche mit nicht zugelassenen Mitteln sind nach Par. 21 AMG (Härtefallregelung) auch in Deutschland möglich. Die Regeln dafür scheinen etwa so wie in den RTT-Gesetzen der US-Bundesstaaten zu sein. Wesentlicher Unterschied ist, dass bei uns die Hersteller die Präparate kostenlos liefern müssen.

    Das ist nicht ganz richtig. Es geht in der Härtefallregelung nicht um „kostenlose Lieferung“, sondern um Übernahme der Kosten durch die Krankenkassen. Es ist überdies ein Unterschied, ob der Patient einen regelhaften Anspruch auf Erstattung hat, oder ob dieser in jedem Einzelfall einer Prüfung unterliegt. Abhängig von den Umständen des Einzelfalls sind die Hürden ggf. kaum überwindbar. Vgl. #44. Und man sollte auch noch unterscheiden zwischen „nicht zugelassen“ und „nicht in dieser Indikation zugelassen“ (=off label).

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