6. World Skeptics Congress Berlin – 19.05.2012

Hier ist Teil 2 des Gast-Foto-Blogs zur sechsten Welt-Skeptiker-Konferenz in Berlin. Besten Dank wieder unserer Forumsleserin.
Und hier kommt Ihr zum ersten Teil und zum abschließenden dritten Teil.

Bereits früh am Morgen des zweiten Tages waren James Randi und D.J. Grothe am JREF-Stand.

Geduldig führten sie Gespräche, schüttelten Hände und ließen sich fotografieren. Randi verteilte großzügig Geld, besser gesagt Flyer in Form eines 1 Million US-Dollar Schecks. „Hey, want a million? Come take two.“

Nach dem Kreationismustag war heute Medizin der Themenschwerpunkt. Die Einleitung der Sessions übernahm Julia Offe.

Den ersten Vortrag hielt Jürgen Windeler, Leiter des IQWiG.

Er wies darauf hin, dass es nur eine Medizin gibt und die Nutzung von Labels wie alternativ oder komplementär meist auf Gewinnung eines Sonderstatus abzielt. Auch ist es unsinnig und irreführend, wenn bei CAM von Aktivierung der Selbstheilungskräfte gesprochen wird. Es ist immer der Körper, der sich selbst heilt und jede Medizin hat nur eine unterstützende Funktion dabei. Interessant war auch der Hinweis auf die Möglichkeit und Wichtigkeit einer bestmöglichen Verblindung bei Studien. Doppelverblindung (Patient und Behandler) ist vielen geläufig. Es sollten aber auch Statistiker (dreifach) und Studienautor (vierfach) verblindet werden. Dadurch kann die manchmal nicht mögliche Verblindung der Ärzte wettgemacht werden und es wird deutlich erschwert, Studiendaten in eine gewünschte Richtung zu interpretieren oder die Schlussfolgerungen zu verdrehen.

Gerd Antes vertiefte danach das Thema wissenschaftliche Studien.

Zirka die Hälfte aller durchgeführten Studien wird nie veröffentlicht. Oft ist nicht einmal bekannt, dass sie gemacht wurden. Dies ist eine massive Vernichtung von Wissen und Erkenntnissen. Bei Metaanalysen kommen Art und Umfang bei der Auswahl der einbezogenen Studien hinzu. Wohin derartiges Vorgehen führt, zeigt das Beispiel Tamiflu. Die Folgen reichen über Wissenschaftstheorie hinaus und sind konkrete finanzielle und gesundheitliche Schäden, z.B. durch den Kauf unnützer Medikamente oder zu später Erkennung schädlicher Nebenwirkungen.
Es gibt bereits erste Ansätze zur Lösung der Problematik, indem Gesetze geschaffen werden, die die Registrierung jeder Studie und die Veröffentlichung der Ergebnisse erzwingen. Die USA und Schweiz sind schon aktiv geworden, Deutschland hinkt leider hinterher.

Harriet Hall von sciencebasedmedicine.org sprach über SCAM (so-called CAM).

Ihr Vortrag war ruhig, aber sehr präzise. Sie machte klar, welche Missbrauchsmöglichkeiten wissenschaftlicher Methodiken es gibt und wie CAM-Verfechter diese für ihre Zwecke nutzen, z.B. indem sie systematische Reviews und Metaanalysen nach dem Prinzip Garbage-In-Garbage-Out durchführen.
Science-based medicine (SBM) hat gegenüber der Evidence-based medicine (EBM) den großen Vorteil, die Plausibilität von medizinischen Verfahren zu berücksichtigen. Nur so kann der Anforderung „außergewöhnliche Behauptungen erfordern außergewöhnliche Belege“ Rechnung getragen werden. Des Weiteren ist es wichtig, die korrekte Reihenfolge beim Studienvorgehen einzuhalten. Zuerst müssen klinische Studien erfolgen, da nur diese eine klare Unterscheidung von Placeboeffekten ermöglichen. Erst wenn dort positive Ergebnisse vorliegen, sind Pragmatische Studien sinnvoll. Gerade im CAM-Umfeld wird aber verstärkt versucht, den ersten Schritt zu überspringen, um die Placeboeffekte im zweiten Schritt für sich als Wirkung in Anspruch nehmen zu können. Abschließend ging sie noch auf den Placeboeffekt selbst ein: Was das ist, was er kann und vor allem was nicht – und stellte dies anhand einer Placebowährung anschaulich dar.

Der Palliativmediziner Benedikt Matenaer schaffte es hervorragend, das möglicherweise trockene Thema „Akupunktur“ sehr unterhaltsam und mit Herz vorzutragen.

Dazu spickte er seinen Vortrag mit Querverweisen für alle anwesenden Nerds und Geeks. Sein fachlicher Hintergrund zur Akupunktur sind u.a. 5.000 Euro für Schulungen und 350 Trainingsstunden. Zuerst erklärte er einige Dinge über die Funktionsweise des Schmerzsystems des Menschen. Danach ging er auf die Akupunktur selbst ein und entlockte dem Publikum diverse schräge Laute durch appetitliche Bilder exotischer Akupunkturpunkte.
Obwohl er sich schon lange und intensiv mit Akupunktur beschäftigt hat, sind diverse grundlegende Fragen für ihn offen geblieben: Ab wann fließt Chi und wann stoppt es? In welche Richtung fließt es? Wie fließt es, wenn Menschen an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlossen werden? Wie fließt es bei Amputierten? Was passiert bei der Vermischung des Chi eines Menschen mit dem einer Mücke? Er verglich die Erklärungen zur Akupunktur mit denen zum Raumschiff Enterprise: „Jeder weiß, dass man nicht beamen kann, wenn die Schilde oben sind. Und erschöpfte Diliziumkristalle führen zur Abschaltung des Warpantriebs.“ Klingt alles toll, aber was das konkret heißt und warum das so sein soll, kann niemand erklären. Nach seinen Schätzungen geben die gesetzlichen Krankenkassen ca. 500 Millionen Euro pro Jahr für Akupunktur zur Schmerzbehandlung aus.
Matenaer wies dann auf exotische Erfindungen hin, z.B. die Augenakupunktur nach Boel, die Yamamoto New Scalp Acupuncture (YNSA), die Behandlung von Abhängigkeiten (NADA).
Der Vortrag endete mit der Feststellung, dass es hier keine intelligenten Lebensformen gebe und mit der Bitte an Scottie, ihn wieder hochzubeamen. Dazu noch das Yoda-Zitat: „May the Chi be with you“.

Nach der Mittagspause war es an Walter Krämer, über den irrationalen Umgang mit Risiken und Angstmacherei zu sprechen.

Durchaus erwartete Risiken wie Schwarze Löcher im LHC und ein Vulkanausbruch in der Eifel wurden eher unerwarteten gegenübergestellt, z.B. den immerhin 329 Verletzten pro Jahr allein in Großbritannien, die Opfer der „gemeingefährlichen“ Toilettenpapierhalterung wurden. Und wer wusste schon vorher, dass es in Deutschland pro Jahr 500 Tote durch verschluckte Fischgräten gibt?
Krämer ging auf die Faktoren ein, die zu irrationaler Risikobewertung führen und auf das menschliche Risikoausgleichsverhalten: Besserer Schutz führt zum Eingehen höherer Risiken.
Mit einigen vorgestellten Risikobewertungen waren die Zuhörer allerdings nicht einverstanden. Die Summe der Themen Kernenergie, Biolebensmittel, Pestizide und Asbest führte zu lebhaften Diskussionen. Skeptiker mit Herzblut bei der Sache 😉 Und so fiel sogar auf, dass das Bild der besprühten Weinstöcke eigentlich Apfelbäume zeigte – upps.

Das Publikumsfeedback fesselte auch Amardeo Sarma.

Auch der Vortrag von Holm Hümmler hatte Risiken zum Thema, aber unter dem Aspekt, wie Firmen und Organisationen damit umgehen.

Und der Umgang ist längst nicht so rational, wie man es erwarten würde. Eine Strategie der Unternehmen ist z.B. die Flucht in die Statistik. So kommt es, dass Experten bezahlt werden, um gewünschte (Fantasie)Zahlen zu liefern, oder dass man sich hinter Daten und Diagrammen verschanzt.

Pause… und draußen ist es richtig warm geworden.

Ray Hyman, Skeptikerurgestein und einer der CSICOP-Gründer, erklärte, warum Wissenschaftler oft versagen, wenn sie so gen. Psychics und Medien testen.

Dazu nahm er das Publikum mit in die Mitte des 19. Jahrhunderts.

Auch ein paar Zaubertricks flossen in den Vortrag ein.

Er machte deutlich, dass auch Wissenschaftler nur Menschen sind und deshalb genauso Fehlern und Selbsttäuschungen unterliegen. Dies umso leichter, wenn sie sich mit fachfremden Sachverhalten beschäftigen. So kam es durchaus vor, dass die kontrollierte Versuchsumgebung einer ästhetischeren weichen musste, da nur in dieser die paranormalen Kräfte des Mediums funktionieren würden. Und auch die positive, entspannte Einstellung des Wissenschaftlers zum zu testenden Phänomen wurde schon für den Ausgang des Experiments verantwortlich gemacht. Ein Schelm, wer bei solchen Forderungen Böses denkt.

Wahrscheinlich hätte Hyman locker die doppelte Zeit ausfüllen können.

Er scheint ein wandelndes Lexikon zu sein. Man merkte deutlich, dass er viele weitere Geschichten hätte erzählen können.

Chris French berichtete von seiner Beschäftigung mit den parapsychologischen Studien Daryl Bems.

Bem hatte eine Studie veröffentlicht, die belegen sollte, dass die Vergangenheit von der Zukunft beeinflusst werde. French wiederholte viele von Bems Experimenten so exakt wie möglich, nur diesmal mit negativem Ausgang. Diese Ergebnisse wollten die Fachjournale aber nicht veröffentlichen, da es „nur“ Wiederholungen waren und zudem mit negativem Ausgang. Des Weiteren wurde seine Studie auch vom Peer-Reviewer stark kritisiert bzw. abgelehnt. Es stellte sich heraus, dass dieser Reviewer Bem selbst war.
Im späteren Verlauf wurde der Vortrag von einer äußerst angriffslustigen Fliege gestört, bei der French anfragte, ob sie etwa von Uri Geller geschickt worden sei.

Den Abschlussvortrag hielt Tomasz Witkowski aus Polen, der sich ein passendes T-Shirt mitgebracht hatte.

Er sprach über Pseudowissenschaft in der Psychologielehre. Dazu gehört z.B. der Mythos, der Mensch nutze nur 10% seines Hirns, auf dem sich sehr gut ein Geschäft aufbauen lässt, das die restliche Kapazität nutzbar machen würde. Aber auch das positive Denken, unterdrückte Erinnerungen und angeblich das gesamte Leben bestimmende frühkindliche Erlebnisse gehören in diesen Bereich.
Ein besonderes Anliegen hat er bei der unkritischen Nutzung von projektiven Tests wie z.B. dem Rorschach-Test. Dieser wird in Polen u.a. von Gerichtsgutachtern für psychologische Diagnosen genutzt, obwohl er dazu nicht geeignet ist. Witkowski hat deshalb mit Unterstützern eine konzertierte Protestaktion ins Leben gerufen. Dafür sucht er auch noch weitere Unterstützer.
Er hat übrigens den Sokal-Hoax in Polen wiederholt, allerdings mit drastischerem Ausgang.

5 Gedanken zu „6. World Skeptics Congress Berlin – 19.05.2012“

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