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Artikel Tagged ‘Heilung unerwünscht’

WDR-Rundfunkrat entscheidet über Programmbeschwerden gegen „Heilung unerwünscht“ und „Hart aber fair“

21. Mai 2010 6 Kommentare

Wir erinnern uns:

In dem am 19. Oktober 2009 ausgestrahlten Film Heilung unerwünscht aus der WDR-Reihe story (Redaktion: Mathias Werth, Autor: Klaus Martens) wurde dem Zuschauer suggeriert, dass das Regividerm-Mittel nicht nur „allen Patienten“ mit Neurodermitis und Psoriasis helfe, sondern auch, dass es klinisch geprüft und nebenwirkungsfrei sei. Weiterhin wurde der Eindruck erweckt, dass das Mittel nur deshalb angeblich nicht käuflich zu erwerben sei, weil verschiedene pharmazeutische Unternehmen es trotz seiner „erprobten Wirksamkeit“ nicht produzieren wollten, da es teureren Eigenprodukten Marktanteile streitig machen würde. Es wurde suggeriert, dass diese Firmen den leidenden Patienten das angeblich „nebenwirkungsfreie“ Mittel vorenthielten, um ihre eigenen Mittel weiterhin absetzen zu können, die im Film als nebenwirkungsreich bei gleichzeitiger unzureichender Wirksamkeit dargestellt wurden. Dazu wurden in suggestiver Weise Erlebnisberichte von Betroffenen eingespielt, die den Zuschauer von Wirksamkeit und Nebenwirkungsfreiheit überzeugen sollten.

Eine Thematisierung von Regividerm in der Sendung hart aber fair vom 21. Oktober 2009 erfolgte auf Wunsch des Moderators Plasberg, ein weiteres Mal konnte Autor Klaus Martens Gratiswerbung für sein Buch machen. Eine gleichermaßen effektive Aufklärung über alternative Mittel oder physikalische Therapien oder andere Maßnahmen bei den genannten Erkrankungen unterblieb.
Untermalt waren Film und Talkshow von anrührenden Bildern und einer an die Gefühle appellierenden Wortwahl. So sagte der WDR-Moderator Frank Plasberg in der Sendung hart aber fair vom 21. Oktober 2009: „Besonders bedrückend ist es, wenn man sieht, wie sehr kleine Menschen unter Neurodermitis leiden“ und stellte einen kleinen Neurodermitis-Patienten namens Bastian in den Dienst einer Schleichwerbung für ein gerade auf den Markt geworfenes Mittel, dessen Wirksamkeit bei der genannten Erkrankung noch gar nicht zweifelsfrei erwiesen war.

Und hier die neuste Entwicklung, die sich über eine Vielzahl von Programmbeschwerden beim WDR  ergeben hat:

Köln, 20. Mai 2010 – Der Rundfunkrat des WDR hat unter Leitung von Ruth Hieronymi in seiner Sitzung am 19.05.2010 über die Programmbeschwerden gegen die Sendungen „Heilung unerwünscht“ vom 19.10.2009 und „Hart aber fair“ vom 21.10.2009 entschieden. Das Gremium kam dabei mit großer Mehrheit zu der Überzeugung, dass die Sendung „Heilung unerwünscht“ gegen das Gebot der journalistischen Fairness (§5 Absatz 4 Satz 3 WDR-Gesetz) verstoßen hat. In diesem Punkt wurde der Programmbeschwerde stattgegeben. Für den Vorwurf der Schleichwerbung gab es keine ausreichenden Belege.

Der Programmbeschwerde gegen die Sendung „Hart aber fair“ wurde dagegen nicht stattgegeben. Dennoch bleibt für den Rundfunkrat die Kritik an der unzureichenden journalistischen Sorgfaltspflicht auch in dieser Sendung bestehen, auch wenn diese nicht mit dem Ausmaß der Verstöße gegen Programmgrundsätze in der Sendung „Heilung unerwünscht“ gleichzusetzen ist.

Der WDR-Rundfunkrat und der Programmausschuss unter der Leitung von Susanne Rüsberg-Uhrig haben sich seit sechs Monaten intensiv mit den Programmbeschwerden gegen die beiden Sendungen befasst und dabei vor allem auf die Überprüfung der Einhaltung der journalistischen Sorgfaltspflicht und des Gebots der journalistischen Fairness gedrängt.

Der WDR-Rundfunkrat begrüßt deshalb die durch den WDR erfolgte intensive und grundsätzliche Aufarbeitung der schwerwiegenden Verletzung des Gebots der journalistischen Fairness für die Sendung „Heilung unerwünscht“ vom 19.10.2009 sowie der sich daraus ergebenden Probleme bei der Sendung „Hart aber fair“ vom 21.10.2009.

Ebenso wird die Überarbeitung der „Grundsätze für die investigative Berichterstattung“ für alle Programmgruppen im WDR, in denen investigativ gearbeitet wird, positiv aufgenommen. Durch die entschiedene Umsetzung dieser Grundsätze erwartet der WDR-Rundfunkrat eine Stärkung des qualifizierten öffentlich-rechtlichen Beitrages zum investigativen Journalismus.

Der WDR-Rundfunkrat fordert, dass im WDR-Gesetz das Gebot zur Einhaltung der journalistischen Fairness präzisiert wird und wird sich in seiner Satzungskommission mit dem generellen Umgang mit Programmbeschwerden befassen.

Für Nachfragen wenden Sie sich bitte an die:
Vorsitzende des WDR-Rundfunkrats
Appellhofplatz 1
50667 Köln
Tel: 0221/220-5600

Wiederholte Schleichwerbung für rosa Wundermittel bei der ARD

22. Oktober 2009 94 Kommentare

„In Deutschland leiden über 5 Millionen an Neurodermitis und Schuppenflechte. Kerstin Nietschke ist eine davon. Ihnen allen könnte mit einem Medikament geholfen werden, das schon vor zwanzig Jahren erfunden wurde. Doch das Medikament gibt es nicht zu kaufen.“

Die ARD sendete am 19.10.2009 die vom WDR produzierte Reportage „die story: Heilung unerwünscht“. Hier kann man sich das in der Mediathek ansehen.

Kurzform. Ein Medizinstudent und ein Chemiker rühren in einer Wohnung eine Salbe mit Vitamin B12 zusammen und probieren sie an der Freundin des Studenten aus. Dann will niemand das Patent haben, die Salbe produzieren und deswegen haben wir seit 20 Jahren arme gequälte Kinder mit Neurodermitis, die wie Mumien eingepackt werden müssen.
HALLO!

Verdacht auf Scharlatanerie bzw. Quacksalberei wird umso wahrscheinlicher, je mehr der folgenden Beschreibungen zutreffen:

Eine Methode bzw. ein Produkt:

1. wird durch eine Anekdote mit der Freundin des Bastlers interessant gemacht,
2. soll Heilung bringen, während die Schulmedizin kleine Kinder mit hochtoxischem KORTISON! und anderem Zeug, welches total krebserregend ist, vollpumpt
3. soll durch umfangreiche Erfahrungen „untermauert“ sein, in diesem Fall unkontrollierte, unverblindete Studien mit einer Handvoll Patienten über einen kurzen Zeitraum
4. soll gegen Psoriasis und Neurodermitis so gut helfen, dass der Markt für alle anderen Präparate sofort zusammenbrechen würde,
5. wurde nur deswegen nicht an „Big Pharma“ verkauft, weil die das sonst in der mysteriösen Schublade hätten verschwinden lassen,
6. ist an einzelne Personen (hauptsächlich einen Mann mit abgebrochenem Medizinstudium) gebunden, der die Therapie entwickelt hat und daran verdienen will (schön teuer: 28,85 Euro für 100g und die scharlatantypische Warnung vor Nachahmern gibt´s auch schon),
7. soll keine Nebenwirkungen haben oder die Nebenwirkung von Verfahren der Schulmedizin reduzieren oder aufheben,
8. das Mittel ist rosa und kann deswegen nicht gegen Plazebo getestet werden, obwohl man doch weiß, dass rosa Plazebos stärker sind,
9. soll pharmakologisch wirken, wird aber als Medizinprodukt auf den Markt geworfen,
10. wird vom WDR mehrfach redaktionell beworben, andere Medien springen drauf an und extrem zeitnah erscheint ein Buch mit der Wunderrezeptur und die Salbe wird auf einmal doch in den Handel gebracht.
(Die echte Liste steht hier.)

Wie blöd sind eigentlich Redakteure, Filmemacher und leider auch die Patienten, die die absurde Geschichte über die preiswerte Heilung von Neurodermitis aus dem Hobbylabor sofort glauben, sobald nur laut jemand die Pharmalobby als Schuldigen hinstellt. Haben die alle zu viele Hollywoodthriller geschaut? Die Realität ist kein Märchen. In der Realität müssen Medikamente auf Verträglichkeit, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit geprüft werden, BEVOR man kleine Kinder damit einschmiert. Die Feigenblattstudien, die hier großkotzig präsentiert wurden, sind belanglos. Das ist alles ein schlechter Scherz.
Die Kinder, die jetzt unnötig durch diese sinnlose Behandlung leiden werden, weil ihnen eine wirksame Behandlung vorenthalten wird, bekommt man nicht im Fernsehen zu sehen.
Auch die Fernsehleute werden sich nicht mehr darum kümmern, da die bis dahin schon wieder irgendeine andere halbtote Sau durchs Dorf treiben werden. Ausbaden dürfen es die Eltern, die Kinder und die seriösen Ärzte, deren ehrliche Arbeit durch so eine Berichterstattung in den Schmutz gezogen wird. Kortisonangst zu bedienen, kommt immer gut. Das kennt der Zuschauer, das frisst er. Mit wishful thinking und gut gemeint, dem Gegenteil von gut gemacht, dreht man keine kritischen Dokus, damit fällt man auf Betrüger rein.

Hier gibt’s bisher die aktuellsten Neuigkeiten zum Thema:
http://forum.oekotest.de/cgi-bin/YaBB.pl?num=1255978539/all
http://gesundheit.blogger.de/stories/1511299/

Ach so, das Zeug heißt Regividerm und 100 g Pflegesalbe sind im Schub in zwei Tagen alle.
Update 20.07.2009:
Der Fernsehblog: Aufklärung unerwünscht? Frank Plasberg und das Wundermittel gegen Neurodermitis
und
Pressemeldung vom Deutschen Neurodermitisbund
noch ein Fund:

Im Windschatten der ganzen Aufregung um das „patientenverachtende“ Verhalten der Pharmaindustrie ist allerdings jetzt zu erfahren, dass das Schweizer Unternehmen Mavena Health Care schon Mitte November die Vitamin-B12-Salbe unter dem Namen Regividerm® auf den Markt bringen wird. Passend dazu bietet eine Agentur „just in time“ neben einem Interviewtermin mit dem Geschäftsführer die ARD-Sendung auf CD an. PR-Unterlagen zur neuen Salbe können ebenso geordert werden wie ein Muster der Salbe. Die Salbe selber wird in der Apotheke für rund 30 Euro pro 100 g erhältlich sein. Ein stolzer Preis. Eine adäquate Rezeptur in der Apotheke würde unter 20 Euro pro 100 g kosten.

DAZ: „Heilung unerwünscht!“ – alles Zufall oder nur Profitgier?
weiter geht´s:
„Falsche Hoffnungen bei Schuppenflechtekranken geweckt – gebotene Sorgfall verletzt?“ Deutscher Psoriasis Bund e. V.

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