Geht es um kontroverse medizinische Themen, wird oft und gerne der „mündige Patient“ heraufbeschworen, der selbst für seine Entscheidungen verantwortlich ist und die freie Wahl hat, ob er sich einer wirksamen Behandlung unterzieht oder lieber einem Scharlatan vertraut. Mündigkeit setzt allerdings die Kenntnis der vorhandenen Optionen sowie ein gewisses Grundwissen über deren Funktionsweise voraus. Deshalb ist Aufklärung wichtig, auch wenn diese nur selten geeignet ist, eine nachweislich irrige Überzeugung zu korrigieren, wie gerade eine aktuelle Meta-Analyse zeigt. Wir versuchen weiterhin, Fakten zu sammeln und vor unlauteren Angeboten zu warnen, wozu auch diese Woche wieder unsere Linksammlung beitragen soll.
Psirama – Der Psiram-Wochenrückblick (KW38, 2017)
Unsere wöchentliche Linksammlung enthält gewöhnlich Hinweise auf Artikel, die im Laufe der Woche in Online-Medien wie Zeitungs- und Magazinseiten, Fachportalen, Blogs sowie in unserem Forum erschienen sind und zu unseren Kernthemen passen. Gelegentlich werden diese Artikel kontrovers diskutiert, was uns immer freut, denn so entstehen neue Sichtweisen und Anregungen, sich mit einem Thema näher zu beschäftigen. Allerdings besteht auch immer die Gefahr, nur Artikel aus der skeptischen Filterblase zu sammeln. Deshalb freuen wir uns über Ergänzungen unserer Leser. Vorschläge für den Wochenrückblick nehmen wir gerne im Forum, in den Blog-Kommentaren, per Facebook oder Twitter entgegen.
Drei Podcasts aus Österreich, Deutschland und der Schweiz, die klüger machen: Skeptik-Kabinett, Nachgefragt-Podcast, SkeptisCH
Podcasts sind ein großartiges Medium: Unterhaltsam, lehrreich und bestens geeignet, um sie nebenher anzuhören. Wir möchten heute drei relativ junge Podcasts vorstellen, die sich mit Wissenschaft und kritischem Denken beschäftigen.
Psirama – Der Psiram-Wochenrückblick (KW37, 2017)
Für alle, denen wissenschaftlich-kritisches Denken und Aufklärung am Herzen liegen, ist die kommende Bundestagswahl in Deutschland ein Anlass, die antretenden Parteien genauer unter die Lupe zu nehmen: Wird Wissenschaft und Bildung ausreichend thematisiert und gefördert? Welche Rolle spielt Rationalität in der Politik? Wird Glaube und Religion als Privatsache oder politisches Instrument betrachtet? Parteiprogramme, Abstimmungsverhalten in der Vergangenheit und diverse Online-Wahlhilfen geben Aufschluss und sollen bei der Entscheidungsfindung helfen, so auch die Seite „Science-O-Mat“ in dieser Linksammlung. Natürlich haben wir auch wieder viele interessante Inhalte aus anderen Themenbereichen gesammelt und freuen uns auf anregende Diskussionen.
Mittelalter-Flacherde reloaded
A Newtonian might put it this way:
for every myth there is an equal and opposite myth.
– Noah J. Efron
Kürzlich haben wir im Blog versucht, über die Entlarvung des Mythos, das Mittelalter habe an die Erde als eine Scheibe geglaubt, zu berichten (hier). Wir hatten einen einzigen Kommentar:
Hä?
Da sind wir ein wenig in uns gegangen und zu dem Schluss gekommen, dass wir wohl etwas zu komprimiert und sprunghaft in unserem Text gewesen sind. Diejenigen, die mit der Materie bisher nicht so befasst waren (sicher 99,9% unserer Leser; so wichtig ist die Angelegenheit schließlich nicht), lässt unser Blogbeitrag ratlos zurück. Wir wollen deshalb noch ein wenig Kontext liefern, einen etwas größeren Rahmen aufspannen und bei dieser Gelegenheit einige weitere, charakteristische Details beitragen.
Man weiß, dass Galilei von der katholischen Kirche verurteilt wurde, weil er die Erde aus dem Mittelpunkt des Universums geworfen hatte [1]. Man weiß: Kolumbus hat mit seiner Entdeckung Amerikas bewiesen, dass die Erde rund ist. So steht es in den Schulbüchern; auch jetzt noch [2]. Letztere Behauptung ist jedoch so unzulässig verkürzt, dass sie geradezu falsch ist, was eigentlich seit längerem [3] klargestellt sein sollte. Im 15. Jahrhundert war die Erde längst rund; theologische Bedenken über die Gestalt der Erde spielten bei der Reise des Kolumbus nur eine untergeordnete Rolle, wenn es auch plausibel ist, dass sie eine Rolle spielten [4].
Auftritt Jeffrey Burton Russell
Nachtrag zu: Werner Rügemer und die „jüdischen Aufsteiger“
Anfang August dieses Jahres haben wir uns schon einmal mit der verschroben antisemitischen Weltsicht des Werner Rügemer befasst.
Dabei bemühten wir uns um Sachlichkeit. Jede Aussage wurde im Zweifel stets zugunsten Rügemers ausgelegt; der Vorwurf des Antisemitismus wurde nur erhoben, wenn er einwandfrei belegbar ist.
Inzwischen liegt uns ein aber ein Gerichtsurteil (*) vor, nach dessen Lektüre wir einräumen müssen, ihn zu wohlwollend kommentiert zu haben.
Psirama – Der Psiram-Wochenrückblick (KW36, 2017)
Das „Münsteraner Memorandum“ zur Reformierung des Heilpraktiker-Gesetzes ist nun schon seit drei Wochen öffentlich und wir warten weiterhin gespannt auf das erste inhaltlich begründete Gegenargument. Zeit Online hat derweil einige typische Reaktionen gesammelt und wir haben eine kleine Argumentationshilfe bereitgestellt. Bei Spektrum findet sich eine Analyse der Homöopathie, die keine Wünsche offen lässt. Außerdem wurde diese Woche über Pseudowissenschaft, Extremismus, Magisches Denken und vieles mehr diskutiert. Unsere kleine Linksammlung soll wie immer die Artikel-Auswahl erleichtern und zum Weiterdenken anregen.
Verzweifelt gesucht: Argumente pro Heilpraktiker
Ende August veröffentlichte eine Gruppe von Wissenschaftlern, Medizinern und Journalisten das „Münsteraner Memorandum Heilpraktiker“ mit dem Ziel, die Politik zum Umdenken bei der Heilpraktiker-Zulassung zu bewegen (wir berichteten). Seitdem wird darüber viel diskutiert, gestritten, polemisiert, nicht selten mit heftigen persönlichen Angriffen.
Was ist da passiert? Ein kurzer Rückblick:
Zunächst wird im Memorandum der Status Quo des Heilpraktikergesetzes von 1939 erläutert:
Durch die staatliche Anerkennung von Heilpraktikern als „Heilkunde” Ausübende und durch die gesetzlich fixierte Berufsbezeichnung „Heilpraktiker” (vgl. Heilpraktikergesetz §1) wird Patienten suggeriert, es handle sich um staatlich geprüfte Heiler, die im Grunde äquivalent zu Ärzten ausgebildet seien und deren Kenntnisse sich zudem – anders als die vieler Ärzte – nicht auf ein oder zwei Fachgebiete beschränkten. Dies wäre jedoch ein klarer Fehlschluss: Medizinstudenten durchlaufen ein der Wissenschaftlichkeit verpflichtetes Studium, an dessen Ende eine staatliche Prüfung steht. Heilpraktiker haben demgegenüber nur eine einzige Prüfung zu bestehen, in der sie nachweisen müssen, dass sie sich bestimmter Grenzen ihres Kompetenzbereichs bewusst sind, etwa bei der Behandlung von Infektionskrankheiten. Darüber hinaus gibt es keine staatlich regulierte Ausbildung.
Weiterhin enthält das Memorandum eine kurze Beschreibung der Arzt-Ausbildung und stellt dieser die Voraussetzungen für den Erwerb der Heilpraktiker-Zulassung gegenüber.
Im weiteren Verlauf werden Bedenken geäußert, welche die Wahrnehmung und Stellung des Heilpraktikerwesens im Gesundheitssystem betreffen:
Gerade wegen der in Deutschland in nahezu allen Bereichen üblichen und erwartbar hohen Qualitätsstandards gehen Menschen hierzulande davon aus, dass solche Standards alle wichtigen Lebensbereiche regulieren – also auch die Gesundheitsversorgung durch Heilpraktiker. Umso größer ist die Gefährdung durch das unkontrollierte Feld des Heilpraktikerwesens.
Als Fazit werden zwei Lösungsvorschläge angeboten, um eine möglichst sichere Versorgung mit gesundheitsbezogenen Dienstleistungen zu erreichen: Einerseits die Streichung des Heilpraktiker-Berufes, alternativ eine Regulierung der Ausbildung und der Tätigkeitsbereiche, die den strengen Anforderungen in anderen Gesundheitsberufen entspricht.
Dass dieses Memorandum von vielen Heilpraktikern als persönlicher Angriff gewertet wird, ist nachvollziehbar, geht es doch in vielen Fällen um die Existenz, um den Verlust der Früchte jahrelanger harter Arbeit und nicht zuletzt um die Reputation als „so etwas ähnliches wie Arzt“.
Psirama – Der Psiram-Sommer-Rückblick (KW26-35, 2017)
Die Tage werden kürzer und kühler, in den Geschäften stapeln sich bereits die Lebkuchen und Psirama ist wieder da – mit einem extra langen Sommer-Rückblick. Wir haben in den vergangenen Wochen viel gelesen und noch mehr gesammelt. Ein Teil davon hat es in diese Psirama-Folge geschafft, der Rest ist im Forum nachzulesen. Zwischenzeitlich wurde eifrig diskutiert, etwa über das Ende der Apothekenpflicht für Zuckerkügelchen und seit vorletzter Woche auch darüber, welchen Sinn und Zweck der Beruf des Heilpraktikers hat. Was sonst noch los war in Wissenschaft, Forschung, Medizin und im Rest der Welt – Fakten, Meinungen und Debatten – stellen wir zukünftig wieder jeden Sonntag zur Diskussion.
Der fröhliche Bischof Virgil reitet auf der Erdkugel in die Neuzeit
Kürzlich erwähnten wir die merkwürdige aber vielfältig verwendbare Ansicht von der Erde als einer Scheibe: die Eintagsfliege Scaramucci hatte versucht, mit ihr die Wissenschaft lächerlich zu machen (hier). Die kryptosatirische Flat Earth Society vertritt sie, aber das Mem begegnet uns auch in anderen Zusammenhängen, die man sorgfältig von dieser Skurrilität unterscheiden sollte. So heißt es vielfach, insbesondere die amerikanischen Autoren des 19. Jhd. Irving, Draper und White hätten in ihren antichristlichen Polemiken die Idee propagiert, Kolumbus habe gegen die mittelalterliche Vorstellung von einer flachen Erde ankämpfen müssen. Sie wollten die Religion anschwärzen. Dazu wäre einiges zu sagen, aber wir wollen uns hier auf ein Detail beschränken.
In Deutschland sollte das ja nun schon länger kein Thema mehr sein (Gerhard Prause, Niemand hat Kolumbus ausgelacht, 1966). Ist es aber, wir kommen darauf zu sprechen. Der international erfolgreiche Debunker dieses Mythos, d. h. der These, das Mittelalter habe an eine flache Erde geglaubt, ist Jeffrey Burton Russell [1] (es besteht keine Gefahr, ihn mit Bertrand Russell zu verwechseln). Für Russell dient die völlige Überzeichnung der Flacherde-Geschichte dazu, sie als erlogenen Keim und Kern der Auffassung von der Inkompatibilität von Religion und Wissenschaft hinzustellen, und so bemüht er sich, die Aufklärung gleich mit im Klo runterzuspülen. Voltaire war ein „großer Satiriker“, Hobbes hat „geprahlt“; Condorcet, Diderot, Benjamin Franklin, Edward Gibbon, Hume „waren unermüdlich in ihrer Verachtung für das Christentum und besonders für das Mittelalter“, und Thomas Paine war „zügellos“ [unbridled] (S. 61). Verweilen wir ein wenig bei letztgenanntem.