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Artikel Tagged ‘Zensur’

Wikipedia denkt über Streik nach

14. Dezember 2011 Keine Kommentare

In den USA wird zur Zeit über den so genannten Stop Online Piracy Act(SOPA) diskutiert, ein Gesetz, das dem Justizministerium und Rechteinhabern weitergehende Rechte einräumen würde. Webseiten, die urheberrechtlich geschütztes Material zur Verfügung stellen oder den Zugriff auf solches Material erleichtern(!), könnten per Gerichtsbeschluss gesperrt werden. Auch Services wie Paypal müssten finanzielle Transaktionen unterbinden.

Webseiten, die selbst Schritte unternehmen, um entsprechende Seiten zu sperren oder Links entfernen, werden mit Immunität belohnt. Wenn eine Webseite also nicht aktiv das Benutzerverhalten aufzeichnet und beobachtet, können Rechteinhaber behaupten, dass die Seite den Richtlinien des Gesetzes nicht genügt.

Internet-Provider müssten den Zugriff aus den USA auf solche Seiten unmöglich machen, Suchmaschinen dürften diese Seiten nicht mehr anzeigen. Streaming von urheberrechtlichem Material würde zum Schwerverbrechen(Wikipedia listet dazu: Mord, Vergewaltigung, schwere Körperverletzung, Brandstiftung, Raub, …).

Das Problem an diesem Gesetz ist aber vor allem, dass es die technische Infrastruktur für die sofortige Auslöschung jeder unangenehmen Information möglich machen würde. Wenn Suchmaschinen die Info nicht mehr finden, wenn Facebook und Twitter die Links darauf nicht zulassen?

Kritiker des Gesetzes merken weiter an, dass dies das Äquivalent zur großen Firewall von China wäre, viele Anbieter von Services daraufhin die USA verlassen würden, die EFF (Electronic Frontier Foundation) kritisierte das Gesetz massiv. Services wie Tumblr und Vimeo könnten vermutlich dicht machen. Die Proxy Server, die z.B. im Arabischen Frühling genutzt wurden, würden durch dieses Gesetz illegal.

Die Gefahr für Missbrauch ist gewaltig. Wenn z.B. Wikileaks einfach nie verlinkt hätte werden können, von keiner Suchmaschine gefunden hätte werden können? Auch die Wikipedia ist betroffen, ein Bild genügt theoretisch…

Jimmy Wales hat nun auf seiner Diskussionsseite zur Diskussion gestellt, ob die Wikipedia gegen dieses Gesetz streiken soll. In der Diskussion haben sich etwa 80-90% der Beteiligten dafür ausgesprochen, etwas zu unternehmen. Z.B. die Wikipedia Offline zu nehmen, wie es vor kurzem schon die italienische Wikipedia getan hat.

Ziehen wir uns warm an und machen wir uns auf ein paar kalte Tage ohne Wikipedia gefasst.

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Theologe vs. Wissenschaftler: Es tut so weh, wenn man verliert…

2. November 2011 12 Kommentare

Und weil es so weh tut, möchte man natürlich als Theologe unbedingt den Streisand-Effekt nutzen, damit auch wirklich alle davon erfahren. Völlig logisch. So gerade geschehen:

Professor Jerry Coyne (Ökologie und Evolution) an der Universität von Chicago und der Theologe John Haught von der Georgetown University haben im Oktober zum Thema “Are science and religion compatible?“ debattiert. Beide hatten im Vorhinein eingewilligt, dass die Debatte inklusive der Zuschauerfragen aufgezeichnet würde. Die Veranstaltung wurde vom Gaines Center for the Humanities an der Universität von Kentucky ausgerichtet, auf der man auch die die Videos früherer Debatten findet.

Jerry Coyne war sich in seinem schriftlichen Report recht sicher, dass er sich sehr gut geschlagen hat. Er hatte als Vorbereitung die Bücher von Haught gelesen (die wohl nicht so extrem spannend sind) und sich frühere Debatten auf youtube mit John Haught angesehen. Coyne hat dabei wohl vor allem mit Zitaten aus Haughts Büchern gepunktet und am Ende gab es sogar Standing Ovations! (nach Angaben des Veranstalters wohl das erste mal überhaupt bei einer von ihnen ausgerichteten Debatte). Es dürfte wohl recht spannend gewesen sein.

Nur, so genau werden wir es wohl nie erfahren. Denn das Video wird es nicht zu sehen geben. Haught hat nämlich quasi im Nachhinein die Erlaubnis zur Veröffentlichung zurückgezogen und der Direktor des Gaines Centers hält ihm die Stange.

Jerry Coyne ist jedenfalls ziemlich verärgert und findet klare Worte:

I am deeply angry about this stand, and can see only one reason for what Haught has done: cowardice. He lost the debate; his ideas were exposed for the mindless theological fluff that they were; and I used his words against him, showing that even “sophisticated” theology, when examined under the microscope of reason, is just a bunch of made-up stuff, tales told by idiots, full of sound and fury, signifying nothing.

Die Ausstrahlung des Videos mag John Haught verhindert haben, aber der Vorfall ist bereits in der Wikipedia unter seinem Personeneintrag beschrieben und Nachrichtenportale, die es sonst nicht interessiert hätte, berichten darüber. Er hat nicht nur verloren, er hat auch noch für die Verbreitung der Niederlage gesorgt. Und die Niederlage, die sich die Leute vorstellen, wird immer schlimmer sein, als die reale. Es gibt wenig, auf dass das Internet so allergisch reagiert, wie Zensur.

Censorship like this is not good for academic discourse; it serves only to protect the weak bastion of theology from the cannons of reason. Shame on you, John Haught, and shame on the Gaines Center for being complicit in the censorship.

Italienische Wikipedia vor dem Aus?

4. Oktober 2011 4 Kommentare

Falls jemand glaubt, die Frage im Titel ist übertrieben, der möge die italienische Wikipedia ansurfen: http://it.wikipedia.org

Dort wenden sich die Nutzer der Wikipedia an die Öffentlichkeit und bitten um den notwendigen Aufschrei, der auch international erfolgen sollte. Hier der volle deutsche Text der Erklärung:

Lieber Leser,

zum derzeitigen Zeitpunkt besteht die Gefahr, dass die italienischsprachige Wikipedia nicht mehr den nützlichen Service, den der Leser bisher erwarten konnte, erbringen kann. Zurzeit ist die Seite, die Sie gerade lesen möchten, nur versteckt, doch es besteht die Gefahr, dass wir bald dazu gezwungen werden können, sie wirklich zu löschen.

In den vergangenen zehn Jahren wurde Wikipedia Teil im Leben von Millionen Internetnutzern, weil sie eine neutrale, frei lizenzierte und vor allem unabhängige Wissensquelle darstellte: eine neue, großartige Enzyklopädie, die jederzeit frei und kostenfrei zugänglich war.

Heute aber stehen die Säulen, auf denen Wikipedia gebaut war: Neutralität, Freiheit und Überprüfbarkeit ihrer Inhalte unglücklicherweise auf wackligem Boden. Ursache dafür ist der Paragraph 29 eines italienischen Gesetzentwurfes, namens „DDL intercettazioni“ (Abhörmaßnahmen).

Dieser Gesetzesentwurf, den das italienische Parlament zurzeit debattiert, enthält neben anderen Dingen eine Verpflichtung für Webseiten, innerhalb von 48 Stunden kommentarlos jegliche Korrektur am Inhalt vorzunehmen, die der Antragsteller im Interesse seiner Reputation fordert.

Unerfreulicherweise verlangt dieses Gesetz keine Evaluation durch eine unabhängige dritte Person. Ausschließlich die Meinung der angeblich beleidigten Person oder Organisation genügt, um die geforderten Korrekturen an der Webseite durchsetzen zu lassen.

Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass jeder, der sich durch irgendeinen Inhalt in einem Blog, einer Online-Zeitschrift oder eben auch Wikipedia angegriffen fühlt, direkt die Entfernung des Inhalts und eine dauerhafte Veröffentlichung einer durch ihn korrigierten Fassung verfügen kann. Als Begründung würde es genügen, einen angeblich schädigenden Inhalt anfechten und widerlegen zu wollen – unabhängig von möglichen angegebenen Quellen und ohne Rücksicht darauf, ob der Inhalt wirklich ein persönlicher Angriff ist.

In all den Jahren haben sich die Benutzer der Wikipedia (zur Erinnerung: Wikipedia hat keine festangestellte Redaktion) verpflichtet gefühlt, auf Nachfrage hin jede Art von Inhalt zu überprüfen, der für jemanden nachteilig sein könnte, ohne dabei auf die Neutralität und Unabhängigkeit des Projektes verzichten zu müssen. In dem sehr seltenen Fall, in dem es nicht möglich war, eine für beide Seiten zufriedenstellende Lösung zu erreichen, wurde die Seite gelöscht.

Die sich aus Paragraph 29 ergebende Verpflichtung, die Korrektur ohne Recht auf Diskussion und Überprüfung der Inhalte veröffentlichen zu müssen, würde zu einer inakzeptablen Beschneidung der Freiheit und Unabhängigkeit der Wikipedia führen, zur Beschädigung der Prinzipien, auf denen Wikipedia steht, ja letztlich zum Ende des Projektes, wie wir es bis heute kennen.

Es sollte klar geworden sein, dass niemand von uns den Schutz der Reputation, Ehre oder des Ansehens irgendeiner Person oder Organisation in Frage stellen möchte, sondern wir darauf hinweisen, dass jeder italienische Staatsbürger schon durch Artikel 595 des Strafgesetzbuches vor Diffamierungen geschützt ist.

Mit dieser Ankündigung wollen wir unsere Leser über die Gefahren aufklären, die auf uns zu kämen, wenn jedermann selbst in der Lage wäre, willkürlich den Schutz seines eigenen Ansehens und seiner eigenen Reputation durchzusetzen. Unter solchen Bedingungen werden Internetbenutzer wahrscheinlich Abstand davon nehmen, sich mit gewissen Themen oder Personen zu beschäftigen, einzig um Ärger aus dem Weg zu gehen.

Wir wollen Wikipedia frei und offen für alle belassen, weil unsere Artikel auch eure sind – wir sind schon neutral, wieso wollt ihr uns neutralisieren?

Die Benutzer der italienischsprachigen Wikipedia

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