
„In Deutschland leiden über 5 Millionen an Neurodermitis und Schuppenflechte. Kerstin Nietschke ist eine davon. Ihnen allen könnte mit einem Medikament geholfen werden, das schon vor zwanzig Jahren erfunden wurde. Doch das Medikament gibt es nicht zu kaufen.“
Die ARD sendete am 19.10.2009 die vom WDR produzierte Reportage „die story: Heilung unerwünscht“. Hier kann man sich das in der Mediathek ansehen.
Kurzform. Ein Medizinstudent und ein Chemiker rühren in einer Wohnung eine Salbe mit Vitamin B12 zusammen und probieren sie an der Freundin des Studenten aus. Dann will niemand das Patent haben, die Salbe produzieren und deswegen haben wir seit 20 Jahren arme gequälte Kinder mit Neurodermitis, die wie Mumien eingepackt werden müssen.
HALLO!
Verdacht auf Scharlatanerie bzw. Quacksalberei wird umso wahrscheinlicher, je mehr der folgenden Beschreibungen zutreffen:
Eine Methode bzw. ein Produkt:
1. wird durch eine Anekdote mit der Freundin des Bastlers interessant gemacht,
2. soll Heilung bringen, während die Schulmedizin kleine Kinder mit hochtoxischem KORTISON! und anderem Zeug, welches total krebserregend ist, vollpumpt
3. soll durch umfangreiche Erfahrungen „untermauert“ sein, in diesem Fall unkontrollierte, unverblindete Studien mit einer Handvoll Patienten über einen kurzen Zeitraum
4. soll gegen Psoriasis und Neurodermitis so gut helfen, dass der Markt für alle anderen Präparate sofort zusammenbrechen würde,
5. wurde nur deswegen nicht an „Big Pharma“ verkauft, weil die das sonst in der mysteriösen Schublade hätten verschwinden lassen,
6. ist an einzelne Personen (hauptsächlich einen Mann mit abgebrochenem Medizinstudium) gebunden, der die Therapie entwickelt hat und daran verdienen will (schön teuer: 28,85 Euro für 100g und die scharlatantypische Warnung vor Nachahmern gibt´s auch schon),
7. soll keine Nebenwirkungen haben oder die Nebenwirkung von Verfahren der Schulmedizin reduzieren oder aufheben,
8. das Mittel ist rosa und kann deswegen nicht gegen Plazebo getestet werden, obwohl man doch weiß, dass rosa Plazebos stärker sind,
9. soll pharmakologisch wirken, wird aber als Medizinprodukt auf den Markt geworfen,
10. wird vom WDR mehrfach redaktionell beworben, andere Medien springen drauf an und extrem zeitnah erscheint ein Buch mit der Wunderrezeptur und die Salbe wird auf einmal doch in den Handel gebracht.
(Die echte Liste steht hier.)
Wie blöd sind eigentlich Redakteure, Filmemacher und leider auch die Patienten, die die absurde Geschichte über die preiswerte Heilung von Neurodermitis aus dem Hobbylabor sofort glauben, sobald nur laut jemand die Pharmalobby als Schuldigen hinstellt. Haben die alle zu viele Hollywoodthriller geschaut? Die Realität ist kein Märchen. In der Realität müssen Medikamente auf Verträglichkeit, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit geprüft werden, BEVOR man kleine Kinder damit einschmiert. Die Feigenblattstudien, die hier großkotzig präsentiert wurden, sind belanglos. Das ist alles ein schlechter Scherz.
Die Kinder, die jetzt unnötig durch diese sinnlose Behandlung leiden werden, weil ihnen eine wirksame Behandlung vorenthalten wird, bekommt man nicht im Fernsehen zu sehen.
Auch die Fernsehleute werden sich nicht mehr darum kümmern, da die bis dahin schon wieder irgendeine andere halbtote Sau durchs Dorf treiben werden. Ausbaden dürfen es die Eltern, die Kinder und die seriösen Ärzte, deren ehrliche Arbeit durch so eine Berichterstattung in den Schmutz gezogen wird. Kortisonangst zu bedienen, kommt immer gut. Das kennt der Zuschauer, das frisst er. Mit wishful thinking und gut gemeint, dem Gegenteil von gut gemacht, dreht man keine kritischen Dokus, damit fällt man auf Betrüger rein.
Hier gibt’s bisher die aktuellsten Neuigkeiten zum Thema:
http://forum.oekotest.de/cgi-bin/YaBB.pl?num=1255978539/all
http://gesundheit.blogger.de/stories/1511299/
Ach so, das Zeug heißt Regividerm und 100 g Pflegesalbe sind im Schub in zwei Tagen alle.
Update 20.07.2009:
Der Fernsehblog: Aufklärung unerwünscht? Frank Plasberg und das Wundermittel gegen Neurodermitis
und
Pressemeldung vom Deutschen Neurodermitisbund
noch ein Fund:
Im Windschatten der ganzen Aufregung um das „patientenverachtende“ Verhalten der Pharmaindustrie ist allerdings jetzt zu erfahren, dass das Schweizer Unternehmen Mavena Health Care schon Mitte November die Vitamin-B12-Salbe unter dem Namen Regividerm® auf den Markt bringen wird. Passend dazu bietet eine Agentur „just in time“ neben einem Interviewtermin mit dem Geschäftsführer die ARD-Sendung auf CD an. PR-Unterlagen zur neuen Salbe können ebenso geordert werden wie ein Muster der Salbe. Die Salbe selber wird in der Apotheke für rund 30 Euro pro 100 g erhältlich sein. Ein stolzer Preis. Eine adäquate Rezeptur in der Apotheke würde unter 20 Euro pro 100 g kosten.
DAZ: „Heilung unerwünscht!“ – alles Zufall oder nur Profitgier?
weiter geht´s:
„Falsche Hoffnungen bei Schuppenflechtekranken geweckt – gebotene Sorgfall verletzt?“ Deutscher Psoriasis Bund e. V.
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