Artgerecht ist nur: das Gegessenwerden

 

Sucht man in der Bildersuche einer bekannten Internet-Suchmaschine (die mit G beginnt und mit oogle aufhört) unter dem Stichwort „Gnadenhof“, so findet man eine ganze Menge mehr oder minder putziger Tierchen, die behütet im Kreise ihrer engsten Wahlverwandten ihren Lebensabend zubringen. Auch Frau Hilal Sezgin, Schriftstellerin, Journalistin und Autorin, unterhält so eine Einrichtung, die sie allerdings aus emotionaler Rücksichtnahme nicht Gnadenhof, sondern „Lebenshof“ nennen mag. Sie kennen Frau Sezgin nicht zuletzt als Urheberin der Sentenz:

„Artgerecht ist nur die Freiheit“

die bekanntlich auch der Titel ihres bestverkauften Buches ist.

Gnadenhof Kreuzwertheim

Das mag sein, aber es verträgt sich nicht mit den visuellen Informationen, die der Betrachter aus der Bilderrecherche erlangt. Denn dort wimmelt es von: Zäunen.  Mal sind es Maschendrahtzäune, mal sieht man zusammengeschnürte Bauzäune aus gewöhnlichen Doppelstabmatten, ein andermal sind es Jägerzäune, Bretterzäune, und so geht das immer weiter. Stimmt etwas mit der Selbstwahrnehmung der Hofbetreiber nicht? Vielleicht. Aber was da jedenfalls nicht stimmt, ist die Vorstellung von „Freiheit“ und von dem, was Freiheit eben auch bedeutet.

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Medicus oeconomicus: Zur Pandemie der honorarmaximierenden Zahnbehandlung

Ein Forist hat kürzlich über seine stomatologischen Erfahrungen berichtet. Wir fanden seinen Bericht so bemerkenswert, dass wir ihn einem größeren Publikum vorstellen wollen. —— Letztens war ich nach langer Zeit mal wieder beim Zahnarzt (in einer Uni-Klinik). Neben anderen wichtigeren Dingen empfahl man mir ganz unverbindlich und optional eine „Kariesinfiltration“ – kommerziell „icon“ genannt. Mit … Weiterlesen

#WeToo: Psiram ist dabei

Plötzlich lesen alle Gedichte; ein bestimmtes Gedicht jedenfalls. Es heißt „avenidas y flores“, wurde 1951 von dem Schweizer Eugen Gomringer in spanischer Sprache verfasst und ziert (noch) eine Fassade der Alice Salomon Hochschule in Berlin, die ihn dafür, ganz nebenbei, mit einem Literaturpreis auszeichnete. Es geht um Alleen, Blumen, Frauen und einen Bewunderer; und der … Weiterlesen

Das Elend der Selbsthilfeorganisationen – ein Fallbeispiel

Selbsthilfeorganisationen und Selbsthilfevereine genießen weitverbreitet ein hohes gesellschaftliches Ansehen; auch wenn hier und da gelegentlich unangenehme Fragen auftauchen und die Effektivität der gewährten Hilfe durchaus in Frage stehen kann. Dass die Bedenken zuweilen nicht ganz unbegründet sind, liegt zu einem guten Teil an der Kritiklosigkeit, mit der solche Organisationen ihre Hilfsangebote zusammenklauben. Hier und da wäre ein fundierter fachlicher Rat besser als der schiere gute Wille. Kehrt sich dieses Verhältnis um, rollen die redlichen Ansätze geradewegs den roten Teppich aus für die Verbreitung pseudomedizinischer Heilsversprechen, über deren Validität sich erkennbar niemand dort ein fundiertes Urteil geschaffen hat. Ein Beispiel? Bitte sehr:

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Das Wahrheitsministerium hat gesprochen

Die Trump-Administration verbietet der obersten Gesundheitsbehörde der USA (Center for Disease Control and Prevention, CDC) die Verwendung einer Liste von sieben Begriffen. The forbidden words are “vulnerable,” “entitlement,” “diversity,” “transgender,” “fetus,” “evidence-based” and “science-based.” Washington Post vom 15. Dezember 2017 Anstelle von „wissenschaftsbasiert“ oder „evidenzbasiert“ soll die Phrase „Das CDC gründet seine Empfehlungen auf die … Weiterlesen

Saarbrücker Zeitung entlarvt Psiram

Die Saarbrücker Zeitung vom 12. Dezember 2017 bricht eine Lanze für das informationelle Selbstbestimmungsrecht und die Persönlichkeitsrechte. Da sind wir auch für, klar. Kommen wir aber zu den Beispielen für die Rechte, die geschützt werden müssen. Aus einem Gerichtsurteil zu „„fahrerbewertung.de“ meint die Zeitung, folgendermaßen verallgemeinern zu können:

Heute gibt es den Pranger von einst in digitaler Form im Internet: angefangen vom „Pascha“ des Monats der feministischen Zeitschrift Emma über „der online-pranger“ für „unmögliche Unternehmen“ bis zu Internet-Plattformen wie „Psiram“ und „Sonnenstaatland“ oder der inzwischen verbotenen Seite „linksunten.indymedia“ von Linksextremisten. Das Ziel ist dasselbe geblieben: Menschen für das, was sie getan oder gesagt haben öffentlich vorzuführen.

Autofahrerschelte, Feminismus, Esoterik-Kritik, Reichsbürger-Satire, Linksextremismus, alles eine Soße.

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Das goldene Brett vor dem Kopf 2017

Pseudowissenschaften bedienen sich wissenschaftlicher Begriffe, ohne jedoch wissenschaftliche Methoden anzuwenden. Was dabei herauskommt, ist gewöhnlich ein gewaltiger Unfug. Außergewöhnliche Koryphäen dieser Disziplin werden seit 2011 mit einer besonderen Auszeichnung bedacht: dem goldenen Brett vor dem Kopf. Vergeben wird dieser Satirepreis jährlich von der Gesellschaft für Kritisches Denken (GKD), der Wiener Lokalgruppe der GWUP (Gesellschaft zur … Weiterlesen

Mittelalter-Flacherde reloaded

A Newtonian might put it this way:
for every myth there is an equal and opposite myth.
– Noah J. Efron

Kürzlich haben wir im Blog versucht, über die Entlarvung des Mythos, das Mittelalter habe an die Erde als eine Scheibe geglaubt, zu berichten (hier). Wir hatten einen einzigen Kommentar:

Hä?

Da sind wir ein wenig in uns gegangen und zu dem Schluss gekommen, dass wir wohl etwas zu komprimiert und sprunghaft in unserem Text gewesen sind. Diejenigen, die mit der Materie bisher nicht so befasst waren (sicher 99,9% unserer Leser; so wichtig ist die Angelegenheit schließlich nicht), lässt unser Blogbeitrag ratlos zurück. Wir wollen deshalb noch ein wenig Kontext liefern, einen etwas größeren Rahmen aufspannen und bei dieser Gelegenheit einige weitere, charakteristische Details beitragen.

Man weiß, dass Galilei von der katholischen Kirche verurteilt wurde, weil er die Erde aus dem Mittelpunkt des Universums geworfen hatte [1]. Man weiß: Kolumbus hat mit seiner Entdeckung Amerikas bewiesen, dass die Erde rund ist. So steht es in den Schulbüchern; auch jetzt noch [2]. Letztere Behauptung ist jedoch so unzulässig verkürzt, dass sie geradezu falsch ist, was eigentlich seit längerem [3] klargestellt sein sollte. Im 15. Jahrhundert war die Erde längst rund; theologische Bedenken über die Gestalt der Erde spielten bei der Reise des Kolumbus nur eine untergeordnete Rolle, wenn es auch plausibel ist, dass sie eine Rolle spielten [4].

Auftritt Jeffrey Burton Russell

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Nachtrag zu: Werner Rügemer und die „jüdischen Aufsteiger“

Anfang August dieses Jahres haben wir uns schon einmal mit der verschroben antisemitischen Weltsicht des Werner Rügemer befasst.

Dabei bemühten wir uns um Sachlichkeit. Jede Aussage wurde im Zweifel stets zugunsten Rügemers ausgelegt; der Vorwurf des Antisemitismus wurde nur erhoben, wenn er einwandfrei belegbar ist.

Inzwischen liegt uns ein aber ein Gerichtsurteil (*) vor, nach dessen Lektüre wir einräumen müssen, ihn zu wohlwollend kommentiert zu haben.

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Der fröhliche Bischof Virgil reitet auf der Erdkugel in die Neuzeit

Von mancherlay gestaltnus der menschen schreiben Plinius: Augustinus vnd ysidorus die hernachgemelten ding. Doch ist als Augustinus schreibt nit zuglawben das ettliche menschen an dem ort der erden gegen vns da die sunn auff geet. so sie wider nider geet die versen gegent vnsern fueßen keren. [Weltchronik des Hartmann Schedel, 1493 f. 12 recto]

Kürzlich erwähnten wir die merkwürdige aber vielfältig verwendbare Ansicht von der Erde als einer Scheibe: die Eintagsfliege Scaramucci hatte versucht, mit ihr die Wissenschaft lächerlich zu machen (hier). Die kryptosatirische Flat Earth Society vertritt sie, aber das Mem begegnet uns auch in anderen Zusammenhängen, die man sorgfältig von dieser Skurrilität unterscheiden sollte. So heißt es vielfach, insbesondere die amerikanischen Autoren des 19. Jhd. Irving, Draper und White hätten in ihren antichristlichen Polemiken die Idee propagiert, Kolumbus habe gegen die mittelalterliche Vorstellung von einer flachen Erde ankämpfen müssen. Sie wollten die Religion anschwärzen. Dazu wäre einiges zu sagen, aber wir wollen uns hier auf ein Detail beschränken.

In Deutschland sollte das ja nun schon länger kein Thema mehr sein (Gerhard Prause, Niemand hat Kolumbus ausgelacht, 1966). Ist es aber, wir kommen darauf zu sprechen. Der international erfolgreiche Debunker dieses Mythos, d. h. der These, das Mittelalter habe an eine flache Erde geglaubt, ist Jeffrey Burton Russell [1] (es besteht keine Gefahr, ihn mit Bertrand Russell zu verwechseln). Für Russell dient die völlige Überzeichnung der Flacherde-Geschichte dazu, sie als erlogenen Keim und Kern der Auffassung von der Inkompatibilität von Religion und Wissenschaft hinzustellen, und so bemüht er sich, die Aufklärung gleich mit im Klo runterzuspülen. Voltaire war ein „großer Satiriker“, Hobbes hat „geprahlt“; Condorcet, Diderot, Benjamin Franklin, Edward Gibbon, Hume „waren unermüdlich in ihrer Verachtung für das Christentum und besonders für das Mittelalter“, und Thomas Paine war „zügellos“ [unbridled] (S. 61). Verweilen wir ein wenig bei letztgenanntem.

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