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Keyword: ‘Walach’

Befleckte Medizinsoziologie 1

23. September 2022 3 Kommentare

Der Anlass

Frau Doktor Dana Mahr, Medizinsoziologin in Genf, hat erneut ihre Einstellungen bzgl. der aktuellen Gender/Trans-Debatte bekannt gegeben (hier). Im Rahmen dessen erwähnt sie auch Frau Nüsslein-Volhard, die zuvor einige Dinge zurechtgerückt hatte (hier). Mahr schreibt:

Diese sehr eindeutige, sehr vereinfachende Sicht auf das menschliche Geschlecht sagt weniger über die Biologie des Menschen als über die wissenschaftliche Sozialisation von Frau Nüsslein-Volhard aus. Denn einerseits war ihre Hauptschaffensphase in den 1970er und 1980er Jahren (in der es das Feld der Systembiologie noch nicht gab), und andererseits fokussierte sich ihre Forschung auf Modellorganismen wie Zebrafische und Fruchtfliegen.

Die Nobelpreisträgerin hat die letzten 40+ Jahre ihrer Wissenschaft verpennt und hatte auch vorher schon keine Ahnung.

Aber es bleiben Unklarheiten. Als Begründer der „Systembiologie“ gelten Hodgkin und Huxley 1952. Und zuvor hatte Mahr (hier) Frau Marie-Luise Vollbrecht vorgeworfen, dass sie nicht über „gewisse Schleimarten oder Pilze gesprochen“ habe, „die in einem sehr generellen Sinn die Tendenz zur Zweigeschlechtlichkeit unterlaufen“ würden, was ein sicheres Zeichen der Transfeindlichkeit und des Rechtsextremismus gewesen sei. Es ist also nicht so, dass der Blick auf niedere Lebewesen zu verachten ist – es muss nur der richtige, nämlich der soziologische, sein.

Ein so krachendes Scheitern eines klassischen ad hominems (Sonderform des genetic fallacy, Abwehr von Sachargumenten mittels Hinweis auf ihre Herkunft) sieht man nicht häufig. Glückwunsch, Frau Mahr! Die Frage drängt sich auf, wie eine solch überragende Qualifikation erworben werden konnte, und das ist leicht zu prüfen. Eingangs des zitierten Texts wird herausgestellt, dass 2021 ihr Buch „The Knowledge of Experience. Exploring epistemic diversity in digital health, participatory medicine, and environmental research“ erschienen ist. Werfen wir einen Blick hinein. Da gibt es ein Kapitel ,,2.2 What Are Scientific Facts?“. Es handelt sich um eine mäandernde Plauderei, in der etwas Definitionsähnliches nicht zu finden ist, dafür aber der Hinweis darauf, dass wissenschaftliche Fakten ein „Amalgam von empirischen, methodischen, technologischen, sozialen, räumlichen und historischen Faktoren“ seien. Zur theoretischen „Begründung“ verweist sie ausführlich auf Ludwik Fleck, der in seinem Buch „Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache“ 1935 erstmals auf die soziale Seite wissenschaftlicher Fakten hingewiesen habe.

Eine andere Façette des wissenschaftlichen Outputs von Dana Mahr hatten wir in unserem Forum berührt (hier, hier). Im folgenden soll es jedoch um das Buch von Ludwik Fleck gehen, zumal sich auch der bekannte Professor Harald Walach (Ritter der Homöopathie, Entdecker der schwachen Quantentheorie, Priester des Kozyrev-Spiegels, Corona-Zweifler usw. usf.) darauf beruft.

Teil 1 unserer Serie zur Wissenschaftstheorie von Ludwik Fleck
Teil 2

Editiert 24.09.2022. In der ursprünglichen Version wurden der akademische Grad von Dana Mahr und der Vornamen von Marie-Luise Vollbrecht falsch wiedergegeben. Peinlich. Wir bitten um Entschuldigung.
Editiert 28.09.2022. Wir haben noch eine Ergänzung hinzugefügt:


Ludwik Fleck – tl;dr (Einstieg für Eilige)

Diese kurze Blog-Serie zur Wissenschaftstheorie von Ludwik Fleck wurde als „viel zu viele Worte“ in die Tonne getreten. Betrübt müssen wir das einsehen. Für einen Blog hat sie in der Tat eine ungewöhnliche Länge, und von den Kritikern darf man so viel Sitzfleisch einfach nicht erwarten. Auch der eine oder andere potentiell Interessierte wird sich fragen „was soll’s?“

Fleck ist kein Nischenprophet. „Ludwik Fleck“ hat 82.000 Googletreffer, und bei Google Scholar sind es 11.600. Das Zyklos 3 Jahrbuch für Theorie und Geschichte der Soziologie, 350 Seiten lang, von 2017 ist zur Hälfte ihm gewidmet. Es gibt einen „Ludwik-Fleck-Preis“ der „Gesellschaft für Sozialwissenschaften der Wissenschaft“, Symposionsbände usw., was immer das Herz begehrt.

Deshalb hier vorab ein kurz kommentierter Auszug aus Flecks „Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache“ 1935 mit einigen Kernthesen. Wir untersuchen nicht, was sie mit Kuhn, Feyerabend, Latour, Bourdieu gemeinsam haben, sondern wir kontrastieren sie mit der Wirklichkeit. Wir beschränken uns auf die eine oder andere krass kontrafaktische Behauptung und lassen die philosophisch windigen Folgerungen weitgehend aus (dazu mehr im Haupttext). Solche Aussagen müssen nicht von Paraphrasen umspült, sondern geprüft werden. Dann ist auch ein Urteil über die Theorien möglich, die auf ihnen aufbauen. „Sätze von Systemen hängen aneinander wie Mitglieder von Verbrecherbanden. Einzeln überwältigt man sie leichter“ (Brecht). Genug der Vorrede.

[…] daß keine sogenannten empirischen Beobachtungen den Aufbau und die Fixierung der Idee [der Grundidee der Syphidologie] durchführten (S. 6)

Die Grundidee hat sich also durch reine Gedankenarbeit, durch Wesensschau entwickelt; noch abgesehen davon, dass Beobachtungen nichts durchführen, sondern höchstens die Menschen, die sie anstellen (Platonisten werden fragen: na und?).

Der Syphiliserregergedanke führt in die Ungewißheit des bakteriologischen Artbegriffes und wird an dessen Schicksalen teilhaben. (S. 28)

Man schlage dazu ein beliebiges Lehrbuch von heute auf, das sich nur entfernt mit dem Stoff befasst, und man wird sehen, wie richtig der zweite Satzteil gewesen ist. Fleck war hier korrekt wider Willen.

Es wird sich früher oder später eine Umarbeitung des Energieerhaltungssatzes als notwendig erweisen – und dann wird man vielleicht an einem verlassenen »Irrtum« rück-anknüpfen müssen. (S. 31)

Wir irren uns voran. Aber wie wahrscheinlich ist es, dass wir in die Zeit vor der Entdeckung des Energieerhaltungssatzes zurückkehren? Die Vorstellung von einer approximativen, näherungsweisen Wahrheit ist Fleck unbekannt geblieben.

[M]an darf die Syphilis nicht formulieren als »die durch Spiroch. pallida hervorgerufene Krankheit«, sondern umgekehrt, muß Spiroch. pallida als »der zur Syphilis Beziehung habende Mikroorganismus« bezeichnet werden. (S. 32)

So wie man nicht an, sondern nur mit Corona stirbt – und nicht mit, sondern nur an der Impfung.

Man kann nicht nur vollkommen andersartige Krankheitseinteilungen einführen, wie es die Geschichte lehrt, aber man kann auch überhaupt ohne den Begriff einer Krankheitseinheit auskommen. (S. 32)

Selbstverständlich kann man mit anders gelagerten, gänzlich fiktiven oder auch ohne Krankheitseinheiten auskommen – die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) führt es vor (vgl. hier). Man sollte dann nur nicht nach kausalen Therapien fragen.

Der Erregergedanke führt über die neuzeitliche ätiologische Etappe bis zur Kollektivvorstellung vom Krankheitsdämon zurück. (S. 56)

Das Treponema pallidum ist der Krankheitsdämon. Was ist über die Erfolge schamanischer Behandlungsmethoden der Syphilis bekannt geworden?

Es ist sehr schwer, wenn überhaupt möglich, die Geschichte eines Wissensgebietes richtig zu beschreiben. Sie besteht aus vielen sich überkreuzenden und wechselseitig sich beeinflussenden Entwicklungslinien der Gedanken […] (S. 23)

Ja, schwer, aber doch nicht unmöglich. Man kann sich dem Thema nähern wie Lynn Thorndike, der den Fortschritt in Magie ertränken will, oder wie George Sarton, der ihn in den entlegensten Autoren aufspürt.

Der Satz »Schaudinn hat Spir. pallida als den Erreger der Syphilis erkannt« entbehrt ohne weiteren Zusatz eindeutigen Sinnes, denn »Syphilis an sich« existiert nicht. (S. 55)

Das ist ein klarer Fall von Tuberkelbazillus, „das vor Koch keine wirkliche Existenz“ hatte (dies war die Antwort von Bruno Latour auf die Frage, ob Ramses II an Tuberkulose gestorben ist).

Der Sinn und der Wahrheitswert der Schaudinnschen Erkenntnis [vom Syphiliserreger] liegt also in der Gemeinschaft der Menschen, die in gedanklicher Wechselwirkung stehend und gemeinsamer gedanklicher Vergangenheit entstammend, seine Tat ermöglichten und dann aufnahmen. (S. 56)

Der Sinn und Wahrheitswert der Schaudinnschen Erkenntnis liegt in seiner Übereinstimmung mit der Realität. Fleck vertritt hier eine Konsensvorstellung von Wahrheit, die dem ältesten Begriff von ihr entspricht und von der sich selbst Habermas wieder verabschiedet hat.

Aber sie [die philosophierenden Naturforscher] begehen ihrerseits den Fehler, allzugroßen Respekt vor Logik, eine Art religiöser Hochachtung vor logischem Schließen zu haben. (S. 69)

Die Naturforscher sollten auf die Hochachtung vor logischem Schließen verzichten – will offenbar heißen, nicht nur der Korrespondenzbegriff der Wahrheit (der bei Fleck nicht vorkommt), sondern auch ihr Kohärenzbegriff wird überbewertet (mehr zu diesem Thema hier). Eine solche Kühnheit vernimmt man nicht alle Tage.

Die [Wassermann]-Reaktion […] fußt auf genauen quantitativen Berechnungen, doch ist immer der klinische Blick, das »serologische Fühlen« viel wichtiger als Berechnung. (S. 73)

Dieser goldene Satz ist der Generalschlüssel, um mit allen unbequemen oder unpassenden Ergebnissen fertig zu werden (was dazu zu sagen wäre, findet sich in Teil 5).

„1. Der Begriff der Infektionskrankheit“ sei nur ein Ausdruck „primitive(r) Kampfbilder“, die Vorstellung von einer „‚Ursache‘ der Krankheit“ müsse aufgegeben werden (S. 79).
„2. Folglich muß der Begriff der Immunität in jenem klassischen Sinne aufgegeben werden.“ (S. 83)
Viele klassische Begriffe der Immunitätslehre entstammen der Epoche des chemischen Wahnes […] (S. 83)
Die Einteilung in humorale und zelluläre Faktoren (der französische Ritus schreibt den zweiten, der deutsche den ersten größeres Gewicht zu) ist nicht legitimierbar. (S. 84)

Antikörper, humorale und zelluläre Faktoren und Spezifität sind die Grundbegriffe der Immunologie geblieben, so wie Kraft noch immer Masse mal Beschleunigung ist, trotz Relativitätstheorie. Vom Wahn der Toxine, der Rezeptoren, des Komplements hat sich die Medizin noch immer nicht verabschiedet.

Alle diese Vergleichungen kontrollieren den Schluß und heißen »Kontrollen«. Gewiß, es ist nicht die erkenntnistheoretisch beste Methode, doch haben wir bis heute keine andere. (S. 84)

Wenn es keine andere Methode gibt, dann ist die vorhandene Methode zwangsläufig die Beste – das ist eine Tautologie. Das ist nicht nur nachlässig formuliert; Fleck hat hier eine großartige Gelegenheit verpasst, über Wissenschaftlichkeit in der biologischen Forschung zu sprechen. (Mehr dazu wieder Teil 5.)

Wir können vorläufig die wissenschaftliche Tatsache definieren als eine denkstilgemäße Begriffsrelation, die zwar von geschichtlichen, individuell- und kollektiv-psychologischen Standpunkten aus untersuchbar, aber nie ohne weiteres aus diesen Standpunkten inhaltlich vollständig konstruierbar ist. (S. 110)

Wenn das zutrifft, dann auch auf die Auferstehung Christi. Sie ist zweifellos denkstilgemäß, und sie ist eine Begriffsrelation (Relation i. S. von Erzählung, nicht von Beziehung). Sie ist individuell- und kollektivpsychologisch untersuchbar, aber inhaltlich nicht komplett begreifbar. Eine mehr als vorläufige Definition sucht man in dem Buch übrigens vergebens.

Auch im weiteren Text müht sich Fleck redlich, Glauben und Wissenschaft zu vereinen (mehr Einzelheiten dazu Teil 6). Doch was unterscheidet den Denkstil der Astrologen von dem der Astronomen, was macht die „Inkommensurabilität“ aus? Dazu hält er sich eigentümlich bedeckt. Der Denkzwang schlechthin kann nicht geringer gewesen sein. Wir brechen aber hier ab, um nicht wieder zu weitschweifig zu werden. Als erster Eindruck mag dies genügen.

Was lehrt uns das alles über die „Science & Technology Studies“, die sich auf Fleck berufen, und die uns zur Andacht dringend empfohlen werden?

Wie robust sind die Zitate der Pharma-„Kritiker“?

28. August 2022 1 Kommentar

Dr Johnson liest die erschütternde Neuigkeit (adaptiert von Wikipedia)

Wenn man wünscht, sein allgemeines Unbehagen über Medikamente, die Machenschaften der Pharma- und Impfmafia usw. mit anschaulichen Beispielen auszustaffieren, ist man bei Professor Harald Walach an der richtigen Adresse. Sein ganzes Berufsleben lang war dies einer seiner Schwerpunkte, was uns schon manche Glosse wert gewesen ist.

Vor nicht langer Zeit hat er uns erneut einen kurzen Text zu diesem Thema ins Stammbuch geschrieben. Nachdem er die initial überschätzte Wirksamkeit des Grippemittels Tamiflu anreißt, fährt er fort mit Exempeln aus einem Buch von Peter C. Gøtzsche. Gøtzsche war Mitbegründer des Nordic Cochrane Center, einem renommierten Forschungsnetzwerk zur evidenzbasierten Bewertung klinischer Studien. 2018 wurde er wegen möglicher Rufschädigung ausgeschlossen (hier, hier). In unserem Blog (hier) wie auch in unserem Forum (hier, hier) war gelegentlich von ihm die Rede. Walach referiert:

Peter C. Gøtzsche beschreibt in seinem neuen Buch „Mental Health Survival Kit and Withdrawal From Psychiatric Drugs“, das ich an dieser Stelle gerne weiterempfehle (siehe Link oben) einige weitere drastische Beispiele:

Lamotrigine

Für das Antiepileptikum Lamotrigine gibt es nur 2 publizierte positive Studien in der Literatur; 7 große negative Studien wurden nicht publiziert. Gøtzsche schreibt dazu: „Two positive trials are all it takes for FDA approval […]“ [7] (Dieses Literaturzitat hat mir Peter C. Gøtzsche am 25.6.2020 per E-Mail geschickt, er verwendet es auch in seinem Buch.)

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COVID-19: die Hobby-Epidemiologen geben Entwarnung

26. März 2020 18 Kommentare

Große Einschränkungen im sozialen Leben sind spürbar, und die Wirtschaft schlingert. Das muss doch auch anders gehen, sagt sich der Laie, und viele, die schon immer über alles Bescheid wussten, sind auch nun wieder um Lösungen nicht verlegen. Nehmen wir zum Beispiel diese Leuchte der Wissenschaft, den Herrn Professor Walach. Seine Erkenntnisse zur Corona-Pandemie teilt er der Welt unter dem Motto „keine Panik“ mit. Er erläutert zunächst einige Szenarien und schlussfolgert richtig: „Diese [d. h. die soziale Isolation] hilft nur, um den Ansturm auf die Intensivstationen zu bremsen, sonst nicht.“ Was das zu bedeuten hat, wollen wir uns im Folgenden etwas genauer anschauen.

Walachs Seelenruhe beruht auf einem Vergleich mit der Grippe:

Gemessen daran ist die Mortalitätsrate, die wir derzeit aus den weltweiten Zahlen der Corona-Virus-Infektion schätzen können mit 4% nicht höher, sondern eher niedriger.

Doch der Vergleich der Letalität (nicht: „Mortalität“, wie dieser frischgebackene Hobby-Epidemiologe sagt) zwischen Grippe und COVID-19 ist absurd. Gegen Grippe wird geimpft. Wenn ein Vergleich erlaubt ist, dann allenfalls mit der Spanischen Grippe im 1. Weltkrieg.

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Multiple Sklerose, coimbriert

10. Januar 2020 8 Kommentare

„Ihre Augen leuchteten wie die Fenster brennender Irrenhäuser.“
(aus Arno Schmidt, Leviathan)

Die Multiple Sklerose ist eine der häufigsten neurologischen Krankheiten in den gemäßigten Klimazonen des Erdballs. Der Median des Erkrankungsalters liegt bei 30 Jahren, und wenn man sie hat, wird man sie nicht mehr los. Viele tausend Forscher beschäftigen sich mit ihr, Milliarden Dollar wurden und werden zu ihrer Erforschung und Bekämpfung aufgewendet. Seit Anfang der 90er Jahre stehen wirksame Immuntherapien zur Verfügung. Inzwischen gibt es eine Fülle an wissenschaftlich abgesicherten Therapieformen, von denen einige, so hofft man, in naher Zukunft in der Lage sein werden, die immer schwelende Krankheitsaktivität vollständig zu unterdrücken. Die Medizin ist hier in schneller Entwicklung; was vor zwei Jahren richtig gewesen ist, hat heute nur noch eingeschränkte Gültigkeit. Es gilt dabei aber: hohe Wirksamkeit bedeutet häufig auch hohes Risiko, und es bleibt eine Herausforderung, für den richtigen Patienten die richtige Therapie zu finden.

Dieses Problem ist gelöst, das Allheilmittel ist gefunden: „Das Coimbra-Protokoll ist sicher eine der sensationellsten medizinischen Entwicklungen in der Medizin überhaupt. Sensationell, weil kaum für möglich gehaltene Therapieerfolge bei MS berichtet werden“, sagt Dr. med. Volker Schmiedel [1]. Das elektrisiert. Vor allem elektrisiert es, weil in der Fachliteratur gar keine Berichte vorliegen. Der Erfinder des „Coimbra-Protokolls“ ist der brasilianische Neurologe Cicero Galli Coimbra, welcher erkannt hat, woran die bisherigen Versuche, die MS mit Vitamin D zu behandeln, gescheitert sind. Sie waren nicht mutig genug, die Patienten mit toxischen Dosen zu behandeln. Placebokontrollierte Studien dazu sind unethisch, sagt er, weil das bedeuten würde, Patienten von vornherein aus seiner über jeden Zweifel erhabenen [2] Therapie auszuschließen, weil sie dann mit einer (tatsächlich stets unwirksamen) Placebotherapie verglichen werden müsste. Er hat recht, aber die Begründung ist falsch: placebokontrollierte Studien sind (inzwischen) unethisch, weil es heute nachgewiesen wirksame Therapien gibt. Mehr…

Lesereise 2: Konkretes und Abstraktes (Ontologie)

26. Dezember 2018 Keine Kommentare

Teil 2 unserer Serie zur Philosophie Bunges

Wenn es eine Idee gibt, die Bunges Philosophie zugrunde liegt, dann ist es wahrscheinlich diese: Man muss streng unterscheiden zwischen einer faktischen Existenz und einer konzeptuellen Existenz. Diese Unterscheidung durchzieht die gesamte Ontologie Bunges (Lehre vom Sein) und seine gesamte Erkenntnistheorie. Ich kenne keinen Philosophen, der da auch nur annähernd so konsequent ist. An keiner Stelle lässt er offen, ob er „von der Welt da draußen“ spricht oder von der Vorstellung, die wir uns von ihr machen. Ein Objekt kann entweder materiell oder konzeptuell sein, aber nicht beides zugleich. Ein materielles Objekt, d. h. ein real existierendes, hat einen Zustandsraum, d. h. es kann sich verändern; ein Konstrukt, d. h. ein konzeptuelles Objekt hingegen hat keinen Zustandsraum – es kann sich also strenggenommen weder verändern noch nicht verändern: „der Zustandsraum eines abstrakten Objektes [ist] leer“ [9]. Ein Konstrukt ist eine von ihrer Entstehung (Ideation) und ihrer Kommunikation abstrahierte Idee/Theorie [10], es ist eine Äquivalenzklasse von Gedanken (d.h. Hirnprozessen eines bestimmten Typs) [11], mithin nicht die individuelle, je einzigartige, reale Tätigkeit des einzelnen Gehirns. Konstrukte haben kein Eigenleben, nur konkrete Hirntätigkeit kann sie ‚verändern‘. Wenn alle Gehirne aufgehört haben zu existieren, dann gibt es auch keine Gedanken mehr, und aus Büchern und CDs werden tote Gegenstände ohne Bedeutung – die Poppersche Welt 3 hat ihr Ende gefunden.
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Psirama – Der Psiram-Wochenrückblick (KW50, 2017)

17. Dezember 2017 8 Kommentare

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Unsere Risikowahrnehmung ist ein äußerst unzuverlässiges Werkzeug. Tatsächlich existierende Gefahren werden unterschätzt, vernachlässigbare Risiken lösen dagegen unbegründete Ängste aus. Ein Zeitungsartikel über Glyphosat-Spuren in Weihnachtsbäumen führt zur Massenhysterie, tatsächliche Gefahren, etwa im Straßenverkehr oder durch den Genuss von Tabak und Alkohol, nehmen wir schulterzuckend in Kauf. Gegen diese kognitiven Verzerrungen hilft die konsequente Anwendung des kritischen Denkens und zwei einfache Fragen: „Wie sicher bin ich mir?“ und „Warum?“.  Im Podcast der Skeptiker Schweiz wird erläutert, wie wir Risiken wahrnehmen und warum uns eine oberflächliche Betrachtung in die Irre führt. Außerdem warten viele weitere Artikel in unserer wöchentlichen Linksammlung darauf, einer kritischen Prüfung unterzogen zu werden.
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Psirama – Der Psiram-Wochenrückblick (KW48, 2017)

3. Dezember 2017 35 Kommentare

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Ob es um Chemtrails, Glyphosat oder Impfungen geht, allzu oft siegt das Gefühl einer Bedrohung und eine verzerrte Risikowahrnehmung über das kritische Denken. Das Ergebnis sind dann falsche Entscheidungen oder völlig unnötige Ängste. Mit Hoffnungen verhält es sich ebenso. Wundermedizin gegen Krebs, eine Zaubermaschine, die alle Energieprobleme löst oder ein charismatischer Populist, der ein besseres Leben für alle verspricht: Das schnelle Denken, die emotionale Reaktion bestimmt den eigenen Standpunkt im Alltag oder in der Politik. In der öffentlichen Debatte lässt sich beobachten, dass derart leichtfertige Einschätzungen oft den Diskurs dominieren und die Stimme der Vernunft ungehört verhallt. Wer am lautesten schreit, gewinnt. Warum wird kritisches Denken, die faktenbasierte Beurteilung von Informationen, nicht bereits in der Grundschule unterrichtet? Wir haben einige Gegenstimmen zur grassierenden Panikstimmung gesammelt, diese durch neue Erkenntnisse aus Wissenschaft, Forschung und Medizin ergänzt und freuen uns wie immer auf Diskussionen und Vorschläge.
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Psirama – Der Psiram-Wochenrückblick (KW10, 2017)

12. März 2017 1 Kommentar

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Spaß mit der Techniker-Krankenkasse: Eine einfache Frage via Twitter löste in der letzten Woche eine interessante Diskussion aus: Wünschen Patienten die Behandlung mit wirkungslosem Zauberzucker auf Kassenkosten? Folgt die Kasse diesem Wunsch, warum werden dann Zahnersatz und Sehhilfe nicht erstattet? Diese Grundsatzdiskussion ist überfällig und will geführt werden: Wissenschaft oder Wunderwunsch – was zählt im Gesundheitswesen mehr?
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Vandana Shiva: Globalisierungs und GMO Schwurbelei

14. August 2016 28 Kommentare

Vor kurzem haben sich ja 110 Nobelpreisträger gegen Greenpeace und für gentechnisch verbesserte Organismen in der Landwirtschaft ausgesprochen, ein flammender Appell, den ideologisch begründeten und unvernünftigen Widerstand gegen diese Technologie im Allgemeinen und gegen Goldenen Reis im Speziellen doch endlich fallen zu lassen.

Dass dieser Aufruf bei Greenpeace auf taube Ohren fallen würde, war zu erwarten. Aber vielleicht bringt der Aufruf doch ein paar Menschen dazu, sich mit dem Thema zu beschäftigen und eigene Schlüsse zu ziehen.

Screenshot Bio mit Dr. der Nuklearphysik (Quelle: Forbes)

Screenshot Bio mit Dr. der Nuklearphysik (Quelle: Forbes)

Eine weitere Gegnerin der Grünen Gentechnik, gegen die sich dieser Aufruf der 110 Nobelpreisträger indirekt auch richtet, ist die „Nuklearphysikerin“ Vandana Shiva.

Sie bekämpft die Gentechnik und den Goldenen Reis schon seit mehr als einem Jahrzehnt mit diversen längst widerlegten Behauptungen.
Bekannt ist sie vor allem auch für ihre Anschuldigung, dass sich aufgrund von genmodifizierten Organismen (GMO) in Indien reihenweise Bauern umbringen. Wir haben uns damit im Blog schon mehrfach beschäftigt. Kurzzusammenfassung: Stimmt einfach nicht. Wer es genauer nachlesen möchte, findet dazu in den folgenden Artikeln Details:

    Obwohl diese Frage schon umfassend untersucht wurde, wird sie nicht müde, weiterhin ihre Geschichte von den indischen Selbstmordbauern zu wiederholen. Auch in Bezug auf Goldenen Reis hält weiterhin sie an ihren vor 15 Jahren aufgestellten, nicht haltbaren Behauptungen fest. Mehr…

Die Freiburger Erklärung zur Homöopathie. Ein Aufruf.

26. März 2016 10 Kommentare

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Wir wissen: ein Aufruf, eine Petition zu unterschreiben ist eher ätzend. Aber es ist ja keine der üblichen Empörungs-Petitionen Marke Durchlauferhitzer, sondern eine Erklärung. Eine, die es in sich hat.

Anfang Februar wurde das Netzwerk Homöopathie gegründet. Es gab ein erfreuliches Presseecho, selbst die Speerspitze der Schleifer scharfer Gedanken, Prof. Dr. Harald Walach, sah sich genötigt, einen Nottrieb zu entwickeln und in einem Textaustausch mit dem Mitbegründer Norbert Aust zähflüssig opakes Textmaterial dazu abzusondern. Lesenswert, so man sich für die Geschichte der Universitäten, speziell der Abteilung Rhetorik interessiert. Man war der Überzeugung, eine denkökonomische Erklärung ersetze allemal schnöde Realität. Ein Fossil dieser Geschichte ist nicht nur der Satz „Wer heilt, hat recht!“, sondern auch der Herr Prof. Dr. W. Aber das nur am Rande.

Jedenfalls: die Freiburger Erklärung hat bisher lediglich 912 Unterzeichner (Stand: 25.3.2016). Das ist deutlich zu wenig, angesichts der wirklich sehr, sehr guten Forderungen. Magisches Denken gehört nun mal weder in die Wissenschaft noch in Sozialsysteme. Man kann anderer Ansicht sein und auch das Fliegen auf Besen wieder rehabilitieren wollen. Wer das nicht will, dem sei empfohlen, diese Erklärung zu zeichnen. Selbst bei allem Widerwillen gegen Petitionen.

Hier geht es zum Unterzeichnen.

 

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