In Anbetracht der eingangs Teil 1 formulierten Kritik könnte man die „Scientabilität“ wegen fehlender praktischer Folgerungen als irrelevant ad acta legen. Aber sie hat einen Kern, der eine nähere Betrachtung verdient. Bei der Bewertung von Studienergebnissen ist die Einbeziehung der a-priori-Wahrscheinlichkeit unverzichtbar, oder schlicht gesagt: außergewöhnliche Ansprüche erfordern außergewöhnlich gute Beweise. Faraday soll gesagt haben, wenn es gelänge, mit Gedankenkraft auch nur eine Feder anzuheben, müsste sich unsere Auffassung vom Weltall ändern. Das gleiche gilt für die Homöopathie: die Datenlage aus 200 Jahren Wissenschaftsgeschichte ist einfach überwältigend. Wohl kaum etwas in der Medizin ist besser und gründlicher untersucht worden als die Homöopathie. Diese Datenlage kann mit einer positiven kontrollierten Doppelblindstudie nicht ausgehebelt werden. Es wäre um Größenordnungen wahrscheinlicher, dass diese Studie fehlerhaft war; und wenn sie es nicht war, dann kann sie nur das methodisch bedingte, unausweichliche 5% Grundrauschen repräsentieren. Die weitere „Forschung“ auf diesem Gebiet wäre in der Tat sinnlose Vergeudung von Ressourcen. Es genügt vollständig, sich mit den bereits vorliegenden zusammenfassenden Berichten bekannt zu machen (z.B. dem Donner-Report 1966, dem Bericht an das House of Commons 2010, dem australischen NHMRC-Papier von 2014 oder unüberschaubar vielen anderen mehr). Mehr…
Allgemein empfehlen wir das (frei erhältliche) Buch „Testing Treatments“, das einige der angesprochenen Themen und weitere thematisiert. Es enthält viele interessante Betrachtungen. Eine deutsche Übersetzung der ersten Ausgabe von 2006 enthält die meisten der grundsätzlichen Punkte.
Im Wesentlichen sind uns folgende grobe Punkte eingefallen:
In den kommenden Jahren wird Deutschland mehr ausgebildetes medizinisches Personal benötigen. Ein Ärztemangel ist zu erwarten.
Heilpraktiker haben aus unserer Sicht großes Potential, die Situation zu entlasten. Damit dies sinnvoll geschehen kann, ist im ersten Schritt eine Normierung der Ausbildung erforderlich. Heilpraktiker haben heute kaum Behandlungsrechte, da ihre Ausbildung beliebig schlecht sein kann. Viele wenden sich daher „Schwurbelmethoden“ zu.
Um eine zügige Verbesserung zu erreichen, sollte Heilpraktikern eine Anzahl im Detail zu definierender Kurse angeboten werden, deren Absolvierung im Gegenzug schrittweise durch Kassen und Ämter abgeglichene Behandlungs-/Versorgungsrechte einräumen. Als Beispiele kämen folgende Punkte in Frage:
Impfberatungen und Durchführung von Schulimpfungen wie Beratung/Aufklärung der Eltern
(Vor/Nach-)Betreuung bei Krankenhausaufenthalten
Durchführung der Anamnese (Wikipedia: Anamnese)
Diätberatung
Betreuung chronischer Erkrankungen
usw.
Selbstverständlich sind langfristig grundlegende Kurse sowie Weiterbildung Pflicht. Weiterbildungspunkte für nicht SBM- oder EBM-basierenden Unfug sind nicht akzeptabel. (Diese Forderung ist nicht heilpraktikerspezifisch und sollte für alle Bereiche und Universitäten gelten.)
Implementierung eines Pilotversuchs eines „Health Impact Fund“
Das Gesundheitssystem leidet unter dem fundamentalen Problem, dass Pharmafirmen ihren Gewinn aus dem möglichst teuren Verkauf von möglichst vielen Medikamenten ziehen. Sie sind wie alle Firmen ihren Anteilseignern verpflichtet, den maximal möglichen Gewinn zu erwirtschaften.
Im Gesundheitsbereich hat dies jedoch im Gegensatz zu vielen anderen Industrien erhebliche ethische Konsequenzen. Das Konzept der Gewinnmaximierung, Patente und Klagen, Marketingausgaben, die doppelt so hoch sind wie Forschungsausgaben, Einflussnahme auf Ärzte, … schadet der Gesundheitsversorgung von uns allen.
Die Idee des Health Impact Fund könnte viele Probleme des aktuellen Systems lösen. Es gibt natürlich auch Kritik. Es wäre notwendig, dieses Konzept in einem Pilotversuch zu testen. Die Idee wird weltweit bereits von namhaften Wissenschaftlern, Medizinern und Ökonomen, sowie auch einigen Abgeordneten der SPD unterstützt. Ein Antrag im Deutschen Bundestag legt die Idee auf Deutsch dar, das folgende TED Video ebenso:
(Leider zur Zeit keine Übersetzungen verfügbar)
Forschungsförderung an Universitäten unter einer Open Data/Open Science Klausel
Forschung an Universitäten sollte, da von unseren Steuergeldern finanziert, frei zugänglich und frei publiziert sein. Ideal wäre natürlich eine freie Veröffentlichung jeglicher Forschungsergebnisse, aber dies würde die Zusammenarbeit mit Privatfirmen verhindern. Universitäten müssen die Möglichkeit zur Vermarktung oder zur Kooperation mit Firmen haben. Dazu müssen Hybridmodelle geschaffen werden. Uns ist klar, dass die Schaffung solcher Modelle kein triviales Problem ist; hier müssen verschiedene Modelle in der Praxis evaluiert werden (z.B. könnte ein Prozentsatz der Forschungsgelder für „unfreie“ Forschung zur Verfügung stehen).
Immens wichtig erscheint uns auch die Forderung nach Veröffentlichung von jeglicher gescheiterter Forschung. Unangenehme Ergebnisse dürfen nicht in der Schublade verschwinden. Dem Problem der Publikationsbias muss Einhalt geboten werden.
Entlastung bei den bürokratischen Anforderungen an Ärzte.
Die bürokratischen Anforderungen an Ärzte sollten optimiert werden, zum einen durch die Überprüfung der Sinnhaftigkeit, zum anderen durch Delegation restlicher Anforderungen (viele Kliniken machen das jetzt schon).
Schließung von rechtsfreien Räumen in Bezug auf Quacksalberei unter Ärzten
Wenn einige Ärzte und Quacksalber rechtsfreie Räume nützen können, um Patienten über Jahre finanziell auszusaugen und ins Grab zu bringen (Klehr), ist etwas faul im Staate Deutschland. Diese rechtsfreien Räume sollten durch Definition und Implementierung klarer Zuständigkeiten geschlossen werden.
Wir hoffen, dass diese Ideen für die weitere Diskussion brauchbar und befruchtend sind.
Frohe Weihnachten und Mast- und Schotbruch im Neuen Jahr!
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