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Der Preis des bewussten Lebens (5): Wer eine Meise hat, hat auch Likör

7. November 2011 20 Kommentare

Wer bejammert hier das Apothekensterben? Es gibt noch viel  zu viele Apotheken! – jedenfalls so lange es Häuser wie die „Apotheke am Bahnhof“ in Bad Ems an der Lahn gibt. Kein Snake-Oil ist so lächerlich, dass man es dort nicht für teures Geld bekommen könnte.

Besonders schräg: die Abteilung „Spagyrik“. Zur Erinnerung:

„Aus der mittelalterlichen Alchemie entwickelte sich das Heilverfahren der Spagyrik. Darin mischen sich religiöse, mythische, astrologische und naturwissenschaftliche Elemente. Grundlage dieses Heilverfahrens bilden nach mittelalterlichen, alchemistischen Vorstellungen hergestellte Mittel: die Spagyrika.“

Äh, ja. In unserer freundlichen „Naturheilapotheke“ zu Bad Ems  findet man solche religiös-mythisch-astrologisch-alchemistisch-mittelalterlich aufgemixten Tropfen zum Preis von 10 bis 20 € je 50 ml unter anderem für folgende Indikationen:

  • Aphrodisiakum
  • Aura-Schutz
  • Cool bleiben
  • Energieschutz
  • Harmonie
  • Harmonisierung von Lebensmitteln
  • Mobbing-Schutz
  • Schnarchen
  • Vampire
  • Chemtrails

Kein Witz, kein Angebot eines schwülen Esoterik-Versenders, sondern bittere Tatsache unterm Apotheken-A.

Schaut man sich die Rezepturen an, so sind das Kräutertinkturen mit Alkoholgehalten von jeweils 20 Volumen-%. Also etwas schwächliche Kräuterliköre. Mazeration, Destillation und Veraschung von Ausgangsstoffen, die typischen spagyrischen Verfahren, stecken in der Likörherstellung zum Teil ohnehin drin, und soweit sie das nicht tun, hat das eher kultische Gründe, als dass es chemisch nachvollziehbare Wirkungen für den Anwender hätte.

Geht’s auch ein bißchen günstiger? Aber sicher: Klosterfrau Melissengeist, Deutschlands meistverkaufter Kräuterlikör, hat immerhin stattliche 79 Vol-% und kostet in der Literflasche 45 bis 60 €. Verdünnt man ihn herunter auf 20 %, ergibt das 100 ml-Preise von etwa 1,10 bis 1,40 €. Den Schutz gegen Chemtrails muss man sich hingegen runde 30 € für die gleiche Menge spagyrischen strange brew kosten lassen.

Für 100 ml Jägermeister mit 35 Vol-% Alkohol kommt man übrigens schon bei etwa 0,80 € heraus, wenn man die Verdünnung auf 20 % mitrechnet.

Fehlt noch etwas religiös-mythisch-astrologisch-alchemistisch-mittelalterliches Brimborium? Na, dann wagen wir ein Tänzchen um die Buddel, klatschen dabei kräftig in die Hände und freuen uns ganz innig auf ein zünftiges Trankopfer, das kostet alles nix.

Und dann: Prösterchen, auf die Chemtrails!

Teil 1: Das letzte Hemd …

Teil 2: Spiegel und Salz, Gott erhalts!

Teil 3: Ganzheitlich abdichten

Teil 4: Der gute (Grund)Ton

Viel Spaß mit den Spinnern, Frau Apothekerin!

16. Mai 2009 8 Kommentare

Taufrisch aus der neuen „Pharmazeutischen Zeitung“:
In Berlin eröffnet endlich die erste „Saint Charles Apotheke“. Der Pharmakuchen ist fett und den LOHAS sitzt das sauer verdiente Geld locker in der Tasche. Es kann ja nicht angehen, dass die die ganze Kohle nur ins Reformhaus und zu Globetrotter schleppen. Der Markt für die ganzheitliche Verarsche bietet auch riesige Chancen für denkfaule und abergläubige Pharmazeuten. Das österreichische Franchisekonzept mit den „moderaten Lizenzgebühren“ ist auch etwas für deutsche Kunden:

Die Franchisenehmer können ihre Apotheke komplett umstellen oder als „Saint Charles Apotheke“ neu gründen (Lizenzgebühr monatlich 1.600 Euro), eine Shop-in-Shop-Lösung implementieren (750 Euro) oder einen Naturkosmetikladen „Saint Charles Cosmothecary“ (1.200 Euro) eröffnen.

Eine Menge Geld, dass erstmal erwirtschaftet werden muss. Dafür bietet „Saint Charles“ natürlich auch etwas:

Was ihnen [den Apothekern] fehlt, suggeriert Tiedtke, haben Ehrmann und Rohla: Ein Sortiment, das sie von anderen unterscheidet.
Eines, für das die Kunden Preise zu zahlen bereit sind, die „erotische Margen“ bescheren. In Wien, so Rohla, hat die Saint Charles Apotheke diesen Weg erfolgreich mit Kosmetik, Nahrungsergänzungsmitteln und Produkten, die der Kunde in einer herkömmlichen Apotheke nicht erwartet, beschritten. So gibt es unter dem Saint Charles-Label auch Wein und andere „Specials, die Spaß machen“. Fast alles an der Apotheke sei außergewöhnlich, sagt Rohla, das Umsatzwachstum, die Gewinnmargen, die Kundenakzeptanz.

Fragt sich nur, was da so außergewöhnlich ist. Natürlich sind die Gewinnmargen bei Quacksalberei toll. Schließlich muss man sich nur um die Verpackung und den Verkauf, nicht um den Inhalt kümmern. Beim Inhalt ist nur wichtig, dass er keinen Schaden anrichtet. Den Rest erledigt das Zuwarten. Homöopathische Zuckerkugeln kosten sieben Euro pro zehn Gramm und die Süßigkeit Liebesperlen zwei Euro die 75g-Packung. Das Färben der Liebesperlen macht diese eigentlich teurer, aber der Mythos Naturheilmittel treibt den Preis der Glaubuli in die Höhe.
Ein Kilogramm normaler Kristallzucker ist unter einem Euro zu haben. Die „erotischen Margen“ sind also Realität, die Wirkung nicht.
Doch schauen wir einfach mal, was die Berliner „Pharmazeutin“ so vor hat:

Traditionelle Europäische Medizin
Das glaubt sie mit Saint Charles gefunden zu haben. »Das ist richtige Pharmazie, altes Handwerk«, sagt sie mit Blick auf die Eigenprodukte, die in Österreich aus heimischen Heilkräutern gefertigt werden. Altes Wissen der Traditionellen Europäischen Medizin (TEM) soll hier zum Zuge kommen. Sie will klassische Pharmazie und Naturheilkunde verbinden und die Prävention in den Vordergrund stellen.
Zeeck hat in der Apotheke einen eigenen Raum für Beratung eingerichtet. Sie plant Veranstaltungen mit einer Heilpraktikerin über klassische Homöopathie, Ausflüge zu einem ökologisch betriebenen Pilzhof im Brandenburger Land, Events mit gesundem Buffet, Vortrag und Fragerunde, bei denen sich die Teilnehmer austauschen können. Den ganzheitlichen Ansatz will sie konsequent leben, mit Mülltrennung und Ökostrom. Stromfressende Leuchten hat sie ausgebaut und durch energiesparende ersetzt.

Ganzheitlich bedeutet ganz einfach, so wie man es eigentlich gewohnt ist, dass Selbst- und Patientenbetrugsmethoden ganz einfach unkritisch übernommen werden und, mit dem Etikett „echte Pharmazie“, dem livestylemagazingebildeten LOHASen angedreht werden.

Echte Pharmazie beschäftigt sich mit Bioverfügbarkeit, Compliance, Herstellung, Pharmakologie und Wirksamkeit von echten Medikamenten.

Ganzheitliche Pharmazie bläst wirkungslosen und überholten Blödsinn zu Phantasiegeschichten auf, nennt es hochtrabend Prävention oder Therapie und vertickert das dann an sich selbst überschätzende und pseudokritische Lohas. Diese sind jung, gesund und ökoromantisch. Das böse Erwachen kommt, wenn die Realität zuschlägt, wenn die Kinder wirklich krank sind oder sich der erblich bedingte Typ-II-Diabetes manifestiert. Spätestens dann sollten sich diese Leute nach echter Hilfe umsehen.
Mit einem tollen Wein, ein paar Tropfen Bachblüten oder Glaubuli ist es dann nicht mehr getan.

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